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next2004 / 5 - 033

Auszug aus dem Urteil der ARK vom 6. Januar 2004 i.S. T.F., Indien

Art. 34 Abs. 2 AsylG: Nichteintreten auf ein Asylgesuch; verfolgungssicherer Herkunftsstaat.

Bestätigung der Praxis zum Verfolgungsbegriff (EMARK 2003 Nr. 18) und zum Beweismass betreffend der Hinweise auf Verfolgung (EMARK 1999 Nr. 16). Bestätigung der Praxis, wonach bei nicht haltlosen Vorbringen bezüglich Verfolgung durch Dritte (EMARK 2003 Nrn. 19 und 20) und für die Prüfung einer inländischen Fluchtalternative (EMARK 1993 Nr. 17) auf das Gesuch einzutreten ist.

Art 34 al. 2 LAsi : non-entrée en matière sur une demande d’asile ; pays d’origine exempt de persécutions.

Confirmation de la jurisprudence relative à la notion de persécution (JICRA 2003 n° 18) et au degré de preuve exigé en matière d’indices de persécution (JICRA 1999 n° 16). Confirmation de la jurisprudence selon laquelle il y a lieu d’entrer en matière sur une demande d’asile en présence d’allégations de persécutions par des tiers, qui ne sont pas sans fondement (JICRA 2003 nos 19 et 20), et en cas d’examen d’une possibilité de refuge interne (JICRA 1993 n° 17).

Art 34 cpv. 2 LAsi : non entrata nel merito della domanda d'asilo; safe countries.

Conferma della giurisprudenza relativa alla nozione di persecuzione (GICRA 2003 n. 18) e al grado della prova in materia d'indizi di persecuzione (GICRA 1999 n. 16). Conferma della giurisprudenza giusta la quale l’entrata nel merito di una domanda l'asilo s'impone in presenza d'allegazioni - non manifestamente infondate - di persecuzioni da parte di terzi (GICRA 2003 nn. 19 e 20) e nel caso d'esame di un'alternativa di rifugio interna (GICRA 1993 n. 17).


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Zusammenfassung des Sachverhalts:

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger der Ethnie Malayalam und Mitglied der Pfingstgemeinde, suchte am 4. August 2003 um Asyl nach. Er machte insbesondere geltend, seit 1998 werde er von der terroristischen hinduistischen Gruppe "Rastram Sawyam Sava" (RSS) aufgefordert, seine Gebetstätigkeiten für die Pfingstgemeinde zu beenden. Da er dies nicht getan habe, sei er wiederholt zusammengeschlagen worden, Unbekannte hätten sein Restaurant zerstört und er habe einen anonymen Brief erhalten, worin ihm mit Ermordung gedroht worden sei.

Mit Verfügung vom 13. August 2003 trat das BFF auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers nicht ein und ordnete gleichzeitig dessen Wegweisung aus der Schweiz an. Einer allfälligen Beschwerde gegen diese Verfügung wurde die aufschiebende Wirkung entzogen. Die Vorinstanz begründete ihren Entscheid damit, es handle sich bei den geltend gemachten Problemen um Benachteiligungen Dritter, denen sich der Beschwerdeführer ausserdem durch einen Wegzug in eine Grossstadt oder in einen anderen Unionsstaat hätte entziehen können.

Mit Beschwerde vom 14. August 2003 focht der Beschwerdeführer diese Verfügung bei der ARK an und beantragte Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde.

Mit Zwischenverfügung vom 15. August 2003 wurde das Gesuch um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gutgeheissen.

Das BFF beantragte in der Vernehmlassung vom 29. Oktober 2003 die Abweisung der Beschwerde. Es hielt unter anderem fest, das Konzept der verfolgungssicheren Länder und die Regelvermutung der relativen Verfolgungssicherheit würden in ihrer Zweckbestimmung entscheidend ausgehöhlt, wenn auf alle nicht auf den ersten Blick unglaubhaften Vorbringen - also auch auf evident nicht asylrelevante - materiell einzutreten wäre. Der Beschwerdeführer begründe sein Asylgesuch ausschliesslich mit Übergriffen Dritter, weshalb er offensichtlich nicht auf den Schutz der Schweiz angewiesen sei.

Die ARK heisst die Beschwerde gut, hebt die angefochtene Verfügung auf und weist die Sache an das BFF zum neuen Entscheid zurück.


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Aus den Erwägungen:

3. a) Gemäss Art. 34 Abs. 1 AsylG kann der Bundesrat Staaten bezeichnen, in welchen nach seinen Feststellungen Sicherheit vor Verfolgung besteht; entsprechende Beschlüsse überprüft er periodisch.

b) Nach Absatz 2 der nämlichen Bestimmung wird auf Gesuche und Beschwerden von Asylsuchenden aus verfolgungssicheren Staaten nicht eingetreten, ausser es gebe Hinweise auf Verfolgung.

4. a) Das BFF begründete seine Nichteintretensverfügung damit, bei den vom Beschwerdeführer geltend gemachten Problemen handle es sich um Benachteiligungen durch Dritte. Dem Beschwerdeführer habe ausserdem eine innerstaatliche Fluchtalternative offen gestanden. Aufgrund der Aktenlage sei somit die Vermutung der Sicherheit vor Verfolgung gemäss Art. 34 AsylG nicht widerlegt worden.

In der Vernehmlassung schiebt es als Begründung nach, nach dem Willen des Gesetzgebers sei die Asylrelevanz der Verfolgung für ein Eintreten erforderlich. Ferner wird von der Vorinstanz das Fehlen von Hinweisen auf Verfolgung mit "offensichtlich unbegründete Asylgesuche" gleichgesetzt.

b) Mit Beschluss vom 18. März 1991 hat der Schweizerische Bundesrat Indien zu einem verfolgungssicheren Staat (safe country) erklärt. Diese Einschätzung hat der Bundesrat seither wiederholt überprüft und bestätigt. Diese Tatsache schliesst die Gewährung von Asyl und den Verzicht auf den Vollzug der Wegweisung allerdings nicht einfach aus. Die fehlende Verfolgung im Herkunftsland wird dabei lediglich vermutet und kann somit widerlegt werden (vgl. W. Kälin, Grundriss des Asylverfahrens, Basel/Frankfurt a.M. 1990, S. 265).

c.aa) Nach Praxis der ARK ist der Begriff der Verfolgung in Art. 34 Abs. 2 AsylG - analog zu Art. 18, 23 Abs. 3 und 33 Abs. 3 Bst. b AsylG - weit zu verstehen. Er umfasst nicht nur die ernsthaften Nachteile gemäss Art. 3 AsylG, sondern auch Wegweisungshindernisse im Sinne der Art. 44 Abs. 2 AsylG und Art. 14a Abs. 2 - 4 ANAG, insbesondere die durch Art. 3 EMRK und Art. 3 FoK erfasste menschenrechtswidrige Behandlung. Mit dem Grundsatzurteil vom 19. September 2003 (vgl. EMARK 2003 Nr. 18) hat die ARK gegenüber der früheren Praxis (vgl. EMARK 1999 Nrn. 16 und 17, 1994 Nr. 6, 1993 Nrn. 16 und 17) eine gewisse Begriffsverengung vorgenommen: Unter den weiten Verfolgungsbegriff fallen nicht mehr sämtliche Wegweisungsvollzugshindernisse, sondern nur solche erlittene oder befürchtete Nachteile, welche von Menschenhand zugefügt werden. Die Vorinstanz geht mithin fehl, wenn sie den in der


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betreffenden Gesetzesbestimmung verwendeten Verfolgungsbegriff auf "asylrelevante" Verfolgung einengt.

In casu wird geltend gemacht, der Beschwerdeführer sei von der terroristischen hinduistischen Gruppe RSS verfolgt worden und werde von ihr mit dem Tode bedroht. Damit wird zweifelsfrei eine von Menschenhand stammende Verfolgung geltend gemacht, welche praxisgemäss unter den weiten Verfolgungsbegriff zu subsumieren ist.

bb) Liegen nicht auf den ersten Blick als unglaubhaft erkennbare Hinweise auf Verfolgung vor, muss geprüft werden, ob die Flüchtlingseigenschaft erfüllt ist. Für die Prüfung, ob Hinweise auf Verfolgung vorliegen, welche zum Eintreten auf das Asylgesuch verpflichten, gilt ein tiefer Beweismassstab (vgl. EMARK 1999 Nr. 16, Erw. 4b, S. 107 f.). Gemäss dieser sich auf die betreffende parlamentarische Beratung stützenden Praxis genügt es entgegen der Auffassung des BFF nicht, wenn das Asylgesuch offensichtlich unbegründet ist; vielmehr müsste die Behauptung einer Verfolgung im vorgenannten Sinn geradezu als offensichtlich haltlos erscheinen.

In casu wurde von der Vorinstanz das Vorhandensein einer Drittverfolgung offengelassen. Die betreffenden Vorbringen des Beschwerdeführers erscheinen denn auch nicht als offensichtlich haltlos. Daran ändert nichts, dass er möglicherweise vor solcher Drittverfolgung um staatlichen Schutz nachsuchen und solchen erhalten könnte; derartige Abklärungen und Erwägungen hätten praxisgemäss im Rahmen einer umfassenden materiellen Prüfung des Asylgesuches zu erfolgen (vgl. EMARK 2003 Nrn. 19 und 20).

cc) Alsdann beschlägt gemäss der seit zehn Jahren unveränderten Praxis der ARK (vgl. EMARK 1993 Nr. 17) die Prüfung einer allfälligen inländischen Fluchtalternative nicht die Frage, ob zum vornherein gar keine Verfolgung vorliegen kann. Vielmehr zielt die Prüfung einer valablen internen Fluchtalternative auf die Frage, ob allenfalls in bestimmten Teilen des Landes Schutz vor Verfolgung besteht. Dies bedingt eine umfassende (statt nur vorfrageweise) Prüfung der geltend gemachten Fluchtgründe, was voraussetzt, dass auf das Gesuch eingetreten wird. Die entsprechend erhobene Rüge in der Beschwerde vom 14. August 2003 erweist sich somit als begründet.

d) Zusammenfassend ergibt sich, dass das BFF zu Unrecht einen Nichteintretensentscheid gestützt auf Art. 34 AsylG erlassen und damit Bundesrecht verletzt hat (vgl. Art. 106 AsylG). Die Beschwerde ist damit in diesem Sinne gutzuheissen, als die angefochtene Verfügung aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zur Beurteilung des Asylgesuchs zurückzuweisen ist.

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