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Auszug aus dem Urteil der ARK vom 13. Januar 2004 i.S. F.M.T., Kamerun

Art. 3 EMRK; Art. 25 Abs. 3 BV; Art. 14a Abs. 2-4 ANAG: Zulässigkeit und Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs eines HIV-Infizierten.

1. Die Ausweisung eines HIV-Infizierten erweist sich unter Art. 3 EMRK jedenfalls als zulässig, solange die terminale Phase der AIDS-Krankheit noch nicht ausgebrochen ist (Erw. 5c; vgl. dazu das vorstehend unter EMARK 2004 Nr. 6 publizierte Urteil).

2. Klassifikation und Behandelbarkeit einer HIV-Infektion und AIDS-Erkrankung (Erw. 5d.bb).

3. Die Beurteilung der Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs hängt nicht allein vom Stadium der HIV-Infektion (A - C) ab, sondern vor allem auch von der konkreten Situation im Heimat- oder Herkunftsland des Betroffenen, insbesondere der medizinischen Versorgung, der Sicherheitslage und dem persönlichen Umfeld. Somit kann je nach den konkreten Umständen bereits das Erreichen des Stadiums B3 oder gar B2 den Wegweisungsvollzug als unzumutbar erscheinen lassen, während umgekehrt das Erreichen des Stadiums C den Wegweisungsvollzug noch nicht zwingend als unzumutbar erscheinen lässt (Erw. 5d).

Art. 3 CEDH ; art. 25 al. 3 Cst. ; art. 14a al. 2-4 LSEE : licéité et exigibilité de l’exécution du renvoi d’une personne atteinte du SIDA.

1. L’expulsion d’une personne atteinte du SIDA est en tous les cas licite au regard de l’art. 3 CEDH tant que la phase finale de la maladie ne s’est pas encore déclarée (consid. 5c ; cf. JICRA 2004 n°6).

2. Classification et traitement de l’infection HIV et de la maladie du SIDA (consid. 5d bb).

3. L’examen de l’exigibilité de l’exécution du renvoi ne dépend pas seulement du stade d’infection par le virus HIV (A-C), mais aussi, et avant tout, de la situation concrète de la personne concernée dans son pays d’origine ou de provenance, en particulier des possibilités d’accès aux soins médicaux, de la sécurité intérieure et du réseau social. Selon les


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circonstances, une atteinte au stade B3, ou même B2, de la maladie peut rendre l’exécution du renvoi inexigible, alors qu'une atteinte au stade C ne permet pas encore de considérer cette exécution comme absolument inexigible (consid. 5d).

Art. 3 CEDU; art. 25 cpv. 3 Cost.; art. 14a cpv. 2-4 LDDS; liceità ed esigibilità dell'esecuzione dell'allontanamento di una persona affetta da AIDS.

1. L'esecuzione dell'allontanamento di una persona portatrice del virus HIV è lecita, dal profilo dell'art. 3 CEDU, sino a quando non ha raggiunto la fase terminale della malattia dell’AIDS (consid. 5c, v. GICRA 2004 n. 6).

2. Classificazione e terapie dell’infezione da HIV e della malattia dell’AIDS (consid. 5d bb).

3. Nell'esame dell'esigibilità dell'esecuzione dell'allontanamento non è determinante unicamente lo stadio dell'infezione da HIV (A-C), ma anche la situazione nel Paese d'origine o di provenienza del malato, segnatamente dal profilo della sicurezza, dell’assistenza sanitaria e della sussistenza di una rete sociale. Di conseguenza, e a seconda delle circostanze del caso concreto, il raggiungimento dello stadio B3 o persino B2 può rendere inesigibile l'esecuzione dell'allontanamento, mentre al raggiungimento dello stadio C non consegue inevitabilmente l'inesigibilità dell'esecuzione dell'allontanamento (consid. 5d).
 

Zusammenfassung des Sachverhalts:

Der Beschwerdeführer stellte am 30. Januar 2000 ein Asylgesuch, welches vom BFF mit Verfügung vom 18. Juli 2000 mangels Glaubhaftigkeit abgelehnt wurde, unter gleichzeitiger Anordnung der Wegweisung, deren Vollzug als zulässig, zumutbar und möglich erklärt wurde.

Der Beschwerdeführer beantragte mit Beschwerde an die ARK sinngemäss die Aufhebung der vorinstanzlichen Verfügung und die Gewährung des Asyls. Auf jeden Fall sei er in der Schweiz vorläufig aufzunehmen. Zudem sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.


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Mit Zwischenverfügungen vom 30. August 2000 und vom 7. September 2000 wies die ARK das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit ab und forderte den Beschwerdeführer zur Bezahlung eines Kostenvorschusses auf. Dieser wurde in der Folge fristgerecht einbezahlt.

Am 5. August 2002 liess der Beschwerdeführer der ARK ein am 17. Juli 2002 vom Kantonsspital X. ausgestelltes ärztliches Zeugnis zukommen, wonach er HIV-positiv sei und eine (antivirale) Tritherapie benötige.

Am 13. Januar 2003 reichte der Beschwerdeführer ein weiteres am 19. Dezember 2002 vom Kantonsspital X. ausgestelltes Arztzeugnis ein. Danach befindet sich seine HIV-Infektion im Stadium A2. Aufgrund der Behandlung mit "Combivir" und "Strocrin" sei die Virenzahl von 140'000/ml Blut auf unter 50/ml Blut gesunken und die CD4-Werte hätten sich von 215/Mikroliter Blut auf 393/Mikroliter Blut erhöht.

Auf Aufforderung der ARK zur Einreichung eines aktuellen ärztlichen Zeugnisses ging bei der ARK ein am 22. September 2003 von einem Spezialarzt des Kantonsspitals X. erstellter ärztlicher Bericht ein. Danach leide der Beschwerdeführer nach wie vor unter keinen mit seiner HIV-Infektion in Zusammenhang stehenden Beschwerden. Er spreche sehr gut auf die im Februar 2002 begonnene Tritherapie an; seine Virenwerte hätten sich weiter erholt und sein Zustand sich somit weiter verbessert. Regelmässige Kontrollen, mindestens alle drei Monate, seien jedoch unerlässlich.

Die Vorinstanz schloss mit Vernehmlassung vom 13. Oktober 2003 auf Abweisung der Beschwerde. Zur Bemerkung im ärztlichen Bericht vom 22. September 2003, die erforderlichen Behandlungen seien im Heimatland des Beschwerdeführers nicht gewährleistet, stellte das BFF fest, in Kamerun existierten sehr wohl valable Einrichtungen zur Behandlung einer HIV-Infektion im Stadium A2. Die "Centrale Nationale d'Approvisionnement en Médicaments Essentiels" (CENAME) habe überdies die Preise für die Behandlung von HIV-Infizierten aufgrund eines entsprechenden staatlichen Programms vom März 2001 gesenkt. Zudem habe die kamerunische Regierung einen strategischen HIV/AIDS-Plan 2000-2005 ins Leben gerufen, welcher unter anderem das Ziel habe, die Versorgung mit Medikamenten weiter zu verbessern.

In seiner Replik vom 7. November 2003 wies der Beschwerdeführer darauf hin, eine HIV-Infektion sei bis heute unheilbar und die eingesetzten Medikamente dienten einzig dazu, den Krankheitsverlauf zu bremsen. Die medizinischen Strukturen in Kamerun reichten im Übrigen nicht aus, die fast 1,5 Millionen mit dem HIV-Virus infizierten Menschen zu behandeln, zumal die Kosten für Be-


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handlung und Kontrollen nach wie vor sehr hoch seien. In seinem Heimatdorf gebe es zudem kein Spital, in welchem HIV-Infizierte behandelt werden könnten.

Die ARK weist die Beschwerde ab.

Aus den Erwägungen:

5. […]

c) aa) Das BFF wies in seiner angefochtenen Verfügung zutreffend darauf hin, dass der Grundsatz der Nichtrückschiebung gemäss Art. 5 Abs. 1 AsylG nur Personen schützt, die die Flüchtlingseigenschaft erfüllen. Da es dem Beschwerdeführer nicht gelungen ist, eine asylrechtlich erhebliche Gefährdung nachzuweisen oder glaubhaft zu machen, kann das in Art. 5 AsylG verankerte Prinzip des flüchtlingsrechtlichen Non-refoulements im vorliegenden Verfahren keine Anwendung finden. Eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Kamerun wäre demnach unter dem Aspekt von Art. 5 AsylG rechtmässig.

bb) Gemäss Praxis der Strassburger Organe sowie jener des UN-Anti-Folterausschusses zu Art. 3 EMRK und Art. 1 FoK müsste der Beschwerdeführer eine konkrete Gefahr nachweisen oder glaubhaft machen, dass ihm im Fall einer Rückschiebung Folter oder unmenschliche Behandlung drohten (vgl. EMARK 2001 Nr. 16, S. 122; Nr. 17, S. 130 f.; 1996 Nr. 18, S. 182 ff.; jeweils mit weiteren Hinweisen). Aus den auf Beschwerdeebene eingereichten Zeitungsartikeln sowie dem Internet entnommenen Meldungen, welche zumindest teilweise auch die allgemeine Menschenrechtslage in Kamerun zum Gegenstand haben, ergeben sich jedoch noch keine Hinweise, dass er im Falle einer Ausschaffung nach Kamerun dort einer nach Art. 3 EMRK oder Art. 1 FoK verbotenen Strafe oder Behandlung ausgesetzt wäre.

cc) Auf Beschwerdeebene, mit Eingabe vom 5. August 2002, machte der Beschwerdeführer erstmals geltend, er sei HIV-positiv, weshalb sein Leben und seine Gesundheit durch eine Rückschaffung nach Kamerun ernsthaft gefährdet würde.

Die schweizerischen Asylbehörden haben in ihrer bisherigen Praxis gesundheitliche Störungen Weggewiesener - und mithin auch die Infektion mit dem HIV-Virus sowie die Erkrankung an AIDS - meist nur unter dem Aspekt der Zumutbarkeit eingehender geprüft (vgl. auch EMARK 2003 Nr. 18, Erw. 5d in fine, S. 118). Eine weiter gehende beziehungsweise ausschliessliche Prüfung unter dem


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Aspekt der Zulässigkeit erfolgte etwa dann, wenn (wie im vorstehenden Urteil EMARK 2004 Nr. 6) die Anwendung der Ausschlussklausel von Art. 14a Abs. 6 ANAG (Verletzung oder schwer wiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch den weg- oder ausgewiesenen Ausländer) eine Prüfung unter dem Aspekt der Zumutbarkeit verunmöglichte. Die Praxis der Schweizer Asylbehörden, bei welcher die völkerrechtliche Zulässigkeit des Wegweisungsvollzugs jeweils bejaht, mithin bislang nie auf eine unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK geschlossen wurde, ist von den Strassburger Organen bisher nicht beanstandet worden (vgl. beispielsweise die allein aus humanitären Gründen und gestützt auf Art. 14a Abs. 4 ANAG erfolgte vorläufige Aufnahme einer im Endstadium AIDS-kranken Kongolesin; Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte [EGMR] vom 6. Juli 2000 i.S. T. gegen Schweiz, Erw. 20-22; Beschwerde Nr. 41874/98). Gemäss einem Urteil des EGMR vom 2. Mai 1997 i.S. D. gegen Grossbritannien (Beschwerde Nr. 30240/96; publiziert etwa in ASYL 1/1997 S. 47) kann zwar im Zusammenhang mit einer Erkrankung an AIDS auf eine Verletzung von Art. 3 EMRK geschlossen werden. Der dem erwähnten Urteil zugrunde liegende Sachverhalt kann indessen nicht ohne weiteres mit dem vorliegend zu beurteilenden verglichen werden; der EGMR hat im besagten Urteil denn auch mit Nachdruck herausgestrichen, aufgrund der aussergewöhnlichen konkreten Umstände ("circonstances très exceptionnelles") zur Erkenntnis einer Verletzung von Art. 3 EMRK gelangt zu sein. So ging es in jenem Fall um die Ausweisung eines in der terminalen Phase an AIDS Erkrankten auf die Antillen-Insel Saint-Kitts. Der Betroffene bedurfte zu jener Zeit einer intensiven Pflege, und der Vollzug der Ausweisung hätte - so der Gerichtshof - nicht nur seine ohnehin schon nur noch kurze Lebenserwartung zusätzlich reduziert, sondern auch die Gefahr des Todes unter extremen physischen und psychischen Leiden bewirkt, zumal sich der Betroffene - wie der Gerichtshof weiterhin herausstrich - nach seiner Rückkehr nach Saint-Kitts ohne jegliche Unterstützung und Pflege auf der Strasse wiedergefunden hätte. Angesichts der Erwägungen hat der EGMR offenbar dem unheilbar kranken und sich bereits in Todesnähe befundenen Beschwerdeführer wenigstens noch ein Sterben in Würde gewährleisten wollen.

Dass es sich beim erwähnten Urteil des EGMR vom 2. Mai 1997 tatsächlich um einen Spezialfall gehandelt hatte, wurde durch weitere Entscheide der Strassburger Organe bestätigt. So hat die damalige Europäische Kommission für Menschenrechte in einem die Schweiz betreffenden Entscheid die Wegweisung eines aus der Demokratischen Republik Kongo stammenden, HIV-positiven (Stadium CDC A3; vgl. zu den Stadien im Einzelnen nachstehend Erw. 5d.bb) und in einer antiretroviralen Kombinationstherapie stehenden Asylbewerbers aus der Schweiz nicht als unmenschlich beziehungsweise nicht als gegen Art. 3 EMRK verstossend erachtet (Entscheid vom 14. September 1998 i.S. M.M. gegen die


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Schweiz, Beschwerde Nr. 37384/98, auszugsweise publiziert in ASYL 1/1999 S. 21). Zur Begründung wurde dabei unter anderem ausgeführt, der Betroffene leide an keiner AIDS-Erkrankung, überdies würden die schweizerischen Behörden während eines Jahres für die Behandlungskosten im Heimatland aufkommen, und die notwendigen Blutuntersuchungen könnten beispielsweise auch in Südafrika durchgeführt werden, ohne dass der Betroffene selber dorthin reisen müsste. Auch in jüngster Zeit hat der EGMR diese Rechtsprechung bestätigt und festgestellt, der Vollzug einer Landesverweisung eines kolumbianischen Staatsangehörigen verstosse auch dann nicht gegen Art. 3 EMRK, wenn dieser HIV-positiv und zudem an Hepatitis B erkrankt sei und eine antiretrovirale Therapie absolviere, deren Unterbrechung zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes führen würde (Entscheid vom 24. Juni 2003 i.S. A.H. gegen die Niederlande; Beschwerde Nr. 13669/03). Weiter wurde erwogen, die Erkrankung befinde sich noch nicht in einem fortgeschrittenen oder gar finalen Stadium und die erforderlichen Behandlungen seien grundsätzlich auch in Kolumbien durchführbar. Die Beschwerde erweise sich daher als offensichtlich unbegründet. (Vgl. auch den EGMR-Entscheid vom 15. Februar 2000 [S.C.C. gegen Schweden, Beschwerde Nr. 46553/99], mit welchem die Beschwerde einer zambischen Staatsangehörigen, deren HIV-Infektion vor einigen Jahre diagnostiziert wurde, die aber erst nachher nach Schweden gereist ist und erst seit kurzem eine Behandlung begonnen hat, ebenfalls als offensichtlich unbegründet erklärt wurde.)

Nachdem die Verhältnisse im vorliegenden Fall sich überdies weniger gravierend darstellen als in den vorstehend erwähnten Urteilen - die HIV-Infektion des Beschwerdeführers ist erst im Stadium CDC A2 und er leidet offenbar auch an keinen anderen gesundheitlichen Störungen -, kann dessen Wegweisung aus der Schweiz ebenfalls nicht als unmenschlich beziehungsweise gegen Art. 3 EMRK verstossend erachtet werden. Die HIV-Infizierung des Beschwerdeführers ist demnach ausschliesslich unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs zu prüfen (vgl. nachfolgend unter Erw. 5d.bb).

dd) Nach dem Gesagten ist der Vollzug der Wegweisung sowohl im Sinne der asyl- als auch der völkerrechtlichen Bestimmungen zulässig. An dieser Stelle ist zudem festzuhalten, dass sich auch aus Art. 25 Abs. 3 BV, welcher ebenfalls die Ausschaffung von Personen in einen Staat verbietet, in dem ihnen Folter oder eine andere Art grausamer und unmenschlicher Strafe oder Behandlung droht, keinen über Art. 3 EMRK hinausgehenden Schutz ergibt (vgl. A. Auer/G. Malinverni/M. Hottelier, Droit constitutionnel suisse, Volume II, Bern 2000, S. 557 f.; sinngemäss auch S. Breitenmoser in: Ehrenzeller/Mastronardi/Schwei-zer/Vallender, Die schweizerische Bundesverfassung, Zürich u.a. 2002, N. 20 zu Art. 25 BV).


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d) Aus humanitären Gründen, nicht in Erfüllung völkerrechtlicher Pflichten der Schweiz, wird auf den Vollzug der Wegweisung auch verzichtet, wenn die Rückkehr in den Heimatstaat für den Betroffenen eine konkrete Gefährdung darstellt. Eine solche Gefährdung kann angesichts der im Heimatland herrschenden allgemeinen politischen Lage, die sich durch Krieg, Bürgerkrieg oder durch eine Situation allgemeiner Gewalt kennzeichnet, oder aufgrund anderer Gefahrenmomente, wie beispielsweise einer notwendigen medizinischen Behandlung, angenommen werden (vgl. Botschaft zum Bundesbeschluss über das Asylverfahren vom 22. Juni 1990, BBl 1990 II 668).

aa) Seit Jahren streitet Kamerun mit Nigeria um den Anspruch auf die Halbinsel Bakassi, wobei es auch in den vergangenen Monaten im besagten, an Erdölvorkommen reichen Grenzgebiet zu vereinzelten blutigen Auseinandersetzungen zwischen kamerunischen und nigerianischen Streitkräften gekommen ist. Eine Lösung dieses Konflikts ist nach wie vor nicht in Sicht, was auch die für anfangs 2004 vorgesehene Grenzbereinigung beziehungsweise "Rückgabe" von 33 am Tschad-See im Norden des Landes gelegenen Dörfern von Nigeria an Kamerun gefährden könnte. Dennoch hat sich die allgemeine Lage in Kamerun in letzter Zeit zunehmend entspannt. Offenbar unternimmt die kamerunische Regierung unter Präsident Paul Biya doch gewisse Anstrengungen, die Menschenrechtslage etwas zu verbessern und die Demokratisierung voranzutreiben. Zwar stellt sich die Lage in den beiden englischsprachigen Provinzen Kameruns (Northwest Province und Southwest Province), wo der Beschwerdeführer herkommt und bis zu seiner Ausreise gelebt hat, nach wie vor etwas unruhiger dar als in den übrigen Gebieten des Landes; von einer Situation allgemeiner Gewalt, von Krieg oder Bürgerkrieg, welche für den Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seine Heimat eine konkrete Gefahr darstellen könnte, kann im heutigen Zeitpunkt jedoch auch dort keinesfalls gesprochen werden. An dieser Feststellung vermögen auch die zahlreichen auf Beschwerdeebene eingereichten allgemeinen, dem Internet und kamerunischen Zeitungen entnommenen Berichte nichts zu ändern.

bb) Aufgrund der beiden sich bei den Akten befindenden ärztlichen Berichte vom 17. Juli 2002 und vom 22. September 2002 steht fest, dass der Beschwerdeführer HIV-positiv ist und im Februar 2002 mit einer Tritherapie begonnen hat.

Nach der Klassifikation des amerikanischen Center for Disease Control and Prevention (CDC) wird eine HIV-Infektion in verschiedene Stadien unterteilt. Die - den klinischen Verlauf der Krankheit bezeichnenden - Stadien A, B und C werden nach dem jeweiligen CD4-Wert (welcher die Anzahl "Helferzellen" pro Mikroliter Blut nennt) weiter in die drei immunologischen Stufen 1 (mehr als 500 "Helferzellen" pro Mikroliter Blut), 2 (zwischen 200 und 499 "Helferzellen" pro Mikroliter Blut) und 3 (weniger als 200 "Helferzellen" pro Mikroliter Blut)


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unterteilt. Dabei ist es durchaus möglich, dass das Blut eines sich im Stadium B befindenden Infizierten einen CD4-Wert aufweist, welcher höher ("besser") ist als dasjenige eines Infizierten im Stadium A.

Nach der Ansteckung mit dem HIV-Virus kommt es als Reaktion auf die Zerstörung von "Helferzellen" bei den meisten Infizierten zu grippeähnlichen Beschwerden, welche nach einigen Wochen spontan wieder abklingen. In der Regel folgt darauf - auch ohne Behandlung - eine mehrere Monate bis zehn Jahre dauernde beschwerdefreie Zeit (Latenzphase, A). Erst die fortschreitende Zerstörung des zellulären Immunsystems führt zu typischen HIV-assoziierten Erkrankungen und Symptomen wie Fieberschüben, Nachtschweiss oder Diarrhöe (Phase B). Mit der weiteren Abnahme des CD4-Wertes treten immer häufiger jene schweren gesundheitlichen Störungen auf, welche als sogenannte AIDS definierende Krankheiten gelten (Phase C), insbesondere Lungentuberkulose, wiederkehrende bakterielle Lungenentzündungen oder besonders aggressive Tumore und Krebsarten (typisch der Hautkrebs Kaposi-Sarkom); bei Schädigung von Zellen des zentralen und peripheren Nervensystems können auch Hirnleistungsstörungen oder Nervenentzündungen auftreten. Während des Krankheitsverlaufs gibt der "Viral Load" (die Menge der freien Viren pro Milliliter Blutplasma) Auskunft über die Aktivität des HIV und die Kapazität des Immunsystems.

In der Schulmedizin gilt die antiretrovirale Kombinationstherapie (gleichzeitige Anwendung von Medikamenten aus verschiedenen Medikamentengruppen und mit verschiedenen Wirkstoffen) nach wie vor als die Methode zur Behandlung einer HIV-Infektion. Dabei wird versucht, die Virenvermehrung und somit die Zerstörung des Immunsystems zu stoppen; idealerweise steigt mit der Therapie der CD4-Wert wieder an und das Immunsystem kann sich teilweise erholen. Die Erkrankung an AIDS beziehungsweise das Erreichen des Stadiums C soll durch die Behandlung verhindert oder zumindest verzögert werden. Ein Patient, welcher einmal ein gewisses Stadium - etwa wie der Beschwerdeführer A2 - erreicht hat, bleibt diesem jedoch zugeordnet, selbst wenn sich der CD4-Wert aufgrund der Therapie später wieder erholt.

Bis anhin hat die ARK keine klare Praxis entwickelt, ab welchem Stadium der HIV-Infektion der Wegweisungsvollzug eines Asylbewerbers beziehungsweise Beschwerdeführers unzumutbar erscheint. Der Vollzug der Wegweisung erscheint zwar grundsätzlich zumutbar, solange das Stadium C noch nicht erreicht, das heisst AIDS noch nicht "ausgebrochen" ist. Nebst dem Stadium der HIV-Infektion ist indessen bei der Beurteilung der Frage der Zumutbarkeit auch die konkrete Situation im Heimat- oder Herkunftsland des Betroffenen, insbesondere die medizinische Versorgung, die Sicherheitslage und das persönliche Um


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-feld (Verwandtschaft, berufliche Qualifikation, finanzielle Verhältnisse) massgeblich zu berücksichtigen (vgl. in diesem Sinne auch EMARK 2003 Nr. 24, Erw. 5b, S. 157 f.). Somit kann je nach den konkreten Umständen bereits das Erreichen des Stadiums B3 oder gar B2 den Wegweisungsvollzug als unzumutbar erscheinen lassen, während umgekehrt das Auftreten von AIDS definierenden Krankheiten, mithin das Erreichen des Stadiums C, den Wegweisungsvollzug noch nicht zwingend als unzumutbar erscheinen lässt; letzteres gilt insbesondere dann, wenn der Standard der medizinischen Infrastruktur im Heimat- oder Herkunftsland mit demjenigen in der Schweiz vergleichbar ist und sich die persönliche (insbesondere die finanzielle) Situation des Beschwerdeführers so darstellt, dass davon ausgegangen werden kann, er habe dort ohne weiteres Zugang zu den vorhandenen medizinischen Institutionen.

Gemäss dem neusten sich bei den Akten befindenden ärztlichen Bericht des Kantonsspitals X. vom 22. September 2003 befindet sich die HIV-Infektion des Beschwerdeführers nach wie vor im Stadium A2. Er leidet unter keinen mit der HIV-Infektion in Zusammenhang stehenden Beschwerden; zudem hat sich der CD4-Wert dank der Therapie mit "Stocrin" und "Combivir" weiter verbessert (Erhöhung von 393 "Helferzellen" pro Mikroliter Bluter auf 415 "Helferzellen" pro Mikroliter Blut) und der "Viral Load" konnte schliesslich von 50 auf 16 Viren pro Milliliter Blut gesenkt werden. In Bezug auf die im ärztlichen Bericht vom 22. September 2003 angebrachte Bemerkung, die erforderlichen Behandlungen seien im Heimatland des Beschwerdeführers nicht gewährleistet, ist festzuhalten, dass sich die Verhältnisse in Kamerun insbesondere in den vergangenen zwei Jahren dahingehend verändert haben, dass heute verschiedene Einrichtungen zur Behandlung von HIV-Infizierten bestehen. Wie das BFF in seiner Vernehmlassung vom 13. Oktober 2003 zutreffend ausführte, können die für den Beschwerdeführer erforderlichen Behandlungen und insbesondere auch die regelmässig durchzuführenden Kontrollen insbesondere im Hôpital Central in Yaoundé und im Hôpital La Quintinie in Douala durchgeführt werden, wobei das letztere Spital auch von staatlicher Seite her damit betraut worden ist, Kliniken landesweit mit AIDS-Medikamenten zu versorgen. Daneben bieten auch verschiedene NGOs (beispielsweise die "Association des Frères et Soeurs Unies" in Yaoundé oder das "Aids Control Program" von Dr. L. Zekeng in Yaoundé) Möglichkeiten zur Behandlung einer HIV-Infektion. Darüber hinaus bietet auch das Hôpital Militaire in Douala Behandlungsmöglichkeiten und auch verschiedene Provinzspitäler fungieren als Anlaufstellen für HIV-Infizierte. Aufgrund eines entsprechenden staatlichen Projekts vom März 2001 hat die CENAME die Preise für Medikamente für die Behandlung von HIV-Infizierten massiv gesenkt. An diesem Projekt arbeiten auch das "National Committee for the Fight against AIDS" und einige pharmazeutische Firmen mit. Überdies haben sowohl die WHO als auch die EU Beiträge gesprochen, und die "Association des Frères


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et Soeurs Unies" beteiligt sich mit Beiträgen von bis zu 90 % an allfälligen Behandlungskosten; die vom Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 7. November 2003 gemachten Ausführungen, die Kosten für Behandlung und Kontrollen der HIV-Infektion seien nach wie vor sehr hoch, vermögen daher nicht zu überzeugen. Im Weiteren besteht gemäss Bericht der UNAIDS in Genf vom 19. Juni 2003 in Kamerun ein "Joint United Nations Programme on HIV/AIDS", und die kamerunische Regierung hat einen strategischen HIV/AIDS-Plan 2000 - 2005 mit dem Ziel, die Versorgung mit Medikamenten weiter zu verbessern, ins Leben gerufen. Angesichts dieser Möglichkeiten sowie angesichts der Tatsache, dass das BFF abgewiesenen HIV-positiven Asylbewerbern praxisgemäss auf Gesuch hin Rückkehrhilfe in Form von Medikamenten und allenfalls auch durch Übernahme von Kosten für notwendige Kontrollen gewährt, erscheint die Kontrolle und Behandlung der HIV-Infektion des Beschwerdeführers in Kamerun gewährleistet. In Bezug auf die Behauptung des Beschwerdeführers, in seinem Heimatort gebe es kein Spital zur Behandlung von HIV-Infizierten, ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer anlässlich der Befragungen erklärte, die letzten Jahre vor seiner Ausreise in B. gelebt und gearbeitet zu haben, und B. in einer Distanz zu Douala liegt, welche die Reise dorthin zwecks Durchführung von Kontrollen und Therapien im oben erwähnten Hôpital La Quintinie ohne weiteres als zumutbar erscheinen lässt.

Nach dem Gesagten erscheint die Rückkehr des Beschwerdeführers nach Kamerun auch unter medizinischen Gesichtspunkten als zumutbar.

cc) Schliesslich bestehen auch keine anderen Hinweise, dass der Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr nach Kamerun in eine konkrete, seine Existenz bedrohende Situation geraten könnte. Er verfügt über eine ausgezeichnete Schulbildung mit Universitätsabschluss in Geschichte und politischen Wissenschaften sowie über mehrjährige Berufserfahrung als "research assistant"; nebst seiner Muttersprache Englisch hat er auch Französischkenntnisse. Seine nächsten Angehörigen (zwei Brüder und drei Schwestern) leben offenbar nach wie vor in Kamerun und werden ihm nach seiner Rückkehr auch bei der Reintegration behilflich sein können.

dd) Angesichts der gesamten Umstände kann der Vollzug der Wegweisung des Beschwerdeführers mithin auch als zumutbar bezeichnet werden.

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