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Auszug aus dem Urteil vom 15. Dezember 2004 i.S. Kanton Bern

Art. 105 AsylG; Art. 48 Bst. a VwVG; Art. 8 EMRK; Art. 14b Abs. 2 ANAG:
Feststellungsverfügung betreffend Erlöschen der vorläufigen Aufnahme und Ende der Kostenerstattungspflicht des Bundes; Zuständigkeit; Beschwerdelegitimation des Kantons; Anspruch auf Aufenthaltsbewilligung gemäss Art. 8 EMRK; Erlöschen der vorläufigen Aufnahme bei Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung?

1. Die ARK ist zuständig für die Behandlung von Beschwerden gegen Verfügungen des Bundesamtes, in denen dieses das Erlöschen einer vorläufigen Aufnahme feststellt. Feststellungsverfügungen mit Bezug auf die Kostenerstattungspflicht des Bundes fallen in den Kompetenzbereich des EJPD (Erw. 1).

2. Wenn als (indirekte) Folge einer Verfügung des Bundesamtes ein bezifferbarer finanzieller Anspruch gegen den Kanton entsteht, hat dieser ein aktuelles, qualifiziert schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung dieser Verfügung und ist zur Beschwerde legitimiert, sofern er durch die Verfügung auch in seinen öffentlichen oder hoheitlichen Aufgaben betroffen ist (Erw. 2).

3. Ausländer, die unter dem Schutz von Art. 8 Ziff. 1 EMRK stehen, haben Anspruch auf die Erteilung einer fremdenpolizeilichen Aufenthaltsbewilligung. Die vorläufige Aufnahme, als Ersatzmassnahme für einen undurchführbaren Wegweisungsvollzug, ist keine derartige Bewilligung (Erw. 3.1. - 3.3.).

4. Die im Asylverfahren angeordnete Wegweisung bleibt in Kraft, bis eine fremdenpolizeiliche Bewilligung erteilt worden ist (Bestätigung der Rechtsprechung; EMARK 2000 Nr. 30, EMARK 2001 Nr. 21). Solange bloss ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung besteht, rechtfertigt dies weder die Feststellung des Erlöschens noch die Aufhebung einer vorläufigen Aufnahme gemäss Art. 14b Abs. 2 ANAG (Erw. 3.4. und 3.5.).
 


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Art. 105 LAsi ; art. 48 let. a PA ; art. 8 CEDH ; art. 14b al. 2 LSEE : décision constatant l’extinction de l’admission provisoire et la fin de l’obligation de remboursement incombant à la Confédération ; compétence ; qualité du canton pour recourir ; droit à une autorisation de séjour fondé sur l’art. 8 CEDH ; extinction de l’admission provisoire en cas de droit à une autorisation de séjour ?

1. La CRA est compétente pour traiter des recours contre les décisions par lesquelles l’office fédéral constate l’extinction de l’admission provisoire. Les décisions de constatation en relation avec l’obligation de remboursement incombant à la Confédération ressortissent au DFJP (consid. 1).

2. Si, comme conséquence (indirecte) d’une décision de l’office fédéral, il surgit une prétention financière chiffrable contre le canton, celui-ci a un intérêt actuel digne de protection à l’annulation de cette décision et est légitimé à recourir, dans la mesure où celle-ci le touche également dans l’accomplissement de ses tâches publiques ou l’exercice de sa souveraineté (consid. 2).

3. Les étrangers qui bénéficient de la protection de l’art. 8 CEDH ont droit à une autorisation de séjour de police des étrangers. L’admission provisoire prononcée en remplacement d’une mesure de renvoi inexécutable n’est pas constitutive d’une telle autorisation (consid. 3.1. à 3.3.).

4. Le renvoi prononcé à l’issue d’une procédure d’asile reste en vigueur aussi longtemps qu’une autorisation de police des étrangers n’a pas été délivrée (confirmation de la jurisprudence ; JICRA 2000 n° 30, JICRA 2001 n° 21). Tant qu’il n’existe qu’une simple prétention à la délivrance d’une autorisation de séjour, il ne se justifie ni de constater l’extinction ni de prononcer la levée d’une admission provisoire selon l’art. 14b al. 2 LSEE (consid. 3.4. et 3.5.).
 

Art. 105 LAsi; art. 48 lett. a PA; art. 8 CEDU; art. 14b cpv. 2 LDDS: decisione che constata l’estinzione dell’ammissione provvisoria e la fine dell’obbligo della Confederazione di rimborsare le spese; competenza; legittimazione a ricorrere del Cantone; diritto ad un permesso di soggiorno sulla base dell’art. 8 CEDU; estinzione dell’ammissione provvisoria dell’avente diritto al permesso di soggiorno.

1. La CRA è competente a trattare i ricorsi interposti contro le decisioni dell’Ufficio federale che constatano l’estinzione dell’ammissione provvisoria. Le decisioni di constatazione riguardanti l’obbligo di rimborso della Confederazione sono di competenza del DFGP (consid. 1).


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2. Se, quale conseguenza (indiretta) di una decisione dell’Ufficio federale, risulta una pretesa pecuniaria nei confronti del Cantone, suscettibile d’essere espressa in cifre, il Cantone medesimo ha un interesse attuale degno di protezione all’annullamento della decisione ed è quindi legittimato a ricorrere, nella misura in cui tale decisione lo tange nei propri poteri sovrani ovvero nell’esercizio di compiti d’interesse pubblico (consid. 2).

3. Gli stranieri, che beneficiano della protezione derivante dall’art. 8 CEDU, hanno diritto al rilascio di un permesso di dimora di polizia degli stranieri. L’ammissione provvisoria, quale misura sostitutiva nel caso d’un allontanamento inattuabile, non equivale ad un siffatto permesso (consid. 3.1. - 3.3.).

4. La pronuncia dell’esecuzione dell’allontanamento è attuabile fino al rilascio di un permesso di polizia degli stranieri (conferma della giurisprudenza; GICRA 2001 n. 21 e GICRA 2000 n. 30). Fintanto che non sussiste che una mera pretesa al rilascio di un permesso di soggiorno, non si giustifica constatare l’estinzione, né pronunciare la revoca dell’ammissione provvisoria in applicazione dell’art. 14b cpv. 2 LDDS (consid. 3.4. e 3.5.).
 

Zusammenfassung des Sachverhalts:

M.R., ihr damaliger Ehemann S.R. und die beiden gemeinsamen Kinder (geboren 1988 und 1990) stellten am 20. Dezember 1990 in der Schweiz ein Asylgesuch. Am 2. Juli 1993 wurde die Ehe von M.R. und S.R. geschieden; das Sorgerecht für die Kinder wurde M.R. zugesprochen. S.R., der seiner Unterhaltspflicht bis anhin nicht nachgekommen ist, heiratete am 23. September 1993 eine Schweizer Bürgerin. M.R. und die beiden Kinder wurden mit Verfügung vom 23. September 1996 wegen Unmöglichkeit des Wegweisungsvollzugs in den Kosovo vorläufig aufgenommen. Am 16. Dezember 1997 wurden S.R. und die beiden Kinder erleichtert eingebürgert.

In der Folge lehnten die zuständigen Behörden des Kantons Bern zwei Gesuche von M.R. um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ab. Zur Begründung führten sie im Wesentlichen an, ein Anspruch auf eine Bewilligung bestehe nicht, es sei denn, der Antragsteller könne sich auf eine spezielle Rechtsnorm, beispielsweise Art. 8 Ziff. 1 EMRK berufen. Vorliegend könne diese Bestimmung indessen nicht zur Anwendung gelangen, da sie einzig das faktische Zusammenleben der Familie schütze. Diesem Anspruch sei mit irgendeiner Anwesenheits-


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erlaubnis Genüge getan. Es bestehe daher angesichts der bestehenden vorläufigen Aufnahme kein Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung. Im Übrigen erfülle M.R. zwar die Kriterien eines Härtefalles nach Art. 13 Bst. f BVO. Ungeachtet dessen liege es aber in Anwendung von Art. 4 ANAG im Ermessen des zuständigen Kantons, unter Berücksichtigung der massgeblichen Gesetzesbestimmungen und völkerrechtlichen Verträge eine Bewilligung zu verweigern, wenn beispielsweise wie vorliegend anhaltende Fürsorgeabhängigkeit festgestellt werde. Die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung komme daher nicht in Betracht. Die Voraussetzungen für eine schwerwiegende persönliche Notlage im Sinne von Art. 44 Abs. 3 AsylG erachte der Kanton Bern indessen als erfüllt. Schliesslich stehe Art. 8 Ziff. 1 EMRK einem Wegweisungsvollzug entgegen, weshalb dieser auch als unzulässig erkannt werden müsste.

Das BFF, welches die Aufhebung der vorläufigen Aufnahme in Betracht gezogen hatte, ersuchte den Kanton Bern, die oben dargelegte Rechtssauffassung zu überprüfen. Seiner Ansicht nach stelle die vorläufige Aufnahme eine Ersatzmassnahme für den undurchführbaren Vollzug der Wegweisung dar. Ein Anspruch auf Aufenthaltsbewilligung nach Art. 8 Ziff. 1 EMRK sei indessen nicht ein Hindernis für den Vollzug, sondern für die Wegweisung an sich. Da diese unter den gegebenen Bedingungen gar nicht angeordnet werden dürfe, stelle sich auch die Frage nach Ersatzmassnahmen nicht. Die vorläufige Aufnahme sei damit obsolet. Ferner ersuchte das BFF um Mitteilung des Datums der Einbürgerung der Kinder, da der Bund ab diesem Zeitpunkt keine Beiträge an die Fürsorgekosten mehr zu leisten habe. Diese Rechtsauffassung wurde auch M.R. mitgeteilt, wobei sie zur Regelung ihres künftigen Aufenthalts an die kantonalen Migrationsbehörden verwiesen wurde.

Am 10. Mai 2004 erliess das BFF auf Ersuchen des Migrationsdienstes des Kantons Bern eine Verfügung mit im Wesentlichen folgendem Inhalt: Weil der Vollzug der Wegweisung nicht möglich gewesen sei, sei als Ersatzmassnahme die vorläufige Aufnahme angeordnet worden. Der Schutz der Familie im Sinne von Art. 8 EMRK sei ein Wegweisungshindernis (gemeint ist, wie aus der vorangehenden Korrespondenz des BFF hervorgeht: ein Hindernis der Wegweisung als solcher, nicht nur deren Vollzuges) und verpflichte den Staat unter bestimmten Bedingungen zur Regelung des Aufenthaltsverhältnisses. Vorliegend seien diese Bedingungen gegeben. Demnach sei die ursprünglich im Asylverfahren angeordnete Wegweisung weggefallen und somit auch die vorläufige Aufnahme – als Ersatzmassnahme für den Vollzug der Wegweisung – erloschen. Es obliege den kantonalen Behörden, den Aufenthalt von M.R. in der Schweiz zu regeln. Nach Art. 88 Abs. 1 AsylG ende sodann die Kostenerstattungspflicht des Bundes im Zeitpunkt der Entstehung eines Anspruches auf eine Aufenthaltsbewilligung. Aufgrund dieser Erwägungen verfügte das BFF, erstens sei die vor-


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läufige Aufnahme von M.R. auf Grund des Wegfalls der Wegweisung erloschen und zweitens habe die Kostenerstattungspflicht des Bundes am 16. Dezember 1997 geendet. In der Rechtsmittelbelehrung wurde der Kanton Bern an das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) verwiesen.

Das Amt für Migration und Personenstand des Kantons Bern gelangte mit Beschwerde vom 8. Juni 2004 an das EJPD und beantragte die Aufhebung der Verfügung vom 10. Mai 2004 und die Anweisung an die Vorinstanz, es sei die vorläufige Aufnahme von M.R. wegen Unzulässigkeit des Wegweisungsvollzugs nach Art. 44 Abs. 2 AsylG anzuordnen. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die ausländische Mutter von Schweizer Kindern habe keinen gesetzlichen Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung. Ein solcher könne sich unter gewissen Bedingungen aus Art. 8 EMRK oder aus Art. 14 BV ergeben. Die kantonalen Migrationsbehörden seien zuständig, zu befinden, ob die entsprechenden Voraussetzungen konkret vorlägen. Wenn das BFF entscheide, es bestehe ein Anspruch, verletze es die Kompetenz des Kantons und verunmögliche die allfällige Prüfung des Ausnahmetatbestandes von Art. 8 Abs. 2 EMRK. Daraus folge, dass das BFF auch nicht berechtigt sei, die vorläufige Aufnahme ohne weiteres aufzuheben. Vielmehr hätten die Zulässigkeit und die Zumutbarkeit des Vollzugs geprüft werden müssen. Bei pflichtgemässer Prüfung hätte das BFF feststellen müssen, der Vollzug sei nicht zulässig, da er in Verletzung von Art. 8 EMRK erfolgen müsste. Mit der vorläufigen Aufnahme bestehe auch die Kostenerstattungspflicht des Bundes fort.

Der Beschwerdedienst des EJPD (BD EJPD) überwies die Beschwerde am 16. Juni 2004 in Anwendung von Art. 8 Abs. 1 VwVG an die seiner Auffassung nach zuständige ARK. Die ARK bestätigte in ihrem Schreiben vom 3. September 2004 die Auffassung des BD EJPD, wonach sie zur Beurteilung der Beschwerde zuständig sei, soweit diese das Erlöschen der vorläufigen Aufnahme aufgrund des Wegfalls der Wegweisung (Ziff. 1 des Dispositivs der angefochtenen Verfügung) betreffe. Soweit hingegen die Feststellung des Endes der Kostenerstattungspflicht des Bundes betroffen sei (Ziff. 2 des Dispositivs der angefochtenen Verfügung), halte sie das EJPD für zuständig. Im folgenden Meinungsaustauschverfahren schloss sich der BD EJPD der Meinung der ARK an. Gleichzeitig sistierte er das Verfahren, soweit es in den Zuständigkeitsbereich des EJPD fällt.

Die ARK heisst die Beschwerde, soweit sie für deren Behandlung zuständig ist, gut.
 


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Aus den Erwägungen:

1.

1.1. In Ziff. 1 des Dispositivs der angefochtenen Verfügung hielt das BFF fest: „Die vorläufige Aufnahme ist auf Grund des Wegfalls der Wegweisung erloschen.“ Mit dieser Formulierung gestaltet das BFF weder ein rechtliches Verhältnis (indem es z.B. die vorläufige Aufnahme wegen Wegfalls der Unmöglichkeit des Wegweisungsvollzugs aufheben würde), noch verpflichtet es den Kanton zu einer Leistung. Mit dem zitierten Dispositiv wird vielmehr der rechtliche Status von M.R. festgestellt, wie er nach Auffassung des BFF schon vor Erlass der Verfügung und ohne Zutun derselben bestanden hat. Es liegt eine Feststellungsverfügung im Sinne von Art. 25 VwVG vor (vgl. A. Kölz/ I. Häner; Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. überarbeitete Auflage, Zürich 1998, Rz. 200 ff.).

Zuständig für den Erlass einer Feststellungsverfügung ist die in der Sachfrage kompetente Behörde (vgl. Kölz/Häner, a.a.O., Rz. 212).

Die Feststellungsverfügung unterliegt nach Art. 44 VwVG ebenso der Beschwerde wie Gestaltungs- und Leistungsverfügungen (vgl. Kölz/Häner, a.a.O.; Rz. 483).

1.2. Vorliegend ergibt sich die Zuständigkeit für die Beschwerde aus Art. 105 AsylG, welcher die sachliche Zuständigkeit für Beschwerden gegen Verfügungen des BFF regelt.

Nach Art. 105 Abs. 1 Bst. c und e AsylG ist die ARK unter anderem zuständig für Beschwerden gegen Verfügungen des BFF betreffend die Wegweisung und betreffend die Aufhebung der vorläufigen Aufnahme.

Art. 105 Abs. 1 Bst. c AsylG stellt sämtliche Beschwerden gegen Verfügungen des BFF, die im Asylverfahren ergehen und die Wegweisung betreffen, in die Zuständigkeit der ARK. Dies ist im Falle von Ziff. 1 der angefochtenen Verfügung klarerweise der Fall, indem festgestellt wird, die im Rahmen des Asylverfahrens angeordnete Wegweisung sei weggefallen. Der Umstand, dass sich das BFF hierbei auf Überlegungen aus dem Ausländerrecht stützt, vermag ein Abweichen von der Zuständigkeitsregelung nicht zu rechtfertigen, zumal solche Überlegungen jeder im Asylverfahren angeordneten Wegweisung zugrunde liegen.

Daneben stellte das BFF fest, die vorläufige Aufnahme sei erloschen. Die Figur des Erlöschens einer vorläufigen Aufnahme, welche in Art. 14b Abs. 2 ANAG


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geregelt ist, ist im Regelfall nicht Gegenstand einer Verfügung und daher auch in Art. 105 Abs. 1 Bst. e AsylG nicht explizit als beschwerdefähig vorgesehen. Aufgrund des engen sachlichen Zusammenhangs mit der Aufhebung einer vorläufigen Aufnahme ist die Auffassung des BD EJPD, die ARK sei - entgegen der Rechtsmittelbelehrung in der Verfügung des BFF vom 10. Mai 2004 - zur Behandlung einer entsprechenden Beschwerde auch ohne ausdrückliche Erwähnung in Art. 105 Abs. 1 AsylG zuständig, zu teilen.

Nachdem die ARK in der Sachfrage (Wegweisung bzw. Aufhebung der vorläufigen Aufnahme) zuständig ist, ist sie es auch für die Beschwerde gegen eine diesbezügliche Feststellungsverfügung.

1.3. Ziff. 2 des Dispositivs der angefochtenen Verfügung lautet: „Die Kostenerstattungspflicht des Bundes endet am 16. Dezember 1997“, d.h. am Tag der Einbürgerung der Kinder, an dem nach Auffassung des BFF ein Anspruch von M.R. auf die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung entstanden ist. Es kann offen bleiben, ob hier ebenfalls eine (rückwirkende) Feststellungsverfügung oder eine Leistungsverfügung, die Verpflichtung nämlich zur Rückleistung der seit dem genannten Datum vom Bund ausgerichteten Fürsorgekosten, vorliegt. In beiden Fällen ist die Beschwerde an die nach Art. 105 AsylG zuständige Behörde möglich (vgl. 1.1.).

Die hier interessierende Kostenerstattungspflicht des Bundes ist in Art. 105 Abs. 1 AsylG nicht aufgeführt, weshalb der Auffangtatbestand von Art. 105 Abs. 4 AsylG zur Anwendung kommt. Nach dieser Bestimmung ist das Departement, konkret das EJPD, für alle Beschwerden über Materien, die nicht in Art. 105 Abs. 1 AsylG erwähnt sind, zuständig.

Das EJPD ist daher für die Behandlung der Beschwerde zuständig, so weit sie die Kostenerstattungspflicht des Bundes beziehungsweise deren Ende betrifft.

1.4. Die hier dargelegte Rechtsauffassung führt zu einer Gabelung des Rechtswegs. Im Folgenden gilt es zu untersuchen, ob dieses an sich nicht wünschenswerte Resultat vorliegend gerechtfertigt ist.

Die ARK ist nach Art. 105 Abs. 1 AsylG zuständig für Beschwerden im eigent-lichen Asylverfahren, in dem der rechtliche Status von schutzsuchenden Ausländern geregelt wird. Die Auswirkungen, die dieser Status auf die gegenseitigen Rechte und Pflichten des Bundes und der Kantone unter anderem in finanzieller Hinsicht haben mag, fallen in die Kompetenz des EJPD. Diese Aufteilung der Zuständigkeit ist sachgerecht, nachvollziehbar und hat zu einer bewährten Praxis der beiden Beschwerdeinstanzen im jeweils eigenen Zuständigkeitsbereich ge-


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führt. Dass die Asylbehörden hierbei nicht ausschliesslich asylrechtliche, sondern auch ausländerrechtliche Bestimmungen anwenden, ist in der Ausgestaltung der entsprechenden Verfahren begründet. Die Zuständigkeit des EJPD für die Gesamtheit der angefochtenen Verfügung, und damit die Vermeidung einer Gabelung des Rechtsweges, kann somit nicht durch den Umstand, dass Ausländerrecht zur Anwendung kommt, begründet werden (vgl. 1.1. und 1.2.). Die dargestellte Aufteilung der Kompetenzen rechtfertigt sich auch aus dem Umstand, dass im Regelfall die Anordnungen des BFF in den verschiedenen Bereichen unterschiedliche Adressaten haben.

Die beiden Ziffern der angefochtenen Verfügung stehen insofern in einem Zusammenhang, als dass nach Auffassung des BFF das Erlöschen der vorläufigen Aufnahme Anknüpfungspunkt für das Ende der Kostenerstattungspflicht des Bundes ist. Abgesehen von dieser Verbindung in der Systematik der angefochtenen Verfügung besteht indessen kein sachlicher Zusammenhang, der ein Abweichen von der Regelung des Art. 105 AsylG rechtfertigen könnte. Im Umstand, dass vorliegend eine Verfügung des BFF ausnahmsweise beide Bereiche betrifft, kann jedenfalls kein solcher Zusammenhang gesehen werden.

Letztlich rechtfertigt sich die Zuständigkeit des EJPD auch aus dem Umstand, dass das Departement nach Art. 103 Bst. b OG grundsätzlich legitimiert wäre, beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Kanton Bern zu führen, sofern die übrigen Prozessvoraussetzungen gegeben wären.

1.5. Im Rahmen des Meinungsaustauschverfahrens hat sich der BD EJPD die oben dargelegte Rechtsaufassung der ARK zu eigen gemacht und sie mit Schreiben vom 22. September 2004 bestätigt.

1.6. Als Zwischenergebnis bleibt festzuhalten, dass die ARK für die Beurteilung der Beschwerde sachlich zuständig ist, soweit sich diese gegen Ziff. 1 des Dispositivs der angefochtenen der Verfügung richtet.

Hingegen ist das EJPD zuständig für die Beurteilung der Frage, ob das BFF in Ziff. 2 der angefochtenen Verfügung zu Recht festgestellt hat, die Kostenerstattungspflicht des Bundes habe mit dem Entstehen eines grundsätzlichen Anspruches auf die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung geendet. Es obliegt somit dem EJPD zu entscheiden, ob sich das BFF zu Recht auf Art. 88 Abs. 1 AsylG berief oder ob das Ende der Kostenerstattungspflicht für vorläufig Aufgenommene nicht eher in Art. 14c Abs. 5 ANAG geregelt ist. Ebenso ist die Frage einer allenfalls rechtsmissbräuchlich beanspruchten Kostenerstattungspflicht des Bundes durch den Kanton Bern nicht durch die ARK, sondern durch das EJPD zu beurteilen.


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Die ARK überweist demnach die Beschwerde, soweit sich diese gegen Ziff. 2 des Dispositivs der angefochtenen Verfügung richtet, an das hierfür zuständige EJPD.

2.

2.1. Der Kanton ist nach Art. 48 Bst. b VwVG i.V.m. Art. 105 Abs. 2 AsylG zur Beschwerde an die ARK legitimiert, wenn seinem Antrag bezüglich der vorläufigen Aufnahme oder des Vollzugs der Wegweisung im Zusammenhang mit der Prüfung der schweren persönlichen Notlage nicht stattgegeben wird. Diese Bestimmung ist auf den vorliegenden Fall klarerweise nicht anwendbar.

2.2. Gestützt auf Art. 48 Bst. a VwVG ist der Kanton zur Beschwerdeführung legitimiert, wenn er von der angefochtenen Verfügung wie ein Privater betroffen ist (vgl. I. Häner, Die Beteiligten im Verwaltungsverfahren und Verwaltungs-prozess, Zürich 2000, Rz. 825 f., 829 ff.; Kölz/Häner, a.a.O., Rz. 566; P. Saladin, Das Verwaltungsverfahren des Bundes, Basel und Stuttgart 1979, S. 181; F. Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 167 ff.; EMARK 2002 Nr. 1 und Nr. 17).

Vorliegend ist die Legitimation des Kantons zur Anfechtung von Ziff. 2 des Dispositivs der angefochtenen Verfügung unproblematisch. Mit dieser wird die Pflicht zur Rückleistung der vom Bund erstatteten Fürsorgekosten festgestellt beziehungsweise auferlegt und somit ins Vermögen des Kantons Bern eingegriffen. Dieser ist von Ziff. 2 der Verfügung betroffen wie ein Privater und somit nach Art. 48 Bst. a VwVG zur Beschwerde legitimiert.

Da sich indessen nach dem unter Erw. 1 Gesagten eine Gabelung des Rechtswegs aufdrängt, ist auch die Legitimation bezüglich der Anfechtung von Ziff. 1 des Dispositivs der angefochtenen Verfügung gesondert zu betrachten.

2.3. Nach neuerer Lehre und Rechtsprechung sind die Kantone auch zur Beschwerde legitimiert, wenn sie in ihren öffentlichen oder hoheitlichen Aufgaben betroffen sind und ein aktuelles, qualifiziert schutzwürdiges Interesse vorhanden ist (vgl. EMARK 2002 Nr. 1, und Nr. 17; Kölz/Häner, a.a.O., Rz 570; sowie Häner, a.a.O., Rz 838 ff. und die dort zitierten Autoren und Entscheide). In welchen Konstellationen ein solches Interesse vorliegt, ist weitgehend ungeklärt. Die Lehre stützt sich massgeblich auf die bundesgerichtliche Kasuistik ab. Eine Erschwerung der Aufgabenerfüllung reicht jedenfalls ebenso wenig aus wie das Interesse an der richtigen Rechtsanwendung (vgl. Kölz/Häner, a.a.O., Rz. 572; Häner, a.a.O., Rz. 841).


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Die ARK hat bisher in zwei publizierten Urteilen ein qualifiziert schutzwürdiges Interesse und damit die Beschwerdelegitimation des Kantons anerkannt: In EMARK 2002 Nr. 1 erkannte die ARK ein qualifiziert schutzwürdiges Interesse des Kantons in der Tatsache, dass die „Humanitäre Aktion 2000“ faktisch mit der Kompetenz des Kantons zur Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen in Konkurrenz stehe. Die Legitimation des Kantons ergab sich in diesem Fall aus dem Prinzip des Föderalismus. In EMARK 2002 Nr. 17 wurde ein schützwürdiges Interesse des Kantons anerkannt, da dieser im Falle der Verweigerung einer vorläufigen Aufnahme bei Unmöglichkeit des Vollzugs im Sinne von Art. 46 Abs. 2 AsylG verpflichtet sei, eine rechtliche Lösung für eine tatsächliche Situation zu finden und die anfallenden Kosten zu übernehmen.

2.4. Im vorliegenden Verfahren rügt der Kanton Bern einen Eingriff in seine Kompetenzen durch das BFF, indem dieses den Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung und damit den Wegfall der Wegweisung festgestellt habe. Er ist somit durch die angefochtene Verfügung in seinen hoheitlichen Aufgaben betroffen. Es stellt sich somit im Folgenden die Frage, ob er auch ein qualifiziert schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung der angefochtenen Verfügung hat.

Ein solches Interesse kann laut Häner (vgl. a.a.O., Rz. 852) unter anderem auch dann vorliegen, wenn der Kanton Nachteile geltend macht, die für ihn bloss indirekt in Erscheinung treten, jedoch einen kausalen Konnex mit dem Streitgegenstand aufweisen. Dies ist vorliegend der Fall, da nach der Systematik der angefochtenen Verfügung der Wegfall der Wegweisung und das Erlöschen der vorläufigen Aufnahme die inhaltlich-materielle Begründung für das rückwirkend festgestellte Ende der Kostenerstattungspflicht des Bundes ist. Die Verfügung stellt somit einen Kausalzusammenhang zwischen den beiden Ziffern der angefochtenen Verfügung her. Dieser Konnex erhellt sich auch aus der Tatsache, dass in derselben Verfügung der Wegfall der Wegweisung und das Ende der Kostenerstattungspflicht des Bundes festgestellt werden. Der Nachteil in Form der Rückerstattungspflicht tritt als indirekte Folge des in Ziff. 1 festgestellten Sachverhalts in Erscheinung, welche sich direkt nur auf den rechtlichen Status der M.R. auswirkt.

2.5. In Hinsicht auf diesen ausdrücklichen Konnex zwischen dem Wegfall der Wegweisung und dem rückwirkend festgestellten Ende der Kostenerstattungspflicht unterscheidet sich der vorliegende Fall massgeblich von den Konstellationen, die EMARK 2000 Nr. 30 und 2001 Nr. 21 zu Grunde gelegen haben. In diesen Entscheiden wurde von der ARK festgehalten, die Prüfung eines Anspruches auf eine Aufenthaltsbewilligung falle in die Zuständigkeit der kantonalen Fremdenpolizeibehörden und die Asylbehörden auf Bundesebene könnten, wenn ein solcher Anspruch festgestellt worden sei, keine Wegweisung


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und entsprechend auch keine vorläufige Aufnahme verfügen. Es trifft ohne Zweifel zu, dass dem zuständigen Kanton auch in diesen Konstellationen finanzielle Pflichten erwachsen können (z.B. im Falle einer Fürsorgeabhängigkeit). Mit den entsprechenden Feststellungen der Asylbehörden, es bestehe ein Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung, werden die Kantone jedoch nicht, wie vorliegend, gleichzeitig mit einer finanziellen Forderung des Bundes konfrontiert. Die finanziellen Verpflichtungen des Kantons realisieren sich in diesen Fällen, wenn überhaupt, erst nach erfolgter Feststellung dessen Kompetenz und sind bei Erlass der entsprechenden Verfügung weder bezifferbar noch gesichert voraussehbar, so dass davon ausgegangen werden kann, dass das Erfordernis der Aktualität des Interesses regelmässig nicht erfüllt sein wird. Demgegenüber ergibt sich die Aktualität des Interesses vorliegend gerade aus der Tatsache, dass in derselben Verfügung sowohl der Wegfall der Wegweisung als auch ein konkreter, bezifferbarer finanzieller Anspruch des Bundes gegen den Kanton festgestellt wird.

Nach diesen Überlegungen könnte sich EMARK 2002 Nr. 17 insofern als präzisierungsbedürftig erweisen, als dieser Entscheid festhält, die Pflicht zur Kostenübernahme begründe an sich schon ein qualifiziert schutzwürdiges Interesse des Kantons (vgl. EMARK 2002 Nr. 17, S. 138). Dies ist indessen, wie dargelegt, nur dann der Fall, wenn das finanzielle Interesse auch aktuell ist. Da im vorliegenden Fall - wie soeben aufgezeigt - ein aktuelles Rechtsschutzinteresse des Kantons gegeben ist, erübrigt sich indessen eine einlässliche Überprüfung der bisherigen Praxis der ARK.

2.6. Zusammenfassend ergibt sich, dass der Kanton Bern durch Ziff. 1 des Dispositivs der angefochtenen Verfügung in seinen hoheitlichen Interessen berührt ist und ein qualifiziert schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung hat. Würde sie in Rechtskraft erwachsen, würde nach ihrer Systematik indirekt die Grundlage für einen konkreten, bezifferbaren finanziellen Anspruch des Bundes gegen den Kanton Bern geschaffen. Dieser ist somit zur Beschwerde gegen Ziff. 1 des Dispositivs legitimiert.

Da auch die übrigen formellen Voraussetzungen erfüllt sind, ist auf die form- und fristgerechte Beschwerde einzutreten, so weit sie sich gegen Ziff. 1 des Dispositivs der angefochtenen Verfügung richtet.

3. Das BFF hält fest, mit Entstehen des Anspruchs auf eine Aufenthaltsbewilligung sei die asylrechtliche Wegweisung weggefallen, was das Erlöschen der vorläufigen Aufnahme bewirkt habe.


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Im Folgenden muss zunächst untersucht werden, ob M.R. aus der Einbürgerung der Kinder Ansprüche ableiten kann (Erw. 3.1.) und worauf sich diese Ansprüche gegebenenfalls beziehen (Erw. 3.2. und 3.3.). Anschliessend stellt sich die Frage, ob unter den festgestellten Bedingungen die asylrechtliche Wegweisung wegfallen (Erw. 3.4.) beziehungsweise die vorläufige Aufnahme erlöschen konnte (Erw. 3.5.).

3.1. M.R. in den vorangehenden Bewilligungsverfahren und das BFF in der angefochtenen Verfügung machen geltend, jene habe einen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung aus Art. 8 Abs. 1 EMRK. Sie stützen sich dabei auf die in BGE 109 Ib 183, 110 Ib 201 begründete und seither in zahlreichen Urteilen (vgl. z.B. BGE 125 II 633, 126 II 382, 126 II 425, 127 II 60) bestätigte sogenannte Reneja-Praxis des Bundesgerichts. In diesen Urteilen hat das Bundesgericht entschieden, ausländische Familienmitglieder einer Person, die in der Schweiz über ein gefestigtes Anwesenheitsrecht verfüge, hätten aus Art. 8 Abs. 1 EMRK einen Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung. Die ARK hat diese Praxis in EMARK 1995 Nr. 12 übernommen und wendet sie seither konstant an.

Zu den Familienbeziehungen, die nach dem Bundesgericht unter den Schutz von Art. 8 Abs. 1 EMRK fallen, gehört neben jener der Gatten auch jene zwischen Eltern und ihren minderjährigen Kindern. Dass das Bundesgericht in der Folge weitere familiäre Beziehungen als schutzberechtigt anerkannt hat, braucht vorliegend nicht zu interessieren, da das Verhältnis zwischen M.R. und ihren minderjährigen Kindern zu beurteilen ist.

Die so umschriebenen Familienmitglieder können sich auf Art. 8 Abs. 1 EMRK berufen, wenn mindestens eines von ihnen über ein „gefestigtes Anwesenheitsrecht“ in der Schweiz verfügt. Ein solches Recht haben neben Schweizer Bürgern Personen, die über eine Niederlassungsbewilligung oder eine Aufenthaltsbewilligung mit Anspruch auf Verlängerung verfügen, sowie solche, deren Anwesenheitsverhältnis in einem Staatsvertrag geregelt ist (vgl. P. Grant, La protection de la vie familiale et de la vie privée en droit des étrangers, Genf 2000, S. 383 und die dort zitierten Autoren und Entscheide). Die Kinder von M. R. sind Schweizer Bürger und verfügen als solche über ein gefestigtes Anwesenheitsrecht im Sinne der Rechtsprechung.

In den Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 EMRK fallen Familienmitglieder, wenn die Beziehung zur anwesenheitsberechtigten Person tatsächlich gelebt wird. Dieser Sachverhalt ist anhand objektiv überprüfbarer Umstände nachzuweisen. Vorliegend wurde M.R. im Scheidungsurteil das Sorgerecht über die Kinder zugesprochen, welches sie immer noch wahrnimmt. M.R. und die Kinder wohnen


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im selben Haushalt. Weiter fallen in diesem Zusammenhang Stellungnahmen, die die Schule der Kinder im Rahmen des Beschwerdeverfahrens auf kantonaler Ebene abgegeben hat, ins Gewicht. M.R. wird dort als interessierte und engagierte Mutter beschrieben, die mit grosser Anteilnahme Leistungen und Gedeihen der Kinder verfolge. Aufgrund dieser objektiven Umstände kann als erstellt gelten, dass M.R. und ihre Kinder die Familienbeziehung tatsächlich leben.

Sind wie vorliegend die beschriebenen Voraussetzungen – enge, tatsächlich gelebte familiäre Beziehung zu einer anwesenheitsberechtigten Person – erfüllt, hat die ausländische Person nach der dargelegten Rechtsprechung „Anspruch auf Anwesenheit“.

3.2. Es ist in Lehre und Praxis unbestritten, dass der untechnische Begriff „Anspruch auf Anwesenheit“ als Anspruch auf eine formelle Aufenthaltsbewilligung zu verstehen ist (vgl. Grant, a.a.O., S. 430). Diese Auslegung, die über den Kernbereich von Art. 8 Abs. 1 EMRK hinausgeht, erklärt sich aus prozessrechtlichen Überlegungen. Im ersten Reneja-Entscheid (vgl. BGE 109 Ib 183) hatte das Bundesgericht über seine sachliche Zuständigkeit zur Beurteilung der entsprechenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu befinden. Die einschlägige Norm, Art. 100 Abs. 1 Bst. b Ziff. 3 OG, besagt, auf dem Gebiet der Fremdenpolizei sei die Verwaltungsgerichtsbeschwerde unzulässig gegen die Erteilung oder Verweigerung von Bewilligungen, auf die kein Anspruch besteht. Indem das Bundesgericht seine Zuständigkeit gestützt auf diese Bestimmung bejaht, stellt es fest, dass Art. 8 Abs. 1 EMRK nach seinem Verständnis über den Schutz des faktischen Zusammenlebens hinaus einen Anspruch auf die Erteilung einer formellen Aufenthaltsbewilligung begründet.

Wie das BFF zutreffend festgehalten hat, ist die vorläufige Aufnahme keine formelle Bewilligung im Sinne von Art. 100 Abs. 1 Bst. b Ziff. 3 OG, sondern eine Ersatzmassnahme für den undurchführbaren Vollzug der Wegweisung. Diese wird nach Art. 44 Abs. 1 AsylG angeordnet, wenn ein Asylsuchender nach Abschluss des Verfahrens sein Recht auf Anwesenheit in der Schweiz aus Art. 42 Abs. 1 AsylG verliert und über keine fremdenpolizeiliche Bewilligung verfügt. Die vorläufige Aufnahme ersetzt in diesem Rahmen weder die fehlende fremdenpolizeiliche Bewilligung, noch stellt sie eine Bewilligung aus eigenem Recht dar. Sie kann vielmehr als Ersatzmassnahme nur neben einer rechtskräftigen Wegweisung Bestand haben, die ihrerseits nur so lang besteht, als keine Bewilligung vorliegt.

Als Zwischenergebnis kann somit festgehalten werden, dass M.R. aus Art. 8 Abs. 1 EMRK Anspruch auf die Erteilung einer formellen Aufenthaltsbewilli-


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gung hat und dass diesem Anspruch mit der Anordnung der vorläufigen Aufnahme nicht Genüge getan ist.

An diesem Befund vermag die Tatsache, dass Art. 14a ff. ANAG erst im Jahr 1986 und somit drei Jahre nach der Begründung der Reneja-Praxis in Kraft getreten sind, nichts zu ändern. Die Praxis hat seither Bestand und es sind keine Hinweise auf eine – dogmatisch ohnehin schwierig begründbare – Änderung im Sinne einer Gleichstellung der vorläufigen Aufnahme mit den formellen Bewilligungen ersichtlich.

3.3. Mit der Anerkennung des Anspruches auf eine Bewilligung sei, so das Bundesgericht in BGE 109 Ib 187, noch nichts über die materielle Beurteilung eines entsprechenden Gesuchs gesagt. Art. 8 Abs. 1 EMRK beschränke indessen das den kantonalen Behörden aus Art. 4 ANAG zustehende freie Ermessen. Diese haben bei Vorliegen eines Anspruchs nur noch eine Alternative: Sie können das Gesuch gutheissen oder ablehnen (vgl. Grant, a.a.O., S. 432) und müssen ihren Entscheid unter Berücksichtigung von Art. 8 EMRK und der einschlägigen Rechtsprechung treffen. Der kantonale Entscheid ist vor Bundesgericht mit Verwaltungsbeschwerde anfechtbar.

So muss trotz Vorliegens eines Anspruches die Aufenthaltsbewilligung nicht erteilt werden, wenn dem anwesenheitsberechtigten Familienmitglied – jenem mit Schweizer Bürgerrecht oder einer der oben genannten Bewilligungen – die Ausreise in den in Frage kommenden ausländischen Staat zugemutet werden kann. Die Zumutbarkeit ergibt sich aus den Umständen des Einzelfalls. Im vorliegenden Fall hätten die zuständigen fremdenpolizeilichen Behörden somit zu prüfen, ob es den Kindern, die 1990 im Alter von zwei Jahren beziehungsweise fünf Monaten aus dem Kosovo in die Schweiz gekommen und so weit ersichtlich seither nie in ihre ursprüngliche Heimat zurückgekehrt sind, zuzumuten wäre, mit ihrer Mutter in den Kosovo zurückzukehren und in dem für sie fremden Land eine Existenz aufzubauen. Sie hätten zu berücksichtigen, dass sie die Schulen in der Schweiz besucht haben und hier nach allen massgeblichen Kriterien integriert sind.

Wäre die Zumutbarkeit der gemeinsamen Ausreise der Familie nicht gegeben, so könnte die Aufenthaltsbewilligung nur noch aus einem der in Art. 8 Abs. 2 EMRK abschliessend genannten Gründe abgelehnt werden. Da die gesetzliche Grundlage mit dem ANAG und AsylG gegeben ist, wäre durch die zuständige Behörde zu prüfen, ob die Wegweisung der M.R. in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, das wirtschaftliche Wohl der Schweiz, die Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Im vorliegenden Fall müsste erwogen


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 werden, ob die Fürsorgeabhängigkeit von M.R. unter diesen Bedingungen ausschlaggebende Bedeutung haben könnte.

3.4. Die Wegweisung wird nach Art. 44 Abs. 1 AsylG angeordnet, wenn ein Asylsuchender nach Abschluss des Verfahrens sein Recht auf Anwesenheit in der Schweiz aus Art. 42 Abs. 1 AsylG verliert und über keine fremdenpolizeiliche Bewilligung verfügt. Sie bleibt mit anderen Worten so lange in Kraft, bis der betroffene Ausländer eine Bewilligung erlangt hat. Die gleichzeitige Anordnung der vorläufigen Aufnahme als Ersatzmassnahme für den undurchführbaren Vollzug vermag hieran nichts zu ändern. Stellt sich nämlich zu einem späteren Zeitpunkt heraus, dass die Gründe, die zur Anordnung der Ersatzmassnahme geführt haben, weggefallen sind, wird die vorläufige Aufnahme aufgehoben und die Wegweisung vollzogen, ohne dass sie neu angeordnet werden müsste.

Die ARK hatte in EMARK 2000 Nr. 30 und EMARK 2001 Nr. 21 Gelegenheit, sich mit dem Verhältnis zwischen der asylrechtlichen Wegweisung und dem Anspruch auf eine fremdenpolizeiliche Bewilligung auseinander zu setzen.

Wenn das BFF in seiner Verfügung in Erwägung zieht, Art. 8 Abs. 1 EMRK sei ein Wegweisungshindernis – gemeint ist ein Umstand, der der Anordnung der Wegweisung als solcher und nicht bloss deren Vollzug entgegensteht –, bezieht es sich auf EMARK 2001 Nr. 21. In diesem Entscheid hat die ARK erkannt, dass die Asylbehörden im laufenden Asylverfahren keine Wegweisung verfügen dürfen, wenn eine vorfrageweise Prüfung ergibt, dass die betroffene Person einen grundsätzlichen Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung hat. Die Vorinstanz verkennt dabei, dass die Umstände im vorliegenden Fall sich von jenen, die in EMARK 2001 Nr. 21 beurteilt wurden, massgeblich unterscheiden. Der Anspruch von M.R. ist mit der Einbürgerung der Kinder am 16. Dezember 1997 entstanden, während ihr Asylverfahren bereits am 2. September 1996 mit dem Urteil der ARK rechtskräftig abgeschlossen war. Die zitierte Rechtsprechung bezieht sich indessen einzig auf Fälle, in denen der Anspruch während des hängigen Verfahrens entsteht.

Für Fälle, in denen – wie vorliegend – nach rechtskräftigem Abschluss eines Asylverfahrens ein Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung entstanden ist, ist EMARK 2000 Nr. 30 einschlägig, der festhält, dass ein solcher Anspruch keinen Grund für ein Rückkommen auf eine asylrechtliche Wegweisung darstelle. Zur Begründung wird angeführt, dass die materielle Prüfung des Anspruches in die Kompetenz der fremdenpolizeilichen Behörden (letztinstanzlich des Bundesgerichts) falle. Gegenüber einem in einem solchen Verfahren erlangten Aufenthaltstitel hätten die Anordnungen des BFF keinen Bestand. Ein Zurückkommen auf die Wegweisungsverfügung sei dann nicht mehr nötig. Im Hinblick auf eine mögliche Verweigerung der Bewilligung durch die fremdenpolizeilichen Behör-


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den hätten die Anordnungen des BFF betreffend Wegweisung und Vollzug dagegen in Kraft zu bleiben. Würde anders entschieden und müsste die Wegweisung bei Vorliegen eines Anspruches aufgehoben werden, müsste nach der Verweigerung der Bewilligung ein neues Wegweisungsverfahren angestrengt werden. Die ARK entschied unter Hinweis auf die Materialien, dass es zu solchen verfahrensmässigen Doppelspurigkeiten nach durchgeführtem Asylverfahren nicht kommen solle. Wenn aufgrund dieser sachgerechten Begründung schon eine Aufhebung der Wegweisung bei Vorliegen eines Anspruches nicht in Betracht kommt, so gilt dies umso mehr für deren automatisches Wegfallen, wie es vom BFF geltend gemacht wird.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die im Asylverfahren angeordnete Wegweisung in Kraft bleibt, bis eine fremdenpolizeiliche Bewilligung erteilt wurde. Wird eine solche verweigert, kann die Wegweisung ohne weiteres Verfahren vollzogen werden, sofern die übrigen Bedingungen erfüllt sind. Das BFF hat nach dem Gesagten zu Unrecht festgestellt, die Wegweisung sei weggefallen.

3.5. Da die Wegweisung nicht weggefallen ist, ist auch die Argumentation des BFF, die vorläufige Aufnahme als Ersatzmassnahme sei wegen des Wegfalls der Wegweisung erloschen, unhaltbar.

Nach Art. 14b Abs. 2 ANAG 2. Satz erlischt die Wegweisung, wenn der Ausländer freiwillig ausreist oder eine Aufenthaltsbewilligung erhält. Diese Aufzählung der Gründe ist abschliessend (vgl. N. Wisard, Les renvois et leur exécution en droit des étrangers et en droit d’asile, Genf 1996, S. 433). Beides ist, wie oben dargelegt, nicht der Fall.

Ebenso ist das Vorliegen eines Anspruches auf eine Aufenthaltsbewilligung kein Grund, die vorläufige Aufnahme aufzuheben. Nach Art. 14b Abs. 2 ANAG 1. Satz kann dies nur erfolgen, wenn die Gründe, die zur Anordnung der vorläufigen Aufnahme geführt haben, weggefallen sind und sich in der Zwischenzeit keine neuen Gründe für eine solche Massnahme ergeben haben. Vorliegend ist der Vollzug der Wegweisung in den Kosovo nicht mehr unmöglich. Er wäre daher zu prüfen, ob er zulässig und zumutbar ist. Zudem gälte es zu beachten, dass ein rechtskräftiger Entscheid im Sinne von Art. 44 Abs. 3 AsylG nur dann vorliegt, wenn letztinstanzlich neben dem negativen Asylentscheid und der Wegweisung auch deren Vollzug angeordnet worden ist (vgl. EMARK 2001 Nr. 20). Dies ist hinsichtlich der vorläufig aufgenommenen M.R. nicht der Fall. Da, seitdem sie ihr Asylgesuch gestellt hat, mehr als vier Jahre vergangen sind, müsste somit geprüft werden, ob eine schwerwiegende persönliche Notlage vorliegt. Eine solche muss angesichts des vierzehnjährigen ununterbrochenen Aufenthalts


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in der Schweiz und der Integration von M.R. und den Kindern ohne Zweifel angenommen werden. Aus diesem Grund kann die vorläufige Aufnahme nicht aufgehoben werden, obwohl der Grund, der zu ihrer Anordnung geführt hat, mittlerweile weggefallen ist.

3.6. Aufgrund der vorstehenden Überlegungen kann festgehalten werden, dass M.R. aus Art. 8 Abs. 1 EMRK einen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung im Sinne von Art. 5 ANAG hat. Im konkreten Verfahren bedeutet dies, dass die kantonalen Behörden ihren Antrag auf die Erteilung einer solchen Bewilligung einzig ablehnen können, wenn sie zum Schluss kommen, den Kindern von M.R. sei es zuzumuten, mit dieser in den Kosovo zu ziehen, oder wenn sie eine der in Art. 8 Abs. 2 EMRK aufgeführten Bedingungen realisiert sehen. M.R. steht gegen einen allfälligen abschlägigen letztinstanzlichen kantonalen Entscheid die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht offen.

Der Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung bewirkt indessen nicht den Wegfall der im Asylverfahren angeordneten Wegweisung. Ebenso wenig ist die vorläufige Aufnahme erloschen. Die entsprechende Feststellung in Ziff. 1 des Dispositivs der angefochtenen Verfügung verletzt Bundesrecht. Sie ist aufzuheben.

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