1993 / 17 - 113

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b) - Das Fehlen einer inländischen Fluchtalternative ist zwar Voraussetzung für die Flüchtlingseigenschaft gemäss Artikel 3 AsylG. Der Verweis auf mögliche Fluchtalternativen innerhalb des Heimatstaates, worauf die Vorinstanz ihren Entscheid hauptsächlich stützt, genügt jedoch nicht, um einen "Hinweis auf Verfolgung" im Sinne von Artikel 16 Absatz 2 AsylG auszuschliessen. Das Gesetz fordert ausdrücklich nicht das Glaubhaftmachen einer Verfolgung, um die sich aus dem "safe country"-Beschluss ergebende Vermutung zu widerlegen. Dies kann nur bedeuten, dass die Beweisanforderungen des Artikels 16 Absatz 2 AsylG tief anzusetzen sind und immer dann auf ein Gesuch einzutreten ist, wenn entsprechende "glaubwürdige Hinweise auf Verfolgung" vorliegen (W. Kälin, Grundriss des Asylverfahrens, Basel/Frankfurt a. M., 1990, S. 265) bzw. "Hinweise auf Verfolgung, die bei einer prima-facie-Beurteilung nicht als offensichtlich haltlos beurteilt werden müssen" (M. Gattiker, Ist die Schweiz ein sicheres Asylland?, in: ASYL 1991/3 S. 2 ff., insb. S. 5.). Eine innerstaatliche Fluchtalternative, d.h. die Frage, ob eine Verfolgungsgefahr nur in bestimmten Teilen des Herkunftslandes aktuell ist, kann nicht pauschal oder bloss im Rahmen einer solchen "prima-facie"-Prüfung beantwortet werden, sondern setzt eine genaue Prüfung der individuellen Umstände voraus. Das Argument der innerstaatlichen Fluchtalternative kann nur in ganz spezifischen Verfolgungssituationen zum Zuge kommen (Kälin, a.a.O. S. 73), wenn der Zentralstaat den Betroffenen eigentlich nicht verfolgen will, aber zu schwach ist, um ihn am Ort der Verfolgung etwa gegen Uebergriffe Privater oder gegen Amtsmissbrauch örtlicher Behörden wirksam zu schützen. Insbesondere im Fall von Sikh-Autonomisten in Indien trifft diese Voraussetzung nicht generell zu. 

Im übrigen ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von Artikel 16 Absatz 2 AsylG, dass verfolgungssichere Staaten, nicht verfolgungssichere Regionen gemeint sind (vgl. Gattiker, a.a.O. S. 4; in ähnlichem Sinne auch A. Achermann/Ch. Hausammann, Handbuch des Asylrechts, Bern/ Stuttgart, 1991, S. 299). Zum gleichen Ergebnis gelangt man aus der gesetzessystematischen Interpretation des Begriffs "Verfolgung", der in Artikel 16 Absatz 2 nichts anderes bedeuten kann als in Artikel 13. Aus den Materialien zur Entstehung dieser beiden mit dem Bundesbeschluss über das Asylverfahren (AVB) vom 22. Juni 1990 eingeführten Bestimmungen ergibt sich eindeutig, dass in beiden Artikeln vom gleichen weiten Begriff der Verfolgung auszugehen ist, welcher nicht nur die im Sinne von Artikel 3 AsylG asylrechtlich relevanten ernsthaften Nachteile umfasst, sondern auch andere Befürchtungen, welche allenfalls nur unter den Aspekten von Artikel 3 EMRK oder Artikel 14a