1996 / 16 - 148

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Übergriffe gerichtlich zur Rechenschaft gezogen worden sind, ergibt sich ein krasses statistisches Missverhältnis, denn gemäss der Auskunft eines Länderexperten wurden im gleichen Zeitraum ganze zwei Fälle bekannt, in denen serbische Polizisten wegen physischer Gewaltanwendung in Untersuchungshaft gesetzt worden sind; darüber, dass eine erstinstanzliche Verurteilung ergangen wäre, sei zwischenzeitlich nichts bekannt geworden, wobei die Ausfällung einer das gesetzlich vorgesehene Strafmass ausschöpfenden Strafe in derartigen Fällen erfahrungsgemäss unwahrscheinlich sei. Die Erklärung für dieses Missverhältnis ist gemäss den Aussagen dieses Länderexperten einerseits in der Angst der Opfer vor allfälligen weiteren Benachteiligungen bei der Einreichung einer Anzeige und andererseits in der generell geringen Sanktionswahrscheinlichkeit im Falle einer tatsächlich eingeleiteten Strafuntersuchung zu sehen. 

dd) Dass diese Bestandesaufnahme und deren Erklärung nicht nur in der vorerwähnten Zeitperiode, sondern auch in anderen Jahren Gültigkeit hatte, lässt sich beispielsweise anhand der Jahresberichte 1993 und 1994 von Amnesty International bestätigen: Die erwähnte Organisation habe in den Jahren 1992 und 1993 nahezu täglich Meldungen über Misshandlungen an ethnischen Albanern durch die serbische Polizei erhalten. Damals seien die Schicksale von 15 Folteropfern im Kosovo anhand von medizinischen Gutachten und Fotos beispielhaft dokumentiert und publiziert worden. Amnesty habe daraufhin eine Stellungnahme des jugoslawischen Justizministeriums erhalten, in der sämtliche Vorwürfe über polizeiliche Übergriffe zurückgewiesen worden seien; es sei betont worden, die Polizei habe ausschliesslich in Notwehrsituationen physische Gewalt angewandt, weswegen ihr Vorgehen rechtlich nicht zu beanstanden sei (vgl. Jahresbericht 1993, S. 279). Im Jahresbericht 1994 wird einerseits von oftmals unfairen Gerichtsverfahren gegenüber albanischen Häftlingen und andererseits vom ersten Fall seit Jahren berichtet, bei dem Ordnungskräfte im Zusammenhang mit Todesfällen in Haft strafrechtlich in erster Instanz belangt worden seien; im gleichen Atemzug werden andere Fälle von Todesfällen nach Misshandlungen in Haft oder Verschwindenlassen erwähnt, in denen die Behörden weder Untersuchungen der Misshandlungsvorwürfe noch strafrechtliche Schritte gegen die Verantwortlichen eingeleitet haben sollen (vgl. Jahresbericht 1994, S. 284 ff). In Anbetracht dieser allgemeinen Verhältnisse und unter Berücksichtigung der gerichtsnotorischen Beweisschwierigkeiten bei Fällen sexueller Gewalt ist es nachvollziehbar, dass bei den albanischstämmigen Betroffenen wenig Vertrauen in die serbische Justiz vorhanden ist und daher im allgemeinen auf die Einleitung strafrechtlicher Schritte verzichtet wird.