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Auszug aus dem Urteil der ARK vom 9. Juni 2006 i.S. Z.M., Irak

Art. 65 Abs. 2 VwVG; Art. 107 AsylG, Art. 45 VwVG: Keine selbstständige Anfechtung einer Zwischenverfügung des BFM über die unentgeltliche Verbeiständung.

1. Art. 107 AsylG schliesst - wie bereits Art. 46a aAsylG - im Asylverfahren als lex specialis die Anwendung von Art. 45 VwVG aus (vgl. den unter dem alten AsylG getroffenen Grundsatzentscheid EMARK 1993 Nr. 28) (Erw. 1.4. und 1.5.).

2. Eine während hängigem erstinstanzlichem Asylverfahren vom BFM erlassene Zwischenverfügung, mit welcher ein Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung abgewiesen wird, kann erst mit dem Endentscheid über das Asylgesuch angefochten werden (Erw. 1.5. und 1.6.).

Art. 65 al. 2 PA ; art. 107 LAsi, art. 45 PA : pas de possibilité de recours séparé contre une décision incidente de l’ODM relative à l’assistance judiciaire.

1. Loi spéciale, comme l’était déjà l’art. 46a aLA (ancienne loi sur l’asile), l’art. 107 LAsi exclut l’application de l’art. 45 PA en procédure d’asile (cf. décision de principe in JICRA 1993 n° 28 prise sous l’empire de l’ancienne loi sur l’asile) (consid. 1.4. et 1.5.).

2. La décision incidente par laquelle l’ODM rejette une demande d’assistance judiciaire ne peut être contestée que dans le cadre d’un recours contre la décision finale (consid. 1.5. et 1.6.).

Art. 65 cpv. 2 PA; art. 107 LAsi, art. 45 PA: non è possibile impugnare a titolo indipendente una decisione incidentale dell'UFM relativa al gratuito patrocinio.

1. L'art. 107 LAsi - nella legge previgente l'art. 46a pLAsi - è una disposizione speciale che esclude l'applicazione dell'art. 45 PA in materia d'asilo (v. la decisione di principio di cui a GICRA 1993 n. 28, resa in applicazione della legge previgente) (consid. 1.4. e 1.5.).


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2. Una decisione incidentale dell'UFM - mediante la quale è stata respinta una domanda di gratuito patrocinio - è impugnabile solo congiuntamente al ricorso inoltrato contro la decisione finale (consid. 1.5. e 1.6.).

Zusammenfassung des Sachverhalts:

Mit Verfügung vom 19. August 2002 lehnte das Bundesamt das Asylgesuch des Beschwerdeführers vom 29. März 2002 ab und ordnete dessen Wegweisung aus der Schweiz an. Gleichzeitig qualifizierte es den Vollzug der Wegweisung als unzumutbar und verfügte deshalb die vorläufige Aufnahme des Beschwerdeführers in der Schweiz.

Die gegen diese Verfügung im Asylpunkt erhobene Beschwerde wurde von der ARK mit Urteil vom 14. Juli 2003 in dem Sinne gutgeheissen, dass die Verfügung der Vorinstanz vom 19. August 2002 aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen wurde.

Mit Eingabe vom 20. August 2003 ersuchte der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter die Vorinstanz um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung gemäss Art. 65 Abs. 2 VwVG für das gesamte weitere erstinstanzliche Asylverfahren. Dieses Begehren wurde von der Vorinstanz mit Zwischenverfügung vom 18. September 2003 abgewiesen.

Mit an die ARK gerichteter Eingabe vom 29. September 2003 erhob der Beschwerdeführer Beschwerde gegen diese vorinstanzliche Zwischenverfügung und beantragte deren Aufhebung sowie die Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung für das erstinstanzliche Verfahren. In formeller Hinsicht ersuchte er um Sistierung des erstinstanzlichen Asylverfahrens sowie um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung gemäss Art. 65 Abs. 1 und 2 VwVG für das vorliegende Beschwerdeverfahren.

Mit Zwischenverfügung vom 14. Oktober 2003 wies der Instruktionsrichter die Vorinstanz an, das erstinstanzliche Asylverfahren bis zum Abschluss des vorliegenden Beschwerdeverfahrens zu sistieren, hiess die Gesuche um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung gemäss Art. 65 Abs. 1 und 2 VwVG für das Beschwerdeverfahren gut und verzichtete auf die Erhebung eines Kostenvorschusses.

In ihrer Vernehmlassung vom 4. März 2005 hielt die Vorinstanz an der angefochtenen Zwischenverfügung fest und beantragte die Abweisung der Beschwerde.


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Mit Replik vom 25. Mai 2005 hielt der Beschwerdeführer seinerseits an seinen Beschwerdeanträgen fest.

Die ARK tritt auf die Beschwerde nicht ein.

Aus den Erwägungen:

1.
1.1. In formeller Hinsicht stellt sich zunächst die Frage, ob die Verfügung der Vorinstanz vom 18. September 2003 überhaupt eine selbstständig anfechtbare Zwischenverfügung ist und damit ein taugliches Anfechtungsobjekt darstellt.

1.2. Die Vorinstanz führte in der Rechtsmittelbelehrung zur angefochtenen Zwischenverfügung aus, dass diese gemäss Art. 107 Abs. 1 AsylG eine erst mit dem Endentscheid anfechtbare Zwischenverfügung darstelle. Der Beschwerdeführer stellt sich hingegen auf den Standpunkt, dass vorliegend Art. 45 Abs. 2 VwVG zur Anwendung komme, gemäss dessen Bst. h auch Zwischenverfügungen über die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege selbstständig anfechtbar seien, wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirkten.

1.3. Vorab ist festzustellen, dass die ARK sich in zwei publizierten Entscheiden (EMARK 2001 Nr. 11, 2004 Nr. 9) mit gegen die Verweigerung der unentgeltlichen Verbeiständung im erstinstanzlichen Verfahren gerichteten Beschwerden befasst hat. In diesen Fällen hatte jedoch die Vorinstanz erst nachdem sie bereits materiell über die Asylgesuche befunden und den jeweiligen Beschwerdeführern Asyl gewährt hatte, eine Verfügung bezüglich der unentgeltlichen Verbeiständung erlassen. Demzufolge war nur diese Frage strittig und somit eine Beschwerde bezüglich der Frage des Asyls beziehungsweise der Wegweisung ausgeschlossen. Im vorliegenden Fall erging jedoch die angefochtene Verfügung vom 18. September 2003 im Laufe des wieder aufgenommenen erstinstanzlichen Verfahrens, welches nach wie vor hängig ist. Eine Rüge dieses Verfahrensentscheids des Bundesamts ist also im Rahmen einer allfälligen Beschwerde in der Hauptsache möglich. Die Ausgangslage ist somit eine grundsätzlich andere als in den oben zitierten Entscheiden, weshalb der Beschwerdeführer aus dem Umstand, dass die ARK in diesen Fällen die gegen die Verweigerung der unentgeltlichen Verbeiständung durch das Bundesamt gerichteten Beschwerden jeweils entgegennahm, nichts zu seinen Gunsten ableiten kann.

1.4. Die Bestimmung von Art. 107 AsylG führt zur Frage der Anfechtbarkeit von Zwischenverfügungen aus, dass Zwischenverfügungen, die in Anwendung der Art. 10 Abs. 1 - 3 und 18 - 48 dieses Gesetzes sowie von Art. 22a des


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ANAG ergehen, nur durch Beschwerde gegen die Endverfügung angefochten werden können. Vorbehalten bleibe die Anfechtung von Verfügungen nach Art. 27 Abs. 3 AsylG (Abs. 1). Selbstständig anfechtbar sind gemäss Abs. 2, sofern sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können, vorsorgliche Massnahmen (Bst. a) sowie Verfügungen, mit denen das Verfahren sistiert wird, ausser Verfügungen nach Art. 69 Abs. 3 AsylG (Bst. b). Selbstständig anfechtbar sind zudem gemäss Abs. 3 Verfügungen über die vorläufige Verweigerung der Einreise sowie über die Zuweisung eines Aufenthaltsortes am Flughafen (Art. 22 Abs. 1 und 2 AsylG). In Art. 107 des revidierten Asylgesetzes wurde der materielle Gehalt von Art. 46a aAsylG grundsätzlich unverändert übernommen (vgl. Botschaft zur Totalrevision des Asylgesetzes sowie zur Änderung des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom 4. Dezember 1995, BBl 1996 II 111). Insbesondere entsprechen Art. 46a Bst. a und b aAsylG wörtlich Art. 107 Abs. 2 Bst. a und b des geltenden Asylgesetzes. Die zu Art. 46a aAsylG entwickelte Rechtsprechung der ARK ist somit auch auf Art. 107 des revidierten Asylgesetzes anwendbar.

1.5. In einem publizierten Grundsatzentscheid vom 6. September 1993 betreffend die Anfechtbarkeit von Zwischenverfügungen über die Akteneinsicht gelangte die ARK zum Schluss, dass Art. 46a aAsylG im Asylverfahren als lex specialis die Anwendung von Art. 45 VwVG ausschliesse. Mit Ausnahme der in Art. 46a Bst. a und b aAsylG abschliessend aufgezählten Fälle seien Zwischenverfügungen im Asylverfahren nicht selbstständig anfechtbar (vgl. EMARK 1993 Nr. 28, Erw. 2b, S. 192). Zur Begründung wurde namentlich auf die Botschaft zum Bundesbeschluss vom 22. Juni 1990 über das Asylverfahren verwiesen, in welcher die Expertenkommission ausführte, dass die selbstständige Anfechtbarkeit von Zwischenverfügungen, welche einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken könnten, in Abweichung von Art. 45 Abs. 2 VwVG eingeschränkt werde. Entsprechende Rügen gegen die Verfahrensführung der ersten Instanz seien, mit Ausnahme der in Art. 46a Bst. a und b aAsylG genannten Kategorien, durch Beschwerde in der Hauptsache einzubringen und die Beschwerdeinstanz könne im Falle einer unheilbaren Verletzung verfassungsmässig garantierter Rechte den erstinstanzlichen Entscheid aufheben. Diese Regelung diene dem Zweck der Verfahrensbeschleunigung (BBl 1990 II 661).

Aus diesen Ausführungen sowie dem Wortlaut von Art. 107 AsylG ist also der klare Wille des Gesetzgebers ersichtlich, im Asylrecht die selbstständige Anfechtbarkeit von Zwischenverfügungen auf die in Abs. 2 und 3 dieser Bestimmung ausdrücklich genannten Verfügungsarten (vorsorgliche Massnahmen, Sistierung des Verfahrens, Verfügungen über die vorläufige Verweigerung der Einreise sowie über die Zuweisung eines Aufenthaltsortes am Flughafen) zu beschränken, ungeachtet allfälliger dadurch entstehender Nachteile für die betrof-


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fenen Beschwerdeführer. Die in Art. 107 Abs. 2 Bst. a und b AsylG genannten Kategorien von Verfügungen entsprechen denjenigen von Art. 45 Abs. 2 Bst. c und g VwVG. Da Verfügungen betreffend die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege in Art. 45 Abs. 2 Bst. h VwVG gesondert genannt werden, ist zu folgern, dass diese zu den Arten von Verfügungen gehören, deren selbstständige Anfechtbarkeit im Asylverfahren ausgeschlossen werden sollte, und dass sie nicht unter Art. 107 Abs. 2 Bst. a und b AsylG subsumiert werden können.

1.6. Im Übrigen ist seit der Einführung von Art. 46a aAsylG beziehungsweise von Art. 107 AsylG keine derartige Veränderung der Verhältnisse oder Entwicklung der (Rechts-)Anschauung eingetreten, dass sich aufgrund einer geltungszeitlichen Auslegung eine andere Anwendung dieser Norm aufdrängen würde (vgl. BGE 105 IB 60 E. 5a; U. Häfelin/W. Haller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 6. Aufl., Zürich u.a. 2005, S. 36 ff.).

Der Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung im nichtstreitigen Verfahren, welcher nunmehr auch in der neuen Bundesverfassung verankert ist (Art. 29 Abs. 3 BV, vgl. Botschaft über eine neue Bundesverfassung, BBl 1997 I 181 f.), wurde zwar, soweit das Asylverfahren betreffend, durch die Rechtsprechung der ARK erst in einem späteren Zeitpunkt ausdrücklich festgestellt (vgl. EMARK 2001 Nr. 11). Bereits zuvor hatte das Bundesgericht aber einen direkt aus Art. 4 aBV fliessenden Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege auch im nichtstreitigen Verwaltungsverfahren anerkannt (vgl. BGE 114 V 229 ff.). Es ist ohne weiteres davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die Einführung von Art. 46a aAsylG in Kenntnis dieser bundesgerichtlichen Rechtsprechung und somit die Einschränkung der selbstständigen Anfechtbarkeit von Zwischenverfügungen im Asylverfahren im Bewusstsein vornahm, dass auch Zwischenverfügungen bezüglich der Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege im erstinstanzlichen Verfahren davon betroffen sein würden; umso mehr gilt dies hinsichtlich der inhaltlich unveränderten Überführung dieser Bestimmung in Art. 107 AsylG zu einem Zeitpunkt, als die bundesgerichtliche Rechtsprechung in diesem Bereich als gefestigt erachtet werden konnte (vgl. BGE 122 I 267 ff., Erw. 2).

1.7. Angesichts dieser Umstände gelangt die Kommission zum Schluss, dass aufgrund des klaren Wortlautes von Art. 107 AsylG die selbstständige Anfechtbarkeit von Zwischenverfügungen des BFM betreffend die Frage der Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung gemäss Art. 65 Abs. 2 VwVG zu verneinen ist.

1.8. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass mangels Bestehens eines tauglichen Anfechtungsobjekts auf die vorliegende Beschwerde nicht einzutreten ist. Bei dieser Sachlage ist die mit Zwischenverfügung vom 14. Oktober 2003 angeordnete


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Sistierung des erstinstanzlichen Asylverfahrens aufzuheben und die Akten sind zur Fortsetzung des Verfahrens an das BFM zu übermitteln.

 

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