1995 / 2 - 23

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gelmässig schon aus logistischen Gründen (zerstörte Infrastrukturen) nur erschwert oder überhaupt nicht wahrgenommen werden können. Demnach wird im Falle der Nichtübernahme judikativer und legislativer Funktionen durch nicht-staatliche faktische Herrscher aus diesem Grund allein in der Regel noch nicht auf ein Verneinen quasi-staatlicher Gewalt zu schliessen sein; umgekehrt stellt eine Übernahme einer oder beider der erwähnten Staatsfunktionen in einer Situation kriegerischer Auseinandersetzungen nach dem Gesagten hingegen ein klares Indiz für eine konstante und effektive Fremdherrschaft dar. Insgesamt erscheint entscheidend, ob die "private" Körperschaft einen stabilen und dauernden staatsähnlichen Einfluss auf das von ihr besetzte Territorium und die von ihr unterworfene Bevölkerung auszuüben in der Lage ist. Die Prüfung dieser Frage bedingt zwar in jedem Einzelfall eine differenzierte Lageanalyse. Indessen ist selbstverständlich nicht davon auszugehen, dass für die Annahme quasi-staatlicher Herrschaft im erwähnten Sinne sämtliche der vorstehend beispielhaft dargelegten Kriterien kumulativ erfüllt sein müssen (andernfalls sich ohnehin eher die Frage nach dem Nachfolge- denn jene nach dem "Quasi-Staat" aufdrängen würde): Das Erfordernis des kumulativen Erfüllens sämtlicher erwähnter Kriterien müsste schon aus Gründen der Praktikabilität zu unbefriedigenden Resultaten führen, würde die zwingende Beantwortung jeder der aufgeworfenen Fragen doch regelmässig enormen Abklärungsaufwand voraussetzen und zweifellos in einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von Fällen überhaupt unmöglich sein. Andererseits wird das Erfüllen eines einzigen dieser Kriterien regelmässig noch nicht zur Annahme quasi-staatlicher Herrschaft berechtigen.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass künftig die Verfolgung durch "private" Körperschaften, welche im schutzunfähigen Staat im erwähnten Sinne dauerhaft und effektiv die faktische Herrschaft über bestimmte Teilgebiete des staatlichen Territoriums und die dort lebende Bevölkerung ausüben, als quasi-staatliche Verfolgung qualifiziert wird, welche im Falle des Vorliegens der übrigen in vorstehender Erwägung 3a aufgeführten Voraussetzungen wie unmittelbare oder mittelbare staatliche Verfolgung zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft - und damit in der Regel zur Asylgewährung - führt.


[Anm. d. Red.: Im vorliegenden Fall nimmt die ARK für den Zeitpunkt des Entscheides (Januar 1995) bezüglich der Kroaten und der HVO in Mostar deren quasi-staatliche Herrschaft an.]