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Auszug aus dem Urteil der ARK vom 14. September 1998 i.S. M. B., Afghanistan

[English Summary]

Art. 1 F Bst. a FK; Art. 8 AsylG: Ausschluss von der Flüchtlingseigenschaft wegen Begehung von Kriegsverbrechen; Beweismass; Verhältnis zur Asylunwürdigkeit.

  1. Bei der Prüfung, ob "ernsthafte Gründe" für die Annahme des Ausschlusstatbestandes von Art. 1 F Bst. a FK vorliegen, ist ein tieferer Beweismassstab anzusetzen als die "überwiegende Wahrscheinlichkeit" im Sinne von Art. 12a AsylG. Es müssen jedoch zumindest substanziell verdichtete Verdachtsmomente vorliegen, welche mehr als blosse Mutmassungen sind (Erw. 5).

  2. Asylunwürdigkeit wegen Mitwirkung als Richter in einem islamischen Gericht der Mudschaheddin-Rebellen, in welchem nach unfairen Verfahren Todesurteile verhängt wurden (Erw. 6b).

Art. 1 F, let. a Conv.; art. 8 LAsi : exclusion de la qualité de réfugié pour crime de guerre; exigences en matière de preuve; comparaison avec l'indignité.

  1. Les conditions d'application de l'art. 1 F, let. a Conv. exigent un degré de preuve moindre que la "haute probabilité" requise par l'art. 12a LAsi. Il faut cependant qu'existent au moins de sérieux motifs, desquels résulte un soupçon substantiel permettant de prendre en considération un cas d'exclusion ; de simples présomptions ne suffisent pas (consid. 5).

  2. Indignité pour participation en tant que juge à un tribunal islamique des rebelles moudjahiddin ayant prononcé des sentences de mort à la suite de procédures inéquitables (consid. 6b).


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Art. 1 F lett. a Conv.; art. 8 LAsi: esclusione dalla qualità di rifugiato per avere commesso un crimine di guerra; rapporto con l'indegnità.

  1. Per dimostrare l’esistenza di una fattispecie sussumibile all’art. 1 F lett. a Conv., è sufficiente un grado di verosimiglianza ridotto rispetto a quello della probabilità preponderante di cui all’art. 12a LAsi. Tuttavia, per ritenere il citato motivo d’esclusione, non bastano semplici supposizioni, ma occorrono indizi rivelatori di una consistente probabilità della commissione del crimine (consid. 5).

  2. Indegnità per partecipazione, in qualità di giudice di un tribunale islamico dei ribelli "moudjahiddin", a pronunzie di sentenze di condanna a morte in procedure inique (consid. 6b).

Zusammenfassung des Sachverhalts:

Der Beschwerdeführer stellte am 29. August 1991 in der Schweiz ein Asylgesuch. Zu dessen Begründung machte er im Wesentlichen geltend, er habe seinen Heimatstaat verlassen müssen, weil sein Leben in Gefahr gewesen sei. Sein Vater sei unter der Herrschaft des ehemaligen afghanischen Königs Zahir Shah hoher Staatsangestellter gewesen und habe sich darüber hinaus in prominenter Weise politisch betätigt. Nach der Revolution von 1978 sei sein Vater aus diesen Gründen während beinahe zweier Jahre im Gefängnis gewesen. In dieser Zeitspanne sei er (der Beschwerdeführer) als ältester Sohn ebenfalls Ziel von Übergriffen geworden und schliesslich im Jahre 1979 - während seines Studiums der islamischen Rechtswissenschaften - selber verhaftet worden. Im Zuge einer Generalamnestie - von der auch sein Vater profitiert habe - sei er schliesslich Ende 1979 frei gekommen. Er habe in der Folge sein Studium beendet und sich danach den Mudschaheddin angeschlossen, um im Dschihad gegen das kommunistische Regime zu kämpfen. In diesem Zusammenhang sei er 1983 Mitglied der Jabhah-e Nejat-e Melli Afghanistan (Nationale Befreiungsfront Afghanistans) geworden, die sich unter der Führung von Sibghatullah Mujaddidi zu Zahir Shah bekenne. Als einziger verfügbarer Gelehrter des islamischen Rechts habe er neben der gelegentlichen Teilnahme an Kampfeinsätzen hauptsächlich Kinder verschiedener Widerstandsgruppierungen unterrichtet. Darüber hinaus sei er in richterlicher Funktion tätig gewesen; zusammen mit Mudschaheddin-Kommandanten diverser Gruppierun-


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gen und Mullahs habe er bei Verurteilungen mitgewirkt und dabei auch Todesurteile ausgesprochen. Als gemässigter Islamist, der sich für die Errichtung eines demokratischen Regierungssystems und für die Rechte der Frauen eingesetzt habe, habe er zunehmend Schwierigkeiten mit fundamentalistischen Mudschaheddin-Gruppierungen, insbesondere mit der Hezb-e Islami unter Gulbuddin Hekmatyar, bekommen. Die Hezb-e Islami habe ihn öffentlich zum Feind der islamischen Sache erklärt, was einem Todesurteil gleichkomme. Aus diesem Grund und weil er sich vor Übergriffen von Angehörigen der durch ihn verurteilten Personen gefürchtet habe, habe er sich schliesslich zur Ausreise entschlossen.

Mit Verfügung vom 31. März 1994 lehnte das BFF das Asylgesuch des Beschwerdeführers ab, verneinte dessen Flüchtlingseigenschaft und ordnete seine Wegweisung an; gleichzeitig verfügte es die vorläufige Aufnahme des Beschwerdeführers in der Schweiz. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer erfülle zwar grundsätzlich die Anforderungen an die Flüchtlingseigenschaft gemäss Art. 3 AsylG. Da er jedoch als Rechtsgelehrter bei der Verhängung von Todesurteilen gegen Kriegsgegner massgeblich beteiligt gewesen sei, habe er sich der Begehung von Kriegsverbrechen schuldig gemacht und sei deswegen in Anwendung von Art. 1 F Bst. a FK von der Flüchtlingseigenschaft auszuschliessen. Das BFF verkenne zwar nicht, dass der Beschwerdeführer diese Taten aufrichtig bereue, deshalb in eine schwere persönliche Krise geraten sei, und nun in seinem Heimatstaat gerade wegen seiner Abkehr vom früheren Rechtsempfinden verfolgt würde; diese Umstände könnten jedoch bei der Beurteilung seines Asylgesuches nicht berücksichtigt werden, komme doch Art. 1 F FK absoluter Charakter zu, weshalb namentlich bei der Anwendung von Art. 1 F Bst. a FK die Schuldminderungs- und Schuldausschliessungsgründe des Strafrechts keine Anwendung fänden. Im Rahmen des Wegweisungspunktes sei aber zu berücksichtigen, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seinen Heimatstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine nach Art. 3 EMRK verbotene Strafe oder Behandlung drohe. Eine Rückschaffung des Beschwerdeführers sei somit im gegenwärtigen Zeitpunkt völkerrechtlich nicht zulässig, weshalb er in der Schweiz vorläufig aufzunehmen sei.

Mit Eingabe vom 21. April 1994 beantragt der Beschwerdeführer die Aufhebung der angefochtenen Verfügung, die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Gewährung von Asyl.


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Das BFF beantragt in seiner Vernehmlassung vom 17. Mai 1994 die Abweisung der Beschwerde.

Die ARK heisst die Beschwerde teilweise - soweit die Frage der Flüchtlingseigenschaft betreffend - gut.

Aus den Erwägungen:

2. (...)

Gemäss Art. 1 F Bst. a FK sind die Bestimmungen der Flüchtlingskonvention nicht anwendbar auf Personen, für die ernsthafte Gründe für den Verdacht bestehen, dass sie ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen haben, die Bestimmungen zur Verhinderung solcher Verbrechen enthalten.

Einem Ausländer wird sodann kein Asyl gewährt, wenn er wegen verwerflicher Handlungen dessen unwürdig ist oder wenn er die innere oder die äussere Sicherheit der Schweiz verletzt hat oder gefährdet (Art. 8 AsylG).

3.a) Das BFF hat das Asylgesuch des Beschwerdeführers abgelehnt mit der Begründung, er habe sich im Rahmen seines Engagements für die Mudschaheddin der Begehung von Kriegsverbrechen schuldig gemacht, indem er bei der Verhängung von Todesurteilen gegen Kriegsgegner in massgeblicher Weise mitgewirkt habe. Aus diesem Grund sei er gestützt auf Art. 1 F Bst. a FK von der Flüchtlingseigenschaft auszuschliessen. An diesem Ergebnis vermöge auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer seine Taten heute aufrichtig bereue und deshalb in eine tiefe persönliche Krise geraten sei, nichts zu ändern, komme doch Art. 1 F FK absoluter Charakter zu, weshalb namentlich bei der Anwendung von Art. 1 F Bst. a FK die Schuldminderungs- und Schuldausschliessungsgründe des Strafrechts keine Anwendung fänden.

b) Der Beschwerdeführer stellt sich demgegenüber in seiner Eingabe vom 21. April 1994 auf den Standpunkt, er sei offenbar vollkommen falsch verstanden worden. Er macht geltend, bei den drei von ihm in den Befragungen genannten Personen, an deren Verurteilung zum Tode er beteiligt gewesen sei, habe es 


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sich nicht um Kriegsgegner, sondern um bewaffnete Raubmörder gehandelt, welche weder direkt dem kommunistischen Gegner noch einer Mudschaheddin-Gruppierung angehört hätten, sondern als "Miliz" im Solde der Regierung gestanden hätten. Diese Personen hätten in einem Dorf Männer umgebracht, Frauen vergewaltigt und deren Kinder getötet; ferner hätten sie Geld, Wertsachen und Waffen geraubt. Die Dorfbevölkerung habe die Mudschaheddin um Hilfe gegen diese Leute gebeten und so sei es zu den Prozessen, die mit der Verurteilung zum Tode geendet hätten, gekommen. Die Dorfbevölkerung sei Zeuge der Taten dieser Personen - die überdies auch Geständnisse abgelegt hätten - gewesen. Effektive Kriegsgegner seien demgegenüber nie vor Gericht gestellt worden. Es sei diesbezüglich unterschieden worden zwischen Parteiangehörigen, welche ohne Gerichtsverhandlung umgehend exekutiert worden seien, und Angehörigen der Regierungstruppen, die man entweder als Zwangsarbeiter eingesetzt, im Rahmen eines Gefangenenaustausches freigelassen oder - je nach militärischem Rang - unter der Auflage, nie mehr gegen die Mudschaheddin zu kämpfen, laufen gelassen habe. Mit all diesen Personen habe er jedoch nie etwas zu tun gehabt.

c) In ihrer Vernehmlassung vom 17. Mai 1994 hält die Vorinstanz den Ausführungen des Beschwerdeführers entgegen, der Beschwerdeführer habe anlässlich der Bundesanhörung unmissverständlich angegeben, dass politische Gegner auf Befehl des Richters "umgebracht" worden seien, so auch nach Urteilen, die er selber gefällt habe. Insofern gehe auch seine nachträgliche Erklärung, die Fälle von Exekutionen von Kriegsgegnern aus bestimmten politischen Parteien seien gar nie vor Gericht gekommen, fehl. Der Beschwerdeführer versuche offensichtlich im nachhinein, die von ihm mitgetragenen Todesurteile durch die Behauptung, diese seien nur gegenüber Schwerkriminellen ausgesprochen worden, zu rechtfertigen. Er sei jedoch bei seinen früheren Aussagen zu behaften, weshalb eine Anwendung von Art. 1 F Bst. a FK angezeigt erscheine.

4.a) Bevor eine Beurteilung der Tätigkeiten des Beschwerdeführers, insbesondere dessen Mitwirkung an Gerichtsverfahren, unter dem Blickwinkel von Art. 1 F Bst. a FK vorgenommen werden kann, ist zu prüfen, ob der Beschwerdeführer im heutigen Zeitpunkt die Voraussetzungen von Art. 3 AsylG (bzw. Art. 1A Ziff. 2 FK) an die Flüchtlingseigenschaft grundsätzlich überhaupt erfüllt.


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aa) Für den Zeitpunkt der Ausfällung der angefochtenen Verfügung hat das BFF diese Frage ohne nähere Begründung bejaht. Hintergrund dieser Feststellung dürfte jedoch die Tatsache gewesen sein, dass der Beschwerdeführer anlässlich der Befragungen durch die schweizerischen Asylbehörden in nachvollziehbarer Weise angegeben hatte, er habe als gemässigter Islamist, der sich für die Errichtung eines demokratischen Regierungssystems und für die Rechte der Frauen eingesetzt habe, zunehmend Schwierigkeiten mit fundamentalistischen Mudschaheddin-Gruppierungen, insbesondere der Hezb-e Islami unter Gulbuddin Hekmatyar, bekommen. Aufgrund seiner Kritik am fundamentalistischen Kurs der Hezb-e Islami und an der Zusammenarbeit Hekmatyars mit dem ehemaligen afghanischen Verteidigungsminister Tanei habe ihn diese Gruppierung öffentlich zum Feind der islamischen Sache erklärt, was einem Todesurteil gleichkomme. Der Feststellung der Vorinstanz, wonach der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der angefochtenen Verfügung die Flüchtlingseigenschaft erfüllte, kann aus den nachfolgend angeführten Gründen zugestimmt werden. Nach dem Sturz der Regierung von Mohammad Najibullah übernahm am 16. April 1992 eine erste Übergangsregierung unter dem Vorsitz von Professor Sibghatullah Mujaddidi von der Jabhah-e Nejat-e Melli Afghanistan (welche als königstreue Mudschaheddin-Gruppierung einen gemässigten Islamismus verfolgt) die Macht in Afghanistan. Unter Mujaddidis Ägide wurde die afghanische Gesellschaft zwar unter erheblicher Einschränkung von Grundrechten islamisiert; gleichzeitig kamen aber auch sämtliche im Pul-e-Charki-Gefängnis von Kabul inhaftierten - zu einem nicht unbeträchtlichen Teil gewaltlosen politischen - Gefangenen frei. Bereits im Juni 1992 wurde Mujaddidi jedoch durch Burhanuddin Rabbani von der wesentlich fundamentalistischeren Jamiat-e Islami abgelöst; die Jabhah-e Nejat-e Melli Afghanistan ist seither in der afghanischen Realität bedeutungslos. Auch die neue Regierung konnte indessen ihre Macht nicht definitiv festigen. Nach heftigen Auseinandersetzungen zwischen ihren Sicherheitskräften und insbesondere der von Gulbuddin Hekmatyar angeführten Hezb-e-Islami (welche ihrerseits die zu dieser Zeit radikalste islamische Bewegung darstellte) wurde Hekmatyar im Mai 1993 zum neuen Ministerpräsidenten ernannt, worauf seine Regierung im Juni 1993 die Amtsgeschäfte übernahm. Unter diesen Umständen hat das BFF im Zeitpunkt der Ausfällung der angefochtenen Verfügung zu Recht eine dem Beschwerdeführer drohende Gefährdung im Sinne von Art. 3 AsylG angenommen, musste er doch als Mitglied der gemässigten, königstreuen Jabhah-e Nejat-e Melli Afghanistan und angesichts seines persönlichen Hintergrundes (Vertretung eines liberalen Islamismus; enge Verwandtschaft 


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mit einem Funktionär der ehemaligen Regierung unter König Zahir Shah) durchaus mit Übergriffen seitens der regierenden Fundamentalisten rechnen.

bb) Auch im heutigen Zeitpunkt ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer begründete Furcht vor Verfolgung hat. Wie obenstehend ausgeführt, stammt der Beschwerdeführer aus einer königstreuen Familie. Sein Vater hatte unter der Herrschaft von König Zahir Shah eine höhere Beamtenstellung inne. Der Beschwerdeführer selber schloss sich einer liberalen, königstreuen Mudschaheddin-Gruppierung an, und vertritt - wie sich aus den Akten in nachvollziehbarer Weise ergibt - einen gemässigten Islamismus, wobei sich diese Tendenz im schweizerischen Exil noch verstärkt hat. Es ist daher ohne weiteres davon auszugehen, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan von den ultra-fundamentalistischen Taliban, welche in der Zwischenzeit die beinahe totale Kontrolle über das afghanische Staatsgebiet errungen haben (vgl. dazu auch EMARK 1997 Nr. 6), als Gefahr und Feind des Islamismus betrachtet würde und deshalb erheblichen Übergriffen ausgesetzt wäre.

cc) Nach dem bisher Gesagten ist zusammenfassend festzuhalten, dass der Beschwerdeführer die Anforderungen gemäss Art. 3 AsylG an die Flüchtlingseigenschaft grundsätzlich erfüllt.

5. Nachdem feststeht, dass der Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft grundsätzlich erfüllt, ist im Folgenden zu prüfen, ob ihm das BFF zu Recht den Ausschlussgrund von Art. 1 F Bst. a FK entgegenhält.

a) Internationale Vertragswerke, auf welche sich die FK in Art. 1 F Bst. a hinsichtlich der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe "Verbrechen gegen den Frieden", "Kriegsverbrechen" und "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" bezieht, wurden insbesondere in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg in beträchtlicher Anzahl ausgearbeitet. Eine umfassende Definition dieser Begriffe findet sich unter anderem in Art. 6 der sogenannten Londoner Charta des Internationalen Militärtribunals von 1945, auf welche sich das BFF unter Hinweis auf Kälin (Das Prinzip des Non-refoulement, Bern/Frankfurt a.M. 1982, S. 121) beruft. Gemäss Bst. b dieser Bestimmung gelten als Kriegsverbrechen die Verletzungen von geschriebenem oder ungeschriebenem Kriegsrecht, darunter namentlich auch die Ermordung oder Misshandlung von Kriegsgefangenen (vgl. UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Genf 1993, S. 42, Ziff. 150, sowie 


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Anhang V, S. 104). In späteren internationalen Übereinkommen wurden diese Grundsätze in der Folge ebenfalls übernommen, so unter anderem auch im Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über die Behandlung der Kriegsgefangenen (SR 0.518.42), welches in Art. 3 bestimmte Handlungen gegenüber diesen Personen verbietet, darunter Angriffe auf Leib und Leben, namentlich Mord, Verstümmelung, grausame Behandlung und Folterung (Ziff. 1, Bst. a).

b) Hinsichtlich des Beweismasses verlangt Art. 1 F FK das Vorliegen "ernsthafter Gründe" ("serious reasons"; "raisons sérieuses") für den Verdacht, dass die betroffene Person eine der in dieser Bestimmung aufgeführten Handlungen begangen hat. Das UNHCR hält diesbezüglich dafür, dass ein formeller Beweis zwar nicht erforderlich sei; in Anbetracht der schwerwiegenden Folgen, die ein Ausschluss für die betroffene Person habe, seien die Ausschlussklauseln jedoch restriktiv auszulegen (vgl. UNHCR-Handbuch, a.a.O., S. 41 f., Ziff. 149). Diese Betrachtungsweise, welche wohl davon ausgeht, dass Personen, denen einer der Ausschlussgründe gemäss Art. 1 F FK entgegengehalten wird, in der Folge in den Verfolgerstaat zurückkehren müssen (was im Zeitpunkt des Inkrafttretens der FK auch tatsächlich der Fall war), relativiert sich indessen angesichts der Tatsache, dass diese Personen in denjenigen Staaten, welche die EMRK ratifiziert haben, dem zwingenden Refoulement-Verbot von Art. 3 EMRK unterstehen. Einen wesentlich tieferen Beweismassstab postuliert denn auch Goodwin-Gill, welcher ausführt: "(...) Excluded are those 'with respect to whom there are serious reasons for considering' that they have committed a crime against peace, a war crime or a crime against humanity, which has been interpreted to require a lower standard of proof on matters of fact than a balance of probabilities (...)" (vgl. G. S. Goodwin-Gill, The Refugee in International Law, 2. Aufl., Oxford 1996, S. 97, Ziff. 4.1.2., mit Hinweis auf ein Urteil des Federal Court of Canada aus dem Jahre 1992). Auch wenn demnach bei der Prüfung von Art. 1 F FK klarerweise ein herabgesetzter Beweismassstab anzusetzen ist - der nicht unbedingt eine "überwiegende Wahrscheinlichkeit" im Sinne von Art. 12a AsylG erfordert -, müssen doch entsprechend dem Konventionstext zumindest "ernsthafte Gründe" für die Annahme eines Ausschlusstatbestandes vorliegen. Dazu braucht es zumindest substanziell verdichtete Verdachtsmomente; eine blosse Mutmassung genügt jedenfalls nicht.

c) Wie obenstehend ausgeführt, wirft das BFF dem Beschwerdeführer die Teilnahme an Kriegsverbrechen vor, welche er durch seine Mitwirkung an der 


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Verhängung von Todesurteilen gegen Kriegsgefangene begangen habe (vgl. Sachverhalt und Erw. 3a hievor). Den Ausführungen des Beschwerdeführers in der Beschwerdeeingabe, wonach es sich bei den von ihm verurteilten Personen nicht um Kriegsgegner, sondern um Gemeinkriminelle gehandelt habe, hält die Vorinstanz entgegen, der Beschwerdeführer versuche nachträglich, seine Kriegsverbrechen zu rechtfertigen; anlässlich der Bundesanhörung vom 2. März 1994 habe er jedoch unmissverständlich angegeben, dass politische Gegner auf Befehl des Richters umgebracht worden seien, so auch nach Urteilen, die er selber gefällt habe.

d) Nach Prüfung der Akten gelangt die Kommission zum Schluss, dass die bestehende Beweislage nicht ausreicht, um dem Beschwerdeführer die Beteiligung an Kriegsverbrechen im Sinne von Art. 1 F Bst. a FK vorzuhalten. Die einzigen Anhaltspunkte, welche unter dem Gesichtspunkt dieser Bestimmung relevant sein könnten, ergeben sich aus dem BFF-Protokoll betreffend die Befragung des Beschwerdeführers vom 2. März 1994, wo der Beschwerdeführer nähere Angaben zu seiner richterlichen Funktion innerhalb der afghanischen Widerstandsbewegung machte. Die von ihm genannten Beispiele von Verurteilungen, an denen er mitgewirkt habe, vermögen indessen keine "ernsthaften Gründe" für den Verdacht der Begehung von Kriegsverbrechen zu liefern, handelte es sich doch dabei um Verfahren gegen Raubmörder, den Verursacher einer fahrlässigen Tötung anlässlich einer Hochzeitsfeier, sowie einen Kollaborateur, welcher die Ermordung von Mudschaheddin gestanden hatte. Dass der Beschwerdeführer darüber hinaus an der Ermordung von politischen Gegnern, welche von den Mudschaheddin nach seinen eigenen Angaben ohne Gerichtsverhandlung "sur-le-champ" erschossen wurden, was zweifellos als völkerrechtswidrige Handlung beziehungsweise Kriegsverbrechen im Sinne von Art. 1 F Bst. a FK zu bezeichnen ist, beteiligt gewesen ist, kann aus seinen Angaben und aufgrund der gesamten Aktenlage indessen nicht in hinreichender Weise abgeleitet werden. Das BFF hält dem Beschwerdeführer zwar nicht ohne jegliche Grundlage entgegen, er habe vorgebracht, dass politische Gegner ohne vorgängigen Prozess auf Befehl des Richters umgebracht worden seien. Die entsprechenden Protokollstellen sind jedoch - entgegen der von der Vorinstanz vertretenen Auffassung - nicht "unmissverständlich". Insbesondere hat der Beschwerdeführer unmittelbar im Anschluss an die betreffenden Aussagen ein Beispiel angeführt, welches gerade nicht als Exempel für eine Ermordung von Kriegsgefangenen betrachtet werden kann. Insgesamt erscheinen die Indizien, welche für eine Beteiligung des Beschwerdeführers an völ-


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kerrechtswidrigen Handlungen sprechen, somit nicht als ausreichend, um dem von Art. 1 F FK geforderten Beweismassstab zu genügen. Im Rahmen einer antizipierten Beweiswürdigung ist ferner davon auszugehen, dass in casu auch weitere Untersuchungsmassnahmen nichts Wesentliches bringen würden, müssten sie sich doch mangels anderer tauglicher Möglichkeiten auf eine blosse erneute Befragung des Beschwerdeführers beschränken; angesichts der Tatsache, dass der Beschwerdeführer seine vor dem BFF gemachten Angaben bereits in seiner Beschwerdeeingabe präzisiert hat, ist von seiner Seite jedoch keine weitere Klärung zu erwarten.

e) Zusammenfassend ist festzuhalten, dass keine "ernsthaften Gründe" für den Verdacht bestehen, dass der Beschwerdeführer sich eines Kriegsverbrechens im Sinne von Art. 1 F Bst. a FK schuldig gemacht hat. Das BFF hat den Beschwerdeführer demnach zu Unrecht nicht als Flüchtling anerkannt.

6.a) Nachdem feststeht, dass der Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft erfüllt, bleibt im Folgenden das Vorliegen allfälliger Asylausschlussgründe zu prüfen; insbesondere stellt sich die Frage, ob der Beschwerdeführer aufgrund seiner Tätigkeiten als asylunwürdig im Sinne von Art. 8 AsylG zu bezeichnen ist (vgl. zum Verhältnis zwischen Art. 1 F FK und Art. 8 AsylG W. Kälin, Grundriss des Asylverfahrens, Basel/Frankfurt a.M. 1990, S. 160, 184 f., sowie EMARK 1996 Nr. 18, S. 173 ff., E. 5-7, und 1993 Nr. 8, S. 49 ff., E. 6). Nach dieser Bestimmung wird einer Person unter anderem dann kein Asyl gewährt, wenn sie wegen "verwerflicher Handlungen" dessen unwürdig ist.

b) Ob der Beschwerdeführer bereits aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer Mudschaheddin-Gruppierung beziehungsweise aufgrund seiner gelegentlichen Teilnahmen an Kampfeinsätzen der Mudschaheddin, bei welchen er nach eigenen Angaben selber auch eine Waffe trug und auf Angehörige der Regierungstruppen schoss, als asylunwürdig gemäss Art. 8 AsylG zu bezeichnen wäre, kann angesichts der Tatsache, dass der Beschwerdeführer aus anderen Gründen unter diese Bestimmung fällt (vgl. sogleich), offen bleiben. Immerhin ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass es sich bei den Kampfeinsätzen des Beschwerdeführers um solche militärischen Charakters im Rahmen des afghanischen Bürgerkrieges handelte, welche in der bisherigen Praxis des BFF bei Asylgesuchen afghanischer Freiheitskämpfer offenbar nicht zur Anwendung von Art. 8 AsylG führten (vgl. Kälin, a.a.O., S. 174; A. Achermann / Ch. Hausammann, Handbuch des Asylrechts, 2. Aufl., Bern 1991, S.


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164). Soweit der Beschwerdeführer darüber hinaus während Jahren in richterlicher Funktion unter anderem bei der Verhängung von Todesurteilen gegen zivile Kollaborateure und Zivilpersonen mitwirkte, gelangt die ARK demgegenüber zum Schluss, dass die Voraussetzungen zur Anwendung von Art. 8 AsylG gegeben sind. Gemäss den Erkenntnissen der Kommission entsprechen die unter der islamischen Gerichtsbarkeit in Afghanistan durchgeführten Prozesse nämlich in keiner Weise den international anerkannten Massstäben für faire Gerichtsverfahren, werden die Angeschuldigten doch in teilweise bloss wenige Minuten dauernden Schauprozessen nach den Regeln der Scharia zu oft drakonischen Strafen (wie Todesurteile, Amputationen von Körpergliedern, Steinigungen, Auspeitschungen) verurteilt. Die Verurteilten, denen schon während der pseudogerichtlichen Verfahren keinerlei adäquate Verteidigungsmittel zur Verfügung stehen, haben sodann keine Möglichkeit zur Anfechtung des Urteiles, welches meist unmittelbar nach seiner Ausfällung vollstreckt wird (vgl. dazu EMARK 1997 Nr. 6; Jahresberichte von Amnesty International der vergangenen Jahre). Die von den in Afghanistan wirkenden islamischen Gerichten ausgesprochenen Urteile können daher unter Berücksichtigung internationaler Minimal-Standards nicht als legitim zustande gekommen bezeichnet werden; bei den vollstreckten Todesurteilen handelt es sich folglich um illegitime Tötungen. Nach dem Gesagten ergibt sich somit, dass sich der Beschwerdeführer, welcher als islamischer Rechtsgelehrter über Jahre hinweg an Gerichtsverfahren, die den Anforderungen an einen "fair trial" spotten, massgeblich mitgewirkt hat, "verwerfliche Handlungen" im Sinne von Art. 8 AsylG vorwerfen lassen muss.

c) Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft zwar erfüllt, sein Asylgesuch jedoch - wie vom BFF im Ergebnis zu Recht verfügt - gestützt auf Art. 8 AsylG abzuweisen ist.

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