1995 / 9 - 87

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nationalen Rechts vorgehen soll, nur dann, wenn überhaupt ein echter Konfliktfall besteht, das heisst, wenn die beiden Normen sich gegenseitig ausschliessen, sich mithin im gleichen Anwendungsbereich widersprechen. Da grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass sich der Bundesgesetzgeber an geltendes Völkerrecht halten will, ist in den meisten 'Konflikt'fällen indessen eine Interpretation möglich, die einen offenen Widerspruch zwischen Völkerrecht und Landesrecht verhindert: Es ist sowohl in der Lehre, als auch in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung unbestritten, dass nationales Recht völkerrechtskonform auszulegen ist (Epiney, a.a.O., S. 542; Stellungnahme BJ/EDA-DV, S. 419; Hangartner, AJP 1993, S. 195 f., Ziffern 3-5 sowie AJP 1995 S. 134 ff., Ziffer 2; Seiler, a.a.O., S. 378). Das Bundesgericht hat dazu im bereits zitierten 'Schubert-Fall' festgehalten, dass "(...) im Zweifel innerstaatliches Recht völkerrechtskonform auszulegen (ist), das heisst so, dass ein Widerspruch mit dem Völkerrecht nicht entsteht. An dieser Regel, die es meist erlaubt, eigentliche Konflikte zwischen den beiden Rechtsordnungen zu vermeiden, ist (nachdem das Bundesgericht sie bereits in BGE 94 I 669 begründet hatte) festzuhalten. (...)" (BGE 99 Ib 43 f., Übersetzung aus dem Italienischen, zitiert bei J.P. Müller/L. Wildhaber, Praxis des Völkerrechts, zweite Auflage, Bern 1982, S. 109). Das Bundesgericht lässt eine Auslegung gegen den klaren Wortlaut einer Norm indessen im weiteren nur zu, wenn triftige Gründe dafür bestehen, dass er nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte, dem Sinn und Zweck der Vorschrift und aus dem Zusammenhang mit anderen Gesetzesbestimmungen ergeben (vgl. BGE 111 Ia 297, 113 Ia 444). Angesichts des klaren Wortlautes von Artikel 66 Absatz 3 VwVG ist somit zu prüfen, ob derartige triftige Gründe bestehen. Gemäss Kälin liegt der Sinn und Zweck dieser Norm darin, die Rechtssicherheit zu schützen. Es sei aber ein allgemein anerkannter Grundsatz des Verwaltungsrechts, dass angesichts überwiegender anderer Interessen auf eine rechtskräftige Verfügung zurückgekommen werden könne, sodass eine teleologische Interpretation von Artikel 66 Absatz 3 VwVG einer völkerrechtskonformen Auslegung nicht entgegenstehe (Kälin, Gutachten, S. 6, Buchstabe d in fine). Dieser Auffassung ist zuzustimmen: Wie bereits erwähnt, steht hinter der Regelung von Artikel 66 Absatz 3 VwVG als Leitgedanke das Gebot der Rechtssicherheit; er soll sicherstellen, dass das Vertrauen und öffentliche Interesse an der Geltung eines einmal gefassten - und in Rechtskraft erwachsenen - Entscheides der Behörde gewahrt wird, und bewirken, dass ein Gesuchsteller diesen Entscheid nicht nach seinem Belieben immer wieder von neuem überprüfen lassen kann, mithin unter Umgehung der Rechtsmittelfristen. Damit steht die genannte Bestimmung schliesslich auch im Dienste eines ungestörten Ganges der Justiz. Auf der anderen Seite hat ein