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Auszug aus dem Urteil der ARK vom 22. Oktober 2003 i.S. A.A.H., Syrien

Art. 3 Abs. 1 und Art. 7 AsylG: Folteropfer; Glaubhaftigkeit von erst im Beschwerdeverfahren konkretisierten Vorbringen; Begründete Furcht vor Verfolgung.

  1. Es spricht nicht gegen die Glaubhaftigkeit der Vorbringen eines mutmasslichen Folteropfers, wenn die Einzelheiten der erlittenen Folter - in casu Verbrennungen im Intimbereich - in den Anhörungen aus Scham zunächst verschwiegen und erst im Beschwerdeverfahren genauer substanziiert werden (Erw. 5b.dd).
     

  2. War die um Asyl ersuchende Person bereits früher staatlichen Verfolgungsmassnahmen ausgesetzt, ist bei der Beurteilung der Begründetheit der von ihr empfundenen Furcht nicht auf eine rein objektive Betrachtungsweise abzustellen. Es sind diesfalls das von ihr bereits Erlebte und das Wissen um Konsequenzen in vergleichbaren Fällen mit zu berücksichtigen (Bestätigung der Rechtsprechung, vgl. EMARK 1998 Nr. 4, Erw. 5d, S. 27; 1997 Nr. 10, S. 73 f.; 1994 Nr. 24, Erw. 8b, S. 177 ff.) (Erw. 6a-b).

Art. 3 al. 1 et 7 LAsi : victime de tortures ; crédibilité d’allégations faites au stade du recours seulement ; crainte fondée.

  1. Pour une victime probable de mauvais traitements, le fait de taire, par honte, les détails de tortures (in casu, des brûlures pratiquées sur des parties intimes du corps) lors des auditions et de ne les mentionner d’une manière substantielle qu’au stade du recours, ne porte pas nécessairement atteinte à sa crédibilité (consid. 5b dd).
     

  2. Si un demandeur d’asile a déjà été l’objet de persécutions étatiques, l’appréciation du caractère fondé de sa crainte ne doit pas être basée sur des considérations purement objectives. En pareil cas, il y a lieu de tenir compte, et de son vécu et des connaissances que l’on a des séquelles observées dans des cas comparables (confirmation de jurisprudence, cf. JICRA 1998 n° 4 consid. 5d p. 27 ; 1997 n° 10 p. 73 s. ; 1994 n° 24 consid. 8b p. 177 ss) (consid. 6a-b).


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Art. 3 cpv. 1 e art. 7 LAsi: verosimiglianza d’allegazioni completate solo in sede ricorsuale; timore fondato d’esposizione a persecuzioni.

  1. La verosimiglianza d’allegazioni di torture non è compromessa se il richiedente l’asilo completa e sostanzia in sede ricorsuale quelle che, per pudore, aveva omesso in corso di procedura di prima istanza, in casu riguardanti l’esistenza di cicatrici nelle zone intime (consid. 5b dd).
     

  2. Allorquando un richiedente l'asilo è già stato oggetto di persecuzioni statali, nell'esame della fondatezza dei timori d’esposizione a future persecuzioni va debitamente tenuto conto dei timori soggettivi espressi dal richiedente stesso e connesse ai seri pregiudizi subiti e alla conoscenza delle possibili conseguenze (conferma della giurisprudenza di cui a GICRA 1998 n. 4, pag. 27, consid. 5d; 1997 n. 10 pag. 73 e seg.; 1994 n. 24, pag. 177 e seg., consid. 8b) (consid. 6a-b).

Zusammenfassung des Sachverhalts:

Der Beschwerdeführer, ein Palästinenser aus Syrien, stellte am 4. Oktober 1999 ein Asylgesuch, das er im Wesentlichen wie folgt begründete:

Nach der Verhaftung eines Freundes sei er seinerseits durch den Sicherheitsdienst "Mukhabarat" festgenommen und während fünfeinhalb Monaten in Einzelhaft gehalten worden, wobei er massiver Folter ausgesetzt gewesen sei. In den täglichen Verhören sei er unentwegt gefragt worden, ob er einer Partei angehöre oder sich auf andere Weise politisch betätige. Daneben sei er ausgiebig nach seinem Verhältnis zu seinem Freund befragt worden. Weil seine - wahrheitsgemässen - Antworten nicht zur Zufriedenheit der Sicherheitsdienstleute ausgefallen seien, hätten diese ihn verschiedenartiger Folter unterzogen. So sei er etwa in einen Autoreifen gezwängt und in dieser Stellung geschlagen, mit einem Kabel an den Fusssohlen und am ganzen Körper gepeitscht und einmal auch mit Zigaretten gebrannt worden. Schliesslich sei er im Januar 1999 dank der Einflussnahme eines Verantwortungsträgers und gegen Bezahlung eines namhaften Geldbetrages auf freien Fuss gesetzt worden. Die Freilassung sei unter anderem mit der Auflage verbunden gewesen, sich viermal am Tag auf dem Polizeikommissariat zur Leistung der Unterschrift einzufinden. Bald nach der Haftentlassung habe er konkrete Ausreiseabsichten entwickelt, weil er die Situation nicht mehr ertragen habe. In jener Zeit sei es häufig zu unerklärlichen Verhaftungen gekommen, wodurch seine latente Angst, ein zweites Mal grundlos festgenommen und gefoltert zu werden, nur noch gewachsen sei.


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Mit Verfügung vom 10. Januar 2002 lehnte das BFF das Asylgesuch des Beschwerdeführers ab und ordnete gleichzeitig die Wegweisung sowie deren Vollzug an. Als Begründung führte das BFF zur Hauptsache an, die Vorbringen des Beschwerdeführers seien unglaubhaft.

Gegen diese Verfügung wurde am 11. Februar 2002 bei der ARK Beschwerde erhoben.

Innert der vom zuständigen Instruktionsrichter der ARK gewährten Frist reichte der Beschwerdeführer einen vom 14. März 2002 datierenden Bericht eines in Psychiatrie und Psychotherapie praktizierenden Arztes zu den Akten.

In ihrer Vernehmlassung vom 22. Mai 2002, zu welcher der Beschwerdeführer keine Stellung bezog, schloss die Vorinstanz auf Abweisung der Beschwerde.

Auf Veranlassung des zuständigen Instruktionsrichters der ARK wurde der Beschwerdeführer am 14. August 2003 im Universitätsspital X. medizinisch untersucht. Der entsprechende ärztliche Bericht vom 15. August 2003 wurde der ARK am 22. August 2003 zugeleitet.

Die ARK heisst die Beschwerde gut, hebt die angefochtene Verfügung auf und weist das BFF an, dem Beschwerdeführer Asyl zu gewähren.

Aus den Erwägungen:

4. a) Das BFF führte in seiner Verfügung vom 10. Januar 2001 als Hauptargument für die Verweigerung des Asyls an, die Vorbringen des Beschwerdeführers seien in wesentlichen Punkten widersprüchlich, unzureichend begründet, unlogisch oder tatsachenwidrig. Zur Phase mit den intensiven Verhören sowie zur Lockerung der Meldepflicht habe der Beschwerdeführer in den drei Befragungen unterschiedliche Zeitangaben gemacht. Seine Beschreibung der fünfmonatigen Gefangenschaft sei an verschiedenen Orten minimalistisch und stereotyp ausgefallen. Im Zusammenhang mit der angeblich erlittenen Folter habe er sich auf eine Aufzählung der Methoden beschränkt. Zudem trage er an seinem Körper keinerlei Folterspuren, was insofern erstaune, als Verbrennungen mit Zigaretten hässliche Narben hinterliessen. Unbegreiflich sei in diesem Zusammenhang auch, dass die syrischen Behörden dem Beschwerdeführer niemals offen gelegt hätten, wessen sie ihn beziehungsweise seinen Freund I.A. genau verdächtigten. Sodann bleibe auch rätselhaft, aus welchen Überlegungen die Behörden die Verhöre nach einigen Wochen hätten einstellen und den Beschwerdeführer noch mehrere Monate in Gefangenschaft behalten sollen, um ihn dann einer-


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seits freizulassen und andererseits als dermassen gefährlich einzustufen, dass sie eine strenge administrative Kontrolle für angebracht gehalten hätten.

b) In der Beschwerdeschrift wird diesen Erwägungen entgegengehalten, es sei grundsätzlich problematisch, aus einzelnen, allenfalls nur geringfügigen Abweichungen in den Aussagen eines Asylsuchenden sofort auf dessen Unglaubwürdigkeit zu schliessen. Im konkreten Fall sei sodann erwähnenswert, dass zwischen der direkten Anhörung zu den Asylgründen und der Ergänzungsbefragung durch das BFF beinahe zwei Jahre vergangen seien. Aus einer dermassen grossen Differenz beziehungsweise langen Verfahrensdauer ergäben sich unweigerlich gewisse Abweichungen in den entsprechenden Aussagen. Die vom BFF vorgehaltenen Unterschiede in den Aussagen des Beschwerdeführers präsentierten sich als marginal oder entpuppten sich bei genauem Hinsehen gar als inexistent. Im eingereichten Schreiben vom 22. Januar 2002 an seinen Rechtsvertreter vermöge der Beschwerdeführer in dieser Hinsicht Klarheit zu schaffen. Aus ebendiesem Schreiben gehe auch hervor, warum der Beschwerdeführer in Bezug auf die Folterungen mit brennenden Zigaretten nicht in der Lage gewesen sei, mündlich genaue Details bekannt zu geben. Der Beschwerdeführer habe sich nun hierzulande in Behandlung begeben, um die Erlebnisse endlich auch aktiv verarbeiten zu können. Dass gefolterte Personen über ihre Erlebnisse nur zurückhaltend oder gar nicht sprechen könnten, sei eine bekannte Problematik. Gesamthaft gesehen sei an den Ausführungen des Beschwerdeführers nicht zu zweifeln, zumal sich diese problemlos in die in Syrien vorherrschenden Verhältnisse einbetten liessen. Die mithin als wahr zu erachtende Gesuchsbegründung verhelfe dem Beschwerdeführer zur Flüchtlingseigenschaft. Dessen unpolitische Haltung stehe einer Anerkennung als Flüchtling nicht entgegen, weil die Verfolgung auch asylrelevant sei, wenn der Verfolger den Verfolgten die unliebsame Eigenschaft lediglich fälschlicherweise unterschiebe. Die Furcht des Beschwerdeführers vor einer erneuten Verhaftung sei auch objektiv begründet, weil sich die Lage der Palästinenser in Syrien seit Anfang des Jahres 2000 dramatisch verschlechtert habe und anzunehmen sei, dass der syrische Geheimdienst nach der Haftentlassung ein Dossier über den Beschwerdeführer angelegt habe. Da vorliegend keine Asylausschlussgründe erblickt werden könnten, sei dem Beschwerdeführer Asyl zu gewähren.

5. a) Grundsätzlich sind die Vorbringen eines Gesuchstellers dann glaubhaft, wenn sie genügend substanziiert, in sich schlüssig und plausibel sind; sie dürfen sich nicht in vagen Schilderungen erschöpfen, in wesentlichen Punkten nicht widersprüchlich sein oder der inneren Logik entbehren und auch nicht den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung widersprechen. Darüber hinaus muss der Gesuchsteller persönlich glaubwürdig erscheinen, was insbesondere dann nicht der Fall ist, wenn er seine Vorbringen auf gefälschte oder verfälschte Beweis-


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mittel abstützt, aber auch dann, wenn er wichtige Tatsachen unterdrückt oder bewusst falsch darstellt, im Laufe des Verfahrens Vorbringen auswechselt, steigert oder unbegründet nachschiebt, mangelndes Interesse am Verfahren zeigt oder die nötige Mitwirkung verweigert. Glaubhaftmachung bedeutet ferner - im Gegensatz zum strikten Beweis - ein reduziertes Beweismass und lässt durchaus Raum für gewisse Einwände und Zweifel an den Vorbringen des Gesuchstellers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung des Gesuchstellers sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist auf eine objektivierte Sichtweise abzustellen (vgl. Art. 7 AsylG; EMARK 1996 Nr. 27, S. 263 f., Erw. 3c.aa; Nr. 28, S. 270, Erw. 3a).

b) Diesen herabgesetzten Beweisanforderungen hat die Vorinstanz vorliegend nicht hinreichend Rechnung getragen. Ihre Erkenntnis, wonach die Gesuchsbegründung des Beschwerdeführers in den wesentlichen Punkten unglaubhaft sei, gründet auf einer zu restriktiven Handhabung der Beweisregel von Art. 7 AsylG.

aa) Als unkorrekt beziehungsweise nur bedingt richtig erweist sich zunächst die Feststellung, der Beschwerdeführer habe die Periode mit den Verhören und Folterungen sowie auch die Zeiträume mit der Pflicht zur vier- beziehungsweise zweimaligen Unterschriftsleistung pro Tag unterschiedlich beziffert. In der summarischen Befragung gab der Beschwerdeführer diesbezüglich zu Protokoll, er sei in den ersten zwei Wochen täglich, in den folgenden 15 Tagen alle zwei oder drei Tage und in der restlichen Zeit seiner Gefangenschaft noch ein- oder zweimal verhört worden. Hierzu im Einklang steht seine Darstellung in der zwei Tage später durchgeführten einlässlichen Anhörung, wonach die Verhöre in den ersten vier Wochen sehr intensiv gewesen seien und dann abgenommen hätten. Jene Aussage gab der Befrager im weiteren Verlauf der Anhörung von sich aus unpräzis wieder, als er dem Beschwerdeführer die Frage stellte, warum die Sicherheitsbeamten nach vier Wochen aufgehört hätten, ihn zu verhören. Bezüglich der Folterungen hielt der Beschwerdeführer zu einem späteren Zeitpunkt der Anhörung fest, diese hätten sich in den ersten vier Wochen nach jedem Verhör ereignet. Anlässlich der knapp zwei Jahre später durchgeführten Ergänzungsbefragung erklärte der Beschwerdeführer nach der Aufforderung des Befragers, ihm kurz die Umstände seiner Verhaftung in Erinnerung zu rufen, dass die Situation mit den Verhören, Misshandlungen und Folterungen ungefähr eineinhalb Monate gedauert habe. Diese Aussage bestätigte er später bei der Beantwortung der Frage nach dem Inhalt der Verhöre, als er sich mit den Worten vernehmen liess, die Situation habe zwischen einem und zwei Monaten gedauert. Ebenso wenig begab er sich zu früheren Aussagen in Widerspruch als er später konkretisierte, die Folterungen hätten sich täglich beziehungsweise jeden zweiten Tag jeweils während der Verhöre beziehungsweise in einem im Geschoss unterhalb des Verhörzimmers gelegenen Raum ereignet über einen Zeitraum von ungefähr


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einem oder zwei Monaten erstreckt. Erst weiter hinten im Protokoll steht die abweichende Aussage geschrieben, wonach diese (vorgängig vom Beschwerdeführer erwähnten, Anm. der ARK) drei Monate die Periode mit der Folter gewesen seien. Setzt man diese Aussage jedoch in Beziehung zur vorangegangenen und anschliessenden Frage und den damit korrespondierenden Antworten, so überwiegt der Eindruck, der Beschwerdeführer sei falsch verstanden worden, wie er dies in seinem Schreiben vom 22. Januar 2002 an den Rechtsvertreter geltend macht. Diesbezüglich gilt es zwar festzuhalten, dass in der Regel kein Anlass besteht, den mündlichen oder schriftlichen Erklärungen eines Beschwerdeführers an seinen Rechtsvertreter mehr Glauben zu schenken als den in der förmlichen Befragungssituation nach Auferlegung der Wahrheitspflicht gemachten Angaben. Im vorliegenden Fall lassen die betreffenden Protokollstellen jedoch in der Tat am ehesten die Deutung zu, der Beschwerdeführer habe eigentlich zum Ausdruck bringen wollen, dass nach seiner Einschätzung eine - ausgehend von einer ungefähren Gesamthaftzeit von fünf Monaten und einer ersten Phase mit Folter von rund zwei Monaten - dreimonatige Periode ohne Verhör und Folter eine unbedeutende Zeit sei im Vergleich mit dem Schicksal eines als Muslimbruder verdächtigten Bekannten, den man während 12 Jahren festgehalten habe. Dies gilt umso mehr, als er seine widersprüchliche Aussage in der gleich anschliessenden Antwort wieder berichtigte.

Was die zusätzlich vorgehaltenen Abweichungen in den zeitlichen und numerischen Angaben zur Meldepflicht betrifft, so wendet der Beschwerdeführer nicht ohne Grund ein, das BFF greife hier lediglich marginale Unterschiede heraus und gewichte diese im Rahmen der Glaubhaftigkeitsprüfung zu stark. Bezüglich der Dauer der Pflicht zur viermaligen Unterschriftsleistung pro Tag unterschlägt das BFF zudem den Umstand, dass der Beschwerdeführer in der Ergänzungsbefragung die Genauigkeit seiner Angabe selber relativierte, indem er ausdrücklich von ungefähr zwei Monaten sprach. Auch in Bezug auf die Uhrzeiten, zu welchen sich der Beschwerdeführer nach seinen Angaben auf dem Kommissariat einzufinden hatte, erweisen sich die Abweichungen bei einer Konsultation der betreffenden Protokollstellen als im Rahmen des Tolerierbaren. Hierbei gilt es dem Umstand gebührend Rechnung zu tragen, dass die Ergänzungsbefragung nahezu zwei Jahre nach der summarischen Befragung und der direkten Anhörung in der Empfangsstelle stattfand.

Eine vertiefte Aktenprüfung führt somit zum Ergebnis, dass die vom BFF vorgehaltenen Widersprüche in den Aussagen des Beschwerdeführers nicht oder nur in einem Ausmass bestehen, welches allein nicht ausreicht, um daraus die Unglaubhaftigkeit der betreffenden Vorbringen abzuleiten.


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bb) Als weiteres Argument führt das BFF in seiner Verfügung an, der Beschwerdeführer habe verschiedene Vorkommnisse nicht mit präzisen Details unter Einbezug der konkreten Begleitumstände zu beschreiben vermocht, so dass der Eindruck entstehe, er habe das Gesagte nicht selber erlebt. Auch dieser Vorwurf lässt sich indes nach einer eingehenden Prüfung der Akten nicht mehr in dieser Form aufrechterhalten. Grundsätzlich geben die diesbezüglichen Erwägungen nur insoweit zu keiner Beanstandung Anlass, als die Vorinstanz darin sinngemäss zu bedenken gibt, es sei schwer vorstellbar, dass der Beschwerdeführer während seiner gesamten Gefangenschaft keinen anderen Häftling zu Gesicht bekommen habe und die Behörden den gegen ihn beziehungsweise I.A. erhobenen Verdacht in keinem der Verhöre näher bezeichnet hätten. Andererseits gereicht der Vorinstanz zum Vorwurf, dass sie in ihren Erwägungen den Eindruck vermittelt, der Beschwerdeführer habe keinen der wesentlichen Bestandteile seiner Gesuchsbegründung substanziiert zu schildern vermocht. Bei genauem Hinsehen sind in den Protokollen jedoch diverse Passagen zu finden, in denen der Beschwerdeführer sich durchaus in der Lage zeigte, Örtlichkeiten oder Situationen detailliert und anschaulich zu beschreiben. Dies trifft etwa auf die Gefängniszelle, das Verhörzimmer sowie auf die Leistung der Unterschrift auf dem Kommissariat zu.

cc) Als wenig stichhaltig erachtet die ARK das Argument der Vorinstanz, es entspreche nicht der Funktionsweise der syrischen Behörden, jemanden nach der Freilassung einer strengen administrativen Kontrolle zu unterstellen, dem man zuvor im Rahmen von Verhören und unter Anwendung der Folter ergebnislos Verbindungen zu einer oppositionellen Partei nachzuweisen versucht habe. Vor dem Hintergrund der Menschenrechtssituation in Syrien, die nach wie vor gekennzeichnet ist durch eine Kultur der Willkür, Repression und Abschreckung - praktiziert durch die von einer rechtsstaatlichen Kontrolle ausgenommenen Sicherheits- und Geheimdienste - erscheint es nicht angezeigt, die Glaubhaftigkeit eines geltend gemachten Behördenverhaltens einseitig vom Vorliegen nachvollziehbarer Motive abhängig zu machen.

dd) In einem ganz neuen Licht lassen freilich die beiden ärztlichen Berichte die Glaubhaftigkeitsprüfung der Vorinstanz erscheinen. In der angefochtenen Verfügung begründete das BFF seine Zweifel an der behaupteten Folter namentlich mit der zaghaften Geltendmachung durch den Beschwerdeführer anlässlich der direkten Anhörung sowie mit fehlenden Spuren an dessen Körper. Erstmals im Schreiben vom 22. Januar 2002 an seinen Rechtsvertreter machte der Beschwerdeführer darauf aufmerksam, dass ihm die Verbrennungen mit Zigaretten im Bereich des Anus zugefügt worden seien und er deshalb nicht den Mut gehabt habe, diesen Punkt in den Befragungen im Detail anzusprechen. Im ärztlichen Bericht vom 14. März 2002 wird im Rahmen der Anamnese ebenfalls festgehalten,


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dass der Beschwerdeführer mit brennenden Zigaretten am Anus gefoltert worden sei. Auf welche Erhebungen sich diese Feststellung stützt, geht aus dem Bericht indes nicht hervor. In dieser Hinsicht vermag nun aber der von der ARK eingeholte Bericht des [Universitätsspitals X.] vom 15. August 2003 genügend Klarheit zu schaffen. Dort wird nach entsprechender Untersuchung festgehalten, dass der Beschwerdeführer im Bereich des Anus eine Narbe aufweise, welche mit einer durch Zigaretten verursachten abgeheilten Brandwunde vereinbar sei; es handle sich um narbige Veränderungen, deren Alter nicht mehr exakt klassifizierbar sei, jedoch mindestens mehrere Monate betrage.

Die urteilende Kommission hält es angesichts dieser neuen Erkenntnisse und namentlich der Kernaussage der Ärzte, wonach die festgestellte Narbe konklusiv sei mit der zu überprüfenden Ursache, für überwiegend wahrscheinlich, dass dem Beschwerdeführer in der Region des Anus Verbrennungen mit Zigaretten zugefügt wurden, wie er dies im Stadium des vorliegenden Beschwerdeverfahrens geltend macht. Dieser Schlussfolgerung steht gerade nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer noch in der Ergänzungsbefragung erklärt hatte, er trage keine Spuren von der Folter mit brennenden Zigaretten und erkläre sich diesen Umstand damit, dass die Zigaretten womöglich nicht heiss genug gewesen seien. Auch die vom BFF in der Vernehmlassung hervorgehobene Tatsache, dass der Beschwerdeführer beinahe 30 Monate zugewartet hat, ehe er sich hierzulande in psychiatrische beziehungsweise psychotherapeutische Behandlung begab, spricht nicht gegen eine solche Sichtweise. Es entspricht einem bekannten Phänomen, dass unmittelbar beteiligte Menschen einen mit Scham- und Schuldgefühlen besetzten Sachverhalt nicht oder zumindest nicht unverhüllt zu schildern wagen. So können Opfer von sexueller oder anders gearteter massiver Gewalt mitunter ein beeindruckendes Mass an Beherrschung an den Tag legen und erstaunliche Energien freimachen, mit denen sie das Erinnertwerden an traumatisierende Erlebnisse oder die Entstehung beklemmender Vermutungen in ihrer Umgebung um jeden Preis zu verhindern suchen. Jenen Selbstschutz- und Verdrängungsmechanismen ist im Rahmen der Beurteilung von Aussagen potenzieller Traumaopfer hinreichend Rechnung zu tragen (vgl. EMARK 2003 Nr. 17, S. 105 ff., Erw. 4b). Dementsprechend spricht es nach Praxis der ARK nicht generell gegen die Glaubhaftigkeit einer sexuellen Gewalterfahrung, wenn diese nicht von Beginn weg, sondern erst im Verlauf des Verfahrens geltend gemacht wird (vgl. EMARK 2002 Nr. 13, S. 115, Erw. 6c).

Nicht zuletzt mit Rücksicht auf diese Problematik sieht sich die ARK in einem nächsten Schritt nicht veranlasst, ernsthaft daran zu zweifeln, dass die - als solche glaubhafte - Folter mit brennenden Zigaretten im Intimbereich auch wirklich durch die vom Beschwerdeführer bezeichneten Akteure und unter den von ihm geschilderten Umständen ausgeführt wurde. Dass aufgrund der Aktenlage eine


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andere Urheberschaft und eine andere Entstehungsgeschichte nicht vollends ausgeschlossen werden können, vermag daran nichts zu ändern. Ebenso wenig besteht unter den hievor aufgezeigten Gesamtumständen begründeter Anlass, die anderen vom Beschwerdeführer geltend gemachten Torturen, die Umstände seiner Freilassung oder die ihm auferlegte Meldepflicht als weniger wahrscheinlich zu erachten.

c) Aus diesen Überlegungen stuft die ARK die Wahrscheinlichkeit, die zu beurteilende Verfolgungsgeschichte entspreche in den wesentlichen Punkten den Tatsachen, höher ein als die - wenn auch nicht restlos auszuschliessende - Möglichkeit, sie sei vom Beschwerdeführer bloss inszeniert worden. Bei einer Gesamtbeurteilung aller massgeblicher Aspekte überwiegen die für die Richtigkeit der Asylvorbringen des Beschwerdeführers sprechenden Elemente gegenüber den Unglaubhaftigkeitsindizien (vgl. EMARK 1996 Nr. 28, S. 270, Erw. 3a). Dem Beschwerdeführer ist es demnach gelungen, den zur Begründung seines Asylgesuchs vorgetragenen Sachverhalt in allen wesentlichen Punkten glaubhaft zu machen. Somit bleibt unter Verzicht auf weitergehende Abklärungen zu prüfen, ob der Beschwerdeführer damit die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling gemäss Art. 3 AsylG zu erfüllen vermag.

6. a) Gemäss ständiger Praxis der ARK sind Befürchtungen, künftig staatlichen Verfolgungsmassnahmen ausgesetzt zu werden, nur dann asylrelevant, wenn begründeter Anlass zur Annahme besteht, dass sich die Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit und in absehbarer Zukunft verwirklichen wird. Dabei genügt es nicht, dass diese Furcht lediglich mit Vorkommnissen oder Umständen, die sich früher oder später möglicherweise ereignen könnten, begründet wird. Ob in einem bestimmten Fall eine solche Wahrscheinlichkeit besteht, ist aufgrund einer objektivierten Betrachtungsweise zu beurteilen. Es müssen somit hinreichende Anhaltspunkte für eine konkrete Bedrohung vorhanden sein, die bei jedem Menschen in vergleichbarer Lage Furcht vor Verfolgung und damit den Entschluss zur Flucht hervorrufen würden. Gleichwohl ist für die Bestimmung der begründeten Furcht nicht allein massgebend, was ein normal empfindender Mensch angesichts der geschehenen oder drohenden Verfolgungsmassnahmen zu Recht an Furcht empfunden hätte. Diese rein objektive Betrachtungsweise ist zusätzlich durch das vom Betroffenen bereits Erlebte und das Wissen um Konsequenzen in vergleichbaren Fällen zu ergänzen. Wer bereits staatlichen Verfolgungsmassnahmen ausgesetzt war, hat objektive Gründe für eine ausgeprägtere (subjektive) Furcht. Die subjektive Furcht ist diesfalls bereits dann begründet, wenn sie zwar diejenige eines in der gleichen Situation befindlichen "vernünftigen Dritten" übersteigt, aber trotzdem nachvollziehbar bleibt (vgl. EMARK 1998 Nr. 4, S. 27, Erw. 5d; 1994 Nr. 24, S. 177 f., Erw. 8b).


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b) Vorliegend ist eine subjektive Furcht insbesondere in Berücksichtigung der persönlichen Erfahrungen des Beschwerdeführers anlässlich seiner fünfeinhalb-monatigen Isolationshaft in einem Gefängnis des militärischen Sicherheitsdienstes zu bejahen. Aus den dargelegten Gründen ist hinreichend erstellt, dass der Beschwerdeführer in der ersten Phase der Gefangenschaft über einen Zeitraum von einem bis zwei Monaten in kurzen Abständen unter Anwendung verschiedener Methoden erheblichen Qualen ausgesetzt wurde. Es handelt sich hierbei um nachhaltige Erlebnisse, aufgrund derer aus heutiger Optik vom Beschwerdeführer eine unbelastete Einstellung gegenüber den syrischen Sicherheitsbehörden fairerweise nicht erwartet werden darf. Damit sind aus seiner subjektiven Warte betrachtet die Voraussetzungen dafür gegeben, dass er im Fall einer Rückkehr in das Land seines letzten Aufenthaltes (vgl. Art. 3 Abs. 1 AsylG: "Land, in dem sie zuletzt wohnten") wiederum mit vergleichbaren Übergriffen rechnen muss.

In objektiver Hinsicht sind genügend konkrete Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass der Beschwerdeführer im Rückkehrfall mit erheblicher Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zukunft staatlichen Verfolgungsmassnahmen im Sinne der Definition von Art. 3 AsylG ausgesetzt würde. Zumal er vor seiner Ausreise bereits unter dem Verdacht oppositioneller Aktivitäten inhaftiert war, hat er begründeten Anlass, im Falle einer Rückkehr mit einer Verhaftung durch die Geheimdienste sowie mit Verhören unter menschenrechtswidriger Behandlung und Folter zu rechnen. Weitere Gefährdungsindizien sind in der nach der Haftentlassung auferlegten Meldepflicht und in der schriftlich zugesicherten politischen Inaktivität zu erblicken. Durch seine illegale Ausreise und den mehrjährigen Auslandaufenthalt hat der Beschwerdeführer Tatsachen geschaffen, die bei den syrischen Behörden unweigerlich den Verdacht aufkommen lassen werden, er habe seine (vermeintliche) oppositionelle Tätigkeit im Ausland fortgesetzt. Die in Wirklichkeit unpolitische Haltung des Beschwerdeführers ändert nichts daran, dass den zu befürchtenden Zwangsmassnahmen der syrischen Behörden eine politische Motivation zugrunde liegt.

Von einer Fluchtalternative innerhalb der Landesgrenzen Syriens kann derzeit ebenfalls nicht ausgegangen werden. Nach der Rechtsprechung der ARK sind die Anforderungen an die Effektivität des am Zufluchtsort gewährten Schutzes hoch anzusetzen (vgl. EMARK 1996 Nr. 1). In Anbetracht der weit reichenden Vollmachten und des Wirkungsfeldes der zahlreichen syrischen Sicherheits- und Geheimdienste ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer an einem Ort innerhalb der Landesgrenzen Syriens vor Verfolgung sicher wäre.

Der Beschwerdeführer hat sich gemäss eigenen Angaben niemals in irgendeiner Weise politisch betätigt. Es fehlt somit an konkreten Hinweisen auf ein Fehlver-


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halten, welches unter einen oder mehrere der von Art. 1 F FK umfassten Fälle zu subsumieren wäre. Eine tatbeständliche Grundlage, welche den Ausschluss des Beschwerdeführers vom Flüchtlingsbegriff zur Folge hätte (vgl. EMARK 1996 Nr. 18, S. 173 ff., Erw. 5 - 7), liegt demnach nicht vor.

Damit sind sämtliche Kriterien der in Art. 3 AsylG enthaltenen Definition als erfüllt zu betrachten.

c) Somit kann festgehalten werden, dass der Beschwerdeführer entgegen der vorinstanzlichen Beurteilung die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erfüllt. Dementsprechend ist ihm mangels Anzeichen für das Vorliegen eines Ausschlussgrundes in der Schweiz Asyl zu gewähren (vgl. Art. 49 AsylG).

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