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Auszug aus dem Urteil der ARK vom 14. August 2006 i.S. S.K.B.S., Bangladesch

Art. 3 AsylG; Art. 3 FoK und Art. 3 EMRK: Aktuelle Situation in Bangladesch.

1. Entwicklung der Lage in Bangladesch nach der Machtübernahme durch die Bangladesh Nationalist Party (BNP) vom 1. Oktober 2001. Namentlich Mitglieder oder auch blosse Sympathisanten der Oppositionspartei Awami League (AL) müssen bei Parteianlässen aktuell mit teilweise nicht gerechtfertigten behördlichen Behelligungen rechnen; eine asylrelevante Kollektivverfolgung liegt indes nicht vor (Erw. 4.3.).

2. Im bangladeschischen Justizsystem verhindert die allgegenwärtige Korruption oftmals faire Verfahren bei den unteren Instanzen, welche sich dem Einfluss der Regierungspartei kaum genügend entziehen können. Der Supreme Court kann als unabhängiger bezeichnet werden, seine Rechtsprechung beeinflusst die Rechtswirklichkeit aber nur bedingt; Personen, die an ihn gelangen wollen, müssen im Allgemeinen mit erheblichen Kosten rechnen (Erw. 4.2.).

3. Unter der kritischen Menschenrechtslage und dem Klima erhöhter Gewaltbereitschaft namentlich in Haftanstalten und Verhörzentren haben auch Angehörige religiöser Minderheiten zu leiden (Erw. 4.4. und 4.5.).

Art. 3 LAsi ; Art. 3 Conv. torture et art. 3 CEDH : situation actuelle au Bangladesh.

1. Développement de la situation au Bangladesh après l’arrivée au pouvoir, le 1er octobre 2001, du Bangladesh Nationalist Party (BNP). Les membres, mais aussi les sympathisants, du parti d’opposition Awami League (AL) doivent actuellement s’attendre, de la part des autorités, à des interventions - pas toujours respectueuses du droit - en cas de manifestations à caractère politique ; toutefois, il n’existe pas de persécution collective dans ce pays (consid. 4.3.).

2. Dans le système judiciaire bangladais, la corruption omniprésente constitue très souvent un obstacle à un procès équitable au niveau des


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instances inférieures qui ont peine à se distancer suffisamment de l’influence du parti au pouvoir. La Cour suprême peut en revanche être considérée comme plus indépendante ; sa jurisprudence, toutefois, n’influe que peu sur la réalité judiciaire. Pour avoir accès à la Cour suprême les justiciables doivent en général supporter des coûts très élevés (consid. 4.2.).

3. Les membres de minorités religieuses ont aussi à souffrir du manque de respect des droits de l’homme et du climat de grande violence régnant notamment dans les lieux de détention et d’interrogatoires (consid. 4.4. et 4.5.).

Art. 3 LAsi; art. 3 Conv. tortura e art. 3 CEDU: analisi dell'attuale situazione bangladese.

1. Sviluppo della situazione in Bangladesch dall'arrivo al potere, il 1° ottobre 2001, del Bangladesh Nationalist Party (BNP). I membri, ma anche i simpatizzanti, del partito d'opposizione Awami League (AL), sono attualmente esposti durante le manifestazioni politiche ad interventi statali non sempre legittimi; non sussiste tuttavia una persecuzione collettiva rilevante in materia d’asilo (consid. 4.3.).

2. Nel sistema giudiziario bangladese la diffusa corruzione impedisce spesso la celebrazione d’equi processi dinanzi alle istanze inferiori, le quali hanno delle difficoltà a distanziarsi sufficientemente dall'influenza del partito al potere. La Corte suprema appare più indipendente; la sua giurisprudenza incide però solo in modo limitato sulla realtà giuridica. I cittadini che vogliono adire la Corte suprema devono inoltre sopportare, generalmente, dei costi elevati (consid. 4.2.).

3. I membri delle minoranze religiose soffrono dell’insufficiente rispetto dei diritti umani e del clima di grande violenza regnante in particolare nei luoghi di detenzione e d’interrogatorio (consid. 4.4. e 4.5.).

Zusammenfassung des Sachverhalts:

Der Beschwerdeführer machte zur Begründung seines am 24. Januar 2001 in der Schweiz gestellten Asylgesuchs im Wesentlichen geltend, aus N. (Distrikt X.) zu stammen und der buddhistischen Religionsgemeinschaft anzugehören. Er


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habe mit der Awami-League (AL) sympathisiert. Wegen seines Glaubens sei er immer wieder durch Moslems behelligt worden. Diese hätten die Ernte des landwirtschaftlichen Betriebs gestohlen und das Land besetzt. Sein Grossvater, welcher versucht habe, das Land zurückzubekommen, sei vor 15 Jahren umgebracht worden. Anlässlich eines religiösen Festes seiner Glaubensgemeinschaft und derjenigen der Hindus sei es am 12. Mai 1998 erneut zu Auseinandersetzungen gekommen. Einflussreiche Moslems aus dem Nachbardorf hätten ihn und seine Glaubensbrüder angegriffen. Dabei sei er verletzt worden. Sie hätten das Fest abbrechen müssen und erfolglos versucht, bei den zuständigen Stellen Schutz zu erlangen. Es sei ihnen nicht gelungen, bei der Polizei eine Anzeige zu deponieren. Tags darauf hätten sie erfahren, dass die Angreifer ihrerseits eine Anzeige bei der Polizei gegen den Beschwerdeführer und weitere Personen eingereicht hätten. Die Polizei habe ihn verhaften wollen. Wegen der geschilderten Situation habe er vorerst bei Verwandten in Chittagong respektive Ukiya gewohnt. Während seiner Abwesenheit hätten ihn die Gegner zu Hause gesucht. Ende Juni 1998 habe er sich zu einem Verwandten nach A. (Indien) begeben. Er sei aber wiederholt in sein Dorf zurückgekehrt, um seine Mutter zu besuchen. In Anbetracht der Bedrohung durch die Moslems habe er sich jeweils nur für kurze Zeit dort aufhalten können. Im Oktober 1998 sei er von A. aus erneut in sein Dorf gereist. Zufolge der äusserst angespannten Lage sei er aber sofort wieder zu Verwandten nach Ukiya respektive Chittagong geflohen. Es sei ein Haftbefehl gegen ihn und seine ebenfalls polizeilich angezeigten Freunde ergangen. Sie seien insgesamt viermal vor Gericht erschienen und hätten eine Kaution hinterlegt. Beim Gang zum Gericht seien sie durch ihre Feinde attackiert und verletzt worden. Aufgrund dieser Situation sei er im April 1999 von Chittagong nach A. zurückgekehrt, wo er bis November 1999 respektive 2000 gelebt und gearbeitet habe. Nach einem erneuten Aufenthalt in Ukiya sei er schliesslich von Dhaka aus auf dem Luftweg nach Rom ausgereist.

Die Vorinstanz stellte mit Verfügung vom 25. Februar 2004 fest, der Beschwerdeführer erfülle die Flüchtlingseigenschaft nicht, und lehnte das Asylgesuch ab. Gleichzeitig verfügte sie die Wegweisung des Beschwerdeführers aus der Schweiz und ordnete den Wegweisungsvollzug an.

Mit Eingabe vom 26. März 2004 an ARK beantragte der Beschwerdeführer durch seine Vertretung die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zwecks ergänzender Abklärungen und neuer Begründung. Eventualiter sei die Unzulässigkeit und allenfalls die Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs festzustellen und die vorläufige Aufnahme anzuordnen.


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Nachdem der Vorinstanz die Akten zur Vernehmlassung übermittelt worden waren, ersuchte das Bundesamt die Schweizerische Botschaft in Dhaka am 4. Mai 2004 um Abklärungen vor Ort. Das Ergebnis dieser Abklärungen ging am 8. Juni 2004 bei der Vorinstanz ein. Besagte Botschaftskorrespondenz wurde dem Beschwerdeführer vom Bundesamt am 30. Juni 2004 offen gelegt. Am 9. Juli 2004 nahm er dazu Stellung.

Am 14. September 2004 ersuchte das Bundesamt die Schweizerische Botschaft in Dhaka ein zweites Mal um Abklärungen vor Ort. Das Ergebnis dieser Abklärungen ging am 8. März 2005 bei der Vorinstanz ein.

Mit Vernehmlassung vom 10. März 2005 schloss die Vorinstanz auf Abweisung der Beschwerde. Mit Replik vom 6. April 2005 hielt der Beschwerdeführer an seinen bisherigen Vorbringen fest.

Die ARK heisst die Beschwerde gut, hebt die Verfügung vom 25. Februar 2004 auf und weist die Sache im Sinne der Erwägungen zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück.

Aus den Erwägungen:

3.

3.1. Die Vorinstanz begründet ihren ablehnenden Entscheid im Wesentlichen damit, dass die Vorbringen des Beschwerdeführers aufgrund unstimmiger Angaben nicht glaubhaft seien. Ferner habe er gewisse Sachverhaltselemente erst bei der kantonalen Anhörung dargelegt, was aufgrund der verspäteten Geltendmachung ebenfalls gegen deren Glaubhaftigkeit spreche. Zudem habe er ein anlässlich der Erstbefragung erwähntes Sachverhaltselement bei der kantonalen Anhörung nicht mehr vorgebracht. Im Weiteren habe er seine Identität nicht belegt und dadurch die Mitwirkungspflicht im Sinne von Art. 8 Abs. 1 AsylG verletzt. Angesichts der massiven Zweifel am Wahrheitsgehalt seiner Aussagen müsse sodann davon ausgegangen werden, dass es sich bei den eingereichten Beweismitteln nicht um echte Dokumente handle. Ein weiterer Hinweis auf die Fälschung der Gerichtsdokumente sei darin zu erblicken, dass der Beschwerdeführer bei der kantonalen Anhörung angegeben habe, wegen einer Schlägerei, Körperverletzung, Trunkenheit und Glückspielen angezeigt worden zu sein, derweil er gemäss den eingereichten Gerichtsdokumenten wegen Mordes und terroristischer Aktivitäten beschuldigt werde. Vor diesem Hintergrund sei davon auszugehen, dass die dem Beschwerdeführer attestierte posttraumatische Belastungsstörung nicht ursächlich mit der angeblichen Verfolgung im Zusammenhang stehe. Schliesslich würden gelegentlich lokale Übergriffe fundamentalistischer


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Moslems auf Buddhisten durch den bangladeschischen Staat nicht gebilligt oder hingenommen, und der Beschwerdeführer sei durch die Situation vor Ort nicht mehr betroffen als die übrige buddhistische Population, welche 2% der bangladeschischen Bevölkerung ausmache. Eine asylrechtlich relevante Bedrohung des Beschwerdeführers im Sinne zielgerichteter und systematischer staatlicher Verfolgung aus religiösen Gründen könne ausgeschlossen werden. Den Vollzug der Wegweisung nach Bangladesch erachtet das Bundesamt für zulässig, zumutbar und möglich.

3.2. Der Beschwerdeführer macht dagegen in seiner Rechtsschrift geltend, er habe der Vorinstanz nebst anderen Unterlagen eine mehrseitige Dokumentation abgegeben, welche das von ihm geltend gemachte zentrale Vorbringen - das hängige Gerichtsverfahren in X. - betreffe. Das Bundesamt habe auf eine eigentliche Abnahme dieses Beweismittels verzichtet und es - ohne weitere Abklärungen vorzunehmen beziehungsweise eine Übersetzung zu veranlassen - im Ergebnis ohne Kenntnis des tatsächlichen Inhalts als Fälschung bezeichnet. Diese Vorgehensweise sei stossend und verletze die verfahrensrechtlichen Garantien des Beschwerdeführers. Die Unterlagen seien von Amtes wegen vollumfänglich zu übersetzen. Die Argumentation der Vorinstanz sei im Übrigen insofern aktenwidrig, als eine vom Beschwerdeführer veranlasste Teilübersetzung der Unterlagen ergeben habe, dass ihm darin genau die von ihm erwähnten Delikte - Schlägerei, Körperverletzung, Trunkenheit und Glückspiele - zur Last gelegt würden. Von Mord sei nicht die Rede. Weshalb das Bundesamt gleichwohl von einer Anschuldigung wegen Mordes ausgehe, sei unklar und mutmasslich auf eine unpräzise Aussage anlässlich der kantonalen Anhörung zurückzuführen. Bezüglich der ferner dem Beschwerdeführer angelasteten Unstimmigkeiten in den Vorbringen habe die Vorinstanz den Aussagen anlässlich der Erstbefragung einen zu hohen Stellenwert beigemessen. Die angespannte Situation der buddhistischen Minderheit in Bangladesch werde vom Bundesamt sodann ausschliesslich unter dem Gesichtspunkt der Flüchtlingseigenschaft gewürdigt. Es sei zwar nicht bestritten, dass die generelle Verfolgung und Diskriminierung von religiösen Minderheiten in Bangladesch nicht im Ausmass einer Kollektivverfolgung im Sinne des juristischen Flüchtlingsbegriffs erfolge. Die Vorinstanz hätte sich indes und vor allem bei der Beurteilung der Wegweisungshindernisse mit der Situation der Menschenrechte vor Ort auseinandersetzen müssen. Dies sei in Anbetracht des verwendeten Textbausteins offensichtlich unterblieben. Es sei ferner zu befürchten, dass die Vorinstanz über die Situation der Buddhisten in Bangladesch nur unzureichend informiert sei, indem sie deren Anteil an der Gesamtbevölkerung offensichtlich zu hoch veranschlage. Die eingereichten Zeitungsartikel belegten verschiedene Übergriffe auf diese Religionsgemeinschaft durch Moslems. Gemäss dem beigelegten Bericht der


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UNO-Menschenrechtskommission bestehe aktuell eine erhöhte Gefährdung der Minderheitenrechte; eine Wendung zum Besseren zeichne sich nicht ab. Der bangladeschische Staat sei weit von seinen säkularen Verfassungsidealen wie etwa der Religionsfreiheit abgedriftet. Insbesondere schwachen, kranken und daher überdurchschnittlich verletzlichen buddhistischen Personen wie dem Beschwerdeführer sei vor diesem Hintergrund eine Rückkehr nach Bangladesch nicht zuzumuten. Die Vorinstanz habe eine weitere Unterlassung begangen und sich im angefochtenen Entscheid nicht mit seiner gesundheitlichen Situation auseinandergesetzt.

3.3. Die Vorinstanz führt in ihrer Vernehmlassung aus, die erste Botschaftsanfrage habe ergeben, dass die Vorbringen des Beschwerdeführers der Wahrheit entsprächen. Die eingereichten Gerichtsdokumente seien echt. Im Falle einer Rückkehr müsse er mit einem Prozess beim Additional District Magistrate in

X. rechnen. Der nächste Gerichtstermin sei auf den 24. Juni 2004 angesetzt. Eine zweite Botschaftsanfrage habe indes ergeben, dass das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer am 26. Juni 2004 eingestellt worden sei. Entsprechend habe er im Heimatland keine behördliche Verfolgung mehr zu befürchten.

3.4. Der Beschwerdeführer stellt in seinem an die Vorinstanz gerichteten Schreiben vom 9. Juli 2004 fest, das (erste) Abklärungsergebnis bestätige seine sämtlichen Vorbringen. Trotz allen konstitutionellen Garantien seien Minderheiten wie die Buddhisten in Bangladesch stark gefährdet. Mit Replik vom 6. April 2005 macht der Beschwerdeführer geltend, entgegen dem (zweiten) Abklärungsergebnis der Botschaft sei das Verfahren noch offen. Sein Vater - ein ehemaliger Polizist in der Heimat - habe nichts von einer Einstellung des Verfahrens in Erfahrung bringen können. Es sei gut möglich, dass fälschlicherweise eine Verfahrenseinstellung bekannt gegeben worden sei. Vorliegend sei die Verfolgung und Vertreibung der buddhistischen Minderheit in Bangladesch durch den fundamentalistischen Islam von entscheidender Bedeutung. Die Betroffenen lebten in ständiger Angst und Bedrohung. Dörfer würden überfallen, Mädchen vergewaltigt oder verschleppt und jahrhundertealte Tempel zerstört. Eine Gegenwehr der Opfer habe meist noch schlimmere Reaktionen zur Folge, so dass diesen nur hilfloses Gewährenlassen übrig bleibe.

4.

4.1. Gemäss den von der Vorinstanz veranlassten Abklärungen vor Ort sind die vom Beschwerdeführer eingereichten Gerichtsunterlagen echt. Das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer vor dem Additional District Magistrate in X. soll indes am 26. Juni 2004 eingestellt worden sein. Der Beschwerdeführer bestreitet die Einstellung dieses Verfahrens.


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4.2. Zur allgemeinen Situation des bangladeschischen Justizsystems und zur Vorgehensweise der Ermittlungsorgane ist Folgendes festzuhalten: Das vom angelsächsischen Recht geprägte Gerichtswesen ist im Prinzip zweistufig. Die erste Stufe umfasst die Magistrate Courts als Teile der Exekutive sowie die Session und District Courts als Gerichtsinstanzen; die zweite Stufe bildet der Supreme Court, welcher aus dem High Court und dem Appellate Court besteht. Entscheide des Appellate Court sind bindend für sämtliche Instanzen. Die erste Stufe steht häufig unter massgeblichem Einfluss der jeweils regierenden Partei, derweil der Supreme Court als nach wie vor über eine gewisse Unabhängigkeit verfügend bezeichnet wird. Oft entscheidet er in umstrittenen Fällen gegen die Regierung. Erschwerend für eine unabhängige Justiz ist die grassierende Korruption, wobei sich auch diesbezüglich die höheren Gerichte als widerstandsfähiger erweisen. Anordnungen des Supreme Court, den Einfluss der Regierung auf die niederen Instanzen zu verringern, wurden bisher nicht umgesetzt. Die allgegenwärtige Korruption - in rund zwei Drittel der Fälle sollen Bestechungsgelder fliessen - verhindert oftmals faire Verfahren bei den unteren Instanzen, die an sich bestehende Verfahrensrechte der Betroffenen nicht respektieren. Auch für die Aufnahme einer Anzeige im Rahmen eines First Information Report (FIR) auf dem Polizeiposten muss meist bezahlt werden. Zwar bemüht sich der High Court, die verfassungsmässigen Rechte des Einzelnen besser durchzusetzen. Personen, die deswegen an ihn gelangen, müssen indes im Allgemeinen mit erheblichen Kosten rechnen. Verbreitet sind ferner Festnahmen, welche auf dem Special Powers Act (SPA) von 1974 beruhen. Dieser erlaubt es der Behörde, eine beliebige Person ohne formelle Beschuldigung oder Anklage zu inhaftieren, um sie davon abzuhalten, strafrechtlich vorwerfbare Handlungen („prejudicial act“ gemäss Art. 2 SPA) zu begehen. Rechtsstaatlich problematisch sind auch Festnahmen, die gestützt auf Art. 54 des Bangladesh Code of Criminal Procedure (BCCP) oder auch - so in Dhaka - gestützt auf den Art. 86 der Dhaka Metropolitan Police (DMP) Ordinance erfolgen, da hierfür kein Haftbefehl erforderlich ist und die Polizei vorgegebene zeitliche Beschränkungen der Haft häufig nicht respektiert. Die genannten Bestimmungen werden als eigentliche „Gummiparagraphen“ von der Regierung offenbar - trotz entgegengesetzten Anweisungen des High Court - immer wieder und auch missbräuchlich angewendet, um namentlich missliebige Exponenten der AL zu drangsalieren. Diese werden beispielsweise vor einer geplanten Manifestation ihrer Partei auf willkürliche Weise inhaftiert und nach dem Anlass wieder auf freien Fuss gesetzt. Ausserdem müssen sie damit rechnen, dass ihnen angebliche gemeinrechtliche Delikte unterschoben werden. Im Übrigen sind Richter zunehmend Opfer von Anschlägen geworden, die meist militanten Islamisten zugeschrieben werden und sich im Ergebnis gegen ein säkulares Staatsverständnis richten. Entsprechend wird in vielen Quellen von einer überbordenden Gewalt und einem


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Staatswesen in ernsthafter Krise ohne funktionstüchtige Regierung gesprochen (vgl. zum Ganzen Home Office, Country of Origin Information Report Bangladesh, April 2006, S. 27 ff.; US State Departement, Bangladesh Country Report on Human Rights Practices 2005 vom 8. März 2006).

4.3. Vor diesem Hintergrund erstaunt nicht, dass politische Auseinandersetzungen in Bangladesch oftmals mit Gewalt und Ausschreitungen verbunden sind. Die Wahlen vom 1. Oktober 2001, bei welchen die BNP unter Begum Khaleda Zia obsiegte, sind zwar von nationalen und internationalen Beobachtern für im Allgemeinen frei und fair erachtet worden (vgl. u.a. U.S. Department of State Report on Human Rights Practices for 2005 vom 8. März 2006, Section 3). In der Folge und unmittelbar nach dem Wahlsieg sollen aber wiederholt Führungspersönlichkeiten respektive Mitglieder der unterliegenden AL (Parteivorsitz: Sheikh Hasina) eingeschüchtert, verhaftet oder auch umgebracht worden sein. Eine eigentliche Verhaftungswelle war sodann im Rahmen der grundsätzlich gegen die Verbrechensbekämpfung gerichteten „Operation Clean Heart“, welche am 17. Oktober 2002 begann, festzustellen. Davon waren auch Mitglieder und Führungspersönlichkeiten der BNP, welchen Beziehungen zum kriminellen Milieu angelastet wurden, betroffen. Während der besagten Operation sollen insgesamt 11'000 Festnahmen erfolgt sein. 40 Personen starben offenbar während der Haft. In diesem Zusammenhang wurde seitens der Staatsführung zwar Bedauern ausgedrückt; andererseits unterschrieb der Staatspräsident Iajuddin Ahmed ein Dekret, welches den an der Operation beteiligten Soldaten Verfolgungsfreiheit seitens der zivilen Justiz zusicherte. Das Parlament verabschiedete in der Folge im Februar 2003 die umstrittene „Joint Drive Force Indemnity Ordinance 2003“ (BBC News Online vom 17. Oktober 2002, 9. Januar 2003, 11. Januar 2003 und 18. Februar 2003; International Herald Tribune vom 13. März 2003; Financial Times Information vom 27. Februar 2003). Im August und September 2003 ereigneten sich diverse Mordanschläge auf Funktionäre der AL. So wurde beispielsweise am 25. August 2003 der Präsident der AL der Stadt Khulna erschossen. Die BNP, deren Parteilokale teilweise von erzürnten AL-Mitgliedern gestürmt wurden, verurteilte die Vorfälle, lehnte aber jegliche Verantwortlichkeit ab (BBC News Online vom 26. August 2003). Im April 2004 führte die AL Grossdemonstrationen durch, um die Regierung zum Rücktritt zu zwingen. Zwischen dem 18. und 27. April 2004 verhaftete die Polizei mehr als 15'000 Personen, darunter viele AL-Mitglieder und Anhänger einer NGO. Am 27. April 2004 forderte die Regierung die Polizei indes auf, die Massenverhaftungen einzustellen und Unschuldige nicht zu behelligen (The Daily Star of Bangladesh vom 20., 23. und 27. April 2004). Am 21. August 2004 starben 23 Personen bei einem Bombenanschlag, welcher im Rahmen einer Massenveranstaltung der AL offensichtlich gegen deren Führerin gerichtet gewesen war. Daraufhin führte die AL Protestveranstaltungen durch und rief wiederholt zum Generalstreik auf. Bei den


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Protesten wurden mehr als 200 Personen festgenommen (BBC News Online vom 21., 22. und 30. August 2004). Zwischen dem 22. und 30. September 2004 sollen im Vorfeld einer geplanten Massenveranstaltung der AL vom 3. Oktober 2004 mehr als 5000 Personen - die meisten davon AL-Supporter - polizeilich festgenommen worden sein. Die Festnahmen erfolgten laut Behörden insbesondere gestützt auf den bereits erwähnten Artikel 86 der DMP Ordinance. In Anbetracht dieser Sachlage verbot der High Court sämtliche Festnahmen gestützt auf die genannte Verordnungsbestimmung bis zum 3. Oktober 2004. Die Polizei setzte die Festnahmen jedoch gestützt auf andere Bestimmungen der DMP Ordinance fort. Der eigentliche Anlass vom 3. Oktober 2004 soll relativ friedlich verlaufen sein. Im Rahmen eines erneuten Generalstreiks wurden in der Folge am 10. Oktober 2004 Hunderte von Protestierenden für kurze Zeit inhaftiert (The Daily Star of Bangladesh vom 30. September 2004, 4. Oktober 2004 und 11. Oktober 2004). Zwei weitere Massenveranstaltungen der AL vom Dezember 2004 verliefen weitgehend friedlich. Im Anschluss an einen erneuten Bombenanschlag kam es im Januar 2005 in verschiedenen Teilen des Landes zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Die mutmasslichen Verantwortlichen des Anschlags wurden in der Folge gerichtlich belangt. Es soll sich dabei um Personen gehandelt haben, welche mit der BNP in Verbindung standen respektive eine Funktion bei dieser Partei inne hatten (The Daily Star of Bangladesh vom 28. Januar, 31. Januar und 21. März 2005; BBC News Online vom 21. März 2005). Nachdem sich wiederholt auch radikalislamisch motivierte Gewaltakte ereignet hatten, verbot die bangladeschische Regierung die beiden Gruppierungen Jama’tul Mujahedin Bangladesh (JMB) und Jagrata Muslim Janata Bangladesh (JMJB). Mehrere Mitglieder der JMB und der JMJB wurden festgenommen. Nach dem Führer der JMJB wurde gefahndet (Agence France-Presse vom 23. Februar 2005; Associated Press vom 23. Februar 2005). Am 16. April 2005 wurden in einem Prozess im Zusammenhang mit der am 7. Mai 2004 erfolgten Ermordung eines Parlamentsmitglieds der AL 22 Personen zum Tod verurteilt und sechs zu lebenslänglichen Freiheitsstrafen (BBC News Online vom 16. April 2005). Im Rahmen der staatlichen Aktionen gegen mutmassliche Kriminelle sollen zwischen Juni 2004 und Juli 2005 378 Personen getötet worden sein. Verantwortlich dafür waren nebst der Polizei namentlich auch das Rapid Action Battalion (RAB), was Repräsentanten der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union (EU) dazu bewog, ihrer Besorgnis Ausdruck zu verleihen (The Daily Star of Bangladesh vom 18. Juli 2005; Home Office, Country of Origin Information Report Bangladesh, April 2006, S. 50). Am 17. August 2005 explodierten landesweit 434 Bomben, wobei zwei Personen getötet und mehr als hundert verletzt wurden. Die JMB wurde dafür verantwortlich gemacht (Agence France-Presse vom 26. August 2005). In der Folge verbot die Regierung am 17. Oktober 2005 auch die islamische Gruppierung Harkat-ul-Jihad-al-Islami


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(HUJI). Weitere Anschläge im Zeitraum von September bis Dezember 2005, von denen unter anderem wie erwähnt auch Richter betroffen waren, wurden wiederum vor allem der JMB zugerechnet (Economist Intelligence Unit/Bangladesh Country Report, Januar 2006). Anlässlich einer Massenveranstaltung der AL von Anfang Februar 2006, an welcher 40'000 Personen teilgenommen haben sollen, kam es zu zahlreichen Festnahmen von Parteigängern. Derweil die Polizei 4'500 Festnahmen erwähnte, sprach die AL-Führerin von 10'000 behelligten Personen (Agence France-Presse vom 5. Februar 2006; ATN Bangladeshi Television vom 5. Februar 2006). Demgegenüber sollen gemäss Angaben einer lokalen Menschenrechtsorganisation im Jahre 2005 „nur“ 1'216 Personen aus politischen Gründen festgenommen und die meisten nach kurzer Zeit wieder entlassen worden sein. Diese Zahl könnte indes auch durch die offenbar nicht seltene „Selbstzensur“ solcher Organisationen, welche staatlicherseits im Übrigen weitgehend unbehelligt arbeiten können, erklärbar sein, oder auf die Tatsache, dass nicht immer klar zwischen angeblichen mutmasslichen Kriminellen und mutmasslichen politischen Aktivisten unterschieden werden kann, zurückgeführt werden (Home Office, Country of Origin Information Report Bangladesh, April 2006, S. 43 und 48). Auch im Zusammenhang mit der von der Regierung propagierten Bekämpfung des (islamistischen) Terrors kam es zu zahlreichen Festnahmen, und im März 2006 wurden die Führer der JMB und der JMJB verhaftet.

Festzuhalten ist mithin, dass auch blosse AL-Sympathisanten in Bangladesch namentlich bei Parteianlässen aktuell mit teilweise nicht gerechtfertigten behördlichen Behelligungen zu rechnen haben; eine asylrelevante Kollektivverfolgung von Sympathisanten oder Mitgliedern dieser Partei kann indes den verfügbaren Quellen zufolge nicht bejaht werden. Vielmehr ist im Einzelfall zu prüfen, ob allenfalls wegen eines herausragenden politischen Engagements oder aufgrund besonderer Umstände auf eine individuell-konkrete und gegebenenfalls sogar asylrelevante (landesweite) Verfolgungsabsicht der Behörden aus politischen Gründen geschlossen werden muss.

4.4. In Anbetracht der verfügbaren Quellen muss in Bangladesch gegenwärtig von einer kritischen Situation der Menschenrechte und einer Situation verbreiteter Gewalt gesprochen werden (vgl. bisher genannte Quellen und ai-Jahresbericht Bangladesh 2006). Die Zustände in den Gefängnissen, auf den Polizeiposten und in den sonstigen Haftzentren bilden dabei keine Ausnahme. Die offizielle Kapazität der Gefängnisse liegt laut Behördenangaben bei 27'545 Personen. Belegt waren die Haftanstalten jedoch mit 76'328 Personen. Von diesen waren 51'801 noch nicht abgeurteilt. In den überbelegten Zellen muss zum Teil schichtweise geschlafen werden. Verurteilte Gefangene werden nicht getrennt von Untersuchungshäftlingen untergebracht. Gefängnisverantwortliche neigen


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bisweilen dazu, das Haftregime gemäss den Regeln des britischen Kolonialregimes aus dem 19. Jahrhundert zu gestalten. Die Polizei und Sondereinheiten wie die RAB wenden oftmals unverhältnismässige Gewalt an. Bei Verhören auf dem Polizeiposten oder in Zentren der Sonderermittlungseinheiten wird routinemässig gefoltert und misshandelt. Im Jahr 2005 starben 15 Personen an den erlittenen Folterungen. Das Bangladesh Rehabilitation Center for Trauma Victims (BRCT) erwähnt für den besagten Zeitraum 2'297 überlebende Folteropfer. Im Jahre 2003 wurden gemäss derselben Quelle 1'296 Folteropfer gezählt, wobei jeweils von einer Dunkelziffer auszugehen ist. Massnahmen gegen die Folterer werden selten ergriffen. Dieses Klima der Straffreiheit begünstigt ein Andauern der erwähnten Situation, welche seit Jahrzehnten unabhängig von der jeweiligen bangladeschischen Regierung besteht. Misshandlungen bis hin zu Folter werden von der Polizei ferner oftmals eingesetzt, um von Angehörigen des - insbesondere auch gestützt auf Art. 54 BCCP ohne Haftbefehl - Inhaftierten Geld zu erpressen (Home Office, Country of Origin Information Report Bangladesh, April 2006, S. 36 f. und S. 45 ff.). Droht einem Beschwerdeführer in Bangladesch Untersuchungshaft, ist dies mithin in Beachtung der geschilderten Situation vor Ort zu würdigen.

4.5. Unter dem Klima erhöhter Gewaltbereitschaft leiden oftmals auch Angehörige religiöser Minderheiten. Von der Gesamtbevölkerung Bangladeschs, welche mittlerweile mehr als 140 Millionen Einwohner betragen dürfte, sind etwa 88% muslimischen Glaubens. Ungefähr 10% sind Hindus. Hinzu kommen zahlenmässig wesentlich kleinere Glaubensgemeinschaften wie die Buddhisten (gemäss Zensus von 1991 ungefähr 623'000), Christen (346'000) und Ahmadis (100'000) sowie weitere kleine religiöse Minderheiten. Aktuelle genaue und gesicherte Zahlen sind kaum erhältlich. Obwohl die bangladeschische Verfassung 1988 den Islam zur Staatsreligion erklärte, blieb die Religionsfreiheit zwar nach wie vor garantiert (vgl. Art. 41 der Verfassung). Nach dem Wahlsieg der BNP vom 1. Oktober 2001 veränderte sich die bisher eher von religiöser Toleranz geprägte tatsächliche Situation indes dramatisch. In pogromartigen Angriffen wurden landesweit Mitglieder religiöser Minderheiten geschlagen, aus ihren Häusern vertrieben oder getötet. Weibliche Mitglieder der erwähnten Glaubensgemeinschaften wurden vergewaltigt. Auch wenn genaue Statistiken fehlen, muss von einer grossen Zahl landesintern vertriebener oder nach Indien geflohener Opfer ausgegangen werden. Religiöse Intoleranz und gewaltsame Übergriffe dauern immer noch an. Zahlreiche Angehörige religiöser Minderheiten sahen sich genötigt, ihre Dörfer zu verlassen und in sichereren Gebieten respektive urbanen Zentren Schutz zu suchen. Die Situation wird als teilweise prekär beschrieben. Die verschlechterte allgemeine Sicherheitslage macht den religiösen Minderheiten besonders zu schaffen. Die systematischen Übergriffe bezüglich


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Hindus werden von zwei lokalen NGO - dem Bangladesh Hindu Buddha Christian Oikya Parishad (BHBCOP) und dem Human Rights Committee for Bangladeshi Minorities (HRCBM) - dokumentiert, sind aber bisher nicht von unabhängiger Seite überprüft worden. Besagte Angriffe sollen oftmals auch in der Absicht, sich den Grundbesitz der Betroffenen anzueignen, durchgeführt worden sein. Die Polizei blieb häufig untätig; so auch bei Vergewaltigungen hinduistischer Mädchen (International Displacement Monitoring Centre: Bangladesh: Minorities increasingly at risk of displacement, 28. März 2006, S. 12 ff.; Home Office, Country of Origin Information Report Bangladesh, April 2006, S. 56 ff.). Für den Zeitraum von Juli 2004 bis Juni 2005 werden überdies zahlreiche Übergriffe hinsichtlich der Glaubensgemeinschaft der Ahmadis gemeldet (US State Departement, Bangladesh: International Religious Freedom Report 2005 vom 8. November 2005). Für die eskalierende Situation wird namentlich die Jamaat-e-Islami (JI), welche zusammen mit der führenden BNP und zwei weiteren Parteien die Regierung bildet, verantwortlich gemacht (The Guardian vom 21. Juli 2003). Gemäss besagtem Artikel soll sich der muslimische Anteil der Bevölkerung vergrössert haben, derweil derjenige der Hindus, Buddhisten, Christen und anderer religiöser Minderheiten in Anbetracht der Vertreibungen gesunken ist. Gesprochen wird sodann von einer „Talibanisierung“ Bangladeschs hin zu einem zukünftig faschistischen Staat. Die Übergriffe gehen gemäss verschiedenen Quellen oftmals von kriminellen „Gangs“ aus, denen Verbindungen zu Regierungsparteien nachgesagt werden. In Anbetracht der Vorfälle nach dem Wahlsieg der BNP forderte der High Court die Regierung auf, Untersuchungen einzuleiten, einen Bericht vorzulegen und angemessene Schutzmassnahmen zu veranlassen. In der Folge legte die Regierung im Jahre 2002 einen Bericht vor, demzufolge die angeblichen Ereignisse in der geltend gemachten Form nicht für glaubhaft erachtet werden. Nach Vorlage des Berichts wurden weder der High Court noch die Regierung aktiv. Behördliche Untersuchungen der Übergriffe wurden und werden bisweilen, aber nicht immer eingeleitet. Nach einem besonders gravierenden Vorfall vom 19. November 2003, bei welchem elf Mitglieder einer Hindu-Familie in ihrem brennenden Haus in der Nähe von Chittagong ums Leben kamen, erschienen Regierungsmitglieder vor Ort und versprachen eine polizeiliche Verfolgung der Schuldigen, was dann auch geschah. Allerdings ging die Polizei offenbar nicht von einem religiös motivierten Delikt, sondern von einem blossen Raubversuch aus. Später wurde den Verwandten der Opfer vom Staat eine Entschädigung zugesprochen. Eine gewisse Entspannung der Situation - für die Hindus, nicht aber die Ahmadis - trat offenbar im Jahre 2004 ein, zumal die Regierung Schritte eingeleitet hatte, um religiöse Feierlichkeiten der Minderheiten polizeilich zu schützen (Freedom House/Report of Bangladesh vom Juni 2005). Vom April bis November 2005 sollen sich einer Menschenrechtsorganisation zufolge 404 gegen Mitglieder religiöser Minderheiten oder deren Eigentum gerichtete Vorfälle ereignet haben, wobei aber unklar ist, wie


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viele dieser Ereignisse religiös motiviert waren. Die Behörden blieben - wie erwähnt - zum Teil untätig. Nach einem Bombenanschlag vom 24. Juni 2005 auf eine Ahmadi-Moschee liessen sie indes acht Personen verhaften, und die Polizei ging am 23. Dezember 2005 gegen Demonstranten, welche eine Ahmadi-Moschee in Dhaka stürmen wollten, vor (US State Departement, Bangladesh Country Report on Human Rights Practices 2005 vom 8. März 2006; BBC News Online vom 23. Dezember 2005). Auch Christen sind in den vergangenen Jahren Opfer radikaler Moslems geworden. Papst Benedikt der XVI. wird indes auf der Homepage des Ministry of Foreign Affairs Bangladesh (MOFA) - einer nicht als unabhängig zu bezeichnenden Quelle - mit der Aussage vom 22. November 2005, das Verhältnis zwischen den verschiedenen Religionsgruppen in Bangladesh sei harmonisch, zitiert (MOFA-Homepage vom 30. November 2005). Demgegenüber soll beispielsweise gemäss der Zeitung The Guardian vom 21. Juli 2003 in einem Dorf ein Mob bestehend aus 200 Fundamentalisten zehn von Christen bewohnte Häuser überfallen haben. Ferner wurde am 18. September 2004 ein Konvertit umgebracht. Der Tatverdächtige - ein in einer lokalen Koranschule tätiger Lehrer - wurde nach zwei Wochen Haft wieder freigelassen. Nach der Ermordung zweier Mitglieder einer christlichen NGO verhaftete die Polizei mehrere Verdächtige, welche indes bis Ende Jahr ohne Anklageerhebung wieder auf freiem Fuss waren (US State Departement, Bangladesh Country Report on Human Rights Practices 2005 vom 8. März 2006, Section 2 Bst. b).

5.

5.1. Die Vorinstanz ist in der angefochtenen Verfügung noch von der Unglaubhaftigkeit des vom Beschwerdeführer geltend gemachten Strafverfahrens ausgegangen. Aufgrund der nachträglich veranlassten Abklärungen vor Ort erachtete sie dieses in der Folge für glaubhaft, erwog aber in der Vernehmlassung vom 10. März 2005, dass es gemäss Ergebnis der zweiten Botschaftsabklärung am 26. Juni 2004 eingestellt worden sei.

5.2. Das Ergebnis der zweiten Botschaftsabklärung - die Botschaftsantwort vom 1. März 2005 - wurde von der Vorinstanz als Akte A 33/4 paginiert. Die erste Seite dieser Akte umfasst das Begleitschreiben der Botschaft im Original. Die verbleibenden drei Seiten sind Kopien. Die zweite Seite ist weitgehend unbeschriftet. Im untersten Drittel ist vorerst ein Satzfragment (mutmasslich „the said Court“) knapp auszumachen. Es folgt eine Konklusion: „On the basis of such investigations we are able to furnish answers to each of your queries under:” sowie anschliessend die bereits erwähnte Feststellung, das Verfahren gegen den Beschwerdeführer sei am 26. Juni 2004 eingestellt worden. Es werden sodann auf der Seite drei und vier der Akte die weiteren Fragen des Bundesamtes beantwortet. Nach dem Gesagten ist aber in keiner Weise ersichtlich, welcher Art


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die Abklärungen vor Ort im Rahmen der zweiten Botschaftsantwort waren. Der Beschwerdeführer rügt in diesem Zusammenhang, entgegen dem erwähnten Abklärungsergebnis der Botschaft sei das Verfahren noch offen. Sein Vater - ein ehemaliger Polizist in der Heimat - habe nichts von einer Einstellung des Verfahrens in Erfahrung bringen können. Es sei gut möglich, dass fälschlicherweise eine Verfahrenseinstellung bekannt gegeben worden sei. Diese nachvollziehbaren Zweifel des Beschwerdeführers können aufgrund der bestehenden Aktenlage nicht hinreichend beseitigt werden. So ist insbesondere keine entsprechende Einstellungsverfügung des zuständigen bangladeschischen Gerichts vom Bundesamt aktenmässig erwähnt respektive erfasst worden. Welche Gründe zur angeblichen Einstellung geführt haben sollen, kann den verfügbaren Akten somit nicht entnommen werden. Es bleibt ausserdem unklar, ob die erwähnte allfällige Einstellungsverfügung durch ein Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft wieder aufgehoben werden könnte. Auch die rechtliche Situation der Mitangeklagten bleibt im Dunkeln. Im Übrigen handelte es sich beim 26. Juni 2004 um einen Samstag, was - auch wenn die aktuell geltende Regelung des bangladeschischen Wochenendes (es umfasst den Freitag und den Samstag) im damaligen Zeitpunkt noch nicht in Kraft war - die Frage aufzuwerfen vermag, ob am besagten Gericht damals an Samstagen gearbeitet wurde.

Ob die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung beziehungsweise die Einstellung des Verfahrens in Bangladesh sprechenden Gründe überwiegen oder nicht, kann in Anbetracht der aktuellen Aktenlage beziehungsweise der fragmentarisch anmutenden Botschaftsantwort nur nach weiteren Abklärungen respektive einer Offenlegung weiterer, allenfalls bereits vorhandener Akten der zweiten Botschaftsantwort beurteilt werden. Dies ist Sache der Vorinstanz, welche den Sachverhalt vollständig zu ermitteln und korrekt zu erfassen hat. In Betracht kommt somit beispielsweise eine erneute Abklärung vor Ort, wobei die vom Bundesamt behauptete Einstellung des Verfahrens beispielsweise durch einen entsprechenden Beschluss des zuständigen Gerichts zu dokumentieren wäre. Nach der vollständigen Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts wird dieser unter Berücksichtigung der voran stehend dargelegten Situation in Bangladesch zu würdigen sein.

5.3. Zusammenfassend ergibt sich, dass der Sachverhalt im angefochtenen Entscheid in Anbetracht der vorhandenen und paginierten Akten als nicht erstellt erscheint. Die Beschwerde ist entsprechend in dem Sinne gutzuheissen, als die angefochtene Verfügung aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung zurückzuweisen ist. Auf die weiteren Beschwerdevorbringen und -anträge sowie die weiteren gerügten Gehörsverletzungen ist von der ARK mithin nicht näher einzugehen.

 

topprevious


© 05.12.06