1995 / 9 - 86

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dem Landesrecht erheische (Stellungnahme BJ/EDA-DV, S. 411 f., mit weiteren Hinweisen). Auch diesem absoluten Primat des Völkerrechts kritisch gegenüberstehende Autoren lassen dem Völkerrecht zumindest theoretisch den Vorrang, wollen im Konfliktfall jedoch - abgesehen von gewissen Ausnahmen - die lex posterior-Regel (jüngeres Recht derogiert älteres Recht) anwenden lassen (Stellungnahme BJ/EDA-DV, S. 412, mit weiteren Hinweisen). Ferner anerkennt auch das Bundesgericht grundsätzlich den Vorrang des Völkerrechts vor nationalem Recht (vgl. Epiney, a.a.O., S. 544 f., mit Hinweis auf zahlreiche - vorwiegend ältere - bundesgerichtliche Entscheide; Kälin, Kolumne, S. 75, Fussnote 16; Stellungnahme BJ/EDA-DV, S. 405 f.; Seiler, a.a.O., S. 378, Fussnote 5; Wilhelm, a.a.O., S. 209 ff.), relativiert diesen Grundsatz allerdings unter der Voraussetzung, dass der Bundesgesetzgeber bewusst gegen seine völkerrechtlichen Verpflichtungen verstossen wollte, mit der Begründung, dass Artikel 113 Absatz 3 BV dem Bundesgericht gebiete, Bundesgesetze anzuwenden (vgl. Epiney, a.a.O., S. 545, mit Hinweis auf BGE 99 Ib 39 [sog. "Schubert-Fall"] und weitere neuere Entscheide; Stellungnahme BJ/EDA-DV, S. 407 f.; Seiler, a.a.O., S. 378, Fussnoten 12 und 13). A. Epiney kritisiert - im Einklang mit einer Vielzahl weiterer Vertreter der Verwaltungsrechtslehre - diese bundesgerichtliche Einschränkung mit der Begründung, das Völkerrecht könne nicht mit innerstaatlichen Gesetzen verglichen werden, welche das Bundesgericht gemäss Artikel 113 Absatz 3 BV in jedem Falle anzuwenden habe. Die Eigenart des Völkerrechts verlange vielmehr, dass ihm allgemein ein Anwendungsvorrang zukommen müsse, sofern der internationalen Verflechtung, dem gegenseitigen Charakter völkerrechtlicher Verpflichtungen und damit der durch das Rechtsstaatsprinzip geforderten Parallelität der Formen für die Schaffung und Aufhebung von Normen Rechnung getragen werden solle. Eine Bindung an die völkerrechtlichen Verfahren sei daher unumgänglich; die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz dürften nicht durch innerstaatliche Mechanismen wieder in Frage gestellt werden, würde doch sonst dieser Aspekt des Rechtsstaatsprinzips aus den Angeln gehoben (Epiney, a.a.O., S. 557; vgl. auch Grisel, a.a.O., S. 391; Jacot-Guillarmod, Le juge national face au droit européen, S. 108 ff; Kälin, in Festgabe zum schweizerischen Juristentag 1988, Bern 1988, S. 60 ff.; Saladin, a.a.O., S. 81 f.; Wilhelm, a.a.O., S. 214; mit Einschränkungen Häfliger, a.a.O., S. 480; a.M. Hangartner, AJP 1993, S. 196 sowie AJP 1995, S. 140 f.; Seiler, a.a.O., S. 379 ff.).

d) Im vorliegenden Fall erübrigt sich - wie nachfolgend aufgezeigt - eine eingehende Auseinandersetzung mit dieser grundsätzlichen Kontroverse. Zunächst stellt sich nämlich die Frage, ob eine Regel des Völkerrechts derjenigen des