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Auszug aus dem Urteil der ARK vom 13. März 2006 i.S. T.H.A., Iran

Art. 32 Abs. 2 Bst. e, Art. 29 f. und Art. 54 AsylG; Behandlung von nach Abschluss des Asylverfahrens geltend gemachten subjektiven Nachfluchtgründen.

1. Ein im Nachgang zu einem erfolglos durchlaufenen Asylverfahren eingereichtes Gesuch um Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, in dem keine Revisionsgründe geltend gemacht werden, ist nach der Bestimmung von Art. 32 Abs. 2 Bst. e AsylG zu behandeln; es liegt kein Wiedererwägungsverfahren, sondern ein neues Asylgesuch vor (vgl. EMARK 1998 Nr. 1) (Erw. 2.3.)

2. Entfällt in solchen Fällen die Möglichkeit, in Anwendung von Art. 32 Abs. 2 Bst. e AsylG einen Nichteintretensentscheid zu treffen ist das Bundesamt verpflichtet, im Rahmen des neuen ordentlichen Asylverfahrens eine Anhörung gemäss Art. 29 f. AsylG durchzuführen (Erw. 3.1.).

Art. 32 al. 2 let. e, art. 29s. et art. 54 LAsi ; examen de motifs subjectifs postérieurs à la fuite invoqués après la clôture définitive d’une première procédure d’asile.

1. Une requête tendant à la reconnaissance de la qualité de réfugié déposée après le rejet définitif d’une précédente demande d’asile, requête ne faisant valoir aucun motif de révision, doit être traitée selon l’art. 32 al. 2 let. e LAsi. Une telle requête n’est pas constitutive d’une demande de réexamen mais d’une nouvelle demande d’asile (cf. JICRA 1998 n° 1) (consid. 2.3.).

2. Si l’ODM n’est pas en mesure de rendre une décision de non-entrée en matière en application de l’art. 32 al. 2 let. e LAsi, il est tenu de procéder à une audition sur les motifs d’asile, selon les art. 29s. LAsi, dans le cadre d’une nouvelle procédure ordinaire (consid. 3.1.).


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Art. 32 cpv. 2 lett. e, art. 29 e seg. nonché art. 54 LAsi; esame di motivi soggettivi insorti dopo la fuga successivamente alla conclusione di una precedente procedura d'asilo.

1. Una domanda volta al riconoscimento della qualità di rifugiato, inoltrata posteriormente alla conclusione infruttuosa di una procedura d'asilo, dev'essere trattata giusta l'art. 32 cpv. 2 lett. e LAsi nella misura in cui non sono fatti valere motivi di revisione. Non si tratta di una domanda di riesame, ma di una nuova domanda d'asilo (v. GICRA 1998 n. 1) (consid. 2.3.).

2. Se non sono date le condizioni d'applicazione dell'art. 32 cpv. 2 lett. e LAsi, l'UFM è tenuto ad effettuare un'audizione sui motivi d'asilo ai sensi degli art. 29 e seg. LAsi nell’ambito di una procedura ordinaria (consid. 3.1.).

Zusammenfassung des Sachverhalts:

Der Beschwerdeführer stellte am 18. Mai 1999 ein Asylgesuch in der Schweiz. Dieses wurde mit Verfügung des Bundesamtes vom 2. März 2001 abgewiesen; gleichzeitig ordnete das Bundesamt die Wegweisung aus der Schweiz sowie den Vollzug an. Eine dagegen gerichtete Beschwerde wies die ARK mit Urteil vom 14. April 2003 ab. Am 17. Juni 2003 reichte der Beschwerdeführer beim Bundesamt ein Wiedererwägungsgesuch ein. Das Bundesamt wies dieses Gesuch mit Verfügung vom 22. August 2003 ab. Auf eine dagegen erhobene Beschwerde trat die ARK mit Urteil vom 10. November 2003 nicht ein.Gegen diese Verfügung liess er Beschwerde einreichen, auf welche die ARK mit Urteil vom 10. November 2003 nicht eintrat.

Mit Eingabe vom 26. Januar 2004 wandte sich der Beschwerdeführer erneut an das Bundesamt. In dieser als "Wiedererwägungsgesuch" betitelten Eingabe machte er exilpolitische Aktivitäten in der Schweiz geltend und ersuchte deswegen um Anerkennung seiner als Flüchtlingseigenschaft.

Mit Verfügung vom 10. März 2004 wies das Bundesamt das "Wiedererwägungsgesuch" des Beschwerdeführers im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass keine subjektiven Nachfluchtgründe vorliegen würden.

Mit Beschwerde vom 8. April 2004 an die ARK beantragte der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter als Hauptbegehren die vollumfängliche Aufhebung der vorinstanzlichen Verfügung.

Am 15. April 2004 setzte der zuständige Instruktionsrichter der ARK antragsgemäss im Sinne einer vorsorglichen Massnahme den Vollzug der Wegweisung aus.


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In ihrer Vernehmlassung beantragte die Vorinstanz die Abweisung der Beschwerde.

Die ARK heisst die Beschwerde im Sinne der Erwägungen gut und weist die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück.

Aus den Erwägungen:

2.
2.1. Ein Anspruch auf Wiedererwägung besteht namentlich dann, wenn sich der rechtserhebliche Sachverhalt seit dem ursprünglichen Entscheid beziehungsweise - was vorliegend von Interesse ist - seit dem Urteil der mit Beschwerde angerufenen Rechtsmittelinstanz (vgl. EMARK 1995 Nr. 21, Erw. 1c, S. 204) in wesentlicher Weise verändert hat und mithin die ursprüngliche (fehlerfreie) Verfügung an nachträglich eingetretene Veränderungen der Sachlage anzupassen ist (vgl. EMARK 2003 Nr. 7, Erw. 1, S. 42 f.). Gleichzeitig besagt Art. 32 Abs. 2 Bst. e AsylG als lex specialis (vgl. EMARK 1998 Nr. 1, Erw. 6b, S. 11 f., welches Urteil die Art. 32 Abs. 2 Bst. e AsylG vorausgegangene Bestimmung von Art. 16 Abs. 1 Bst. d AsylG in der Fassung gemäss Ziff. 1 des BB vom 22. Juni 1990 über das Asylverfahren betraf), dass auf ein Asylgesuch nicht eingetreten wird, wenn Asylsuchende in der Schweiz bereits ein Asylverfahren erfolglos durchlaufen oder ihr Gesuch zurückgezogen haben oder während des hängigen Asylverfahrens in den Heimat- oder Herkunftsstaat zurückgekehrt sind, ausser die Anhörung ergebe Hinweise, dass in der Zwischenzeit Ereignisse eingetreten sind, die für die Begründung der Flüchtlingseigenschaft geeignet oder für die Gewährung vorübergehenden Schutzes relevant sind. Gemäss Praxis der ARK sind im Nachgang zu einem erfolglos durchlaufenen Asylverfahren eingereichte Gesuche um Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, in denen keine Revisionsgründe geltend gemacht werden, nach der Bestimmung von Art. 32 Abs. 2 Bst. e AsylG zu behandeln (vgl. EMARK 1998 Nr. 1, Erw. 6, S. 10 ff.). Die erste Variante des erfolglosen Durchlaufens eines Asylverfahrens in der Schweiz bedeutet dabei nicht mehr und nicht weniger, als dass in einem ersten Asylverfahren rechtskräftig festgestellt oder implizit davon ausgegangen worden ist, der Gesuchsteller sei nicht Flüchtling (vgl. EMARK 1998 Nr. 1, Erw. 5, S. 5 ff.).

2.2. Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, er erfülle die Flüchtlingseigenschaft wegen subjektiver Nachfluchtgründe infolge exilpolitischer Aktivitäten nach dem Abschluss des ordentlichen Asylverfahrens. Das Bundesamt habe seine als "Wiedererwägungsgesuch" bezeichnete Eingabe vom 26. Januar 2004 zu Unrecht in einem Wiedererwägungsverfahren behandelt. Tatsächlich handle es sich dabei um ein zweites Asylgesuch. Für ein Eintreten


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auf dieses zweite Asylgesuch bestünden zudem genügend Hinweise auf die Flüchtlingseigenschaft.

2.3. Im vorliegenden Verfahren wurde durch Urteil der ARK vom 14. April 2003 im Rahmen des vom Beschwerdeführer mit Gesuch vom 18. Mai 1999 eingeleiteten ersten Asylverfahrens das Fehlen der Flüchtlingseigenschaft rechtskräftig festgestellt. In seiner Eingabe vom 26. Januar 2004 an das Bundesamt berief sich der Beschwerdeführer sinngemäss ausschliesslich auf subjektive Nachfluchtgründe und stellte folglich erneut den impliziten Antrag auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft. Der Beschwerdeführer machte einen Sachverhalt geltend, der wegen seiner zeitlichen Situierung (Teilnahme an einer exilpolitischen Aktion vom 10. bis 19.12.2003) als Revisionsgrund offenkundig nicht in Betracht fällt. Gemäss Praxis der ARK sind im Nachgang zu einem erfolglos durchlaufenen Asylverfahren eingereichte Gesuche um Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, in denen keine Revisionsgründe geltend gemacht werden, nach der Bestimmung von Art. 32 Abs. 2 Bst. e AsylG zu behandeln (vgl. EMARK 1998 Nr. 1, Erw. 6, S. 10 ff.). Demzufolge lässt sich festhalten, dass die Eingabe des Beschwerdeführers vom 26. Januar 2004 einschliesslich der Beweismittel nicht ein Wiedererwägungsgesuch, sondern ein neues Asylgesuch darstellt, welches vom Bundesamt als solches unter dem Aspekt von Art. 32 Abs. 2 Bst. e AsylG zu prüfen gewesen wäre.

3. Nachdem das Bundesamt die Eingabe vom 26. Januar 2004 mitsamt Beweismitteln nicht als zweites Asylgesuch des Beschwerdeführers, sondern als Wiedererwägungsgesuch entgegennahm und prüfte, bleibt zu beurteilen, ob dieser Mangel eine Aufhebung der angefochtenen Verfügung und Rückweisung der Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz rechtfertigt oder aber als durch das vorliegende Beschwerdeverfahren geheilt betrachtet werden kann.

3.1. In diesem Kontext ist zunächst von Bedeutung, dass die Eingabe des Beschwerdeführers vom 26. Januar 2004 mit subjektiven Nachfluchtgründen begründet wurde, wobei diese Vorbringen nicht bloss in den Raum gestellt, sondern mit einschlägigem Bildmaterial und anderen Beweismitteln eine konkrete Vorstellung davon vermittelt wurde, worin die exilpolitischen Aktivitäten des Beschwerdeführers in der Schweiz bestehen. Angesichts der dergestalt begründeten und dokumentierten Eingabe fällt die Möglichkeit, in Anwendung von Art. 32 Abs. 2 Bst. e AsylG einen Nichteintretensentscheid zu treffen, von vornherein ausser Betracht (zu den Beweismassanforderungen bezüglich der Hinweise auf zwischenzeitliche, für die Begründung der Flüchtlingseigenschaft geeignete Ereignisse im Sinne von Art. 32 Abs. 2 Bst. e AsylG vgl. EMARK 2005 Nr. 2, Erw. 4.3., S. 16 f., wo präzisierend auf EMARK 1998 Nr. 1 eingegangen wird, welchem Urteil wie gesagt noch die Bestimmung von Art. 16 Abs. 1 Bst. d


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AsylG in der Fassung gemäss Ziff. 1 des BB vom 22. Juni 1990 über das Asylverfahren zugrunde lag). Das Bundesamt wäre folglich verpflichtet gewesen, vor dem Entscheid über das erneute Begehren um Feststellung der Flüchtlingseigenschaft im Rahmen eines ordentlichen zweiten Asylverfahrens eine Anhörung gemäss Art. 29 und 30 AsylG durchzuführen. Dass eine solche vorgängige Anhörung ausblieb, kann nicht durch die vom Beschwerdeführer genutzten Argumentationsmöglichkeiten im Rechtsmittelverfahren vor der ARK „kompensiert“ und damit als unerheblich betrachtet werden. Tatsächlich darf davon ausgegangen werden, dass sich die erforderliche Anhörung naturgemäss gerade (auch) auf die Frage nach dem Exponierungsgrad und der genauen Tragweite der Aktivitäten des Beschwerdeführers bezogen hätte. Neben dem bisher Gesagten gilt es sodann darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer als Folge der unkorrekten Behandlung seiner Eingabe vom 26. Januar 2004 in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht den Status eines Asylsuchenden im ordentlichen Verfahren geniesst (vgl. Art. 42 Abs. 1 AsylG), was für ihn (…) […] nachteilige Konsequenzen nach sich ziehen kann. […].(…)

3.2. Schliesslich gilt es festzuhalten, dass der ungerechtfertigte Verzicht des Bundesamtes auf eine vorgängige Anhörung einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gleichkommt (vgl. Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 30 Abs. 1 VwVG i.V.m. Art. 6 AsylG). Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör führt grundsätzlich zur Aufhebung des angefochtenen Hoheitsakts ohne Rücksicht darauf, ob Letzterer bei korrekter Gewährung des rechtlichen Gehörs anders ausgefallen wäre, zumal eine solche Betrachtungsweise dem formellen Charakter des Gehörsanspruchs widerspräche (vgl. EMARK 1999 Nr. 20, S. 131; 1998 Nr. 34, Erw. 10d, S. 292 f.; U. Häfelin/G. Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl., Zürich 2002, Rz. 1709). Auch weil die vorstehend erörterte Problematik nicht fallspezifischer Natur, sondern von grosser praktischer Bedeutung ist und eine beträchtliche Zahl von ähnlich oder gleich gelagerten Verfahren betrifft, fällt eine Heilung der Gehörsverletzung aus prozessökonomischen Gründen nicht in Betracht (vgl. EMARK 2004 Nr. 28, Erw. 7e und 7f, S. 184 f.).

3.3. Zusammenfassend ergibt sich, dass die Vorinstanz die vom 26. Januar 2004 datierende Eingabe des Beschwerdeführers zu Unrecht als Wiedererwägungsgesuch behandelt und damit Bundesrecht verletzt hat (vgl. Art. 106 AsylG). Die Beschwerde ist somit hinsichtlich des Hauptbegehrens gutzuheissen, die angefochtene Verfügung des Bundesamtes vom 10. März 2004 aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

 

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