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Auszug aus dem Urteil der ARK vom 17. Oktober 2006 i.S. R.B.P., Nepal

Art. 14a Abs. 4 ANAG: Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs.

Analyse der allgemeinen Lage in Nepal. Die ARK erachtet aufgrund der aktuellen Entwicklung den Wegweisungsvollzug nach Nepal nicht als generell unzumutbar (Erw. 4.3.3. - 4.3.5.).

Art. 14a al. 4 LSEE : exigibilité du renvoi au Népal.

Analyse de la situation au Népal. Compte tenu des derniers développements de la situation dans ce pays, la Commission considère que l’exécution des renvois n’y est pas, d’une manière générale, inexigible (consid. 4.3.3. - 4.3.5.).

Art. 14a cpv. 4 LDDS: esigibilità dell’esecuzione dell’allontanamento verso il Nepal.

Analisi della situazione vigente in Nepal. In considerazione dei recenti sviluppi della situazione, la CRA considera l'esecuzione dell'allontanamento verso il Nepal siccome non generalmente inesigibile (consid. 4.3.3. - 4.3.5.).

Zusammenfassung des Sachverhalts:

Eigenen Angaben zufolge verliess der Beschwerdeführer am 4. August 2005 sein Heimatland und stellte am 22. August 2005 in der Schweiz ein Asylgesuch.

Zur Begründung seines Asylgesuches machte der Beschwerdeführer im Wesentlichen geltend, er habe im Dorf A. (Distrikt X.), welches sich unter Kontrolle der Maoisten befinde, einen Lebensmittelladen geführt. Die Maoisten hätten von ihm regelmässig Lebensmittel verlangt. Am 14. April 2005 hätten er und sein Vater an einer Veranstaltung der Maoisten anlässlich des nepalesischen Neujahrsfestes teilgenommen. Sein Vater habe auf Wunsch der Maoisten eine Rede gehalten. Nach etwa zwei Stunden habe die nepalesische Polizei interveniert und es sei zu einer Schiesserei gekommen. Sein Vater und einige seiner Kollegen seien dabei festgenommen worden. Der Beschwerdeführer habe von


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Nachbarn erfahren, dass zu Hause die Sicherheitskräfte auf ihn warten würden, und sich in der Folge zu seinem Onkel nach B. (Distrikt Y.) begeben. Er werde von den Sicherheitskräften gesucht, weil er beschuldigt werde, den Maoisten anzugehören. Sein Lebensmittelladen sei geschlossen worden. Vor diesem Hintergrund habe er sein Heimatland verlassen.

Mit Verfügung vom 28. Juni 2006 lehnte das Bundesamt das Asylgesuch des Beschwerdeführers ab und ordnete gleichzeitig die Wegweisung aus der Schweiz und deren Vollzug an. Als Gründe für die Verneinung der Flüchtlingseigenschaft und die Verweigerung des Asyls führte es an, die Vorbringen des Beschwerdeführers hielten den Anforderungen an Art. 3 AsylG nicht stand.

Die Beschwerde vom 2. August 2006 an die ARK richtet sich allein gegen den angeordneten Wegweisungsvollzug.

Die ARK weist die Beschwerde ab.

Aus den Erwägungen:

4.3.3. Zur nachfolgenden Analyse der allgemeinen Lage in Nepal stützt sich die Kommission unter anderem auf folgende Quellen: Human Rights Watch, Nepal’s Civil War: The conflict Resumes, 28. März 2006; Human Rights Watch, Nepal: Danger of “Disappearances” Escalates, 9. Februar 2005; International Crisis Group, Media Release, Nepal: Hold the King to His Promises, Brüssel, 9. Mai 2005; International Crisis Group, Nepal Backgrounder: Ceasefire - Soft Landing or Strategic Pause, Asia report No 50, 10. April 2003; International Crisis Group, Nepal’s Royal Coup: Making a bad situation worse, Asia Report No 91, 9. Februar 2005; International Crisis Group, Policy Briefing, Nepal: Beyond Royal Rule, 15. September 2005; International Crisis Group, Nepal’s Maoists: Their Aims, Structure and Strategy, Asia Report No 104, 27. Oktober 2005; International Crisis Group, Nepal’s new Alliance: The Mainstream Parties and the Maoists, Asia Report No 106, 28. November 2005; International Crisis Group, Nepal: From People Power to Peace?, Asia Report No 115, 10. Mai 2006; K.H. Krämer, Nepal zwischen königlicher Machtpolitik und maoistischem Aufstand: Niedergang von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten, Universität Heidelberg, 25. August 2005; ders., Department of Political Science of South Asia, South Asia Institute, University of Heidelberg, Die linke Bewegung in Nepal und die Maoisten: Hintergründe des „People’s War“, in: Südasien Nr. 16, Teil 4, S. 49-52 (1996); Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Nepal, Lagebericht, verfasst von K.H. Krämer, Bern, 30. Dezember 2005; South Asia Analysis Group, Nepal: Core Dispute is Still the „Manage-


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ment of Arms on Both Sides“ - Update No. 97, 29. Juli 2006; United Nations, Consolidated Appeals Process, Nepal 2005 - 2006, Volume 1, Volume 2; United Nations, Humanitarian Appeal 2006, Consolidated Appeals Process, Mid Year Review 2006, Nepal 2006; United Nations, OCHA Nepal Situation Overviews, April 2006 bis August 2006; United Nations High Commissioner for Human Rights, Report on the Situation of Human Rights and the Activities of her Office, Including Technical Cooperation, in Nepal, 16. Februar 2006.

4.3.4. Die „Communist Party of Nepal“ (CPN-M), eine radikal-maoistische Gruppierung, rief im Jahre 1996 den „Volkskrieg“ gegen das „reaktionäre Staatssystem“ aus. Anfang 2003 wurde zwischen den Maoisten und der Regierung offiziell ein Waffenstillstand vereinbart und am 13. März 2003 wurden schliesslich die Friedensvereinbarungen mit der Unterzeichnung eines22-Punkte-Programms beendet. Bereits am 27. August 2003 beendeten die Maoisten jedoch einseitig die Waffenruhe. Am 1. Februar 2005 setzte der König Gyanendra die Regierung ab und installierte an deren Stelle einen zehnköpfigen Ministerrat unter seinem Vorsitz. Gleichzeitig wurden der Ausnahmezustand verhängt und wesentliche Teile der Verfassung ausser Kraft gesetzt. Der König stützte seine Macht hauptsächlich auf die ihm ergebene Armee ab. Der bewaffnete Kampf intensivierte sich nun deutlich. Obwohl die Armee punktuelle Erfolge gegen die Maoisten verbuchte, konnte sie nicht verhindern, dass letztere verschiedene Regionen des Landes durch Streiks und Blockaden lahmlegten. Ebenso kam es weiterhin zu grösseren Anschlägen auf zivile und militärische Einrichtungen. Ende April 2005 wurde der Ausnahmezustand formell aufgehoben, jedoch waren zahlreiche Grundrechte noch immer aufgehoben oder eingeschränkt. Das Volk begann nun, offen gegen den König und das Regime zu demonstrieren. In der 7-Parteien-Allianz, einer demokratischen Front aus sieben Parteien, fand sich allmählich ein grösserer Zuspruch für die Wiedereinführung der demokratischen Institutionen und für die Durchführung von Gesprächen mit den Maoisten. Am 3. September 2005 erklärten die Maoisten einen einseitigen Waffenstillstand und schlossen am 22. November 2005 zusammen mit der 7-Parteien-Allianz ein 12-Punkte-Abkommen mit dem Ziel, den Bürgerkrieg zu beenden und eine Demokratie einzuführen. Am 2. Januar 2006 erklärten die Maoisten die Beendigung ihres einseitig ausgerufenen Waffenstillstands und kündigten ein breites Aktionsprogramm und einen landesweiten „Bandh“ (Generalstreik mit Verkehrsblockaden) an, um die für den 8. Februar 2006 angesetzten Lokalwahlen zu verhindern. Auch die 7-Parteien-Allianz stellte entsprechende Programme in Aussicht und rief zum Wahlboykott auf. Der von der 7-Parteien-Allianz für die Zeit vom 6. bis 9. April 2006 festgelegte Generalstreik wurde verlängert und dauerte schliesslich 19 Tage. Am 24. April 2006 musste sich der König dem Willen des Volkes beugen und setzte das von ihm vier Jahre zuvor aufgelöste Parlament wieder ein. Am 26. April 2006 erklärten die Maoisten ei-


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nen einseitigen Waffenstillstand für drei Monate; am 28. April 2006 trat das vom König im Oktober 2002 aufgelöste Parlament wieder zusammen.

Die neue Regierung verkündete am 3. Mai 2006 eine unbefristete Waffenruhe mit den Maoisten und lud diese zu Friedensgesprächen sowie zur Teilnahme an der noch zu wählenden verfassungsgebenden Versammlung ein. Die Maoisten ihrerseits zeigten sich ebenfalls zu Friedensgesprächen bereit. In einem weiteren Schritt erklärte die Regierung am 7. Mai 2006 sämtliche Verfügungen, welche während der Alleinherrschaft des Königs erlassen worden waren, für ungültig und am 18. Mai 2006 verkündete der Premierminister Koirala eine Proklamation, welche die Macht des Königs drastisch einschränkte. Bei einem Treffen am 15. Juni 2006 einigten sich Premierminister Koirala und der oberste Rebellenführer Prachanda auf ein 8-Punkte-Friedensabkommen. Die Maoisten verlängerten in der Folge am 28. Juli 2006 den Waffenstillstand um weitere drei Monate. Die Frage, welche Rollen zukünftig Waffen und Militär in Nepal spielen sollen, schälte sich bereits zu Beginn der Verhandlungen immer deutlicher als Dreh- und Angelpunkt heraus. So wurde eine weitere Verhandlungsrunde verschoben, weil die diesbezüglichen Verhandlungspositionen zu unterschiedlich waren. Ein Team der Vereinten Nationen versuchte erfolglos zu vermitteln. Am 9. August 2006 einigten sich die Regierung Nepals und die Maoisten schliesslich, dass die Vereinten Nationen die Waffenkontrolle vor den Wahlen zu einer verfassungsgebenden Versammlung übernehmen sollten, und ersuchten diese um Unterstützung im Friedensprozess. Dabei ist vorgesehen, dass die UNO die Überwachung der Menschenrechte durch das Hohe Kommissariat für Menschenrechte Nepal (OHCHR) übernimmt. Die Angehörigen der maoistischen Streitkräfte (People’s Liberation Army) sollen mit ihren Waffen bestimmten Camps zugewiesen werden, die nepalesische Armee ihrerseits soll in ihren Kasernen verbleiben. Das Monitoring und die Überwachung soll durch - durch die UNO designiertes - qualifiziertes ziviles Personal erfolgen. Die Modalitäten der Vereinbarung, inklusive der Waffen- und Munitionsfrage, sollen später gemeinsam mit der Regierung, den Maoisten und der UNO ausgearbeitet werden. Weiter ist vorgesehen, dass die UNO den Wahlprozess zur verfassungsgebenden Versammlung beobachtet. Ein Datum für die Wahlen wurde jedoch noch nicht festgelegt.

4.3.5. Zusammenfassend haben sich die Sicherheits- und Menschenrechtslage seit der Verkündung der Maoisten, den Waffenstillstand zu verlängern, erheblich verbessert. Es gehen zwar noch immer Berichte über Plünderungen, Erpressungen und Entführungen ein. Die Zahl der Tötungen ist seit der Waffenruhe jedoch bedeutend zurückgegangen. Nach dem 10-jährigen bewaffneten Konflikt hat Nepal noch immer mit Menschenrechtsverletzungen zu kämpfen, die Waffenruhe ist fragil und die Zukunft der Friedensverhandlungen offen. Jedoch ist


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nach Ansicht der Kommission mit der Entmachtung des Königs, der Unterstellung von Armee, Polizei und Exekutivorganen unter die Führung des Parlaments, der massiven Kürzung des königlichen Ausgabenetats und der Zustimmung zu einem weitgehenden UNO-Monitoring die Ausgangslage für eine positive Entwicklung in Nepal geschaffen worden und sind deutliche Anzeichen für eine Befriedung und Stabilisierung des Landes vorhanden. Insbesondere die am 9. August 2006 erzielte Einigung zwischen den Maoisten über den Einbezug der UNO wird von allen Seiten als wichtiger Schritt für den Friedensprozess in Nepal bezeichnet und dürfte sich positiv auf den weiteren Verlauf auswirken. Es kann daher nicht von einer allgemeinen Lage gesprochen werden, die durch Krieg, Bürgerkrieg oder durch eine Situation allgemeiner Gewalt gekennzeichnet ist. Die ARK erachtet deshalb den Vollzug der Wegweisung nach Nepal nicht als generell unzumutbar.

4.4. Vorliegend sind auch aufgrund der individuellen Situation des Beschwerdeführers keine Gründe ersichtlich, die gegen die Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs sprechen. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in sein Heimatland Lebensumständen ausgesetzt wird, die ihm eine menschenwürdige Existenz verunmöglichen würden. Der gemäss den Akten soweit gesunde Beschwerdeführer verfügt über eine Schulbildung, hat als Landwirt gearbeitet und ein Lebensmittelgeschäft geführt. Weiter ist zu berücksichtigen, dass trotz des unbekannten Aufenthaltsortes seines Vaters zwei Tanten und zwei Onkel mütterlicherseits in B. leben und der Beschwerdeführer somit - entgegen seinen Ausführungen in der Beschwerdeschrift - auf ein bestehendes Beziehungsnetz zurückgreifen kann. Aufgrund dieser Erkenntnisse kann dem Beschwerdeführer zugemutet werden, allenfalls auch eine innerstaatliche Aufenthaltsalternative in Anspruch zu nehmen. Es liegen somit genügende Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seine Heimat aus eigener Kraft wie allenfalls auch durch die Unterstützung des nach wie vor bestehenden familiären Umfeldes eine neue Existenzgrundlage erarbeiten kann. Schliesslich kann auch aus den Hinweisen in der Beschwerde, die Zivilbevölkerung leide unter den Zwangsabgaben an die Maoisten und diese würden ihn sämtlicher Finanzmittel berauben, sollte er das Lebensmittelgeschäft wieder eröffnen, nicht abgeleitet werden, der Vollzug der Wegweisung sei unzumutbar. Der Beschwerdeführer befand sich vor der Ausreise aus seiner Heimat nicht in einer existenzbedrohenden Situation, gab er doch an, der grosse und im Übrigen einzige Lebensmittelladen im Dorf sei sehr gut gelaufen. Von den Zwangsabgaben ist ein grosser Teil der nepalesischen Bevölkerung in gleichem Masse betroffen, weshalb auch nicht auf eine konkrete Gefährdung des Beschwerdeführers geschlossen werden kann. Im Übrigen beabsichtigt die nepalesische Regierung gemäss einem am 22. September 2006 im Internet


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veröffentlichten Bericht, die Ausgaben der maoistischen Streitkräfte zu decken, um die Zwangsabgaben durch die Maoisten in Zukunft zu stoppen.

Insgesamt dürfte für den Beschwerdeführer in erster Linie die prekäre Wirtschaftslage eine Schwierigkeit darstellen. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass die Kommission sich wiederholt dahingehend geäussert hat, dass „blosse“ soziale und wirtschaftliche Schwierigkeiten, wie insbesondere der Mangel an Wohnungen und Arbeitsplätzen, von welchen die ansässige Bevölkerung im Allgemeinen betroffen ist, keine existenzbedrohende Situation darstellen, welche den Wegweisungsvollzug von vornherein als unzumutbar erscheinen liesse (EMARK 2003 Nr. 24, Erw. 5e, S. 159; 1994 Nr. 19, Erw. 6b, S. 148 f.). Ohne die Schwierigkeiten bei einem Neustart, die der Beschwerdeführer in seiner Heimat zweifellos antreffen wird, verkennen zu wollen, ist der Wegweisungsvollzug insgesamt als zumutbar zu bezeichnen.

 

 

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© 29.12.06