1996 / 4 - 27

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Urteilsunfähig im zivilrechtlichen Sinne ist eine Person, der infolge ihres Kindesalters oder infolge von Geisteskrankheit, Geistesschwäche oder anderer Ursachen die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln (Art. 16 ZGB). Die Urteilsunfähigkeit ist nicht in abstraktem Sinne festzustellen, sondern vielmehr, in relativem Sinne, bezogen auf die konkret in Frage stehenden Handlungen zu prüfen (P. Tuor/ B. Schnyder, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, Zürich 1979, S. 67 f.; M. Pedrazzini, Grundriss des Personenrechts, Bern 1982, S. 63). Vorliegend steht die Urteilsfähigkeit in Bezug auf die Durchführung eines Asylverfahrens in Frage; diese setzt voraus, dass eine Person als Asylbewerber in der Lage ist, bezüglich der in einem Asylverfahren erforderlichen Mitwirkung vernunftgemäss zu handeln und namentlich ihre Verfolgungssituation nachvollziehbar zu schildern.

b) Aufgrund der bestehenden Aktenlage muss die Urteilsfähigkeit von E. E. bezüglich der Durchführung eines Asylverfahrens offensichtlich eindeutig verneint werden.

Der Klinikpsychologe der Klinik Y gelangt aufgrund der psychoexperimentellen Abklärungen, die er am 13. Januar 1995 vorgenommen hat, zum Schluss, bei E. E. handle es sich um eine in der Kindheit und Jugend wenig geförderte, intellektuell deutlich behinderte und praktisch nur noch begrenzt förderbare, urteilsunfähige und der ständigen Fürsorge bedürftige junge Frau. Seinen Ausführungen zufolge kann E. E. im Gespräch nur einfachste Fragen, etwa nach ihrem Namen oder nach ihrer Adresse, beantworten; über ihr Alter oder ihr Geburtsdatum vermag sie keine Angaben zu machen; abstrakte Begriffe wie etwa das Datum oder die Uhrzeit vermag sie nicht zu erfassen. Nonverbale Aufgaben, wie etwa das Kopieren einfacher Formen wie Kreis, Dreieck und Viereck, vermochte die Probandin nicht zu bewältigen; ebenso vermochte sie einen Test aus einer für das siebte Altersjahr konzipierten Testreihe nicht erfolgreich zu lösen.

Die auf alltäglicher Beobachtung beruhenden Schilderungen der Ehefrau von S. E. bestätigen dieses Bild. Sie schildert, E. E. sei wie ein kleines Kind; man müsse auf sie aufpassen; sie könnte unmöglich für sich selber sorgen. Sie sei sehr willig, brauche aber Anleitung, da ihr nichts selber in den Sinn komme; unter Anleitung sei sie imstande, einfache neue Fähigkeiten zu erlernen, wobei dies nur sehr langsam und nicht aus eigenem Antrieb geschehe. In Gesprächen verstehe sie nicht alles; sie schnappe Wörter auf oder wiederhole, was man ihr sage, ohne aber selber zu denken; Zeitbegriffe oder Mengenbegriffe vermöge sie intellektuell nicht zu erfassen. E. E. könne sich selbständig anziehen und