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Auszug aus dem Urteil der ARK vom 28. Februar 2002 i.S. A. B., Bundesrepublik Jugoslawien (Kosovo)

Art. 32 Abs. 2 Bst. b AsylG, Art. 1 Bst. a AsylV 1: Täuschung über die Identität; Überprüfbarkeit einer behaupteten gemischt-ethnischen Abstammung; rechtliche Schwierigkeiten mit dem Begriff der Ethnie.

Ein Nichteintretensentscheid wegen Identitätstäuschung lässt sich nur dann auf eine Lingua-Analyse stützen, wenn diese mit hinreichender Sicherheit Aussagen über ein überprüfbares Identitätsmerkmal macht. Im konkreten Fall einer behaupteten gemischt-ethnischen Abstammung (der eine Elternteil sei Ashkali) wird dies verneint.

Art. 32 al. 2 let. b LAsi, art. 1 let. a OA 1 : tromperie sur l'identité ; possibilité de vérifier l'allégation selon laquelle on est d'origine ethnique mixte ; problèmes juridiques liés à la notion d'ethnie.

Une décision de non-entrée en matière pour dissimulation d'identité ne peut être fondée sur une analyse Lingua que lorsque les conclusions de celle-ci dégagent, avec une sécurité suffisante, les caractéristiques de l'identité à établir. En l'espèce, l'analyse pratiquée ne permet pas d'exclure l'origine mixte (un des parents serait ashkali) invoquée par le recourant.

Art. 32 cpv. 2 lett. b LAsi, art. 1 lett. a OAsi 1: inganno sull'identità; possibilità di verificare un'allegata origine etnica mista; problemi giuridici legati alla nozione d'etnia.

Una decisione di non entrata nel merito, per inganno sull'identità, può essere fondata su un'analisi Lingua solo allorquando dalle risultanze della stessa è possibile dedurre, con sufficiente sicurezza, i tratti caratteristici dell'identità del soggetto. Nel caso in esame, l'analisi in questione non permette d'escludere l'allegata origine etnica mista (un genitore sarebbe Ashkali).


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Zusammenfassung des Sachverhalts:

Der Beschwerdeführer stellte am 30. Oktober 2001 ein Asylgesuch. Anlässlich der Kurzbefragung in der Empfangsstelle machte er im Wesentlichen geltend, seine Mutter sei albanischer Ethnie, sein Vater Ashkali. Er selbst bezeichnete sich als Ashkali. Während des Kosovo-Krieges habe er sich neutral verhalten. Nach Kriegsende sei er von unbekannten Personen zweimal bedroht und aufgefordert worden, sein Heimatland zu verlassen. Er habe sich an die Behörden gewandt, ohne dass diese etwas zu seinem Schutz unternommen hätten. In Anbetracht dieser Sachlage sei er ausgereist.

Das BFF erteilte zur Bestimmung der Ethnie des Beschwerdeführers den Auftrag zur Erstellung eines Lingua-Gutachtens. Im Bericht des beauftragten Gutachters vom 12. November 2001 wurde festgehalten, dass der Beschwerdeführer aufgrund sprachlicher Merkmale und seiner mangelhaften Kenntnisse über die angebliche Ethnie eindeutig ein ethnischer Albaner aus dem Kosovo sei.

Im Rahmen des am 15. November 2001 gewährten rechtlichen Gehörs zu diesem Ergebnis legte der Beschwerdeführer dar, dass sein Vater Ashkali und seine Mutter eine ethnische Albanerin sei. Er räumte ein, nicht in der Lage gewesen zu sein, substanziierte Angaben zu den Sitten und Gebräuchen der Ashkali zu machen. Dies sei darauf zurückzuführen, dass er als Moslem in seinem Dorf unter Albanern gelebt habe. Er habe sich in seiner Lebensweise nicht von derjenigen der Albaner unterschieden. Auf Vorhalt, im Rahmen der besagten Analyse seine Mutter (und nicht seinen Vater) als Ashkali bezeichnet zu haben, legte er dar, eine solche Aussage jedenfalls nicht bewusst gemacht zu haben.

Mit Verfügung vom 20. November 2001 trat das BFF in Anwendung von Art. 32 Abs. 2 Bst. b AsylG auf das Asylgesuch nicht ein. Gleichzeitig ordnete es die Wegweisung aus der Schweiz an und erachtete deren Vollzug als zulässig, zumutbar und möglich. Einer allfälligen Beschwerde gegen die Verfügung wurde die aufschiebende Wirkung entzogen. Zur Begründung wurde vorgebracht, es stehe aufgrund des Analyseergebnisses fest, dass der Beschwerdeführer ethnischer Albaner sei. Wenn der Vater beziehungsweise die Mutter tatsächlich Ashkali wären, hätte der Gesuchsteller mit Sicherheit zumindest gewisse Angaben zu dieser Ethnie machen können.

Mit Eingabe vom 20. November 2001 beantragte der Beschwerdeführer die Aufhebung der angefochtenen Verfügung und die Gewährung des Asyls. Eventualiter sei die Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs festzustellen und die vorläufige Aufnahme anzuordnen. Ferner sei die unentgeltliche Rechtspflege zu


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gewähren. Zur Begründung wurde vorgebracht, dass der Beschwerdeführer als Ashkali in seinem Heimatland verfolgt werde.

Mit Zwischenverfügung vom 21. November 2001 setzte der Instruktionsrichter der ARK den Vollzug der Wegweisung einstweilen aus.

Mit Zwischenverfügung vom 5. Dezember 2001 wurde die aufschiebende Wirkung der Beschwerde wieder hergestellt und antragsgemäss auf die Erhebung eines Kostenvorschusses verzichtet. Bezüglich des Gesuchs um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege nach Art. 65 Abs. 1 VwVG wurde auf den Endentscheid verwiesen.

Die Vorinstanz beantragte in ihrer Vernehmlassung vom 18. Dezember 2001 die Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer sei nicht in der Lage gewesen, auch nur eine einzige richtige Antwort zu den Sitten und Gebräuchen der Ashkali zu machen. Es könne mithin nicht davon ausgegangen werden, dass sein Vater Ashkali sei.

Der Beschwerdeführer hielt in seiner Replik vom 16. Januar 2002 an seinen Anträgen fest.

Die ARK heisst die Beschwerde gut und weist die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück.

Aus den Erwägungen:

2. Die Anwendung von Art. 32 Abs. 2 Bst. b AsylG setzt voraus, dass der Gesuchsteller die Behörden im Rahmen eines Asylverfahrens (vgl. EMARK 1996 Nr. 32) über seine Identität täuscht und diese Täuschung aufgrund der Ergebnisse der erkennungsdienstlichen beziehungsweise daktyloskopischen Behandlung oder anderer Beweismittel feststeht. Der Begriff der Identität im asylrechtlichen Sinn ist in Art. 1 Bst. a AsylV 1 definiert und umfasst unter anderem auch die Ethnie.

3. a) Nachfolgend ist zu prüfen, ob die Vorinstanz zu Recht davon ausgegangen ist, aufgrund der durchgeführten Lingua-Analyse stehe fest, dass der Beschwerdeführer über seine Identität getäuscht habe.

b) Gemäss Art. 1 Bst. a AsylV 1 stellen namentlich die Staatsangehörigkeit und die Ethnie ein Element der Identität dar. Stünde aufgrund des vorliegenden Lingua-Gutachtens mit hinlänglicher Sicherheit fest, dass der Beschwerdeführer


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entgegen seinen Angaben, wonach die Mutter Albanerin und der Vater Ashkali sei, nicht einer gemischt-ethnischen Familie entstamme, könnte daher wohl von einer Identitätstäuschung im Sinne von Art. 32 Abs. 2 Bst. b AsylG ausgegangen werden. Dies ist indessen nicht der Fall. Es stellt sich vorab die Frage, ob besagter Test überhaupt ein geeignetes Mittel darstellt, die für einen Elternteil eines Beschwerdeführers geltend gemachte ethnische Zugehörigkeit zu verifizieren beziehungsweise zu widerlegen, zumal die eigentlich relevante Person ja gar nicht als Proband auftritt. Die impliziten Erwägungen des BFF, wonach der Vater des Beschwerdeführers kein Ashkali sei, vermögen demnach nicht zu überzeugen. Zwar hat der Beschwerdeführer wiederholt angegeben, selbst Ashkali zu sein. Auf den Vorhalt, nichts über die angebliche Ethnie zu wissen, gab er insoweit nachvollziehbar an, er habe bisher unauffällig unter Albanern gelebt und sei so sozialisiert worden. Der Umstand, wonach die gemischt-ethnische Abstammung im Lichte der Ereignisse nach dem Kosovokrieg an Bedeutung gewonnen hat und davon Betroffene wie möglicherweise der Beschwerdeführer - auch wenn er sich im bisherigen Leben kaum mit seinen ethnischen Wurzeln befasst hat - die Wichtigkeit der ethnischen Zuordnung hervorheben, kann im vorliegenden Fall mithin nicht mit einem Nichteintretensentscheid wegen Identitätstäuschung sanktioniert werden. Die Lingua-Analyse lässt jedenfalls den Schluss, beide Elternteile des Beschwerdeführers und er selbst gehörten der albanischen Ethnie an, nicht mit der hier erforderlichen Sicherheit zu.

Der vorliegende Fall zeigt denn auch die rechtlichen Schwierigkeiten mit dem Begriff der "Ethnie". Abgesehen davon, dass viele Menschen sich keiner Ethnie zuordnen und der Begriff nicht wissenschaftlich zweifelsfrei bestimmbar ist, was einer objektiven Zuordnung, wie sie das BFF mittels der Lingua-Analyse versucht hat, an sich schon in vielen Fällen entgegensteht, können auch das ethnische Eigenverständnis und die von Dritten erfolgte ethnische Zuordnung auseinanderklaffen. Handelt es sich dabei noch um eine Ethnie, die schon als solche eine Vermischung darstellt (Ashkali als gegenüber der albanischen Ethnie assimilierte Roma) und besteht diese Vermischung zudem noch hinsichtlich der eigenen gemischt-ethnischen Eltern, verliert dieses Kriterium vollends den Charakter als Identitätsmerkmal im Sinne von Art. 32 Abs. 2 Bst. b AsylG. Fraglich erscheint ferner, ob eine blosse Falsch-Beantwortung der behördlichen Frage nach der Ethnie des Asylsuchenden für sich allein bereits eine Täuschung über die Identität im Sinne der fraglichen Gesetzesbestimmung sein kann, wenn der Asylsuchende - wie im vorliegenden Fall - aus dieser Angabe gar nichts zu seinen Gunsten ableitet.

c) Nach dem Gesagten ist die Beschwerde gutzuheissen, soweit die Aufhebung der angefochtenen Verfügung beantragt wird. Die Sache ist zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

topprevious


© 29.07.02