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Auszug aus dem Urteil der ARK vom 7. April 2005 i.S. X.Y., Sudan

Art. 3 und 54 AsylG: subjektive Nachfluchtgründe eines sudanesischen Exilaktivisten.

1. Situation im Süd-Sudan nach Abschluss des Friedensabkommens zwischen der sudanesischen Regierung und der Sudanesischen Befreiungsbewegung (Sudan People's Liberation Movement [SPLM]) (Erw. 7.2.4. und 7.2.5.).

2. Anhänger der SPLM werden im Sudan nicht mehr grundsätzlich als Oppositionelle verfolgt. Eine Verfolgungsgefahr wegen subjektiver Nachfluchtgründe ist deshalb auch für ein Mitglied dieser Organisation auszuschliessen, welches sich in einem beschränkten Ausmass für die SPLM sowie für die Anliegen der Nuba im Exil engagiert hat (Erw. 7.2.6.).

Art. 3 et 54 LAsi : motifs subjectifs postérieurs à la fuite d’un activiste soudanais en exil.

1. Situation au Soudan du sud après la conclusion de l’accord de paix entre le gouvernement soudanais et le mouvement de libération du peuple soudanais (Sudan People's Liberation Movement [SPLM]) (consid. 7.2.4. et 7.2.5.).

2. Les partisans du SPLM ne sont, en principe, plus persécutés en tant qu’opposants politiques. Un danger de persécutions en raison de motifs subjectifs postérieurs à la fuite est de ce fait à exclure s’agissant d’une personne qui, de manière limitée, s’est engagée, alors qu’elle était en exil, tant en faveur de cette organisation que de l’ethnie Nuba (consid. 7.2.6.).

Art. 3 e 54 LAsi: motivi soggettivi insorti dopo la fuga di un’attivista sudanese in esilio.

1. Situazione nel sud del Sudan dopo la conclusione dell’accordo di pace tra il governo sudanese e il movimento di liberazione del popolo suda-


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nese (Sudan People's Liberation Movement [SPLM]) (consid. 7.2.4. e 7.2.5.).

2. In Sudan, i membri del SPLM non sono, di regola, più perseguitati quali oppositori politici. Un timore d’esposizione a future persecuzioni, per motivi posteriori alla fuga, è pertanto da escludere per un membro di tale organizzazione che in esilio si è impegnato, in modo limitato, in favore del citato movimento rispettivamente dell’etnia Nuba (consid. 7.2.6.).

Zusammenfassung des Sachverhalts:

Der Beschwerdeführer begründete sein in der Schweiz gestelltes Asylgesuch im Wesentlichen damit, er gehöre dem Volk der Nuba an, das im Sudan unterdrückt werde. Er sei seit 1981 Mitglied der Sudanese National Party und seit 1991 Mitglied der Sudan People's Liberation Movement (SPLM) gewesen. Von Anfang 1986 bis Anfang Juli 1987 habe er für die Association for Christian Relief Organisation of South Sudan (Across) gearbeitet. Durch die Across sei er auf die SPLM gestossen und habe in deren Namen Geld gesammelt, um den Menschen in den Nuba-Bergen zur Flucht zu verhelfen. Zudem habe er von 1987 bis 1990 die SPLM mit Kleidern und Lebensmitteln, die er von der Across abgezweigt habe, unterstützt. Er habe auch an Sitzungen der SPLM teilgenommen. Die Behörden hätten von seiner SPLM-Tätigkeit zunächst nichts gewusst; er werde jedoch aktuell von den sudanesischen Behörden wegen seiner Zusammenarbeit mit der SPLM, insbesondere wegen seiner diesbezüglichen exilpolitischen Tätigkeiten in der Schweiz, gesucht.

Das BFF lehnte das Asylgesuch ab und stellte fest, der Beschwerdeführer erfülle die Flüchtlingseigenschaft nicht. Gleichzeitig verfügte es die Wegweisung des Beschwerdeführers aus der Schweiz. Eine gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde wies die ARK ab.

In der Folge ersuchte der Beschwerdeführer unter Kosten- und Entschädigungsfolge bei der ARK um Revision des Beschwerdeurteils der ARK, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Gewährung des Asyls.

Der Beschwerdeführer reichte auf Revisionsebene zahlreiche Beweismittel (unter anderem: Bestätigung von Sudan People's Liberation Movement [SPLM] and Sudan People's Liberation Army [SPLA], Kairo) ein.


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Die ARK hiess dieses Revisionsgesuch gut und nahm das Beschwerdeverfahren wieder auf.

Die ARK weist die Beschwerde ab.

Aus den Erwägungen:

7.2.2. Es bleibt im Folgenden zu prüfen, ob das vom Beschwerdeführer vorgebrachte exilpolitische Engagement respektive seine (einfache) Mitgliedschaft und Kontakte zu Persönlichkeiten der SPLM in der Schweiz mit überwiegender Wahrscheinlichkeit den sudanesischen Behörden zur Kenntnis gelangt ist oder im Falle einer Rückkehr im Sinne von subjektiven Nachfluchtgründen eine begründete Furcht vor künftigen Verfolgungsmassnahmen vorliegt.

[…]

7.2.4. Die Regierung der Republik Sudan und die Sudan People’s Liberation Movement (SPLM) bzw. die Sudan People’s Liberation Army (SPLA) haben am 25. September 2003 eine erste Vereinbarung über die Sicherheit für eine Interimsperiode geschlossen, welche den Status der militärischen Kräfte im Norden und Süden des Landes für diesen Zeitraum regelt. Ein weiterer Durchbruch gelang im Januar 2004 mit einem Abkommen über die Aufteilung der Staatseinnahmen, die auch die Erdöleinkünfte einbezieht. Bei den Friedensverhandlungen für den Südsudan am 26. Mai 2004 in Kenia wurden schliesslich drei Teilverträge unterzeichnet, welche die Grundlage für ein umfassendes Friedensabkommen darstellen sollten.

Am 9. Januar 2005 wurde der Friedensvertrag zwischen der Zentralregierung und der Sudanesischen Befreiungsbewegung SPLM in Nairobi unterzeichnet. Er soll den 21 Jahre lang herrschenden Krieg zwischen der sudanesischen Armee nebst ihren zahlreichen paramilitärischen Einheiten und den Milizen der SPLA definitiv beenden.

Mit dem Datum der Unterzeichnung des Friedensvertrages beginnt eine Vor-Übergangsphase (Pre Interim Period) von sechs Monaten, in deren Verlauf gemeinsame Institutionen aufgebaut und Verfahrensweisen etabliert werden, die für die Übergangsphase beschlossen wurden (Erarbeitung der Übergangsverfassung durch die paritätisch besetzte National Constitutional Review Commission, Aufbau der Monitoring- und Evaluierungsgremien).


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Die neu auszuarbeitende Interimsverfassung wird einen nationalen Versöhnungs- und Heilungsprozess in die Wege leiten müssen, den Staatsrat (Vertreter der Gliedstaaten) als zweite Parlamentskammer etablieren, die Nationalversammlung in ihrer neuen Zusammensetzung (70 % Abgeordnete aus dem Norden, 30 % aus dem Süden) einberufen und eine Reihe von Staatsorganen zu bilden haben (Neue Zürcher Zeitung [NZZ] vom 10. Januar 2005).

Der Chef der SPLM resp. SPLA John Garang soll das Amt des Vizepräsidenten in Khartoum bekleiden.

Nach Ablauf dieser 6-monatigen Vorphase soll eine Übergangsphase (Interim Period) von sechs Jahren beginnen. In dieser Zeit hat der Südsudan eine eigene Regierung und ein Parlament (15 % der Sitze für die National Congress Party des Nordsudan, deren Vertreter aber aus dem Südsudan stammen müssen, 70 % SPLM-Vertreter und 15 % Abgeordnete der anderen südsudanesischen politischen Gruppierungen).

Der Südsudan ernennt 7 % der Abgeordneten des Parlamentes in Khartoum und er ist auch nach festgelegten Prozentsätzen an der nationalen und an den Teilstaatsregierungen im Norden beteiligt. Vor Ende des vierten Jahres werden allgemeine Wahlen im gesamten Sudan abgehalten, deren Ergebnisse dann die weitere Zusammensetzung der Parlamente bestimmen. Am Ende der Übergangsperiode wird im Süden eine Volksabstimmung (respektive ein international überwachtes Referendum) abgehalten, in der die Bevölkerung definitiv entscheidet über den Verbleib im Sudan oder über einen eigenen Süd-Staat.

Die umstrittenen Gebiete Abyei, Nuba-Berge und Funj (Southern Blue Nile) haben nur ein abgeschwächtes Selbstbestimmungsrecht erhalten. Die beiden letzteren werden indirekt über gewählte Vertreter über ihr weiteres Schicksal entscheiden können. Die SPLM behält ihre Armee (SPLA). Sie zieht sich binnen acht Monaten aus den Gebieten zurück, die nördlich der kolonialen Grenzziehung zwischen Nord und Süd liegen. Die Sudan Armed Forces der Regierung in Khartoum haben zweieinhalb Jahre Zeit, ihre Positionen im Süden zu räumen. In der Übergangsphase gibt es gemeinsame Truppenverbände beider Armeen: Joint Integrated Units. Der Süden partizipiert an den Einkünften des Staates, unter anderem erhält er 50 % der Netto-Öleinnahmen. Die erste Tranche ist bereits überwiesen worden, verwaltet durch die Firma KPMG, bis die Bank of Southern Sudan funktionsfähig ist und ein Sonderkonto eingerichtet wird. Während die Stadt Rumbek zunächst den politischen Hauptsitz im Süden darstellen soll, hat der Führer der SPLM resp. SPLA John Garang verlauten lassen, dass Juba die neue Hauptstadt des Südsudans werden soll (vgl. dazu: Konrad Adenauer Stiftung, Country Program South Sudan vom Januar 2005; UNOCHA: SPLM opens Of-


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fices in Government-Controlled Juba vom 8. Februar 2005, NZZ vom 10. Januar 2005).

Bereits seit November 2002 galt ein vorläufiges Waffenstillstandsabkommen, das überwiegend eingehalten wurde. Dieser Waffenstillstand ist in den am 9. Januar 2005 in Nairobi unterzeichneten Friedensvertrag zwischen der Zentralregierung in Khartoum und der SPLM aufgegangen. Der Waffenstillstand soll auch in Südkordofan, dem Gebiet der Nuba-Berge, wo aufgrund des Friedensvertrags von Nairobi grosse Grenzveränderungen bevorstehen, vollständig eingehalten worden sein (vgl. NZZ vom 28. Februar 2005 und 24. März 2005). Im März 2004 gab es allerdings Berichte über Kämpfe in anderen Gebieten, so im sog. Shilluk Kingdom (Upper Nile Region) in der Nähe von Malakal, bei denen sudanesische Streitkräfte bzw. von der sudanesischen Regierung unterstützte Milizen Zehntausende von Zivilisten vertrieben haben sollen. In alle Vorfälle sollen auch die Rebellen der SPLM resp. SPLA verwickelt gewesen sein. In dieser Region werden auch für die Umsetzung des Abkommens die grössten Schwierigkeiten erwartet. Im Allgemeinen ist die Lage jedoch ruhig, wenn es auch gilt, die Zeit abzuwarten, in der es um die konkrete Ausgestaltung der Bestimmungen im Friedensvertrag geht (vgl. dazu: Länderinformation des Auswärtigen Amtes Deutschland vom 4. März 2005; UNOCHA: Sudan: Fragile Peace Dispite Southern Agreement vom 18. Januar 2005).

Das Friedensabkommen für den Südsudan sieht offenbar für die im jahrzehntelangen Krieg begangenen Menschenrechtsverletzungen weder Sanktionen noch Amnestien vor. Im Übrigen umfasst dieses Friedensabkommen den Konflikt bzw. die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Darfur-Region nicht, soll aber eine Vorlage („template“) zur Lösung dieses Konflikts darstellen (UNOCHA: Sudan: Hopes for Lasting Peace in the South vom 11. Januar 2005). Die schwarzafrikanische Bevölkerung der Nuba-Berge verbleibt nach dem Friedensvertrag beim Nordsudan. Dafür wurde ihr eine Beteiligung an der Macht im zukünftigen Teilstaat Südliches Kordofan in Aussicht gestellt. Das Kriegs- und Notstandsrecht hätte am Tag nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags aufgehoben werden sollen. Bis heute ist aber diesbezüglich nichts geschehen. Vor kurzem hat jedoch der sudanesische Innenminister in einem Zeitungsinterview angekündigt, dass dies im März oder April dieses Jahres nachgeholt werde (L’Intelligent No. 2297 vom 16. Januar 2005; NZZ vom 26. Februar 2005). Zug um Zug wird die Staatlichkeit im Süden ausgebaut. Damit sind nach achtjährigen Verhandlungen zwar die wichtigsten Streitpunkte auf dem Papier gelöst. Allerdings ist nicht anzunehmen, dass der Machtzirkel um Präsident Bashir tatenlos zusieht, wie der Süden der Unabhängigkeit entgegentreibt (Der Bund vom 7. März 2005).


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In von den Rebellen beherrschten Teilen Südsudans übt überwiegend die SPLM resp. SPLA die Herrschaft aus. Sie stützt sich auf eine Militärverwaltung, eine Zivilverwaltung ist erst langsam in Entstehung begriffen. Die Menschenrechtssituation ist weiterhin unbefriedigend, auch der Zusammenbruch der nahezu gesamten Infrastruktur wirkt sich äusserst negativ auf die Verhältnisse in diesen Gebieten aus. Im neusten Menschenrechtsbericht des US State Departments wird festgestellt, dass wiederholt die Anschuldigung erhoben wird, die Regierung sei für die Verhaftung und das anschliessende Verschwindenlassen von Personen, welche der Rebellenunterstützung verdächtigt worden seien, verantwortlich. Keine solche Unterstellungen seien indessen - im Gegensatz zu früheren Jahren - in den von der Regierung kontrollierten Gebieten im Süden und in den Nuba-Bergen erhoben worden (vgl. US Department of State: Sudan Country Reports on Human Rights Practice 2004). Gemäss demselben Bericht scheinen im vergangenen Jahr vor allem noch die SPLM resp. SPLA-Rebellen in den von ihnen kontrollierten Gebieten Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben und weniger die Regierungstruppen.

Rund eine halbe Million durch das UNHCR registrierte Flüchtlinge sollen aus dem Südsudan stammen. Annähernd die Hälfte von ihnen soll sich in Kenia aufhalten. Zusätzlich rechnet man mit etwa 4 Millionen IDP’s (Internally Displaced Persons). Das UNHCR schätzt, dass seit dem Friedensabkommen im Januar bereits rund 600'000 Sudanesen in ihre Heimat zurückgekehrt sind. Das UNHCR rät aber weiterhin nicht zu einer Rückkehr ohne Hilfe und ohne genaues Wissen über die Situation vor Ort, da der Schutz der Flüchtlinge nicht garantiert werden könne und die Infrastruktur (Strassen, Schulen, Kliniken, öffentliche Gebäude etc.) weiterhin desolat sei (vgl. Agence France Presse vom 18. Februar 2005; UNOCHA: Sudan: Basic Infrastructure Lacking as Thousands Return to the South, vom 21. Februar 2005).

7.2.5. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die SPLM respektive SPLA bereits selbst an der Errichtung staatlicher Institutionen aktiv beteiligt sind und am Aufbau der Zivil- und Militärverwaltungen mitwirken. Der seit Januar 2005 beschlossene Friedenszustand muss zwar heute noch als sehr fragil bezeichnet werden und hängt massgeblich vom weiteren Verhalten der Regierung in Khartoum, wie auch der SPLA ab. Obwohl noch viele Fragen ungelöst sind, stellt das Friedensabkommen einen ersten wichtigen Schritt zur dauerhaften Stabilisierung des Südsudans dar. Gemäss neusten Presseberichten will die UNO 10'700 Blauhelme in den Südsudan senden. Diese Truppen, welche kein Mandat für die Darfur-Region haben, sollen das Friedensabkommen zwischen der Regierung und den Rebellen im Süden überwachen (vgl. Tagesanzeiger vom 26. März 2005). Diese UN Mission im Sudan (UNMIS) soll für eine Anfangsperiode von sechs Monaten eingesetzt werden. Das UNMIS-Mandat beinhaltet


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unter anderem das Monitoring und die Überprüfung des Waffenstillstandsabkommens. Es soll weiter Unterstützung gewähren bei der Entwaffnung, der Demobilisation und bei Reintegrationsprogrammen für Ex-Kombattanten sowie die nationale Versöhnung („reconciliation“) und Einhaltung der Menschenrechte fördern (vgl. UNOCHA: Sudan: Security Council Votes to send Peacekeepers to South, vom 25. März 2005).

7.2.6. Im heutigen Zeitpunkt erkennt die Regierung von Präsident Bashir in Khartoum die SPLM als Friedens- resp. Bündnispartner an. Der bisherige SPLM-Führer Garang soll im Amt als erster Vizepräsident in Khartoum eingesetzt werden und die SPLM ist auch massgeblich im Parlament vertreten. Aus heutiger Sicht kann deshalb nicht angenommen werden, dass im Sudan Anhänger der SPLM als politisch Oppositionelle einer aktuellen Verfolgung unterliegen und in flüchtlingsrelevanter Weise gefährdet sind, selbst wenn sie sich in einem beschränkten Ausmass im Ausland für die Nuba-Bevölkerung oder für die SPLM politisch betätigt haben.

Nach dem Gesagten muss heute eine flüchtlingsrelevante Gefährdung des Beschwerdeführers aufgrund seiner SPLM-Zugehörigkeit respektive wegen seines Engagements für die Nuba-Bevölkerung im Exil verneint werden.

 

 

 

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© 19.07.05