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Auszug aus dem Urteil der ARK vom 26. September 2000 i.S. F.P., unbekannter Staatsangehörigkeit

[English Summary]

Art. 32 Abs. 2 Bst. b AsylG: Nichteintreten auf Asylgesuch wegen Täuschung über die Identität; Substitution der Motive.

Eine Knochenalteranalyse stellt keine genügende Grundlage für einen Nichteintretensentscheid im Sinne von Art. 32 Abs. 2 Bst. b AsylG dar (vgl. EMARK 2000 Nr. 19). Ein insoweit mangelhafter Nichteintretensentscheid kann indessen bestätigt werden, wenn im Verlaufe des Beschwerdeverfahrens ein genügliches "anderes Beweismittel" im Sinne dieser Bestimmung beigebracht wird.

Art. 32 al. 2 let. b LAsi : non-entrée en matière sur une demande d'asile pour dissimulation d'identité ; substitution de motif.

Une analyse osseuse ne constitue pas une base suffisante pour fonder une décision de non-entrée en matière au sens de l'art. 32 al. 2 let. b LAsi (cf. JICRA 2000 n° 19). Une décision de non-entrée en matière présentant un tel défaut peut toutefois être confirmée si, au cours de la procédure de recours, un "autre moyen de preuve" au sens de cette disposition est apporté.

Art. 32 cpv. 2 lett. b LAsi: non entrata nel merito di una domanda d'asilo per inganno sull'identità; sostituzione dei motivi.

Un'analisi dell'età ossea non costituisce di regola una base sufficiente per una decisione di non entrata nel merito giusta l'art. 32 cpv. 2 lett. b LAsi (cfr. GICRA 2000 n. 19). Una decisione di non entrata nel merito che presenti un tale vizio può tuttavia essere confermata, allorquando, nel corso della procedura ricorsuale, è prodotto un altro mezzo di prova ai sensi della succitata disposizione.


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Zusammenfassung des Sachverhalts:

Der Beschwerdeführer stellte im Mai 1999 ein Asylgesuch, wobei er Angola als seinen Herkunftsstaat angab.

Zur Begründung seines Asylgesuchs machte der Beschwerdeführer geltend, er sei am 11. Juni 1983 geboren worden und stamme aus der Provinz Soyo in Angola. Er habe vor seiner Ausreise in Luanda gelebt. Anfangs 1999 sei er vom angolanischen Militär im Quartier Marti festgenommen worden, da er sich geweigert habe, in den Militärdienst einzurücken, und sei einen Monat an einem ihm unbekannten Ort in der Provinz festgehalten und geschlagen worden. Nachdem ihm die Flucht aus der Gefangenschaft geglückt sei, habe er sich im Hafen von Luanda in einem Schiff versteckt und sei so nach Italien gelangt. Von einem Freund habe er erfahren, dass das Militär ihn nach seiner Flucht zu Hause gesucht habe.

Am 25. Mai 1999 führte das Kantonsspital im Auftrag des BFF eine Knochenanalyse zur Altersbestimmung durch, die ein Knochenalter des Beschwerdeführers von mindestens 19 Jahren ergab. Anlässlich des ihm dazu am 26. Mai 1999 gewährten rechtlichen Gehörs hielt der Beschwerdeführer fest, dass ihm seine Mutter gesagt habe, er sei 15 Jahre alt und dass er nichts Anderes wisse.

Mit Verfügung der kantonalen Fremdenpolizei vom 9. September 1999 wurde der Beschwerdeführer aus der Stadt X. ausgegrenzt, nachdem er wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz angezeigt worden war.

Mit Verfügung vom 25. Oktober 1999 trat das BFF auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers gestützt auf Art. 32 Abs. 2 Bst. b AsylG nicht ein und ordnete seine Wegweisung an. Ausserdem entzog es einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung. Zur Begründung führte es aus, dass der Beschwerdeführer sein Alter mit 16 Jahren angegeben habe, aber die durchgeführte Knochenalteranalyse ergeben habe, dass er mindestens 19-jährig sei. Da er im Übrigen auch keine Identitätsdokumente abgegeben habe, stehe fest, dass er die Behörden über seine Identität getäuscht habe. Ausserdem würden sich aus seinen aufgrund ihrer Unsubstantiiertheit als unglaubhaft erscheinenden Vorbringen keine Anhaltspunkte ergeben, die auf die Unzulässigkeit oder Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs schliessen lassen würden.

Mit Eingabe vom 8. November 1999 erhob der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter Beschwerde gegen die Verfügung der Vorinstanz und beantragte deren Aufhebung, die Rückweisung des Verfahrens an das BFF und die Gewährung des Asyls. Eventualiter sei auf die Wegweisung zu verzichten und der


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Beschwerdeführer in der Schweiz vorläufig aufzunehmen. Schliesslich beantragte er, es sei die aufschiebende Wirkung der Beschwerde wiederherzustellen. Zur Begründung machte er geltend, die Vorinstanz habe seine Vorbringen zur Verfolgungssituation in Angola nicht hinreichend gewürdigt und berücksichtigt und somit ihre Prüfungspflicht verletzt. Weiter führte er aus, dass er die Behörden nicht vorsätzlich über sein Alter getäuscht habe, da er dieses nicht genau habe kennen wollen und können, weil dem Geburtsdatum in der afrikanischen Kultur keine Bedeutung beigemessen werde. Schliesslich könne ihm nicht angelastet werden, dass er über keine Identitätsdokumente verfüge, da man solche in Angola nicht benötige. Im Übrigen sei er in seiner körperlichen Integrität durch das willkürliche und instabile Regime in Angola gefährdet. Deshalb verstosse der Wegweisungsvollzug gegen Art. 3 EMRK und sei ausserdem als unzumutbar zu erachten.

Mit Zwischenverfügung vom 29. November 1999 stellte der Instruktionsrichter die aufschiebende Wirkung der Beschwerde wieder her.

Mit Strafmandat des Untersuchungsrichteramts X. vom 18. Januar 2000 wurde der Beschwerdeführer wegen Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz, Hehlerei und mehrfacher Missachtung der Ausgrenzungsverfügung der Fremdenpolizei zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 30 Tagen verurteilt.

Am 21. Februar 2000 wurde der Beschwerdeführer wiederum wegen Missachtung der Ausgrenzungsverfügung angezeigt und gleichentags mit Strafmandat des X. zu einer unbedingten Gefängnisstrafe von 10 Tagen und einer Busse von Fr. 150.-- verurteilt.

Am 30. Juni 2000 wurde eine LINGUA-Analyse durchgeführt, die ergab, dass der Beschwerdeführer mit Sicherheit nie in Luanda gelebt habe und nicht aus Angola stamme.

In ihrer Vernehmlassung vom 12. Juli 2000 hielt die Vorinstanz unter Verweis auf das Resultat der LINGUA-Analyse an ihrer Verfügung fest und beantragte die Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer machte von dem ihm eingeräumten Replikrecht keinen Gebrauch.

Am 19. Juli, 24. Juli und 9. August 2000 wurde der Beschwerdeführer durch die Polizei angehalten und jeweils wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und Missachtung einer amtlichen Verfügung angezeigt.

Die ARK weist die Beschwerde ab.


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Aus den Erwägungen:

5. a) Die Vorinstanz hat sich zur Begründung ihres Nichteintretensentscheids auf die beim Beschwerdeführer durchgeführte Knochenaltersanalyse gestützt, die ein Knochenalter von 19 Jahren ergab. Mit der Methode der Knochenalteranalyse (Analyse des radiographisch erfassten Wachstums des Handknochens) lässt sich indessen nach den Erkenntnissen der Kommission das Alter einer Person nicht genau, sondern nur innerhalb einer bestimmten Bandbreite bestimmen. Dabei sind individuelle Abweichungen des Knochenwachstums vom statistischen Durchschnittswert zu berücksichtigen, welche sich noch innerhalb des Normalbereichs (entsprechend 90-95% der jeweiligen Altersgruppe) bewegen. Die Abweichungen sind je nach Rasse, Geschlecht und Alter unterschiedlich und können bis zu drei Jahren betragen (vgl. dazu das Grundsatzurteil der ARK vom 12. September 2000 i.S. A.D., Guinea [EMARK 2000 Nr. 19], Erw. 7). Liegt das vom Asylsuchenden behauptete Alter im Vergleich zum festgestellten Knochenalter noch innerhalb der "normalen" Abweichungen, genügt die Knochenalteranalyse zum Nachweis einer Identitätstäuschung nicht und stellt damit kein "anderes Beweismittel" als Grundlage eines Nichteintretensentscheides im Sinne von Art. 32 Abs. 2 Bst. b AsylG dar (vgl. Grundsatzentscheid, a.a.O., Erw. 8).

b) Angesichts der Tatsache, dass der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben im Zeitpunkt der Knochenalteranalyse 16-jährig gewesen sein will, liegen seine Altersangaben - wenn sie auch, wie nachstehend aufgezeigt, aus anderen Gründen nicht glaubhaft erscheinen (...) - somit noch innerhalb der Bandbreite des theoretisch mit dem Resultat der Knochenalteranalyse vom 25. Mai 1999 vereinbaren Alters, weshalb der Nichteintretensentscheid des BFF insoweit zu Unrecht erging und die Verfügung vom 25. Oktober 1999 an sich zu kassieren wäre. (...) [Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens wurde] indessen am 30. Juni 2000 eine LINGUA-Analyse bezüglich des Beschwerdeführers durchgeführt, die aufgrund seines mangelhaften landeskundlichen Wissensstandes und seiner Sprachkenntnisse ergeben hat, dass er eindeutig nicht aus Angola stammt. Aufgrund der Aktenlage ergeben sich keine Zweifel an der Richtigkeit dieses Ergebnisses, welches auch vom Beschwerdeführer selber, der von dem ihm dazu gewährten Replikrecht keinen Gebrauch gemacht hat, nicht bestritten wird. Somit steht fest, dass der Beschwerdeführer die Behörden über seine Herkunft getäuscht hat. Gemäss EMARK 1999 Nr. 19, S. 122 ff. kann der Nachweis der Täuschung auch mittels einer LINGUA-Analyse geführt werden. Diese hat zwar nicht den Beweiswert einer Daktylo-Analyse, es kann ihr aber durchaus erhöhte Beweiskraft zukommen (vgl. EMARK 1998 Nr. 34, S. 284 ff.). Bei dieser Sachlage sind im heutigen Zeitpunkt die Voraussetzungen von Art. 32 Abs. 2 Bst. b AsylG für einen Nichteintretensentscheid rechtsgenüglich erfüllt. Da im


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Übrigen dem Beschwerdeführer im Rahmen des ihm mit Zwischenverfügung vom 17. Juli 2000 gewährten rechtlichen Gehörs Gelegenheit zur Stellungnahme zum Ergebnis der Herkunftsanalyse gehabt hat, erwächst ihm kein Rechtsnachteil daraus, dass der Nichteintretensentscheid des BFF auf ein nachträglich erbrachtes Beweismittel abgestützt wird. Demzufolge kann der an sich im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Verfügung bestehende Mangel als geheilt erachtet werden.

Aufgrund der vorstehenden Erwägungen erübrigt es sich, auf die weiteren Ausführungen in der Beschwerde einzugehen, weil sie am Ergebnis nichts zu ändern vermögen. Zusammenfassend ergibt sich, dass das BFF im Ergebnis zu Recht auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers nicht eingetreten ist.

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