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Auszug aus dem Urteil der ARK vom 3. August 2004 i.S. D.A., Äthiopien

Art. 32 Abs. 2 Bst. a AsylG: Nichteintreten auf das Asylgesuch; Hinweise auf eine Verfolgung; Anforderungen an das Beweismass.

1. Die Anforderungen an das Beweismass, dem Hinweise auf eine Verfolgung im Sinne von Art. 32 Abs. 2 Bst. a AsylG genügen müssen, sind gegenüber demjenigen von Art. 7 AsylG herabgesetzt (vgl. EMARK 2004 Nr. 22) (Erw. 4.2.).

2. Bei der Prüfung des Vorliegens von Verfolgungshinweisen ist dem summarischen Charakter der Empfangsstellenbefragung und dem Aspekt der Minderjährigkeit besonders Rechnung zu tragen; es darf nicht vorschnell auf einzelne Widersprüche abgestellt werden (Erw. 4.4.).

Art. 32 al. 2 let. a LAsi : non-entrée en matière sur la demande d’asile ; indices de persécutions ; exigences en matière de preuve.

1. S’agissant des indices de persécution au sens de l’art. 32 al. 2 let. a LAsi, les exigences quant au degré de preuve sont moins élevées que celles requises par l’art. 7 LAsi (cf. JICRA 2004 n°22) (consid. 4.2.).

2. Lors de l’examen de l’existence d’indices de persécution, il faut tenir compte de manière particulière du caractère sommaire de l’audition au centre d’enregistrement et de la qualité de mineur du requérant ; il s’agit de ne pas se fixer trop vite sur des contradictions isolées (consid. 4.4.).

Art. 32 cpv. 2 lett. a LAsi: non entrata nel merito su una domanda d’asilo; indizi di persecuzione; grado di prova.

1. In materia d’indizi di persecuzione giusta l’art. 32 cpv. 2 lett. a LAsi, il grado di prova è meno elevato rispetto a quello della verosimiglianza preponderante di cui all’art. 7 LAsi (v. GICRA 2004 n. 22) (consid. 4.2.).


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2. Nell’esame sull’esistenza d’indizi di persecuzione, va tenuto conto, segnatamente, del carattere sommario dell’audizione presso il centro di registrazione e della minorità del richiedente l’asilo; va evitato di fondare il giudizio in modo affrettato su singole divergenze (consid. 4.4.).

Zusammenfassung des Sachverhalts:

Der Beschwerdeführer verliess seinen Heimatstaat gemäss eigenen Angaben am 25. März 2003 und gelangte am 5. Mai 2003 in die Schweiz, wo er am selben Tag um Asyl nachsuchte. Zur Begründung seines Asylgesuchs machte er im Wesentlichen geltend, sein Vater sei am 10. März 2003 verhaftet worden, worauf der Beschwerdeführer von Sicherheitsbeamten auf den Posten mitgenommen und zwei Tage in Gewahrsam gehalten worden sei, weil ihm vorgeworfen worden sei, er halte Dokumente des Vaters versteckt. Die Sicherheitsleute hätten ihn auch nach der Haftentlassung weiterhin beschattet, wobei er mehrmals auf der Strasse angehalten worden sei. Eines Tages sei er von einem Sicherheitsbeamten sogar mit einem Schuss eingeschüchtert worden, worauf er weggerannt sei, um sich bei einem Freund versteckt zu halten, bis sein Onkel aus Addis Abeba seine Flucht aus dem Land organisiert habe.

Mit Verfügung vom 17. Februar 2004 trat das BFF auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers gestützt auf Art. 32 Abs. 2 Bst. a AsylG nicht ein und ordnete gleichzeitig dessen Wegweisung aus der Schweiz an.

Gegen diese Verfügung wurde am 10. März 2004 bei der ARK Beschwerde erhoben.

Das BFF beantragte in seiner Vernehmlassung vom 30. März 2004 die Abweisung der Beschwerde.

Die ARK heisst die Beschwerde gut, hebt die angefochtene Verfügung auf und weist die Sache an das BFF zum neuen Entscheid zurück.

Aus den Erwägungen:

2.

2.1. Flüchtlingseigenschaft und Asylgewährung sind nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens; die ARK beschränkt sich bei der Beurteilung von Beschwerden gegen Nichteintretensentscheide in konstanter Praxis auf die Überprüfung der Frage, ob die Vorinstanz zu Recht auf das Asylgesuch nicht einge-


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treten ist. Die Beurteilungszuständigkeit der Beschwerdeinstanz ist somit darauf beschränkt, im Falle der Begründetheit des Rechtsmittels die angefochtene Verfügung aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgehen zu lassen. Lediglich hinsichtlich der angeordneten Wegweisung und deren Vollzuges kommt der ARK volle Kognition zu, weil diese Punkte von der Vorinstanz bereits materiell umfassend zu prüfen waren.

2.2. Der Beschwerdeführer ist eigenen Angaben zufolge am 17. April 1986 geboren worden und war somit während der gesamten Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens noch minderjährig. Vom Kanton X. wurde ihm deshalb eine Vertrauensperson gemäss Art. 17 Abs. 3 AsylG beigeordnet - welche an der kantonalen Anhörung anwesend war - und ihm demnach die ihm als damals unbegleitetem minderjährigem Asylsuchenden zustehenden besonderen Verfahrensgarantien gewährt (vgl. auch EMARK 1998 Nr. 13, Erw. 4b, S. 88 ff.). Es ergeben sich im Übrigen aus dem entsprechenden Befragungsprotokoll keine Hinweise auf ein generelles Fehlen der Urteilsfähigkeit des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Anhörung vom 29. Juli 2003, so dass seine Aussagen vom BFF für die Beurteilung seines Asylgesuches grundsätzlich herangezogen werden durften. Inzwischen ist der Beschwerdeführer volljährig geworden.

2.3. Der Beschwerdeführer ist legitimiert; auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde ist daher einzutreten (vgl. Art. 6 AsylG i.V.m. Art. 48 und 50 ff. VwVG).

3.

3.1. Die angefochtene Verfügung des BFF stützt sich auf den Nichteintretenstatbestand von Art. 32 Abs. 2 Bst. a AsylG. Gemäss dieser Bestimmung wird auf ein Asylgesuch nicht eingetreten, wenn die asylsuchende Person den Behörden nicht innerhalb von 48 Stunden nach Einreichung des Gesuches Reisepapiere oder andere genügliche Identitätspapiere abgibt. Diese Norm findet keine Anwendung, wenn Asylsuchende für die Nichteinreichung von Identitätspapieren entschuldbare Gründe glaubhaft machen können, beziehungsweise wenn Hinweise auf eine Verfolgung vorliegen, die sich nicht als offensichtlich haltlos erweisen.

3.2. Die ARK geht in ihrer Praxis davon aus, dass bei der Beurteilung, ob Hinweise auf eine Verfolgung im Sinne von Art. 32 Abs. 2 Bst. a AsylG vorliegen, vom weiten Verfolgungsbegriff im Sinne von Art. 18 AsylG auszugehen ist, welcher nicht bloss ernsthafte Nachteile nach Art. 3 AsylG umfasst, sondern namentlich auch die von Menschenhand verursachten Wegweisungsvollzugshindernisse im Sinne der Art. 44 Abs. 2 AsylG i.V.m. 14a Abs. 3 und 4 ANAG


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(vgl. EMARK 1999 Nr. 17 und EMARK 2003 Nr. 18, Erw. 5, S. 114 ff. zu Art. 34 Abs. 2 AsylG).

3.3. Als haltlos im Sinne von Art. 32. Abs. 2 Bst. a AsylG gelten dabei nur solche Verfolgungshinweise, welche bereits auf den ersten Blick als unglaubhaft erkennbar sind (vgl. dazu auch nachfolgende Erw. 4.2.).

3.4. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die im Asylgesetz vorgesehenen Nichteintretens-Bestimmungen gemäss konstanter Praxis der ARK restriktiv zu interpretieren sind (vgl. EMARK 1997 Nr. 9, S. 65, mit weiteren Hinweisen).

4.

4.1. Zunächst ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer bis heute keine rechtsgenüglichen Identitätspapiere zu den Akten gereicht hat, obwohl er laut eigenen Angaben einen Studentenausweis beizubringen gedachte, da er aufgrund seiner damaligen Minderjährigkeit weder Pass noch Identitätskarte besitze. Die Frage, ob es vorliegend aufgrund der Gesamtumstände entschuldbare Gründe für die Nichteinreichung von identitätsbelegenden Dokumenten gibt, braucht indessen nicht abschliessend beurteilt zu werden, da die Vorbringen des Beschwerdeführers - wie nachfolgend aufzuzeigen ist - Hinweise auf eine Verfolgung enthalten, die sich nicht als offensichtlich haltlos erweisen.

4.2. Das BFF führt bezüglich der vom Beschwerdeführer angegebenen Asylgründe in der angefochtenen Verfügung folgendes aus: "Selon la jurisprudence de la CRA, un manque de vraisemblance au niveau des allégations permet de retenir l'absence d'indices de persécution qui ne sont pas manifestement sans fondement. Des allégations contradictoires ne sont pas vraisemblables […]. Les allégations du requérant ne remplissent pas les critères légaux retenus en matière de vraisemblance.".

Diese Begründung gibt die Praxis der ARK indessen unpräzis wieder. Das BFF verkennt dabei, dass die Prüfung von Hinweisen auf eine Verfolgung im Sinne von Art. 32 Abs. 2 Bst. a AsylG (wie auch bei den Nichteintretensentscheiden gemäss Art. 32 Abs. 1 und Art. 33 ff. AsylG) nach einem tiefen Beweismassstab erfolgt (vgl. EMARK 2004 Nr. 22, Erw. 5b; EMARK 2004 Nr. 5, Erw. 4c/bb, S. 36; EMARK 1999 Nr. 16, Erw. 4, S. 107 f.). Die Prüfung von Verfolgungshinweisen im Sinne dieser Bestimmungen unterscheidet sich somit von der Glaubhaftigkeitsprüfung im Rahmen einer materiellen Beurteilung. Danach ist nur dann ein Nichteintretensentscheid auszufällen, wenn die Unglaubhaftigkeit der Verfolgungshinweise bereits auf ersten Blick erkennbar ist.


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Diesen Kriterien trägt die angefochtene Verfügung - wie nachstehend aufgezeigt - offensichtlich nicht Rechnung, indem das BFF nicht darzulegen vermag, inwiefern die Vorbringen des Beschwerdeführers derart offenkundigerweise unglaubhaft sein sollten, wie dies nach dem Gesagten für einen Nichteintretensentscheid erforderlich wäre.

4.3. Das BFF führt aus, die Vorbringen des Beschwerdeführers seien mit Widersprüchen behaftet, insbesondere bezüglich der Begegnungen mit Sicherheitsbeamten. In der Empfangsstelle habe er zu Protokoll gegeben, er sei weggerannt, als ein Sicherheitsbeamter ihn gerufen habe, wogegen er bei der kantonalen Anhörung ausgesagt habe, er habe mit dem Mann gesprochen. Einen weiteren Widerspruch sieht das BFF darin, dass der Beschwerdeführer in der Empfangsstelle gesagt habe, er habe nach seiner Haftentlassung nur eine Begegnung mit Sicherheitsbeamten gehabt, währenddem er beim Kanton mehrere Begegnungen erwähnt habe.

Der Beschwerdeführer besteht in seiner Beschwerdeeingabe auf der Richtigkeit seiner im Rahmen der Befragungen gemachten Vorbringen, ohne im Einzelnen auf die vom BFF festgestellten Unglaubhaftigkeitselemente einzugehen.

4.4. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass den Aussagen einer asylsuchenden Person in der Empfangsstelle zu den Asylgründen angesichts des summarischen Charakters der Befragung für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit nur ein beschränkter Beweiswert zukommt (vgl. EMARK 1993 Nr. 3). Widersprüche dürfen nur dann herangezogen werden, wenn klare Aussagen in der Empfangsstelle in wesentlichen Punkten der Asylbegründung von den späteren Aussagen in der Befragung beim Kanton oder beim BFF diametral abweichen, oder wenn bestimmte Ereignisse oder Befürchtungen, welche später als zentrale Asylgründe genannt werden, nicht bereits in der Empfangsstelle zumindest ansatzweise erwähnt werden. Diese Grundsätze gelten bei der Prüfung des Vorliegens von Verfolgungshinweisen im Rahmen des Nichteintretenstatbestandes von Art. 32 Abs. 2 Bst. a AsylG umso mehr, als diesbezüglich - wie bereits angeführt - ein gegenüber Art. 7 AsylG noch tieferer Beweismassstab gilt. Im vorliegenden Fall gilt es darüber hinaus zu beachten, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Empfangsstellenbefragung vom 15. Mai 2003 erst 17-jährig war; auch wenn seine Angaben angesichts des Fehlens von Anzeichen, welche gegen die Annahme seiner generellen Urteilsfähigkeit sprechen würden, grundsätzlich für die Beurteilung seines Asylgesuches herangezogen werden dürfen, ist doch immerhin zu beachten, dass seine Aussagen zu den Asylgründen mit Rücksicht auf seine damalige Minderjährigkeit mit einer gewissen Vorsicht zu würdigen sind und nicht vorschnell auf einzelne Widersprüche abgestellt werden kann.


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4.5. Vor diesem Hintergrund wirken die vom BFF in der angefochtenen Verfügung festgestellten Widersprüche in den Aussagen des Beschwerdeführers spitzfindig. In der Empfangsstellenbefragung erwähnte der Beschwerdeführer nämlich lediglich den letzten Vorfall, der ihn schliesslich zur Flucht bewogen habe, sagte aber zuvor, er sei auf der Strasse beobachtet worden, was nicht ausschliesst, dass er mehrfach Sicherheitsbeamten begegnete - so wie bei der kantonalen Anhörung auf Nachfrage erwähnt. Auch die unterschiedliche Schilderung bezüglich dieser letzten Begegnung wirkt nicht a priori grob widersprüchlich, da der Beschwerdeführer sehr wohl einerseits dem Sicherheitsbeamten zugerufen haben könnte, er habe keine Ahnung von Dokumenten, um anderseits von ihm wegzurennen; ansonsten sind die Darstellungen des Beschwerdeführers hinsichtlich des Vorfalles in den beiden Befragungen grundsätzlich kohärent ausgefallen.

Nach dem Gesagten sind die vom Beschwerdeführer gemachten Verfolgungsvorbringen im Sinne der ARK-Praxis zumindest als nicht offensichtlich haltlos, beziehungsweise als nicht auf den ersten Blick unglaubhaft anzusehen.

4.6. Es bedarf daher im vorliegenden Fall einer einlässlichen materiellen Prüfung - gegebenenfalls gar einer weiteren Befragung des mittlerweile volljährigen Beschwerdeführers - zur Beantwortung der Frage, ob eine asylrelevante Verfolgung, eine unmenschliche Behandlung beziehungsweise eine andere Form der Verfolgung im weiten Sinne vorliegt. Eine solche Prüfung kann jedoch nur im ordentlichen Verfahren durchgeführt werden (vgl. EMARK 1993 Nr. 16, Erw. 6, S. 105).

5. Zusammenfassend ergibt sich, dass das BFF zu Unrecht einen Nichteintretensentscheid gestützt auf Art. 32 Abs. 2 Bst. a AsylG erlassen und damit Bundesrecht verletzt hat (vgl. Art. 106 AsylG). Die Beschwerde ist daher gutzuheissen, die angefochtene Verfügung des BFF vom 17. Februar 2004 aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

 

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