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Auszug aus dem Urteil der ARK vom 18. November 2005 i.S. T.I. und N.K. mit Kindern, Serbien und Montenegro

Art. 14a Abs. 4 ANAG: Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs von ethnischen Minderheiten aus dem Kosovo; aktualisierte Lagebeurteilung.

Der Vollzug der Wegweisung von albanischsprachigen Roma, Ashkali und Ägyptern in den Kosovo ist angesichts der neueren Entwicklungen grundsätzlich zumutbar, sofern aufgrund einer Einzelfallabklärung (insbesondere durch Untersuchungen vor Ort) feststeht, dass bestimmte Reintegrationskriterien - wie berufliche Ausbildung, Gesundheitszustand, Alter, ausreichende wirtschaftliche Lebensgrundlage und Beziehungsnetz im Kosovo - erfüllt sind (Erw. 5.4.).

Art. 14a al. 4 LSEE : exigibilité de l’exécution du renvoi de personnes issues de minorités ethniques du Kosovo ; analyse de la situation actuelle.

Au vu de la nouvelle situation régnant au Kosovo, l’exécution du renvoi des Roms, Ashkalis et Egyptiens, de langue albanaise, est en principe raisonnablement exigible pour autant qu’il soit établi, sur la base d’une enquête individuelle (en particulier sur la base de renseignements collectés sur place) que les critères de réintégration - en termes de formation professionnelle, de santé, d’âge, de moyens de subsistance et de réseau social - sont remplis (consid. 5.4.).

Art. 14a cpv. 4 LDDS: esigibilità dell'esecuzione dell'allontanamento d'appartenenti alle minoranze etniche del Cossovo; attualizzazione della valutazione della situazione.

L'esecuzione dell'allontanamento verso il Cossovo di Rom, Askhali ed Egiziani albanofoni è - conto tenuto dei nuovi sviluppi - di principio ragionevolmente esigibile. Va tuttavia accertato, mediante un'indagine individualizzata (segnatamente condotta in loco), che le condizioni indispensabili per un adeguato reinserimento - quali la formazione professionale, lo stato di salute, l’età, l’esistenza di sufficienti mezzi economici e la presenza di una rete sociale - siano adempite (consid. 5.4.).


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Zusammenfassung des Sachverhalts:

Die Beschwerdeführerin 1 stellte am 26. Juni 1990 erstmals ein Asylgesuch in der Schweiz. Mit Verfügung vom 16. Juli 1991 lehnte das Bundesamt das Gesuch ab. Im Mai 1992 kehrte die Beschwerdeführerin 1 in den Kosovo zurück. Am 5. September 1993 reichte sie ein zweites Asylgesuch ein. Das Bundesamt trat mit Verfügung vom 29. Dezember 1993 auf das Gesuch nicht ein.

Die Beschwerdeführerin 2, die Mutter der Beschwerdeführerin 1, stellte am 12. August 1998 ein erstes Asylgesuch in der Schweiz. Mit Verfügung vom 26. August 1999 lehnte das Bundesamt das Gesuch ab.

Am 30. März 2004 reichten die Beschwerdeführerinnen, die Beschwerdeführerin 1 mit ihren beiden Kindern, erneut Asylgesuche in der Schweiz ein und machten geltend, sie stammten aus Djakovica (Gjakove) und gehörten der Ethnie der albanischsprachigen Ägypter an. Die Beschwerdeführerin 1 führte im Wesentlichen aus, nach ihrer Rückkehr aus der Schweiz im Jahre 1994 habe sie zunächst bei ihren Schwiegereltern gelebt und ab 1996 zusammen mit ihrem Ehemann und den Kindern ein eigenes Haus bewohnt. Im Mai 1999 sei ihr Ehemann gestorben. In der Folge sei sie mit ihren Söhnen zu ihren Eltern gezogen. Aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeiten hätten sie seit Ende des Krieges keine Sicherheit mehr in ihrer Heimat gehabt. Ihre Söhne seien von Kindern und Erwachsenen schikaniert sowie geschlagen worden. Sie seien aufgefordert worden, den Ort zu verlassen. Als Witwe habe sie es zudem besonders schwer gehabt. Die Beschwerdeführerin 2 führte im Wesentlichen aus, nach dem Tod ihres Schwiegersohnes habe ihre Tochter bei ihr und ihrem Ehemann gelebt. Ihr Ehemann sei sehr alt und gesundheitlich angeschlagen. Sie selbst sei seit vier Jahren gelähmt. Im Kosovo habe sie keine Lebenssicherheit mehr gehabt.

Im Rahmen weiterer Abklärungen ersuchte das BFM das schweizerische Verbindungsbüro in Pristina, Auskünfte vor Ort einzuholen.

Das BFM stellte mit je separaten Verfügungen vom 22. Juni 2005 fest, die Beschwerdeführerinnen erfüllten die Flüchtlingseigenschaft nicht, und lehnte die Asylgesuche ab. Gleichzeitig ordnete es die Wegweisung und deren Vollzug aus der Schweiz an.

Mit je separaten Beschwerden vom 4. Juli 2005 an die ARK beantragten die Beschwerdeführerinnen die Feststellung der Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs.


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Die ARK heisst die Beschwerden gut, hebt die angefochtenen Verfügungen hinsichtlich des Vollzugs der Wegweisung auf und weist das BFM an, die Beschwerdeführerinnen mit den Kindern vorläufig aufzunehmen.

Aus den Erwägungen:

5.

5.1. Gemäss Art. 44 Abs. 2 AsylG regelt das Bundesamt das Anwesenheitsverhältnis nach den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme von Ausländern, wenn der Vollzug nicht möglich, nicht zulässig oder nicht zumutbar ist. Der Vollzug ist nicht möglich, wenn der Ausländer weder in den Herkunfts- oder in den Heimatstaat noch in einen Drittstaat ausreisen oder dorthin gebracht werden kann. Er ist nicht zulässig, wenn völkerrechtliche Verpflichtungen oder landesrechtliche Bestimmungen der Schweiz einer Weiterreise des Ausländers in seinen Heimat-, Herkunfts- oder einen Drittstaat entgegenstehen. Nicht zumutbar kann der Vollzug der Wegweisung insbesondere sein, wenn er für den Ausländer eine konkrete Gefährdung darstellt (vgl. Art. 14a Abs. 2, 3 und 4 ANAG). Der Begriff der konkreten Gefährdung gemäss Art. 14a Abs. 4 ANAG ist eng auszulegen und bezieht sich vorab auf einen schwerwiegenden Eingriff in die körperliche Integrität des Ausländers. Art. 14a Abs. 4 ANAG findet insbesondere Anwendung auf Personen, die nach ihrer Rückkehr einer konkreten Gefahr ausgesetzt wären, weil sie aus objektiver Sicht wegen der vorherrschenden Verhältnisse mit grosser Wahrscheinlichkeit unwiederbringlich in völlige Armut gestossen würden, dem Hunger und somit einer ernsthaften Verschlechterung ihres Gesundheitszustands, der Invalidität oder sogar dem Tod ausgeliefert wären (EMARK 2005 Nr. 13, Erw. 7.2., S. 121; Nr. 12, Erw. 10.3., S. 114; Nr. 6, Erw. 6.1., S. 57, m.w.H.; 1995 Nr. 5, Erw. 6e, S. 47; 1994 Nr. 18, Erw. 4d, S. 140 f., und Nr. 19, Erw. 6a und b, S. 147 ff.). Eine vorläufige Aufnahme kann ferner in Fällen einer schwerwiegenden persönlichen Notlage angeordnet werden, sofern vier Jahre nach Einreichung des Asylgesuches noch kein rechtskräftiger Entscheid ergangen ist (Art. 44 Abs. 3 AsylG i.V.m. Art. 14a Abs. 4bis ANAG).

5.2. Das BFM führte in den angefochtenen Verfügungen aus, die Sicherheitssituation im Kosovo habe sich dank des KFOR-Einsatzes verbessert oder zumindest stabilisiert. Die Wahrscheinlichkeit einer konkreten Gefährdung alleine aufgrund der Ethnie könne für albanischsprachige Roma, Ashkali und Ägypter - mit Ausnahme einiger Dörfer beziehungsweise Gemeinden - ausgeschlossen werden. Zudem sei für diese Ethnien die Bewegungsfreiheit im ganzen Kosovo gegeben. Auch der Zugang zu den medizinischen und sozialen Strukturen sei in aller Regel gewährleistet. Sodann würden keine individuellen


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Gründe gegen die Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs sprechen. Die Beschwerdeführerin 1 habe eine achtjährige Schulbildung, sei gesund und könne auf die bis anhin gewährte Sozialhilfe sowie die Unterstützung ihrer Verwandten zählen. Sie habe nach dem Tod ihres Ehemannes mit ihren beiden Kindern bei ihren Eltern, mithin bei der Beschwerdeführerin 2, gelebt. Bei einer Rückkehr würde daher entsprechender Wohnraum zur Verfügung stehen. Aus medizinischer Sicht sei der Vollzug für die Beschwerdeführerin 2 ebenfalls zumutbar.

5.3. In den Rechtsmitteleingaben wird geltend gemacht, als allein erziehende Mutter könne die Beschwerdeführerin 1 auf keinen männlichen Schutz zählen. Nach dem Tod ihres Vaters sei sodann fraglich, ob sie im Elternhaus - wo sie vor der Ausreise mit ihrer Mutter gelebt habe - ein Wohnrecht erhalte. Entgegen der Ansicht des BFM sei auch nicht sicher, dass sie Sozialhilfe bekomme. Als ethnische Ägypterin habe sie praktisch keine Möglichkeit, eine Arbeitsstelle zu finden. Schliesslich sei ihre Mutter, die Beschwerdeführerin 2, gelähmt und von ihr abhängig. Die Beschwerdeführerin 2 sei auf regelmässige ärztliche Betreuung sowie Medikamente angewiesen. Es sei fraglich, ob die Beschwerdeführerin 2 als Angehörige der Ägypter diese Medikamente im Kosovo kostenfrei erhalten würde.

5.4. Die ARK beobachtet und beurteilt die allgemeine Lage der Minderheiten im Kosovo laufend. In ihrer bisherigen Praxis ging die ARK davon aus, dass ein Wegweisungsvollzug für albanischsprachige Roma, Ashkali und Ägypter, die ihren letzten Wohnsitz vor der Ausreise in den Bezirken Dragash, Prizren, Gjakove oder Peje hatten, in der Regel zumutbar ist. Nach den Unruhen vom 17. und 18. März 2004, bei welchen in erster Linie Serben, daneben aber auch Roma, Ashkali und Ägypter von den Übergriffen betroffen waren, nahm die ARK eine neue Lagebeurteilung betreffend diese Minderheiten im Kosovo vor. Dabei kam sie zum Schluss, dass der Vollzug der Wegweisung von albanischsprachigen Roma, Ashkali und Ägyptern in den Kosovo in der Regel nicht zumutbar sei, ausser es bestehe im Einzelfall eine besondere Verbundenheit mit der albanischen Bevölkerung oder es liege ein tragfähiges familiäres Netz im Kosovo vor (vgl. ausführlich EMARK 2005 Nr. 9 ; basierend auf einer Lagebeurteilung von September 2004 / Anm. d. Red.).

In seinem jüngsten Lagebericht vom März 2005 stellte das UNHCR fest, dass sich die Situation im Kosovo nach den gewalttätigen ethnischen Auseinandersetzungen im März 2004 in der zweiten Hälfte des Jahres 2004 wie auch in diesem Jahr insgesamt weiter verbessert und stabilisiert hat. Namentlich habe sich die provisorische Selbstverwaltung ernsthaft um die Umsetzung der Normen zum Umgang mit ethnischen Minderheiten bemüht. Seit rund einem Jahr seien


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keine ethnisch motivierten Tötungen mehr zu verzeichnen. Die Parlamentswahlen im Oktober 2004 hätten in einer insgesamt friedlichen Atmosphäre stattgefunden und könnten als frei und fair bezeichnet werden. Auch der Besuch des serbischen Präsidenten Tadic am 13. Februar 2005 sei ohne sicherheitsrelevante Zwischenfälle verlaufen. Erste Fortschritte seien auch bei der Verfolgung der Verantwortlichen der Unruhen von März 2004 zu verzeichnen. Weiter habe in den letzten Monaten festgestellt werden können, dass Angehörigen der Ethnie der Ashkali und Ägypter relativ tolerant begegnet werde. Vor diesem Hintergrund gelangt die ARK in ihrer neuesten Lagebeurteilung (vom August 2005 / Anm. d. Red.) zum Schluss, dass in Abweichung zu der in EMARK 2005 Nr. 9 publizierten Rechtsprechung - ein Vollzug der Wegweisung für Angehörige der Minderheiten der albanischsprachigen Roma, Ashkali und Ägypter grundsätzlich zumutbar im Sinne von Art. 14a Abs. 4 ANAG ist, sofern eine Einzelfallabklärung (insbesondere über das Verbindungsbüro im Kosovo) ergibt, dass bestimmte Kriterien - wie berufliche Ausbildung, Gesundheitszustand, Alter, eine ausreichende wirtschaftliche Lebensgrundlage sowie ein soziales respektive verwandtschaftliches Beziehungsnetz - als erfüllt erachtet werden können. Fehlt jedoch eine solche Abklärung, kann die Frage der Zumutbarkeit in der Regel nicht zuverlässig beurteilt werden, was zur Kassation des Entscheids des BFM führt. Ausnahmen von dieser Praxis sind möglich, wenn die Akten eine besondere Verbundenheit mit der Volksgruppe der Albaner erkennen lassen.

5.5. In casu haben die Abklärungen durch das Verbindungsbüro in Pristina im Sommer 2004 ergeben, dass das Haus, welches die Beschwerdeführerin 2 mit ihrem Ehemann, ihrer Tochter und den beiden Kindern bewohnte, über drei Schlafzimmer, ein Wohnzimmer, eine Küche und ein Bad verfügt. Weiter konnte festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerinnen, entgegen ihrer persönlichen Angaben anlässlich der Befragungen, offenbar wirtschaftliche Schwierigkeiten hatten. Die Beschwerdeführerin 2 ist seit vier Jahren gelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen. Ihr Ehemann leidet an Asthma und ist beinahe taub. Beide konnten aufgrund ihres Alters und ihrer Gebrechen keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Die Beschwerdeführerin 1 kümmerte sich um ihre Eltern und ihre Kinder. Laut den Angaben einer Schwester des Ehemannes der Beschwerdeführerin 2 ist es dieser nicht mehr weiter möglich, die Beschwerdeführerinnen und die beiden Kinder zu unterstützen, da sie selbst sechs Kinder hat und ihr Ehemann ohne Arbeit ist. Allerdings werden sie von ihren im Ausland lebenden Verwandten unterstützt.

5.6. In ihrer Stellungnahme vom 3. Dezember 2004 zum Abklärungsergebnis halten die Beschwerdeführerinnen daran fest, der Vollzug der Wegweisung sei


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nicht zumutbar. Der Ehemann der Beschwerdeführerin 2 bzw. Vater der Beschwerdeführerin 1 sei vor eineinhalb Monaten gestorben. Sodann hätten sie tatsächlich wirtschaftliche Schwierigkeiten gehabt, diese hätten allerdings nicht den Ausschlag zur Ausreise gegeben, sondern die Angriffe auf die Kinder.

5.7. Aufgrund der Akten ergibt sich, dass nach den erfolgten Abklärungen vor Ort der Ehemann der Beschwerdeführerin 2 beziehungsweise der Vater der Beschwerdeführerin 1 im Oktober 2004 gestorben ist. Damit liegt heute im Verhältnis zum Zeitpunkt der Abklärungen vor Ort eine wesentlich veränderte Situation vor. Namentlich sind die Eigentumsverhältnisse am Haus des verstorbenen Ehemannes der Beschwerdeführerin 2 und damit auch die Möglichkeit einer Rückkehr der Beschwerdeführerinnen dorthin unklar. Dasselbe gilt hinsichtlich der wirtschaftlichen Unterstützung durch nahe Verwandte sowie des Bezugs von Sozialhilfe. Das BFM hat diese Fragen in der internen Entscheidfindung geprüft, ist im Entscheid allerdings darauf nicht weiter eingegangen. Im Rahmen der Vernehmlassung wurde die Vorinstanz nochmals auf die offenen Fragen hingewiesen, sie verzichtete jedoch auf eine diesbezügliche Stellungnahme. Vor diesem Hintergrund drängen sich grundsätzlich weitere Abklärungen vor Ort durch das Verbindungsbüro auf. In Anbetracht der nachfolgenden Ausführungen kann indes darauf verzichtet werden.

5.8. Vorliegend steht fest, dass die Beschwerdeführerinnen der ethnischen Min-derheit der albanischsprachigen Ägypter angehören, die gemäss UNHCR-

Bericht nach wie vor der Gefahr ethnisch motivierter Zwischenfälle ausgesetzt sein kann. Im Weiteren handelt es sich bei den Beschwerdeführerinnen um verwitwete Frauen, die im Falle der Beschwerdeführerin 2 auf ständige Pflege angewiesen sind und im Falle der Beschwerdeführerin 1 zusätzlich zur Pflege der Mutter für minderjährige Kinder im Alter von 11 und 13 Jahren aufzukommen und zu sorgen haben. Bei dieser Häufung von Schwierigkeiten bei einer Rückkehr in den Kosovo stellt sich die Frage, ob der Vollzug der angeordneten Wegweisung nicht bereits aus den oben genannten Gründen als unzumutbar im Sinne von Art. 14a Abs. 4 ANAG erachtet werden muss.

Im Weiteren ist zunächst zu prüfen, ob die Beschwerdeführerinnen in das ehemals von ihnen mitbewohnte Haus zurückkehren können. Aufgrund der Akten ist davon auszugehen, dass das Haus dem zwischenzeitlich verstorbenen Ehemann der Beschwerdeführerin 2 gehörte. Nach den Erkenntnissen der schweizerischen Asylbehörden wird in der albanischen Tradition der Familienbesitz, wann immer möglich, in der Familie des Ehemannes zurückbehalten und geht nicht an die eingeheiratete Ehefrau und deren Familie über. Es ist daher in casu davon auszugehen, dass das Haus des Verstorbenen nicht in das Eigentum der Beschwerdeführerinnen übergeht, sondern an einen der Söhne der Beschwerde-


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führerin 2 oder einen der Schwager übertragen wird. Dabei würde allerdings die Möglichkeit bestehen, den Beschwerdeführerinnen ein Wohnrecht einzuräumen. Gleichzeitig stellt sich jedoch die Frage, wer für den Unterhalt der Beschwerdeführerinnen und der beiden Kinder aufkommen könnte.

Die betagte und kranke Beschwerdeführerin 2 kann aufgrund ihres Alters und ihres Gebrechens nicht für ihren eigenen Unterhalt aufkommen. Sodann ist fraglich, ob die Beschwerdeführerin 1 für den Lebensunterhalt ihrer beiden Kinder und auch ihrer Mutter aufkommen könnte. Die Beschwerdeführerin 1 verfügt über eine achtjährige Schulbildung und keine Berufsausbildung, jedoch über mehrjährige Berufserfahrungen als Arbeiterin in einer Textilfabrik in Gjakove. Aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit, der mangelnden Berufsausbildung, der hohen Arbeitslosigkeit im Kosovo und der familiären Situation ist aber davon auszugehen, dass es für die Beschwerdeführerin 1 ausgeschlossen sein wird, eine Anstellung zu finden und damit für den Unterhalt ihrer Kinder und ihrer Mutter aufzukommen. Den Abklärungen vom 4. Juni 2004 ist denn auch zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin 1 vor ihrer Ausreise nicht gearbeitet hat und von einer Tante unterstützt worden ist.

Es stellt sich demnach die weitere Frage, ob die Beschwerdeführerinnen und die beiden Kinder von ihren Verwandten unterstützt werden können […]. Die beiden Söhne der Beschwerdeführerin 2 leben in der Schweiz und verfügen über eine Aufenthaltsbewilligung B. Der Schwiegervater der Beschwerdeführerin 2 ist verstorben, ein Schwager lebt in Holland, ein anderer in der Schweiz. Demnach lebt keiner der nächsten männlichen Verwandten der Beschwerdeführerin 2 mehr im Kosovo, welcher die beiden Frauen und Kinder bei einer Rückkehr vor Ort direkt unterstützen könnte. Was die Beschwerdeführerin 1 anbelangt, ist sodann festzustellen, dass sie entgegen der albanischen Tradition nach dem Tod ihres Ehemannes im Jahre 1999 in ihre ursprüngliche Familie zurückgekehrt ist. Es ist daher davon auszugehen, dass die Familie ihres verstorbenen Ehemannes sie nicht unterstützen wird. Den Beschwerdeführerinnen fehlt damit bei einer Rückkehr ein tragfähiges soziales Beziehungsnetz, welches für ihren Unterhalt aufkommen könnte. Inwieweit die im Ausland lebenden männlichen Verwandten der Beschwerdeführerinnen in der Lage wären, finanzielle Unterstützung zu leisten, ist den Akten nicht zu entnehmen und letztlich auch fraglich.

Ob die Beschwerdeführerinnen schliesslich Sozialhilfe in Anspruch nehmen könnten, ist vorliegend nicht gesichert. Zwar hat die Beschwerdeführerin 1 vor ihrer Ausreise aus dem Kosovo Sozialhilfe bezogen. Gemäss den Erkenntnissen der ARK handelt es sich aber um geringe Beträge (30 bis 60 Euro monatlich), die keine ausreichende Lebensbasis darstellen. Zudem haben die katastrophalen ökonomischen Verhältnisse die Sozialfürsorge im Kosovo praktisch zum Still-


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stand gebracht. Aufgrund der vorstehenden Ausführungen ist davon auszugehen, dass der Lebensunterhalt der Beschwerdeführerinnen, selbst wenn ihnen im Haus des verstorbenen Ehemannes beziehungsweise Vaters ein Wohnrecht eingeräumt würde, in keiner Weise sichergestellt ist. Schliesslich ist aufgrund des Umstandes, dass sich sämtliche nahen männlichen Verwandten im Ausland aufhalten, auch die Möglichkeit, dass die Beschwerdeführerinnen im Haushalt dieser Verwandten aufgenommen werden könnten, ausgeschlossen.

Im Weiteren ist vorliegend zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin 2 krank und gebrechlich ist. Gemäss dem ärztlichen Zeugnis von Dr. med. M. Sch. vom 5. Juli 2005 erlitt sie im Januar 2000 einen Hirnschlag mit nachfolgender linksseitiger Halbseitenlähmung. Ausserdem leidet sie an Diabetes sowie Bluthochdruck und hatte einen Kontakt mit Tuberkuloseerkrankungen. Laut ärztlichem Zeugnis vom 5. Juli 2005 ist die Beschwerdeführerin 2 auf folgende medizinische Massnahmen angewiesen: Einstellung des Bluthochdrucks, „kleine Blutverdünnung“, Instruktion in Diät und medikamentöse Einstellung der Zuckerkrankheit. Die prophylaktische Behandlung aufgrund des Kontaktes mit Tuberkulosekranken wurde im Juni 2005 abgeschlossen. Weiter ist dem ärztlichen Schreiben zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin 2 sich lediglich innerhalb ihrer Wohnung mit Gehhilfen fortbewegen kann, für längere Strecken jedoch auf den Rollstuhl angewiesen ist. Damit steht fest, dass die Beschwerdeführerin 2 auf regelmässige ärztliche Kontrollen angewiesen ist, welche nach den Erkenntnissen der ARK im Kosovo grundsätzlich durchgeführt werden können, jedoch in casu mit zum Teil erheblichen Erschwernissen verbunden wären. Namentlich ist bereits der Transport der Beschwerdeführerin 2 zu einem Arzt ohne Auto kaum möglich. Zudem ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin 2 nicht versichert ist und daher sämtliche Behandlungskosten und Medikamente selbst bezahlen müsste.

5.9. Aufgrund der vorstehenden Ausführungen ist insgesamt davon auszugehen, dass bei einer Rückkehr der Beschwerdeführerinnen deren Überleben insgesamt nicht sichergestellt ist und sie mit grosser Wahrscheinlichkeit unwiederbringlich in völlige Armut geraten würden. Die ARK gelangt deshalb zum Schluss, dass vorliegend der Vollzug der Wegweisung unzumutbar im Sinne von Art. 14a Abs. 4 ANAG ist. Die Beschwerdeführerinnen mit den beiden Kindern sind daher in der Schweiz vorläufig aufzunehmen.

 

 

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