1996 / 5 - 40

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hang fest, die Urteilsfähigkeit im Hinblick auf das Tätigen von Rechtsgeschäften und damit wohl auch bezüglich vorzunehmender Rechtshandlungen setze regelmässig ein höheres Alter voraus als der Eintritt der Deliktsfähigkeit; im Asylverfahren - wo potentielle Eingriffe in hochrangige rechtlich geschützte Interessen in Frage stehen - dürften die Anforderungen an die Urteilsfähigkeit zumindest in materiellrechtlicher Hinsicht nicht herabgesetzt werden, da sich die Ausübung der Rechte auch zuungunsten des Unmündigen auswirken könne. Diese Erwägungen sind zutreffend (vgl. hierzu unveröffentlichtes Urteil der Asylrekurskommission vom 15.6.1994 i.S. S.K., N 260 255). Auch M.s Rechtsvertreter hatte im übrigen in verschiedenen Eingaben (an die kantonalen Behörden und ans BFF) auf die angesichts des Alters des Kindes und angesichts der Komplexität des Verfahrens fehlende Urteilsfähigkeit hingewiesen.

b) Zutreffend sind die Erwägungen der Vorinstanz, dass die Einreichung eines Asylgesuches (durch eine nicht von ihrem gesetzlichen Vertreter vertretene Person) im Sinne einer Prozessvoraussetzung die Urteilsfähigkeit des Gesuchstellers voraussetzt (vgl. R. Bersier, Droit d'asile et statut du refugié en Suisse, Lausanne 1991, S. 75). Nach Lehre und Praxis gilt die Einreichung eines Asylgesuches als höchstpersönliches Recht im Sinne von Artikel 19 Absatz 2 ZGB, welches der nicht mündige, aber urteilsfähige Gesuchsteller ohne Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters ausüben kann (Bersier, a.a.O., S. 75; A. Achermann / Ch. Hausammann, Handbuch des Asylrechts, 2. Aufl., Bern/Stuttgart 1991, S. 238 f.).

Das (frühere, inzwischen nicht mehr in Kraft stehende) Kreisschreiben des DFW vom 30. Oktober 1989 betreffend unbegleitete, minderjährige Asylbewerber (zitiert in Achermann/Hausammann, a.a.O., S. 238 f., sowie im Entscheid des Bundesrates vom 19.8.1992, VPB 1993 Nr. 34, auch publiziert in ASYL 1992/4 S. 69 f.) hielt dies ausdrücklich folgendermassen fest: "Die Einreichung eines Asylgesuches stellt ein höchstpersönliches Recht dar. Damit ein Ausländer dieses Recht auf Gesuchseinreichung wahrnehmen kann, muss er jedoch urteilsfähig sein. Das Erreichen eines bestimmten Alters ist hingegen nicht notwendig." (Ziff. 1.1 des Kreisschreibens vom 30.10.1989). Ebenso geht das heute in Kraft stehende Kreisschreiben des BFF vom 15. Februar 1995 (Kreisschreiben über die den Kantonen spezifisch bei der Behandlung von Asylgesuchen unbegleiteter Minderjähriger obliegenden Aufgaben) davon aus, dass auf das Asylgesuch eines urteilsfähigen unbegleiteten Minderjährigen einzutreten und ein Asylverfahren einzuleiten ist (vgl. etwa Ziff. 2.2.2. des Kreisschreibens vom 15.2.1995).