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Auszug aus dem Urteil vom 20. Februar 2003 i.S. P. B. und J. sowie deren Kinder, Serbien und Montenegro

Art. 29 Abs. 1 und 2 BV, Art. 44 VwVG i.V.m. Art. 5 Abs. 1 Bst. b VwVG: Wiedererwägungsgesuch: Anspruch auf Behandlung, Substanziierung, Zulässigkeit der Beschwerde an die ARK.

1.  Verneint das BFF im Einzelfall einen verfassungsmässigen Anspruch auf Behandlung eines Wiedererwägungsgesuchs, stellt diese Feststellung eine mit Beschwerde an die ARK anfechtbare Verfügung dar.

2. Das BFF ist nicht gehalten, auf ein nicht genügend substanziiertes Wiedererwägungsgesuch einzutreten.

Art. 29 al. 1 et 2 Const., art. 44 PA en relation avec l'art. 5 al. 1 let. b PA : demande de réexamen ; droit au traitement, motivation, recevabilité du recours par la CRA.

1.  Le fait que l'ODR conteste dans un cas particulier l'existence d'un droit constitutionnel au traitement d'une demande de réexamen constitue une décision susceptible de recours devant la CRA.

2. L'ODR n'est pas tenu d'entrer en matière sur une demande de réexamen insuffisamment motivée.

Art. 29 cpv. 1 e 2 Cost., art. 44 PA in relazione con l'art. 5 cpv. 1 lett. b PA: domanda di riesame: diritto alla trattazione, motivazione, ricevibilità del ricorso inoltrato alla CRA.

1.  Se l'UFR nega la sussistenza di un diritto costituzionale alla trattazione di una domanda di riesame, la determinazione dell'UFR in merito costituisce una decisione suscettibile di ricorso alla CRA.

2.  L'UFR non è tenuto ad entrare nel merito di una domanda di riesame insufficientemente sostanziata.


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Zusammenfassung des Sachverhalts:

Das BFF lehnte mit Verfügung vom 12. September 2001 das Asylgesuch der Beschwerdeführer vom 5. Mai 2000 ab, verfügte deren Wegweisung aus der Schweiz und ordnete den Vollzug der Wegweisung an.

Die gegen diese Verfügung am 8. Oktober 2001 erhobene Beschwerde wurde von der ARK mit Urteil vom 3. September 2002 abgewiesen.

Mit einer als Wiedererwägungsgesuch bezeichneten Eingabe ihres Rechtsvertreters vom 19. Dezember 2002 ersuchten die Beschwerdeführer erneut um Gewährung von Asyl, eventualiter um Anordnung der vorläufigen Aufnahme.

Das BFF hielt mit Schreiben vom 8. Januar 2003 fest, die Beschwerdeführer brächten in ihrer Eingabe vom 19. Dezember 2002 keine qualifizierten Gründe vor, die zu einer wiedererwägungsweisen Überprüfung der rechtskräftigen Verfügung vom 12. September 2001 Anlass geben würden.

Mit an die ARK gerichteter, als Rechtsverweigerungsbeschwerde bezeichneter Eingabe ihres Rechtsvertreters vom 10. Februar 2003 beantragten die Beschwerdeführer, die Vorinstanz sei anzuweisen, eine ordnungsgemässe anfechtbare Verfügung zu erlassen.

Die ARK weist die Beschwerde ab.

Aus den Erwägungen:

1. Die Wiedererwägung wird im Gegensatz zur Revision im VwVG nicht explizit geregelt. Grundsätzlich stellt ein Wiedererwägungsgesuch einen blossen Rechtsbehelf dar, auf dessen Behandlung durch die verfügende Behörde kein Anspruch besteht (vgl. EMARK 1995 Nr. 21, Erw. 1b, S. 202 f.).

Unter bestimmten Voraussetzungen wurde aber vom Bundesgericht aus Art. 4 Abs. 1 aBV in ständiger Rechtsprechung - diese behält unter Art. 29 Abs. 1 und 2 BV weiterhin ihre Gültigkeit (vgl. dazu BGE 127 I 137 Erw. 6) - ein verfassungsmässiger Anspruch auf Wiedererwägung abgeleitet. Danach ist auf ein Wiedererwägungsgesuch einzutreten, wenn erhebliche Tatsachen oder Beweismittel geltend gemacht werden, die im früheren Verfahren nicht bekannt waren oder damals noch nicht geltend gemacht werden konnten, oder aber wenn sich die Umstände seit dem ersten Entscheid wesentlich geändert haben. In der ersten


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Alternative wird die anfängliche tatsächliche Unrichtigkeit einer Verfügung oder eines Entscheids geltend gemacht; dagegen geht es im zweiten Fall um eine nachträgliche Fehlerhaftigkeit aufgrund einer nach dem Entscheidzeitpunkt eingetretenen Änderung der Sach- oder Rechtslage (vgl. zur Rechtsprechung des Bundesgerichts BGE 124 II 6 Erw. 3a; 120 Ib 46 Erw. 2b; 113 Ia 150 ff. Erw. 3a; 109 Ib 251 f. Erw. 4a; Urteil 1P.563/2002 vom 18. Dezember 2002, Erw. 2; vgl. auch EMARK 1995 Nr. 21, Erw. 1b, S. 203 f.; J. P. Müller, Grundrechte in der Schweiz, 3. Aufl., Bern 1999, S. 496; U. Häfelin/G. Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl., Zürich 2002, Rz. 1042 f. und 1833; A. Kölz/I. Häner, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl., Zürich 1998, Rz. 429 und 438; G. Müller, in Kommentar BV, Art. 4 [1995], Rz. 89, Fn. 223; U. Beerli-Bonorand, Die ausserordentlichen Rechtsmittel in der Verwaltungsrechtspflege des Bundes und der Kantone, Zürich 1985, S. 178). Ein Wiedererwägungsgesuch in diesem Sinne stellt sich nicht bloss als Rechtsbehelf, sondern als eigentliches ausserordentliches Rechtsmittel dar (vgl. F. Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 220; EMARK 1995 Nr. 21, Erw. 1b, S. 203).

2. a) aa) Gemäss Art. 105 Abs. 1 Bst. a und c AsylG entscheidet die ARK endgültig über Beschwerden gegen Entscheide des BFF über Verweigerung von Asyl und Wegweisung. Zwar geht aus dieser Bestimmung die Zuständigkeit der ARK für Beschwerden gegen die Abweisung von Wiedererwägungsgesuchen nicht ausdrücklich hervor, sie ergibt sich aber aus dem Umstand, dass nach Lehre und Praxis Wiedererwägungsentscheide grundsätzlich wie die ursprüngliche Verfügung auf dem ordentlichen Rechtsmittelweg weitergezogen werden können (vgl. BGE 113 Ia 153 f.; VPB 1985 Nr. 24; Gygi, a.a.O., S. 220; Beerli-Bonorand, a.a.O., S. 174 f.). Gemäss Lehre und Praxis kann aber auch das Nichteintreten auf ein Wiedererwägungsgesuch oder dessen formlose Nichtanhandnahme an die ordentliche Rechtsmittelinstanz weitergezogen werden, dies allerdings allein mit der Begründung, die Vorinstanz habe es in Missachtung eines sich unmittelbar aus Art. 29 Abs. 1 und 2 BV ergebenden Anspruchs auf Wiedererwägung zu Unrecht abgelehnt, auf das Wiedererwägungsgesuch einzutreten (vgl. BGE 113 Ia 153 f. Erw. 3c; 109 Ib 251 Erw. 4a; Kölz/Häner, a.a.O., Rz. 449; Häfelin/Müller, a.a.O., Rz. 1834; B. Knapp, Précis de droit administratif, 4. Aufl., Basel 1991, Rz. 1784; Beerli-Bonorand, a.a.O., S. 175).

bb) Beschwerde- bzw. Anfechtungsobjekt des Verwaltungsverfahrens ist die Verfügung (vgl. Art. 44 VwVG). Zwar kleidete das BFF seinen Bescheid, sich mit dem Wiedererwägungsgesuch der Beschwerdeführer nicht zu befassen, lediglich in Briefform, indem es im Schreiben vom 8. Januar 2003, das weder Dispositiv noch Rechtsmittelbelehrung enthielt, ausführte, die Beschwerdeführer brächten keine qualifizierten Gründe vor, die zu einer wiedererwägungsweisen


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Überprüfung der rechtskräftigen Verfügung vom 12. September 2001 Anlass geben würden, und das Wiedererwägungsgesuch als blossen Rechtsbehelf bezeichnete. Damit aber verneinte das BFF implizit einen verfassungsmässigen Anspruch der Beschwerdeführer auf Behandlung ihres Wiedererwägungsgesuchs, worin bereits eine mit Beschwerde an die ARK anfechtbare Verfügung zu erblicken ist (vgl. Art. 5 Abs. 1 Bst. b VwVG; Urteil des Bundesgerichts 5A.8/2001 vom 22. Mai 2001, Erw. 1a und c; vgl. auch EMARK 1996 Nr. 37, Erw. 2, S. 333 f.). [...]

b) Die Beschwerdeführer sind als Adressaten der Verfügung des BFF vom 8. Januar 2003 legitimiert.

c) Auf die im Übrigen frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde ist damit einzutreten (vgl. Art. 6 AsylG i.V.m. Art. 48 und Art. 50 ff. VwVG). Gegenstand des vorliegenden Verfahrens kann jedoch nur die Frage bilden, ob die Vorinstanz das Wiedererwägungsgesuch zu Recht nicht anhand genommen hat, nicht jedoch die Aufhebung oder Änderung ihrer ursprünglichen Verfügung.

[...]

4.a) Die Behörde hat auf ein Wiedererwägungsgesuch hin zunächst zu prüfen, ob die Voraussetzungen, unter denen sie zum Eintreten auf ein Wiedererwägungsgesuch verpflichtet wäre, erfüllt sind. Dabei genügt es zwar für die Zulässigkeit des Wiedererwägungsgesuchs, dass Umstände, die einen verfassungsmässigen Anspruch auf Wiedererwägung begründen würden, substanziiert behauptet werden (vgl. BGE 100 Ib 372 Erw. 3b; EMARK 1998 Nr. 1, Erw. 6b, S. 11). Das Wiedererwägungsgesuch in seiner Ausprägung als ausserordentliches Rechtsmittel ist indessen nicht hinreichend begründet, wenn aus der Rechtsschrift die tatsächlichen Anhaltspunkte, die auf das Vorliegen eines Wiedererwägungsgrundes hindeuten sollen, nicht ersichtlich sind. Sind dem Gesuch nicht genügend substanziierte Wiedererwägungsgründe zu entnehmen, so ist die Verwaltungsbehörde nicht gehalten, auf das Gesuch einzutreten, ja es überhaupt formell anhand zu nehmen (vgl. Gygi, a.a.O., S. 198 f.).

b) Die Begründung des Wiedererwägungsgesuchs vom 19. Dezember 2002 vermochte den soeben umschriebenen Anforderungen in keiner Weise zu genügen. So wurde zwar geltend gemacht, dass sich die Situation der Roma in Serbien und Montenegro in der Zwischenzeit "drastisch verschlimmert" habe bzw. dass der Beschwerdeführer neu an einer "massiv verschlimmerten akuten schweren psychiatrischen Erkrankung" leide und "allerhöchste Suizidgefahr" bestehe. Diese Vorbringen, mit welchen sich die Beschwerdeführer zwar auf eine angeb-


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lich veränderte Sachlage und damit sinngemäss auf einen Anspruch auf Wiedererwägung beriefen, blieben indessen gänzlich unsubstanziiert. Vorliegend waren aber erhöhte Anforderungen an die Substanziierung neuer Vorbringen zu stellen, wurde doch das Wiedererwägungsgesuch nur kurze Zeit nach dem Urteil der ARK vom 3. September 2002 eingereicht, in dem sowohl die Situation der Roma in Serbien und Montenegro als auch die bereits damals vom Beschwerdeführer geltend gemachten psychischen Probleme abschliessend gewürdigt worden waren. Unter diesen Umständen aber muss sich der Eindruck geradezu aufdrängen, das Wiedererwägungsgesuch stelle bloss den Versuch dar, eine neue Würdigung im bisherigen Asylverfahren bereits bekannter Tatsachen herbeizuführen, worauf aber auch im Rahmen einer Wiedererwägung von vornherein kein Anspruch besteht (vgl. EMARK 2000 Nr. 24, Erw. 3b, S. 217 f.). Es ist damit unter dem Gesichtspunkt der aus Art. 4 Abs. 1 aBV entwickelten, nunmehr unter Art. 29 Abs. 1 und 2 BV zu beachtenden Grundsätze in keiner Weise zu beanstanden, wenn das BFF das Wiedererwägungsgesuch vom 19. Dezember 2002 als blossen Rechtsbehelf ohne Behandlungsanspruch erachtet und lediglich mit formlosem Schreiben vom 8. Januar 2003 beantwortet hat.

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