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Auszug aus dem Urteil der ARK vom 16. März 2006 i.S. T.B., Rumänien

Art. 17 Abs. 2 und 3 AsylG; Art. 7 AsylV 1: Anforderungen an die Amtsführung der rechtskundigen Vertrauensperson.

1. Die rechtskundige Vertrauensperson eines unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden hat dessen Interessen im Asylverfahren wahrzunehmen. Aus dieser Kernaufgabe ergeben sich die Anforderungen an die Eignung und Ausbildung wie an die Amtsführung der Vertrauensperson (Erw. 4).

2. Handelt die Vertrauensperson offensichtlich gegen die Interessen des unbegleiteten Minderjährigen oder unterlässt sie in dessen Interesse liegende, offensichtlich gebotene Handlungen, so ist ihre Amtsführung mangelhaft und stellt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar (Erw. 6.1. - 6.4.).

3. Weist die Verfügung des BFM Mängel auf, die eine Beschwerdeerhebung nicht aussichtslos erscheinen lassen, so gebietet die Interessenwahrung des unbegleiteten Minderjährigen, ihm die Mängel der Verfügung zu erklären und ihn bei der Beschwerdeerhebung zu unterstützen. Hingegen reicht es nicht aus, ihn lediglich an eine Rechtsberatungsstelle zu verweisen (Erw. 6.2.).

Art. 17 al. 2 et 3 LAsi ; art. 7 OAsi 1 : exigences requises de la personne de confiance dans la gestion de sa charge.

1. La personne de confiance dotée de connaissances juridiques doit assurer la défense des intérêts du mineur non accompagné durant la procédure d’asile. A cette fonction centrale sont attachées certaines exigences quant à la qualification et la formation de la personne de confiance ainsi qu’à la manière dont celle-ci s’acquitte de sa charge (consid. 4).

2. Si la personne de confiance a manifestement agi contre les intérêts du mineur non accompagné ou s’est manifestement abstenue d’accomplir les actes que commandait la défense de ses intérêts, on doit considérer qu’elle a failli à sa tâche et que son comportement a entraîné une violation du droit d’être entendu (consid. 6.1. - 6.4.).


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3. Si la décision de l’ODM révèle des vices qui font qu’un éventuel recours n’apparaît pas dénué de chances de succès, la défense des intérêts du mineur non accompagné commande que les vices de cette décision lui soient expliqués et qu’un soutien lui soit accordé pour déposer un recours ; il ne suffit pas de simplement l’adresser à un bureau de consultations juridiques (consid. 6.2.).

Art. 17 cpv. 2 e 3 LAsi; art. 7 OAsi 1: esigenze poste alla persona di fiducia nell’esercizio della sua funzione.

1. Alla persona di fiducia, cognita di diritto, è affidato il compito primario di difendere gli interessi del minorenne non accompagnato nella procedura d'asilo. Devono pertanto essere soddisfatte determinate esigenze per quanto attiene all'idoneità, alla formazione e alla gestione dell'incarico da parte di detta persona (consid. 4).

2. Allorquando la persona di fiducia ha manifestamente agito contro gli interessi del minorenne non accompagnato o ha omesso di compiere atti importanti per la sua difesa, è rilevabile una carente esecuzione del suo compito primario che comporta una violazione del diritto d'essere sentito del minorenne (consid. 6.1. - 6.4.).

3. Se la decisione dell'UFM presenta vizi tali da non poter definire l’inoltro di un ricorso siccome a priori sprovvisto di probabilità d'esito favorevole, la persona di fiducia è tenuta a spiegare detti vizi al minorenne e ad aiutarlo nella presentazione di un gravame. È insufficiente il consiglio di rivolgersi ad un mandatario professionale (consid. 6.2.).

Zusammenfassung des Sachverhalts:

Der Beschwerdeführer stellte am 4. Juli 2005 im Empfangszentrum Kreuzlingen ein Asylgesuch.

Anlässlich der Befragungen vom 14. und vom 25. Juli 2005 machte er folgende Angaben zu seiner Person und zu seinen Fluchtgründen: Er sei als Roma in einem Lager in der Nähe der rumänisch-ungarischen Grenze geboren und habe sich bis zu seiner Ausreise dort aufgehalten. Er habe nie die Schule besucht und verfüge neben seiner Muttersprache Ungarisch über keine Sprachkenntnisse. Im Lager habe er sporadisch als Jagdgehilfe und Aushilfsmaler gearbeitet; einen


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Beruf habe er nicht erlernt. Seine Eltern seien gestorben, als er vier Jahre alt gewesen sei, und Geschwister habe er keine gehabt. Er erklärte, er habe nie Identitätspapiere besessen. Der Beschwerdeführer machte geltend, er müsse befürchten, von einer anderen Gruppe Fahrender getötet zu werden. Diese wollten Rache an ihm nehmen, weil er eine Angehörige dieser Gruppe geschwängert habe.

Anlässlich der Befragung vom 25. Juli 2005 war dem minderjährigen Beschwerdeführer eine Vertrauensperson beigeordnet.

Mit Verfügung vom 5. August 2005 trat die Vorinstanz nicht auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers ein und ordnete die Wegweisung sowie den Vollzug an. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, der Bundesrat habe Rumänien als verfolgungssicheren Staat bezeichnet und es seien weder Hinweise auf Verfolgung noch Wegweisungshindernisse erkennbar.

Gegen diese Verfügung erhob der Beschwerdeführer am 10. August 2005 bei der ARK Beschwerde. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, der Sachverhalt sei mangelhaft erstellt worden, da er als Minderjähriger von der anwesenden Vertrauensperson nicht genügend verbeiständet worden sei. Im Übrigen sei dem Umstand, dass er minderjährig sei, im Rahmen der Prüfung des Wegweisungsvollzugs nicht Rechnung getragen worden.

In ihrer Vernehmlassung vom 22. August 2005 erklärte die Vorinstanz, die Verbeiständung durch die Vertrauensperson sei ausreichend gewesen. Mit Bezug auf die Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs hielt sie fest, der Beschwerdeführer sei seiner Mitwirkungspflicht ungenügend nachgekommen, weshalb Abklärungen zu seinen Verhältnissen in seiner Heimat nicht möglich gewesen seien. Im Übrigen sei es irreführend, ihn als Kind zu bezeichnen.

Die ARK heisst die Beschwerde gut, hebt die angefochtene Verfügung auf und weist die Sache zur Fortsetzung des Verfahrens und zum neuen Entscheid an das BFM zurück.

Aus den Erwägungen:

3. Der Beschwerdeführer war eigenen Angaben zufolge etwas über siebzehn Jahre alt, als er Mitte Juli 2005 sein Asylgesuch stellte. Diese Angabe ist im vorliegenden Verfahren unbestritten geblieben und scheint auch von der Vorinstanz anerkannt zu werden. Jedenfalls finden sich weder in der angefochtenen Verfügung noch in der Vernehmlassung vom 22. August 2005 Erwägungen, mit


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denen Zweifel am Alter des Beschwerdeführers begründet würden. Es ist in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung, ob das Verhalten des Beschwerdeführers mit der Vorinstanz als „unverschämtes Benehmen eines jungen Erwachsenen“ oder mit der Rechtsvertreterin als „pubertäre Trotzigkeit“ bezeichnet wird; der Beschwerdeführer war ungeachtet seines Verhaltens ein Kind im Sinne von Art. 1 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes (Kinderrechtskonvention, KRK) beziehungsweise ein Unmündiger im Sinne von Art. 14 ZGB. In Anwendung von Art. 17 Abs. 2 und 3 AsylG war ihm eine Vertrauensperson beizuordnen.

Im vorliegenden Verfahren hat eine Vertrauensperson mitgewirkt. Sie unterschrieb das Protokoll der Befragung vom 25. Juli 2005 ebenso wie die Eröffnungs- und Empfangsbestätigung der angefochtenen Verfügung vom 5. August 2005. Aus der Vernehmlassung der Vorinstanz geht sodann hervor, dass die Vertrauensperson den Beschwerdeführer an die genannte Rechtsvertreterin verwiesen hatte, beziehungsweise an die Rechtsberatungsstelle, für die diese arbeitet. Abgesehen davon hat die Mitwirkung der Vertrauensperson keinen Niederschlag in den Akten gefunden.

Der Beschwerdeführer bestreitet das Mitwirken der Vertrauensperson nicht, macht jedoch im Rahmen seiner Beschwerdebegründung geltend, diese habe ihr Amt ungenügend versehen. Er habe zwar erkannt, dass neben dem Befrager und dem Dolmetscher eine dritte Person zugegen gewesen sei. Die Rolle dieser Person im Verfahren habe er indessen nicht erfasst. Die Vertrauensperson habe sich überdies in keiner Weise bemüht, ihm den Entscheid der Vorinstanz zu erklären oder ihm sonst im Verfahren beizustehen. Der Beschwerdeführer gab der Auffassung Ausdruck, die Beiordnung einer Vertrauensperson im Empfangszentrum Kreuzlingen diene einzig der formellen Nachachtung der Verfahrensregeln, ohne indessen deren materiellem Gehalt gerecht zu werden.

Die Vorinstanz erkannte in der Beschwerdebegründung eine „standardmässig wiederholte Unterstellung“ der Rechtsvertreterin. Die entsprechenden Vorwürfe seien haltlos und tatsachenwidrig.

Der ARK ist bekannt, dass im Empfangszentrum Kreuzlingen häufig dieselbe Vertrauensperson eingesetzt wird und dass deren Amtsführung bereits in der Vergangenheit Anlass zu Beanstandungen gegeben hat. In diesem Zusammenhang kann beispielsweise auf die Beschwerdeverfahren i.S. R.H., unbekannter Staatsangehörigkeit, […] und R.E., Kamerun, […], verwiesen werden. Die genannte Rechtsvertreterin handelte in diesen Verfahren zumindest zeitweilig in derselben Funktion, so dass Aktenkenntnis vorgesetzt werden kann, wenn nachfolgend auf diese Verfahren verwiesen wird.


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Im Folgenden gilt es zu untersuchen, ob die Beiordnung der Vertrauensperson und deren Amtsführung im Rahmen des vorliegenden Verfahrens im Einklang mit dem anwendbaren Recht standen.

4.
4.1. In EMARK 1998 Nr. 13 begründete die ARK eine seither konstante Rechtsprechung mit dem Grundsatz, dass die mit der Anhörung betraute Behörde verpflichtet ist, unbegleiteten Minderjährigen - solange keine vormundschaftlichen Massnahmen Platz gegriffen haben - für die Dauer des Asylverfahrens von Amtes wegen eine rechtskundige Person beizuordnen, bevor die Anhörung zu den Asylgründen erfolgt. Diese Verpflichtung ergibt sich aus den Grundsätzen der Achtung des Kindswohls (Art. 3 KRK, Art. 11 BV), der Rechtsgleichheit sowie des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 8 und Art. 29 BV) und soll der speziellen Situation von Minderjährigen im Asylverfahren Rechnung tragen. Die ARK präzisierte diese Rechtsprechung in EMARK 1999 Nr. 18, Erw. 5b, S. 119, dahingehend, dass die Verpflichtung zur Beiordnung einer Vertrauensperson auch in Konstellationen gelte, in denen die betroffene minderjährige Person zwar nicht von den kantonalen Behörden zu ihren Asylgründen, aber von einem vom Bundesamt beauftragten Sachverständigen befragt werde. In solchen Konstellationen ist das Bundesamt verpflichtet, die erforderlichen Massnahmen zu treffen. Eine Missachtung der Pflicht zur Beiordnung einer Vertrauensperson ist als Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zu behandeln (EMARK 1999 Nr. 2, Erw. 5, S. 11) und führt, wenn sie auf Beschwerdeebene gerügt wird, in der Regel zur Kassation der angefochtenen Verfügung, da eine Heilung nur in Ausnahmefällen zulässig ist (EMARK 1999 Nr. 18, Erw. 5d, S. 120).

Mit Inkrafttreten von Art. 17 Abs. 3 AsylG sowie Art. 7 AsylV 1 fand die Verpflichtung zur Beiordnung einer Vertrauensperson Eingang ins geltende Recht, wobei die zitierte Rechtsprechung der ARK weiterhin unvermindert Gültigkeit beanspruchen kann (vgl. EMARK 2003 Nr. 1, Erw. 3, S. 4 ff.).

In EMARK 2004 Nr. 30, Erw. 5. und 6., S. 208 ff., anerkannte es die ARK schliesslich als zulässig, von der Beiordnung einer Vertrauensperson abzusehen, wenn vor der einlässlichen Befragung aufgrund der Aussagen der asylsuchenden Person Zweifel an deren Minderjährigkeit aufgekommen sind.

4.2. Den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen lassen sich keine konkreten Kriterien entnehmen, anhand derer die Amtsführung einer Vertrauensperson beurteilt werden könnte, so dass sich die nachfolgenden Erwägungen an der Rechtsprechung der ARK, insbesondere an EMARK 2003 Nr. 1 zu orientieren haben. In diesem Rahmen ist zunächst zu fordern, dass die Vertrauensperson rechtskundig sei, wobei an dieses Kriterium keine allzu strengen Massstäbe zu setzen


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sind. Für die Zwecke der juristischen Begleitung und Unterstützung reicht es aus, wenn die Vertrauensperson hinreichende Grundkenntnisse des Asylverfahrens besitzt und insbesondere mit den essenziellen Verfahrensschritten vertraut ist (EMARK 2003 Nr. 1, Erw. 3e, S. 8 f.).

Die Kernaufgabe der Vertrauensperson ist die Wahrnehmung der Interessen der minderjährigen Person im Asylverfahren. Daneben hielt die ARK fest, dass die Funktion der Vertrauensperson „…mannigfaltiger Natur ist und nebst der Wahrung seiner [des Minderjährigen] Interessen im eigentlichen Asylverfahren auch administrative und organisatorische Aufgaben (z.B. Betreuung am Wohnort, Regelung versicherungstechnischer Fragen, Sicherstellung einer allfälligen medizinischen oder psychologischen Behandlung usw.) umfasst, was sich ohne Weiteres auch aus der Überlegung ergibt, dass die eingesetzte Vertrauensperson mangels Errichtung einer Vormund- (Art. 368 ZGB) beziehungsweise Beistandschaft (Art. 392 Ziff. 3 ZGB) wohl zumindest teilweise deren Aufgaben wahrnehmen muss.“ (EMARK 2003 Nr. 1, Erw. 3c/bb, S. 7).

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Vertrauensperson die Interessen der unbegleiteten Minderjährigen im Verfahren zu wahren hat. Die Anforderungen an ihre Eignung und Amtsführung ergeben sich aus dieser Aufgabenstellung.

5.
5.1. Die ARK hatte die im vorliegenden Verfahren eingesetzte Vertrauensperson in den oben genannten Verfahren i.S. R.H., unbekannter Staatsangehörigkeit, und R.E., Kamerun, (vgl. oben Erw. 3.) schriftlich zu ihrer Eignung und Amtsführung befragt. Aus den ausführlichen Antworten der Vertrauensperson vom 29. September 2004 und vom 3. Oktober 2004 ergab sich im Wesentlichen Folgendes: Nach ihrer Ausbildung zum kaufmännischen Angestellten sei die Vertrauensperson einige Jahre in der Privatwirtschaft tätig gewesen, bevor sie Anfang der Neunziger Jahre über ein Praktikum bei der Amtsvormundschaft in die Verwaltung der Stadt X. gewechselt habe, wo sie seither als städtischer Asylkoordinator wirke. Neben dieser Tätigkeit bilde sie sich an einer Fachhochschule in der Fachrichtung soziale Arbeit weiter.

Zu ihrer Amtsführung im Allgemeinen erklärte sie, sie nehme an den Befragungen der minderjährigen Asylsuchenden und an Eröffnungen (von Verfügungen, welche den Betroffenen im Empfangszentrum persönlich eröffnet werden) teil. Sie und ihre Funktion würden den Asylsuchenden jeweils vorgestellt, was von diesen bestätigt werde. Ihre Aufgaben bestünden in der Vertretung und Beratung der Asylsuchenden. Anlässlich der Befragungen stelle sie bei Bedarf Verständnisfragen und vermittle beziehungsweise interveniere bei Unklarheiten oder Unstimmigkeiten. Ferner wache sie über die Richtigkeit von Protokoll und Über-


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setzung und stehe den Asylsuchenden auf Wunsch für eine Nachbesprechung zur Verfügung. Erfahrungsgemäss interessierten sich die Asylsuchenden vor allem für Rekursmöglichkeiten und -fristen sowie für Rechtsbeistand. Im Verfahren i.S. R.E., Kamerun, erklärte die Vertrauensperson zudem, sie unterschreibe Aktenstücke jeweils unleserlich, um zu verhindern, dass die Asylsuchenden privat mit ihr in Kontakt treten würden. Dies sei eine Sicherheitsmassnahme, welche auch andere Amtsträger treffen würden.

Aus der Vernehmlassung vom 22. August 2005 im vorliegenden Verfahren geht hervor, dass sich die Vertrauensperson von diesen Grundsätzen der Amtsführung hat leiten lassen.

5.2. Im Urteil vom 17. Februar 2005 i.S. R.E., Kamerun, konnte angesichts zahlreicher anderer schwerer Verfahrensmängel im erstinstanzlichen Verfahren offen bleiben, ob die Vertrauensperson ihre Funktion hinreichend wahrgenommen habe und inwieweit die zivilrechtlichen Bestimmungen über die Vormundschaft anwendbar seien. Sodann wurde ausdrücklich offen gelassen, ob eine einem minderjährigen Asylsuchenden zugeteilte Begleitperson, die ihrem Schutzbefohlenen offenbar ihren Namen konsequent verschwiegen und aus diesem Grund sogar ihre Unterschrift verstellt habe, überhaupt als Vertrauensperson im Sinne des Asylgesetzes bezeichnet werden könne.

Demgegenüber stellte die ARK im Urteil vom 29. März 2005 i.S. R.H., unbekannter Staatsangehörigkeit, fest, angesichts ihres Werdegangs, insbesondere der langjährigen Erfahrung in der Asylkoordination und der Erfahrung im Vormundschaftswesen, sei grundsätzlich davon auszugehen, dass die Vertrauensperson den Anforderungen an die Rechtskundigkeit genüge. Bezüglich der Verfahrensführung konnte die ARK ihren Entscheid nur auf die Aussagen der Vertrauensperson abstützen, welche erklärte, sie habe sich zu keinem Zeitpunkt veranlasst gesehen, zu intervenieren. Der Beschwerdeführer im damaligen Verfahren liess diese Aussage unwidersprochen und den Akten liessen sich keine Hinweise auf eine mangelhafte Amtsführung entnehmen. Unter diesen Umständen ging die ARK von einer korrekten Amtsführung der Vertrauensperson aus.

6.
6.1. Wie oben dargelegt (vgl. Erw. 4.2.), ergeben sich die Anforderungen an Eignung und Ausbildung der Vertrauensperson sowie an deren Amtsführung aus ihren Aufgaben im Asylverfahren. Sie muss mit den rechtlichen Grundlagen des Asylverfahrens vertraut sein, soweit dies zur Wahrung der Interessen der unbegleiteten Minderjährigen erforderlich ist, und sie muss sich ihre Arbeitsweise so einrichten, dass sie diese Interessenwahrung gewährleisten kann. Weder dem Gesetz noch der Praxis der ARK lassen sich hierzu allgemein anwendbare Vor-


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schriften entnehmen, so dass der Vertrauensperson beziehungsweise der Behörde, welche sie bestellt, ein weites Ermessen zusteht. Sie sind in diesem Rahmen frei in der Ausgestaltung und der vertraglichen Regelung der Einsätze der Vertrauensperson.

Das weite Ermessen der Behörden und der Vertrauensperson hat sodann zur Folge, dass Handlungen oder Unterlassungen letzterer nicht unweigerlich eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bedeuten, bloss weil sie im Hinblick auf die Aufgabenstellung der Vertrauensperson unzweckmässig oder suboptimal erscheinen mögen. Die Vertrauensperson handelt nach Massgabe ihrer Wahrnehmungen im Verfahren und stellt unter anderem auf subjektive Wertungen ab; ihre Einschätzungen können in diesem Rahmen von dem abweichen, was einem unbeteiligten Dritten angemessen erscheinen würde, ohne dass das Verfahren deshalb bereits mit einem regelmässig nicht heilbaren Mangel (vgl. Erw. 4.1.) behaftet wäre. Anders als im Falle der gewillkürten Vertretung haben sich die unbegleiteten Minderjährigen freilich nicht jede Fehlleistung der Vertrauensperson anrechnen zu lassen; dies wäre nicht angemessen, da sie auf die Auswahl der Vertrauensperson keinen Einfluss haben.

Die Grenze des Ermessens der Vertrauensperson ist überschritten, wo sie offensichtlich gegen die Interessen der unbegleiteten Minderjährigen handelt oder in deren Interesse liegende, offensichtlich gebotene Handlungen unterlässt. Solche Handlungen oder Unterlassungen haben sich die unbegleiteten Minderjährigen nicht anrechnen zu lassen; sie sind gewichtige Indizien für eine mangelhafte Amtsführung der Vertrauensperson, da aus ihnen ersichtlich wird, dass diese entweder aufgrund mangelnder Sachkenntnis nicht in der Lage war, das Gebotene zu erkennen, oder sich teilweise oder ausschliesslich an anderen Interessen als jenem der unbegleiteten Minderjährigen orientiert hat. In diesem Rahmen gilt es in Erinnerung zu rufen, dass die Vertrauensperson zwar von der Behörde bestellt ist, ihre Aufgabe jedoch nicht in der Wahrung öffentlicher Interessen besteht. Die Abwägung der Interessen der unbegleiteten Minderjährigen gegen öffentliche Interessen ist Sache der entscheidenden Behörde, und die Vertrauensperson überschreitet ihre Kompetenzen, wenn sie im Rahmen ihrer Amtsführung eine solche Abwägung vornimmt. Sie hat sich einzig am Interesse der unbegleiteten Minderjährigen auszurichten. Der Gestaltungsfreiraum der Behörden und der Vertrauensperson hat schliesslich dort ihre Grenzen, wo die Amtsführung letzterer so ausgestaltet ist, dass diese ihre Aufgaben nicht wirksam erfüllen kann. Massgeblich sind immer Bestellung und Amtsführung im Einzelfall.

6.2. Im vorliegenden Verfahren unterschrieb die Vertrauensperson das Protokoll der Befragung vom 25. Juli 2005 ebenso wie die Eröffnungs- und Empfangsbestätigung der angefochtenen Verfügung vom 5. August 2005. Sodann verwies


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sie den Beschwerdeführer an die genannte Rechtsvertreterin beziehungsweise an die Rechtsberatungsstelle. Die Rechtsvertreterin anerkennt dies, kritisiert indessen, die Vertrauensperson habe sich mit dem Hinweis auf die Rechtsberatungsstelle begnügt, ohne dem Beschwerdeführer deren Funktion und Möglichkeiten auseinanderzusetzen. Nach Ansicht der Rechtsvertreterin schliesst das Mandat der Vertrauensperson auch die Übernahme von Beschwerdeverfahren gegen Entscheide ein, welche gegen geltendes Recht verstossen. Die Vertrauensperson selbst scheint ihr Mandat nicht ganz so weit zu verstehen; immerhin anerkannte sie, dass sich die unbegleiteten Minderjährigen erfahrungsgemäss am meisten für das Verfahren nach dem erstinstanzlichen Entscheid und für Rekursmöglichkeiten interessierten.

In der Tat beginnt mit Eröffnung des erstinstanzlichen Entscheides eine Phase im Verfahren, in der unbegleitete Minderjährige besonderer Unterstützung bedürfen, um ihre Interessen wirksam wahrnehmen zu können; dies gilt insbesondere im Anwendungsbereich der kurzen Beschwerdefristen gemäss Art. 108a AsylG. Es ist daher schwer nachvollziehbar, von welchen Überlegungen sich die Vertrauensperson hat leiten lassen, als sie den Beschwerdeführer ohne Erläuterung der angefochtenen Verfügung an eine entgeltlich arbeitende Rechtsberatungsstelle verwies.

Die Vertrauensperson hätte erkennen müssen, dass die angefochtene Verfügung mangelhaft ist. Die Vorinstanz hatte es nämlich unterlassen, im Rahmen der Prüfung der Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs das Kindswohl zu berücksichtigen. Sie wäre hierzu aus Art. 14a Abs. 4 ANAG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 KRK verpflichtet gewesen (vgl. EMARK 2005 Nr. 6 m.w.H.) und hat durch ihre Unterlassung die Begründungspflicht (Art. 35 Abs. 1 VwVG) verletzt, welche eine Konkretisierung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) im Verwaltungsverfahren darstellt. Wird auf Beschwerdeebene eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör festgestellt, ist die entsprechende Verfügung in der Regel ungeachtet ihrer allfälligen materiellen Richtigkeit zu kassieren. Dies ergibt sich aus der formellen Natur des rechtlichen Gehörs (vgl. A. Kölz/I. Häner, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl., Zürich 1998, Rz 129 ff., Rz 326). Unter diesen Umständen hätte die Vertrauensperson erkennen müssen, dass eine Beschwerde nicht zum Vornherein aussichtslos gewesen wäre, sondern mit grosser Wahrscheinlichkeit zu einer Kassation der angefochtenen Verfügung geführt hätte. Die Verletzung der Begründungspflicht durch die Vorinstanz hätte der Vertrauensperson umso mehr auffallen müssen, als sie auf denselben Prinzipien gründet, welche zur Einsetzung der Vertrauensperson geführt haben: dem Kindswohl und dem Anspruch auf rechtliches Gehör.


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Diese Umstände hätte die Vertrauensperson dem Beschwerdeführer zumindest erklären müssen, bevor sie ihn an eine Rechtsberatungsstelle verwies, welche ihm mehr als 1000 Franken für ihre Bemühungen in Rechnung stellen würde. Angesichts des schweren Mangels der angefochtenen Verfügung hätten die Interessen des Beschwerdeführers mit verhältnismässig geringem Aufwand gewahrt werden können mit einer einfachen Eingabe an die ARK unter Hinweis auf die Verletzung der Begründungspflicht. Wäre dies dem Beschwerdeführer erklärt worden, hätte er sich wohl ohne weiteres für eine Beschwerde entschieden. Angesichts der klaren Verhältnisse wäre eine solche Beschwerde offensichtlich in seinem Interesse gewesen, zu dessen Wahrung die Vertrauensperson verpflichtet war. Die Vertrauensperson hätte dem Beschwerdeführer helfen müssen, Beschwerde zu erheben. Mit dem blossen allgemeinen Verweis auf die Rechtsberatungsstelle nahm die Vertrauensperson in Kauf, dass der Beschwerdeführer den Mangel der Verfügung nicht erkennen, die Frist verpassen, sich von den Kosten abschrecken lassen könnte oder dergleichen.

6.3. Indem die Vertrauensperson dem Beschwerdeführer die angefochtene Verfügung nicht erläutert beziehungsweise ihm nicht geholfen hat, Beschwerde zu erheben, sondern ihn bloss in allgemeiner Weise an die Rechtsberatungsstelle verwiesen hat, hat sie Handlungen unterlassen, die offensichtlich im Interesse des Beschwerdeführers gewesen wären. Solche Unterlassungen sind, wie oben dargelegt (vgl. Erw. 6.1.), gewichtige Indizien für eine mangelhafte Amtsführung der Vertrauensperson. Sie legen nahe, dass diese entweder nicht in der Lage oder nicht gewillt war, die Interessen der unbegleiteten Minderjährigen zu wahren. Im Übrigen stellt die ARK fest, dass die Vertrauensperson im vorliegenden Verfahren den eigenen Ansprüchen an ihre Amtsführung nicht genügte, indem sie es unterliess, mit dem Beschwerdeführer Rekursmöglichkeiten zu diskutieren.

In der Tat hätte im vorliegenden Verfahren eine rechtskundige Person den Mangel und das gebotene Vorgehen ohne weiteres erkennen müssen, wenn sie die angefochtene Verfügung im Hinblick auf die Wahrung der Interessen des Beschwerdeführers studiert hätte. Dass die Vertrauensperson im vorliegenden Verfahren nicht nach Massgabe des Gebotenen gehandelt hat, lässt sich in dieser Situation nur auf Gründe zurückführen, welche der Beschwerdeführer nicht zu vertreten hat: entweder hat die Vertrauensperson nicht erkannt, was im Interesse des Beschwerdeführers geboten war, weil ihr die erforderlichen Kenntnisse fehlten; oder sie hat es erkannt, sich aber ungeachtet der Interessen des Beschwerdeführers für ein anderes Vorgehen entschieden; schliesslich ist auch denkbar, dass sie der Angelegenheit nicht die erforderliche Aufmerksamkeit geschenkt und übersehen hat, dass sie hätte handeln müssen. Vorliegend kann offen bleiben, ob die Vertrauensperson aus unzureichender Sachkenntnis, aus fal-


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scher Gewichtung der Interessen oder aus Unachtsamkeit untätig blieb; alle diese Umstände würden die Amtsführung der Vertrauensperson gleichermassen als mangelhaft erscheinen lassen. Im Hinblick auf die Wahrung des Kindswohls und den Anspruch auf rechtliches Gehör ist einzig beachtlich, dass dem Beschwerdeführer im erstinstanzlichen Verfahren eine Vertrauensperson beigeordnet wurde, welche seine Interessen mangelhaft wahrgenommen hat.

6.4. In dieser Erkenntnis sieht sich die ARK im Übrigen durch den Umstand bestätigt, dass in den Befragungsprotokollen keinerlei Interventionen der Vertrauensperson festgehalten sind, obwohl sich der Beschwerdeführer anlässlich der Befragung vom 25. Juli 2005 wiederholt sehr unreif verhielt und unangebrachte Antworten gab, aus denen ersichtlich wird, dass er Zweck und Bedeutung der Befragungen nicht erkannte. Es wäre bei diesen Gelegenheiten durchaus angebracht und im Interesse einer zuverlässigen Sachverhaltsfeststellung äusserst dienlich gewesen, wenn die Vertrauensperson den Beschwerdeführer in dessen eigenem Interesse zurechtgewiesen und an seine Pflichten erinnert hätte. Zu diesem Zweck wird Minderjährigen eine Vertrauensperson beigeordnet.

6.5. Schliesslich ist festzustellen, dass die Vertrauensperson im vorliegenden Verfahren unleserlich unterschrieben hat. Der Anfangsbuchstabe des Vornamens ist in der Unterschrift so mit dem Nachnamen verbunden, dass der Eindruck entsteht, der Nachname beginne mit diesem Buchstaben; zudem ist dieser Anfangsbuchstabe so undeutlich geschrieben, dass er als mindestens drei verschiedene Buchstaben gelesen werden kann. Zweck dieser Massnahme sei es, so die Vertrauensperson, zu verhindern, dass sie von den von ihr betreuten Minderjährigen privat aufgesucht werde. Diese Sicherheitsmassnahme werde von anderen Funktionsträgern ebenfalls praktiziert.

Das Bestreben der Vertrauensperson, die Auswirkungen ihres Berufes auf ihr Privatleben in Grenzen zu halten, ist zwar nicht gänzlich unverständlich. Es muss freilich festgestellt werden, dass das konsequente Verheimlichen des Namens mit der Funktion einer Vertrauensperson nicht zu vereinbaren ist.

Zunächst ist das gegenseitige Nennen des Namens elementarer Bestandteil jeder Vertrauensbildung zwischen Menschen; wer seinen Namen verheimlicht, kann nicht mit dem Vertrauen anderer rechnen. Sodann ist es im Hinblick auf die Erfüllung der Aufgaben der Vertrauensperson erforderlich, dass sich die von ihr betreuten Minderjährigen auch spontan an sie wenden können, wenn sie Unterstützung benötigen. In diesem Zusammenhang ist in Erinnerung zu rufen, dass sich die Pflichten der Vertrauensperson nach der Praxis der ARK nicht auf das eigentliche Verfahren beschränken, sondern auch die Unterstützung in anderen Lebensbereichen umfassen (vgl. oben Erw. 4.2.). Von dieser Unterstützung kön-


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nen die unbegleiteten Minderjährigen keinen Gebrauch machen, wenn sich die Vertrauensperson nicht zu ihrer Verfügung hält beziehungsweise nicht erreichbar ist. Da die Vertrauensperson insbesondere auch bei Problemen im Verfahren beziehungsweise mit der Unterbringung helfen soll, ist es nicht zweckmässig, wenn der Kontakt über Mitarbeiter der Vorinstanz hergestellt werden muss; diese können unter Umständen als Teil des Problems und daher als nicht neutral wahrgenommen werden. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Vertrauensperson im Übrigen auch von anderen Funktionsträgern, welche unter Umständen ihre Namen verheimlichen dürfen, wenn ihnen dies opportun erscheint und gestattet ist.

Hieraus ergibt sich, dass die Vertrauensperson bereit sein muss, den von ihr betreuten Minderjährigen ihren vollen Namen zu nennen und anzugeben, wo und wie sie zu erreichen ist. Verweigert sie dies, ist in der Regel von einer mangelhaften Amtsführung auszugehen; die Vertrauensperson kann unter diesen Umständen ihren Pflichten nicht nachkommen. Selbstverständlich bedeutet dies nicht, dass die Vertrauensperson rund um die Uhr zur Verfügung zu stehen hat; sie kann die Minderjährigen auf Sprechstunden verweisen und vorgängige telefonische Anmeldung verlangen. Auf diese Weise kann sie auch die Integrität ihre Privatsphäre wahren; die Verweigerung des Namens steht als Mittel zu diesem Zweck nicht zur Verfügung, sie ist mit der Funktion der Vertrauensperson nicht in Einklang zu bringen.

6.6. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Vertrauensperson im vorliegenden Verfahren eine im Interesse des Beschwerdeführers offensichtlich gebotene Handlung unterlassen hat. Ob dies auf mangelnde Sachkenntnis, falsche Gewichtung der Interessen oder Unachtsamkeit zurückzuführen ist, braucht vorliegend nicht geklärt zu werden, da die Amtsführung der Vertrauensperson in jedem Fall als mangelhaft erkannt werden muss. Überdies hat die Vertrauensperson ihren Namen verheimlicht, was mit der Funktion einer Vertrauensperson nicht vereinbar ist.

Die mangelhafte Beiordnung einer Vertrauensperson stellt eine Verletzung des Anspruches auf rechtliches Gehör dar; aufgrund der formellen Natur dieses Anspruches ist die angefochtene Verfügung vom 5. August 2005 ungeachtet ihrer allfälligen Richtigkeit aufzuheben und die Sache zu einem neuen Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen.

 

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