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Auszug aus dem Urteil der ARK vom 29. November 2005 i.S. S.K., Sri Lanka

Art. 14a Abs. 4 ANAG: Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs.

1. Alternative Natur der Vollzugshindernisse (vgl. EMARK 2001 Nr. 1) (Erw. 4.2.).

2. Analyse der Lage in Sri Lanka; die bisherige Praxis der ARK, wonach eine Wegweisung in die im Norden der Insel gelegenen Gebiete Killinochchi, Mannar, Vavuniya, Mallaitivu und Jaffna unzumutbar, eine Rückführung in die südlichen Provinzen aber grundsätzlich zumutbar ist, behält Gültigkeit (Aktualisierung der Lagebeurteilung, vgl. EMARK 2001 Nr. 16) (Erw. 6).

Art. 14a al. 4 LSEE : exigibilité de l’exécution du renvoi au Sri Lanka.

1. Les conditions permettant de renoncer à l’exécution du renvoi sont de nature alternative (v. JICRA 2001 n°1) (consid. 4.2.).

2. Analyse de la situation au Sri Lanka : la pratique de la CRA, en vigueur jusqu’ici, selon laquelle l’exécution d’un renvoi dans le nord de l’île, dans les zones de Killinochchi, Mannar, Vavuniya, Mallaitivu et Jaffna est inexigible, à l’inverse des provinces du sud où elle est en principe exigible, demeure valable (actualisation de l’analyse de la situation ; v. JICRA 2001 n° 16) (consid. 6).

Art. 14a cpv. 4 LDDS: esigibilità dell’esecuzione dell’allontanamento.

1. Natura alternativa degli ostacoli alla pronuncia dell’esecuzione dell’allontanamento (v. GICRA 2001 n. 1) (consid 4.2.).

2. Analisi della situazione nello Sri Lanka. È confermata l’attuale prassi della CRA secondo la quale l’esecuzione dell’allontanamento nel nord del Paese, nelle zone di Killinochchi, Mannar, Vavuniya, Mallaitivu e Jaffna, è inesigibile. Per contro, è di principio esigibile quella verso le


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province del sud (attualizzazione dell’analisi della situazione, v. GICRA 2001 n. 16) (consid. 6).

Zusammenfassung des Sachverhalts:

Die Beschwerdeführerin, eine Tamilin aus Alaveddy (Jaffna), stellte am 19. November 2002 ein Asylgesuch. Sie machte im Wesentlichen geltend, sie habe aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen bereits im Jahre 1996 ihre Heimatregion verlassen müssen und bis ins Jahr 2000 in Killinochchi und später in Malawi gelebt. Ihr Sohn sei als Kämpfer bei den Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) umgekommen und ihr Mann sei von der Armee, die eigentlich nach dem Sohn gesucht habe, an dessen Stelle mitgenommen worden; sie habe seither trotz Suche durch das IKRK nichts mehr von diesem gehört. Da sie im Heimatstaat weder Familie noch eine Einkommensmöglichkeit gehabt habe, sei sie von einer Nachbarin in die Schweiz gebracht worden, wo ihre Pflegetochter lebe.

Die Vorinstanz lehnte mit Verfügung vom 10. April 2003 das Asylgesuch der Beschwerdeführerin ab. Gleichzeitig verfügte sie die Wegweisung aus der Schweiz und ordnete den Wegweisungsvollzug an.

Die Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 19. Mai 2003 richtet sich allein gegen den angeordneten Wegweisungsvollzug.

Die ARK heisst die Beschwerde gut.

Aus den Erwägungen:

4. Ist der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig, nicht zumutbar oder nicht möglich, so regelt die Vorinstanz gemäss Art. 44 Abs. 2 AsylG das Anwesenheitsverhältnis nach den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme von Ausländern.

4.1. […]

4.2. Diese vier Bedingungen für einen Verzicht auf den Vollzug der Wegweisung (Unzulässigkeit, Unzumutbarkeit, Unmöglichkeit, Notlage) sind alternativer Natur: Sobald eine von ihnen erfüllt ist, ist der Vollzug der Wegweisung als undurchführbar zu betrachten und die weitere Anwesenheit in der Schweiz gemäss den Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme zu regeln (vgl. EMARK


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2001 Nr. 1, Erw. 6a, S. 2). Gegen eine allfällige Aufhebung der vorläufigen Aufnahme steht dem weggewiesenen Asylsuchenden wiederum die Beschwerde an die ARK offen (vgl. Art. 105 Abs. 1 Bst. e AsylG i.V.m. Art. 44 Abs. 2 und 3 AsylG). In diesem Verfahren wäre dann der Wegweisungsvollzug vor dem Hintergrund sämtlicher Vollzugshindernisse von Amtes wegen nach Massgabe der in diesem Zeitpunkt herrschenden Verhältnisse (vgl. EMARK 1997 Nr. 27) zu prüfen.

5. […]

6. Der Vollzug kann gemäss Art. 14a Abs. 4 ANAG insbesondere nicht zumutbar sein, wenn er für den Ausländer eine konkrete Gefährdung darstellt. Diese Bestimmung ist als "Kann-Vorschrift" formuliert, um deutlich zu machen, dass die Schweiz hier nicht in Erfüllung völkerrechtlicher Ansprüche, sondern aus humanitären Gründen handelt.

6.1. Die ARK hat schon verschiedene Lagebeurteilung betreffend Sri Lanka vorgenommen (vgl. EMARK 1994 Nrn. 3, 19 und 20; 1998 Nr. 23; 1999 Nr. 24 und 2001 Nr. 16). Aufgrund anhaltender kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen der Regierung, die von der buddhistischen singhalesischen Bevölkerungsmehrheit getragen wird, und den für einen eigenen Staat kämpfenden Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) erachtete die ARK in ihrer bisherigen Praxis die Rückschaffung abgewiesener Asylbewerber aus Sri Lanka in die im Norden der Insel gelegenen Gebiete Killinochchi, Mannar, Vavuniya, Mullaitivu und Jaffna als nicht zumutbar. Dagegen stufte die Kommission eine Rückführung in die südlichen Provinzen - insbesondere in den Grossraum Colombo - grundsätzlich als zumutbar ein. Nachfolgend ist die politische Situation und Entwicklung der letzten Jahre im Einzelnen darzulegen, um daraufhin zu prüfen, ob sich eine Änderung dieser Praxis aufdrängt.

6.2.

6.2.1. Erste Hoffnungen auf Friedensverhandlungen, genährt durch die am 24. Dezember 2000 von den LTTE einseitig verkündete Waffenruhe, wurden mit dem Wiederaufflammen des Konflikts durch die Operation „Feuerball“, welche die srilankische Armee am 25. April 2001 gestartet hatte, abrupt zerschlagen (vgl. NZZ, 30. April 2001). Dem folgte eine Phase heftiger Kämpfe und politischer Instabilität, die mit der Auflösung des Parlaments und Neuwahlen im Dezember 2001, wiederum begleitet von massiven gewalttätigen Ausschreitungen, endete. Die Vereinigte Nationale Partei (UNP) unter Ranil Wickremesinghe ging aus den Wahlen als Siegerin hervor. Sie bildete die People’s Alliance (PA) mit der Sri Lanka Freedom Party (SLFP), angeführt von Chandrika Bandaranaike Kumaratunga, und weiteren kleineren Parteien (vgl.


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amnesty international, Jahresbericht 2002, Sri Lanka). Ende 2001 folgten einseitig verkündete Waffenstillstandserklärungen beider Seiten und schliesslich vereinbarten der Premierminister Ranil Wickremesinghe und der LTTE-Führer Velupillai Prabhakaran im Februar 2002 einen zeitlich unbegrenzten Waffenstillstand, der auf einem ausführlichen Vertrag mit Verhaltensregeln für beide Parteien basierte. Daraufhin folgten Friedensgespräche unter norwegischer Vermittlung. Es wurde zudem eine Kommission (Sri Lankan Monitoring Mission – SLMM), bestehend aus Vertretern skandinavischer Länder, zur Überwachung des Waffenstillstandes eingerichtet (vgl. amnesty international, Jahresbericht 2003, Sri Lanka). Im Rahmen dieser Friedensgespräche verzichteten die LTTE auf ihre Forderung nach einem separaten Staat und die Regierung ihrerseits hob das Verbot der LTTE als terroristische Organisation auf und anerkannte einen Teil des Staatsgebietes als Herrschaftsgebiet der Rebellenorganisation. Man einigte sich auf einen föderalen Staatsaufbau (vgl. M. Weiberg, Friedensprozess ohne Ende – Am Ende ohne Frieden?, Hrsg. Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung [HSFK], Frankfurt am Main 2003, S. 42 und 46ff.). Allerdings zogen sich die LTTE mit dem Vorwurf, die Regierung setze die Beschlüsse nur all zu zögerlich um, schon im April 2003 von den Friedensverhandlungen zurück, womit der Friedensprozess blockiert wurde. Um die LTTE an den Verhandlungstisch zurückzulocken, unterbreitete die Regierung mehrere Vorschläge für eine Interimsverwaltung im Nordosten des Landes. Ende Oktober 2003 unterbreiteten die LTTE ihrerseits der Regierung einen entsprechenden Gegenvorschlag mit sehr weitgehenden Autonomieansprüchen und einem Alleinvertretungsanspruch für das tamilische Volk befristet auf fünf Jahre, bis Wahlen unter internationaler Aufsicht stattfinden sollten (vgl. NZZ, 3. November 2003).

6.2.2. Aufgrund der grundsätzlichen Bereitschaft der Regierung zur Kooperation mit den LTTE sah jedoch die Präsidentin Chandrika Bandaranaike Kumaratunga die nationale Sicherheit gefährdet und enthob im November 2003 die Minister des Inneren, der Verteidigung und der Information ihrer Ämter (vgl. Die Welt, 7. November 2003). Gleichzeitig suspendierte sie vorübergehend das Parlament. Damit war die von Konkurrenzkampf geprägte Kohabitation mit Premierminister Ranil Wickremesinghe praktisch beendet. Die SLFP schloss sich nun mit der radikalen marxistisch-nationalistischen Janatha Vimukthi Peramuna (JVP) zu der United People’s Freedom Alliance (UPFA) zusammen, der sich wiederum weitere Parteien aus der früheren PA anschlossen (vgl. NZZ, 2. April 2004). In der Folge löste die Präsidentin im Februar 2004 das Parlament auf, entliess die Regierung und kündigte Neuwahlen für April 2004 an. Der Wahlkampf, beobachtet von nationalen und internationalen Organisationen und Delegationen, verlief weniger gewalttätig als die vorgehenden; es waren aber dennoch zahlreiche zum Teil ernsthafte Vorfälle zu verzeichnen. Die LTTE beteiligten sich


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nicht direkt am Wahlkampf, liessen sich jedoch von der Tamilischen Nordallianz (TNA; bestehend aus der Tamil United Liberation Front [TULF], der Eelam People’s Revolutionary Liberation Front [EPRLF], des All Ceylon Tamil Congress [ACTC] und der Tamil Eelam Liberation Organisation [TELO]) vertreten. Tamilen, die sich ausserhalb dieser Koalition engagierten, wurden von den LTTE unter massiven Druck gesetzt (vgl. The Island, Colombo, 4. März 2004). Aus diesen Wahlen ging das Parteibündnis UPFA zwar als Sieger hervor, hingegen konnte es mit 46 % der Stimmen kein absolutes Mehr im Parlament erreichen. Die UNP erreichte 38 % und die TNA als drittgrösste Partei 7 % der Stimmen (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. April 2004). Generell hatten die ethnisch-nationalistischen Kräfte mit der Wahl an Einfluss gewonnen. Die SLFP stellte mit Mahinda Rajapakse den neuen Premierminister. Zwar erklärte die Präsidentin, die Friedensgespräche wieder aufnehmen zu wollen (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. April 2004). Die JVP akzeptierte jedoch die LTTE nicht als Verhandlungspartner und wollte auch das Waffenstillstandsübereinkommen revidiert sehen. Diese und weitere Uneinigkeiten zwischen den Koalitionsparteien schwächten die Regierung in ihrer Positionierung weiter und beschränkten ihre Handlungsfähigkeit (vgl. Shenton, Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH, Sri Lanka - aktuelle Situation, Update, 31. Mai 2005, S. 2).

6.2.3. Zur selben Zeit kam es im Nordosten der Insel zum Bruch zwischen dem LTTE-Führer Vellupillai Prabhakaran und seinem wichtigsten Kommandanten im Osten, Vinayagamoorthi Muralitharan, alias Oberst Karuna. Dies führte zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, zu einem dramatischen Anstieg von politisch motivierten Tötungen und damit zu einer erheblichen Verschlechterung der Menschenrechtslage im Nordosten der Insel (vgl. amnesty international, Jahresbericht 2005, Sri Lanka). Aus diesen Kämpfen ging Prabhakaran als Sieger hervor, über den Verbleib von Karuna herrscht Unklarheit. Die LTTE mussten in der Folge ihre Kräfte im Osten neu konsolidieren und profitierten von der schwachen Regierung in Colombo, um ihren Machtbereich weiter auszubauen (vgl. Shenton, SFH, a.a.O., S. 7 f.). Die Friedensverhandlungen aber blieben - trotz norwegischer Vermittlungsbemühungen - blockiert, nachdem die UPFA kaum zu Konzessionen bereit war und auch die LTTE ihre Haltung verschärft hatten (vgl. NZZ, 3. Mai 2004). Es kam zu einem Schwebezustand zwischen einem Frieden und dem möglichen Rückfall in den Krieg. Am 27. November 2004 drohte Prabhakaran in einer öffentlichen Ansprache mit der Wiederaufnahme des Freiheitskampfes, sollte die Regierung nicht zu Konzessionen bereit sein (vgl. amnesty international, Jahresbericht 2005, Sri Lanka). Im Dezember wiesen die LTTE die jüngsten Verhandlungsangebote der Regierung zurück und beharrten auf dem Vorschlag zur Bildung einer Übergangsregierung (Interim Self Governing Authority) im Nordosten des Landes als Gesprächsgrundlage.


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6.2.4. Am 26. Dezember 2004 löste ein Erdbeben im Indischen Ozean eine Flutkatastrophe, den Tsunami, an den Küsten Sri Lankas aus. Die Katastrophe forderte auf der Insel mehr als 30'000 Menschenleben und richtete - vor allem an der Ost- und Südküste des Landes - erhebliche Verwüstungen an. Der Grossraum Colombo war dagegen von der Flutwelle nur geringfügig betroffen; Zerstörungen in grösserem Ausmass gab es dort nicht. Die internationale Geberschaft stellte Sri Lanka drei Milliarden US-Dollar für den Wiederaufbau und die Entwicklung der vom Tsunami zerstörten Regionen zur Verfügung, machte jedoch den Einbezug der LTTE bei der Verteilung der Hilfsgüter zur Bedingung (vgl. NZZ, 19. Mai 2005). Daraufhin einigte sich die Regierung mit den LTTE auf ein Abkommen über die Verteilung der internationalen Mittel. Die JVP erachtete diesen Vertrag dagegen als Untergrabung der Souveränität Sri Lankas und es kam zum bereits im Vorfeld angedrohten Bruch der Regierungskoalition (vgl. NZZ, 17. Juni 2005). Erste Hoffnungen, dass der Wiederaufbau nach dem Tsunami eine Annäherung der Kriegsparteien zur Folge haben könnte, haben sich bisher nicht bewahrheitet: Die Konflikte zwischen Tamilen und Singhalesen sind erneut aufgeflammt. Es entstanden Gerüchte über das Versickern von Hilfsgeldern in der korrupten Staatsverwaltung auf der einen Seite und über den Gebrauch von Hilfeleistungen für einen neuen Waffengang der Befreiungstiger auf der anderen (vgl. NZZ, 25. Juni 2005; Shenton, SFH, a.a.O., S. 20). Hinzu kamen Gerüchte über militärische Verluste der LTTE durch den Tsunami, was deren Stellung als Verhandlungspartner schwächte. Schliesslich wurde nach der den LTTE zugeschriebenen Ermordung des Aussenministers Kadirgamar erneut über das endgültige Scheitern der Friedensverhandlungen spekuliert (vgl. Der Spiegel, 23. August 2005).

6.2.5. Am 17. November 2005 wurden aufgrund des Ablaufes der Amtszeit von Präsidentin Kumaratunga Neuwahlen durchgeführt (vgl. NZZ, 29. August 2005). Mahinda Rajapakse, bisheriger Premierminister, wurde für die SLFP als neuer Staatspräsident gewählt. Bereits im Wahlkampf hatte sich immer deutlicher eine Verhärtung der Position der singhalesischen Bevölkerung im Verhältnis zu den LTTE abgezeichnet. Der neue Staatspräsident hatte sich in seinem Wahlmanifest von der abtretenden Präsidentin deutlich distanziert, indem er ausdrücklich am zentralistischen Staatsmodell festhielt und damit dem föderalen Modell der Präsidentin den Rücken kehrte. Er wolle zunächst einen „nationalen Konsens“ suchen, bevor er Friedensverhandlungen weiterführe. Er schloss ausserdem mit der JVP einen Wahlpakt, den Kumaratunga bereits vor den Wahlen scharf kritisiert hatte. Schliesslich unterstrich er seine Haltung auch nach den Wahlen durch die Wahl des als Hardliner bezeichneten Ratnasiri Wickremanayake als Regierungschef (vgl. NZZ, 21. November 2005). In einer öffentlichen Rede nahm der LTTE-Führer Prabhakaran insofern zu der jüngsten Entwicklung Stellung, als er der Regierung bis Ende des Jahres Zeit gebe, einen akzeptablen


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Vorschlag für die Lösung des ethnischen Konfliktes vorzulegen; andernfalls würden die Tamilen eine eigene Regierung ausrufen und den bewaffneten Kampf wieder aufnehmen (vgl. NZZ, 28. November 2005). Rajapakse betonte demgegenüber sein Verhandlungsinteresse, ohne jedoch von seinem Konzept des singhalesisch dominierten Einheitsstaates abzuweichen. Die baldige Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen erscheint aufgrund der gesamthaften Entwicklung unwahrscheinlich.

6.3. Die LTTE haben mittlerweile im Vanni-Gebiet - mit der Grenze Mannar-Vavuniya-Kokkilai im Süden und Kilali-Nakarkoyil im Norden - ein staatsähnliches Gebilde eingerichtet mit Killinochchi als (provisorischer) Hauptstadt sowie mit eigener Verwaltung, Polizei, Armee, Justiz und Steuerhoheit (vgl. NZZ, 25. März 2004). Darüber hinaus wird die tamilische Bevölkerung auch in den grundsätzlich unter Regierungskontrolle stehenden Gebieten im Norden (Jaffna-Halbinsel, Vavuniya und Mannar) politisch und sozial faktisch von den LTTE kontrolliert. Bei diesen Gebieten handelt es sich um so genannte Hochsicherheitszonen. Die Vanni-Fraktion kontrolliert sodann einzelne Teilgebiete im Osten (Trincomalee, Kathiraveli, Batticaloa) in ähnlicher Weise. Der ethnisch gemischte Osten steht den LTTE jedoch, anders als der Norden, kritisch gegenüber und es gibt aktiven Widerstand, der gewaltsam von den LTTE unterdrückt wird. Insbesondere im Osten, aber auch im Norden häufen sich denn auch Berichte über politische Morde, fast tägliche Anschläge, Einschüchterungen, Verfolgung und Folter gegen Abtrünnige oder politische Gegner sowie deren Angehörige durch die LTTE (vgl. NZZ, 25. Juni 2005; Pressemitteilung der Human Rights Commission of Sri Lanka vom 18. August 2005). Die Straftaten bleiben durch die Regierung anscheinend zum Teil mangels Ressourcen, zum Teil aufgrund bewusster politisch motivierter Passivität meist ungesühnt (vgl. The Sunday Leader, 15. Mai 2005). Trotz starkem internationalem Druck und entsprechenden Vereinbarungen im Rahmen der Friedensverhandlungen ist es bis heute nicht gelungen, die Praktik der LTTE, Kinder als Soldaten zu rekrutieren und im Kampf einzusetzen, nachhaltig zu unterbinden. Ein beträchtliches Risiko geht ausserdem nach wie vor von den vorhandenen Landminen und Blindgängern aus. Immerhin setzte sich aber die Regierung aktiv dafür ein, die Minen zu lokalisieren, zu markieren und schliesslich zu räumen, so dass sich die diesbezügliche Situation in den letzten fünf Jahren massgeblich verbessert hat. Die humanitäre Situation wird demgegenüber dadurch verschärft, dass die bereits früher mangelhafte Infrastruktur (Strassen, Schulen, Krankenhäuser etc.) durch den Tsunami weitgehend zerstört wurde (vgl. Shenton, SFH, a.a.O., S. 4 f. und 9 f.). Die grössten Schäden entstanden dabei in Jaffna, Killinochchi und Mullaitivu im Norden, in Trincomalee, Batticaloa und Ampara im Osten sowie in Mambantota, Matara und Galle im Süden. Die Trinkwasserversorgung und die sanitären


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Einrichtungen sind über weite Gebiete ungenügend (vgl. Shenton, SFH, a.a.O., S. 3).

6.4. In den übrigen von der Regierung kontrollierten Gebieten insbesondere im Grossraum Colombo ergaben sich aus den Friedensverhandlungen für die Zivilbevölkerung einige Erleichterungen. So wurde die Bewegungsfreiheit erleichtert beziehungsweise überhaupt wieder ermöglicht, indem Strassensperren und Kontrollen vielerorts aufgehoben und Passierscheine, die früher für die Migration aus dem Nordwesten in den Süden gebraucht wurden, aber nur sehr restriktiv erteilt worden waren, abgeschafft wurden. Die Emergency Regulations (ER) wurden ausser Kraft gesetzt und die Anwendung des Prevention of Terrorism Act (PTA) wurde ausgesetzt, das Gesetz an sich bleibt jedoch weiterhin in Kraft. Immerhin gingen Berichte über politisch motivierte Tötungen durch Sicherheitskräfte und über das „Verschwindenlassen“ von Häftlingen deutlich zurück. Berichte über willkürliche Verhaftungen und Folter zum Teil mit Todesfolgen in Polizeigewahrsam waren ebenfalls rückläufig, so dass heute nicht mehr von einem systematischen Praktizieren der Folter in Sri Lanka ausgegangen wird (vgl. Shenton, SFH, a.a.O., S. 5). Obwohl Anstrengungen unternommen wurden, Fälle von „Verschwindenlassen“ und Folter in Polizeigewahrsam zu untersuchen und die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen, wurden bisher in der Praxis nur wenig Erfolge erzielt, da sich die Zusammenarbeit mit der Armee als schwierig erweist. Klagen von Opfern hatten zum Teil Einschüchterungsversuche und Schikanen zur Folge. Der Mord an Aussenminister Kadirgamar im August 2005 zog zudem die Verhängung des Ausnahmezustandes auch in Colombo nach sich, was erneute strenge Strassenkontrollen implizierte. Insgesamt hat auch die ethnische Polarisierung in der Politik dazu geführt, dass Ängste vor ethnischen Spannungen und das Misstrauen zwischen den Ethnien geschürt wurden.

6.5. Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich zwar die Achtung der Menschenrechte durch die politische Entwicklung im Vergleich zu der Zeit vor den Friedensverhandlungen deutlich verbessert hat und sich für die Zivilbevölkerung wesentliche Erleichterungen ergeben haben. Dennoch müssen sich beide Konfliktsparteien nach wie vor schwere Menschenrechtsverletzungen vorwerfen lassen. Auch häufen sich gerade in jüngerer Zeit Berichte über Gewalttaten, die Rekrutierung von Kindersoldaten und - in den vom Tsunami betroffenen Gebieten - eine desolate Situation im humanitären Bereich. Nach Schätzungen des UNHCR sind gut die Hälfte der zirka 730'000 durch den Krieg innerstaatlich vertriebenen Menschen an ihren angestammten Wohnort zurückgekehrt (vgl. UNHCR, Sri Lanka, Global Report 2004, S. 378). Der Tsunami hat aber neu gegen 550'000 Menschen gezwungen, ihre Heimatregion zu verlassen (vgl. Shenton, SFH, a.a.O., S. 9). Vor diesem Hintergrund erscheint es derzeit aufgrund der weiterhin unsicheren Entwicklung der Friedensgespräche sowie der


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schlechten Sicherheitslage nicht angebracht, die Praxis der ARK, wonach die Rückschaffung abgewiesener Asylbewerber und -bewerberinnen aus Sri Lanka in die im Norden der Insel gelegenen Gebiete Killinochchi, Mannar, Vavuniya, Mullaitivu und Jaffna unzumutbar ist, zu ändern. Auch der schwierigen Situation im Osten des Landes und im gesamten vom Tsunami betroffenen Küstengebiet muss im Einzelfall gebührend Rechnung getragen werden. Dagegen stuft die Kommission eine Rückführung in die übrigen Provinzen - insbesondere in den Grossraum Colombo - weiterhin grundsätzlich als zumutbar ein. Zwar hat sich auch hier, nach anfänglichen Verbesserungen, die humanitäre und politische Situation aufgrund der Tsunami-Vertriebenen, der jüngsten Gewalttaten und der Polarisierung der Politik wieder leicht verschärft; von der generellen Unzumutbarkeit einer Ansiedlung in diesem Gebiet ist jedoch dennoch nicht auszugehen.

7. [Zusammenfassung:

Die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Aufenthaltsalternative wird für die aus dem Norden stammende Beschwerdeführerin aufgrund ihres Alters, ihres schlechten Gesundheitszustandes, ihrer geringen Berufserfahrung und ihrer familiären Situation als unzumutbar erachtet.]

 

 

 

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