indexEMARK - JICRA - GICRA  2001 / 19
  


nexttop  2001 / 19 - 139

Auszug aus dem Urteil der ARK vom 20. März 2001 i.S. M. K., Bundesrepublik Jugoslawien (Montenegro)

Art. 32 Abs. 2 Bst. c AsylG: Nichteintreten auf Asylgesuch wegen grober Verletzung der Mitwirkungspflicht.

Eine grobe Verletzung der Mitwirkungspflicht liegt nur vor, wenn dadurch eine bestimmte, konkret vorgesehene Verfahrenshandlung verhindert wird; die Verunmöglichung einer theoretisch denkbaren Amtshandlung reicht nicht aus (Bestätigung der Rechtsprechung, vgl. EMARK 2000 Nr. 8, 1994 Nr. 15).

Art. 32 al. 2 let. c LAsi : non-entrée en matière sur une demande d'asile pour violation grave du devoir de collaboration.

Une violation grave du devoir de collaboration ne peut être retenue que lorsque, par son comportement, le demandeur a empêché la réalisation d'un acte de procédure déterminé qui avait été concrètement prévu ; l'impossibilité purement théorique d'accomplir un acte administratif ne suffit pas (confirmation de jurisprudence ; v. JICRA 2000 n° 8 et 1994 n° 15).

Art. 32 cpv. 2 lett. c LAsi: non entrata nel merito di una domanda d'asilo per violazione grave del dovere di collaborare.

Una violazione grave del dovere di collaborare sussiste unicamente allorquando siffatta violazione impedisce l'esecuzione di un determinato atto procedurale già concretamente previsto; l'impossibilità solo teorica d'effettuare un atto non è sufficiente (conferma della giurisprudenza, cfr. GICRA 2000 n. 8, 1994 n. 15).

Zusammenfassung des Sachverhalts:

Der Beschwerdeführer, ein jugoslawischer Staatsangehöriger aus Montenegro, stellte am 31. Juli 1999 ein Asylgesuch.


nextprevioustop  2001 / 19 - 140

Mit Schreiben vom 1. Oktober 1999 teilte die zuständige Fremdenpolizei dem BFF mit, dass der Beschwerdeführer unbekannten Aufenthalts sei. Unter der Rubrik "Erhebungen" wurde festgehalten, der Beschwerdeführer sei seit dem 17. September 1999 unbekannten Aufenthalts. Von der Einwohnerkontrolle und vom Durchgangszentrum würden keine diesbezüglichen Meldungen vorliegen. Unter der Rubrik "Vorladungen" hielt die Fremdenpolizei zudem ausdrücklich fest, dass der Beschwerdeführer nicht zur Anhörung vorgeladen worden sei.

Gemäss einer Gesprächsnotiz vom 21. Oktober 1999 versicherte die Fremdenpolizei gegenüber dem zuständigen Sachbearbeiter des BFF, dass der Beschwerdeführer seit dem 17. September 1999 als verschwunden gelte.

Mit Verfügung vom 27. Oktober 1999 trat das BFF gestützt auf Art. 32 Abs. 2 Bst. c AsylG auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers nicht ein, verfügte die Wegweisung und beauftragte den Kanton X. mit dem sofortigen Vollzug. Einer allfälligen Beschwerde gegen diese Verfügung wurde die aufschiebende Wirkung entzogen. Der Entscheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Beschwerdeführer mittels eines ihm an der Empfangsstelle ausgehändigten Merkblattes auf seine Mitwirkungspflicht gemäss Art. 8 AsylG aufmerksam gemacht worden sei. Es sei insbesondere darauf hingewiesen worden, dass er jede Adressänderung sogleich der Fremdenpolizei zu melden habe. Zudem sei er auch auf die Mitwirkungspflicht gemäss Art. 8 Abs. 3 AsylG aufmerksam gemacht worden, wonach er sich während des Asylverfahrens den kantonalen Behörden respektive dem BFF zwecks Abklärung der geltend gemachten Asylgründe zur Verfügung zu halten habe. Der Beschwerdeführer sei gemäss Mitteilung der Fremdenpolizei seit dem 1. Oktober 1999 unbekannten Aufenthalts. Er habe auch keinen Rechtsvertreter ernannt, über den er erreicht werden könne. Aufgrund dieser Sachlage habe dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör im Hinblick auf die Verletzung der Mitwirkungspflicht nicht gewährt werden können. Der Beschwerdeführer habe durch sein Verhalten weitere Abklärungen der geltend gemachten Schutzbedürftigkeit mutwillig verunmöglicht und dadurch seine Mitwirkungspflicht schuldhaft in grober Weise verletzt. Da er damit sein Desinteresse an der Fortsetzung des Asylverfahrens bekundet habe, bestehe kein Grund zur Annahme einer asylrechtlich relevanten Verfolgung. Deshalb könne der Grundsatz der Nichtrückschiebung gemäss Art. 5 Abs. 1 AsylG nicht angewandt werden. Im Übrigen erachtete das BFF den Vollzug der Wegweisung als zulässig, zumutbar und möglich.

Die Verfügung wurde mit der bisherigen Adresse des Beschwerdeführers versehen und am 27. Oktober 1999 versandt. Gemäss Rückschein wurde die Verfügung am 4. November 1999 dem Beschwerdeführer an einer Adresse in Y. persönlich eröffnet.


nextprevioustop  2001 / 19 - 141

In seiner Beschwerde beantragte der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, auf das Asylgesuch sei einzutreten, die Verfügung sei aufzuheben und dem Beschwerdeführer Asyl zu gewähren. Zudem sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen und dem Beschwerdeführer die unentgeltliche Prozessführung zu gewähren. Begründet wurde der Antrag bezüglich des Nichteintretens im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer dem Durchgangszentrum H. zugeteilt worden sei, in welchem ungefähr sechzig Personen in einem Keller im gleichen Zimmer wohnten. Der hygienische Zustand sei schlecht und die Infektionsgefahr gross gewesen. Der Beschwerdeführer habe den Dolmetscher - ein Albaner, welcher möglicherweise kaum die serbische Sprache beherrscht habe - gefragt, ob er privat wohnen könne, was dieser bejaht habe. Bei einem nicht erfahrenen Ausländer seien solche Fehler möglich und dürften nicht zu hart bestraft werden.

Mit Zwischenverfügung vom 6. Dezember 1999 stellte der Instruktionsrichter die aufschiebende Wirkung der Beschwerde wieder her und hiess das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gut.

Mit Schreiben vom 6. Dezember 1999 teilte die zuständige Fremdenpolizei dem BFF mit, der Beschwerdeführer seit dem 28. Oktober 1999 an der Adresse "c/o B. S. in Y." wohnhaft sei.

In ihrer Vernehmlassung vom 5. Januar 2000 beantragte die Vorinstanz die Abweisung der Beschwerde. Die in der Beschwerde vorgebrachten Gründe zum Verlassen des ihm zugewiesenen Aufenthaltsortes würden in keiner Weise die Nichtangabe der neuen Adresse rechtfertigen.

In der Replik vom 24. Januar 2000 hielt der Beschwerdeführer fest, die Unterbringung sei für ihn unerträglich gewesen. Deshalb sei er ab und zu einem Cousin gegangen.

Die ARK heisst die Beschwerde gut, hebt den angefochtenen Nichteintretensentscheid auf und weist das Verfahren zur materiellen Prüfung an das BFF zurück.

Aus den Erwägungen:

4. Nach Art. 8 Abs. 3 AsylG müssen sich Asylsuchende, die sich in der Schweiz aufhalten, während des Verfahrens den Behörden von Bund und Kantonen zur Verfügung halten. Sie müssen ihre Adresse und jede Änderung der nach kantonalem Recht zuständigen Behörden des Kantons oder der Gemeinde (kantonale Behörde) sofort mitteilen. Dies bedeutet indes nach Praxis der ARK 


nextprevioustop  2001 / 19 - 142

nicht, dass sie sich an der ihnen zugewiesenen Adresse dauernd physisch aufzuhalten haben. Gemäss Art. 12 AsylG müssen sie aber jederzeit über eine Zustelladresse postalisch erreichbar sein (EMARK 1994 Nr. 15, Erw. 6, S. 126).

a) In dieser Hinsicht fällt zunächst auf, dass die Meldung der Fremdenpolizei des Kantons X. vom 1. Oktober 1999 - mit welcher diese dem BFF mitteilte, dass der Beschwerdeführer unbekannten Aufenthalts sei - den ausdrücklichen Hinweis enthält, dass der Beschwerdeführer nicht vorgeladen worden sei. Weder die grundsätzlich für die Anhörung der Asylgesuchsteller zuständige kantonale Behörde (vgl. Art. 29 AsylG) noch das BFF haben demnach versucht, den Beschwerdeführer postalisch zu erreichen, um ihn zur Anhörung nach Art. 29 AsylG vorzuladen respektive ihm das rechtliche Gehör nach Art. 36 Abs. 2 AsylG zu gewähren. Nach EMARK 1994 Nr. 15 kann aber eine Verletzung der Mitwirkungspflicht nur dann als grob (im Sinne des Nichteintretens-Tatbestandes von aAsylG Art. 16 Abs. 1 Bst. e = Art. 32 Abs. 2 Bst. c AsylG) bezeichnet werden, wenn sie sich auf die Verhinderung einer bestimmten, konkret vorgesehenen Verfahrenshandlung bezieht; die Verunmöglichung einer theoretisch denkbaren Amtshandlung reicht nicht aus (EMARK a.a.O., Erw. 6, S. 126 f.). Diese Rechtsprechung behält auch unter dem neuen AsylG weiterhin ihre Gültigkeit, hat sich doch in Art. 32 Abs. 2 Bst. c AsylG im Vergleich zum Korrelat des aAsylG nur der Begriff der Schuldhaftigkeit geändert (gegenüber dem im aAsylG auf vorsätzliche Pflichtverletzung beschränkten Tatbestand), nicht aber das Erfordernis, dass die Verletzung der Mitwirkungspflicht auch als grob erscheinen muss (vgl. EMARK 2000 Nr. 8, S. 59 ff., insb. Erw. 5, S. 68 f., welche die zitierte Rechtsprechung nach EMARK 1994 Nr. 15 ausdrücklich bestätigt).

Eine Verletzung der Mitwirkungspflicht ist dann als grob zu bezeichnen, wenn dadurch die Abklärungen des Falles erheblich erschwert werden (vgl. W. Kälin, Grundriss des Asylverfahrens, Basel / Frankfurt a.M. 1990, S. 262). Dies ist vorliegend offensichtlich nicht der Fall, da gar keine konkrete Verfahrenshandlung anstand. Selbst wenn dem Beschwerdeführer in der fraglichen Zeit seiner Abwesenheit effektiv hätte eine Vorladung zugestellt werden sollen, wäre im Übrigen eine Behinderung des Verfahrensganges keineswegs zwingend die Folge gewesen. Es ist nämlich in der Praxis durchaus nicht unüblich, dass Gesuchsteller dafür besorgt sind, auch bei einem Wechsel ihres Aufenthaltsorts für die Behörden postalisch erreichbar zu bleiben; sei es, dass sie jemanden im Durchgangszentrum gebeten respektive beauftragt haben, ihnen die Post weiterzuleiten, oder dass sie bei der Schweizerischen Post einen Nachsendeauftrag hinterlegt haben. Der Umstand, dass dem Beschwerdeführer die angefochtene Verfügung auf postalischem Weg eröffnet wurde, ist Beleg dafür, dass er über die den Behörden bekannte Adresse erreichbar gewesen wäre und widerlegt im Übrigen die Ausführungen der Vorinstanz, wonach dem Beschwerdeführer das rechtliche 


previoustop  2001 / 19 - 143

Gehör nicht habe gewährt werden können, weil er unbekannten Aufenthalts gewesen sei.

b) Gestützt auf die obenstehenden Ausführungen ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer durch sein grundsätzlich als Verletzung der Mitwirkungspflicht zu qualifizierendes Verhalten (nicht mitteilen der Adressänderung) keine konkrete Verfahrenshandlung vereitelt hat, da eine solche gar nie in die Wege geleitet wurde. Somit ist sein pflichtwidriges Verhalten als nicht grob im Sinne von Art. 32 Abs. 2 Bst. c AsylG zu qualifizieren. Demnach ist das BFF zu Unrecht auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers vom 31. August 1999 nicht eingetreten. Demzufolge ist die Beschwerde - soweit darauf eingetreten wird - gutzuheissen. Die angefochtene Verfügung vom 27. Oktober 1999 ist aufzuheben und das BFF anzuweisen, das Asylgesuch des Beschwerdeführers in materieller Hinsicht zu prüfen.

topprevious


© 27.06.02