EMARK - JICRA - GICRA
2004 / 1
Art. 3 Abs. 1 und Art. 7 AsylG: Folteropfer; Glaubhaftigkeit von erst im Beschwerdeverfahren konkretisierten Vorbringen; Begründete Furcht vor Verfolgung.
Es spricht nicht gegen die Glaubhaftigkeit der Vorbringen
eines mutmasslichen Folteropfers, wenn die Einzelheiten der erlittenen Folter
- in casu Verbrennungen im Intimbereich - in den Anhörungen aus Scham zunächst
verschwiegen und erst im Beschwerdeverfahren genauer substanziiert werden
(Erw. 5b.dd).
War die um Asyl ersuchende Person bereits früher staatlichen Verfolgungsmassnahmen ausgesetzt, ist bei der Beurteilung der Begründetheit der von ihr empfundenen Furcht nicht auf eine rein objektive Betrachtungsweise abzustellen. Es sind diesfalls das von ihr bereits Erlebte und das Wissen um Konsequenzen in vergleichbaren Fällen mit zu berücksichtigen (Bestätigung der Rechtsprechung, vgl. EMARK 1998 Nr. 4, Erw. 5d, S. 27; 1997 Nr. 10, S. 73 f.; 1994 Nr. 24, Erw. 8b, S. 177 ff.) (Erw. 6a-b).
Art. 3 al. 1 et 7 LAsi : victime de tortures ; crédibilité d’allégations faites au stade du recours seulement ; crainte fondée.
Pour une victime probable de mauvais traitements, le fait
de taire, par honte, les détails de tortures (in casu, des brûlures pratiquées
sur des parties intimes du corps) lors des auditions et de ne les mentionner
d’une manière substantielle qu’au stade du recours, ne porte pas
nécessairement atteinte à sa crédibilité (consid. 5b dd).
Si un demandeur d’asile a déjà été l’objet de persécutions étatiques, l’appréciation du caractère fondé de sa crainte ne doit pas être basée sur des considérations purement objectives. En pareil cas, il y a lieu de tenir compte, et de son vécu et des connaissances que l’on a des séquelles observées dans des cas comparables (confirmation de jurisprudence, cf. JICRA 1998 n° 4 consid. 5d p. 27 ; 1997 n° 10 p. 73 s. ; 1994 n° 24 consid. 8b p. 177 ss) (consid. 6a-b).
Art. 3 cpv. 1 e art. 7 LAsi: verosimiglianza d’allegazioni completate solo in sede ricorsuale; timore fondato d’esposizione a persecuzioni.
La verosimiglianza d’allegazioni di torture non è
compromessa se il richiedente l’asilo completa e sostanzia in sede ricorsuale
quelle che, per pudore, aveva omesso in corso di procedura di prima istanza,
in casu riguardanti l’esistenza di cicatrici nelle zone intime (consid. 5b dd).
Allorquando un richiedente l'asilo è già stato oggetto di persecuzioni statali, nell'esame della fondatezza dei timori d’esposizione a future persecuzioni va debitamente tenuto conto dei timori soggettivi espressi dal richiedente stesso e connesse ai seri pregiudizi subiti e alla conoscenza delle possibili conseguenze (conferma della giurisprudenza di cui a GICRA 1998 n. 4, pag. 27, consid. 5d; 1997 n. 10 pag. 73 e seg.; 1994 n. 24, pag. 177 e seg., consid. 8b) (consid. 6a-b).
Der Beschwerdeführer, ein Palästinenser aus Syrien, stellte am 4. Oktober
1999 ein Asylgesuch, das er im Wesentlichen wie folgt begründete:
Nach der Verhaftung eines Freundes sei er seinerseits durch den
Sicherheitsdienst "Mukhabarat" festgenommen und während fünfeinhalb Monaten in
Einzelhaft gehalten worden, wobei er massiver Folter ausgesetzt gewesen sei. In
den täglichen Verhören sei er unentwegt gefragt worden, ob er einer Partei
angehöre oder sich auf andere Weise politisch betätige. Daneben sei er ausgiebig
nach seinem Verhältnis zu seinem Freund befragt worden. Weil seine -
wahrheitsgemässen - Antworten nicht zur Zufriedenheit der Sicherheitsdienstleute
ausgefallen seien, hätten diese ihn verschiedenartiger Folter unterzogen. So sei
er etwa in einen Autoreifen gezwängt und in dieser Stellung geschlagen, mit
einem Kabel an den Fusssohlen und am ganzen Körper gepeitscht und einmal auch
mit Zigaretten gebrannt worden. Schliesslich sei er im Januar 1999 dank der
Einflussnahme eines Verantwortungsträgers und gegen Bezahlung eines namhaften
Geldbetrages auf freien Fuss gesetzt worden. Die Freilassung sei unter anderem
mit der Auflage verbunden gewesen, sich viermal am Tag auf dem
Polizeikommissariat zur Leistung der Unterschrift einzufinden. Bald nach der
Haftentlassung habe er konkrete Ausreiseabsichten entwickelt, weil er die
Situation nicht mehr ertragen habe. In jener Zeit sei es häufig zu
unerklärlichen Verhaftungen gekommen, wodurch seine latente Angst, ein zweites
Mal grundlos festgenommen und gefoltert zu werden, nur noch gewachsen sei.
Mit Verfügung vom 10. Januar 2002 lehnte das BFF das Asylgesuch des
Beschwerdeführers ab und ordnete gleichzeitig die Wegweisung sowie deren Vollzug
an. Als Begründung führte das BFF zur Hauptsache an, die Vorbringen des
Beschwerdeführers seien unglaubhaft.
Gegen diese Verfügung wurde am 11. Februar 2002 bei der ARK Beschwerde erhoben.
Innert der vom zuständigen Instruktionsrichter der ARK gewährten Frist reichte
der Beschwerdeführer einen vom 14. März 2002 datierenden Bericht eines in
Psychiatrie und Psychotherapie praktizierenden Arztes zu den Akten.
In ihrer Vernehmlassung vom 22. Mai 2002, zu welcher der Beschwerdeführer keine
Stellung bezog, schloss die Vorinstanz auf Abweisung der Beschwerde.
Auf Veranlassung des zuständigen Instruktionsrichters der ARK wurde der
Beschwerdeführer am 14. August 2003 im Universitätsspital X. medizinisch
untersucht. Der entsprechende ärztliche Bericht vom 15. August 2003 wurde der
ARK am 22. August 2003 zugeleitet.
Die ARK heisst die Beschwerde gut, hebt die angefochtene Verfügung auf und weist
das BFF an, dem Beschwerdeführer Asyl zu gewähren.
4. a) Das BFF führte in seiner Verfügung vom 10. Januar 2001 als Hauptargument für die Verweigerung des Asyls an, die Vorbringen des Beschwerdeführers seien in wesentlichen Punkten widersprüchlich, unzureichend begründet, unlogisch oder tatsachenwidrig. Zur Phase mit den intensiven Verhören sowie zur Lockerung der Meldepflicht habe der Beschwerdeführer in den drei Befragungen unterschiedliche Zeitangaben gemacht. Seine Beschreibung der fünfmonatigen Gefangenschaft sei an verschiedenen Orten minimalistisch und stereotyp ausgefallen. Im Zusammenhang mit der angeblich erlittenen Folter habe er sich auf eine Aufzählung der Methoden beschränkt. Zudem trage er an seinem Körper keinerlei Folterspuren, was insofern erstaune, als Verbrennungen mit Zigaretten hässliche Narben hinterliessen. Unbegreiflich sei in diesem Zusammenhang auch, dass die syrischen Behörden dem Beschwerdeführer niemals offen gelegt hätten, wessen sie ihn beziehungsweise seinen Freund I.A. genau verdächtigten. Sodann bleibe auch rätselhaft, aus welchen Überlegungen die Behörden die Verhöre nach einigen Wochen hätten einstellen und den Beschwerdeführer noch mehrere Monate in Gefangenschaft behalten sollen, um ihn dann einer-
seits freizulassen und andererseits als dermassen gefährlich einzustufen,
dass sie eine strenge administrative Kontrolle für angebracht gehalten hätten.
b) In der Beschwerdeschrift wird diesen Erwägungen entgegengehalten, es sei
grundsätzlich problematisch, aus einzelnen, allenfalls nur geringfügigen
Abweichungen in den Aussagen eines Asylsuchenden sofort auf dessen
Unglaubwürdigkeit zu schliessen. Im konkreten Fall sei sodann erwähnenswert,
dass zwischen der direkten Anhörung zu den Asylgründen und der
Ergänzungsbefragung durch das BFF beinahe zwei Jahre vergangen seien. Aus einer
dermassen grossen Differenz beziehungsweise langen Verfahrensdauer ergäben sich
unweigerlich gewisse Abweichungen in den entsprechenden Aussagen. Die vom BFF
vorgehaltenen Unterschiede in den Aussagen des Beschwerdeführers präsentierten
sich als marginal oder entpuppten sich bei genauem Hinsehen gar als inexistent.
Im eingereichten Schreiben vom 22. Januar 2002 an seinen Rechtsvertreter vermöge
der Beschwerdeführer in dieser Hinsicht Klarheit zu schaffen. Aus ebendiesem
Schreiben gehe auch hervor, warum der Beschwerdeführer in Bezug auf die
Folterungen mit brennenden Zigaretten nicht in der Lage gewesen sei, mündlich
genaue Details bekannt zu geben. Der Beschwerdeführer habe sich nun hierzulande
in Behandlung begeben, um die Erlebnisse endlich auch aktiv verarbeiten zu
können. Dass gefolterte Personen über ihre Erlebnisse nur zurückhaltend oder gar
nicht sprechen könnten, sei eine bekannte Problematik. Gesamthaft gesehen sei an
den Ausführungen des Beschwerdeführers nicht zu zweifeln, zumal sich diese
problemlos in die in Syrien vorherrschenden Verhältnisse einbetten liessen. Die
mithin als wahr zu erachtende Gesuchsbegründung verhelfe dem Beschwerdeführer
zur Flüchtlingseigenschaft. Dessen unpolitische Haltung stehe einer Anerkennung
als Flüchtling nicht entgegen, weil die Verfolgung auch asylrelevant sei, wenn
der Verfolger den Verfolgten die unliebsame Eigenschaft lediglich
fälschlicherweise unterschiebe. Die Furcht des Beschwerdeführers vor einer
erneuten Verhaftung sei auch objektiv begründet, weil sich die Lage der
Palästinenser in Syrien seit Anfang des Jahres 2000 dramatisch verschlechtert
habe und anzunehmen sei, dass der syrische Geheimdienst nach der Haftentlassung
ein Dossier über den Beschwerdeführer angelegt habe. Da vorliegend keine
Asylausschlussgründe erblickt werden könnten, sei dem Beschwerdeführer Asyl zu
gewähren.
5. a) Grundsätzlich sind die Vorbringen eines Gesuchstellers dann glaubhaft,
wenn sie genügend substanziiert, in sich schlüssig und plausibel sind; sie
dürfen sich nicht in vagen Schilderungen erschöpfen, in wesentlichen Punkten
nicht widersprüchlich sein oder der inneren Logik entbehren und auch nicht den
Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung widersprechen. Darüber hinaus muss der
Gesuchsteller persönlich glaubwürdig erscheinen, was insbesondere dann nicht der
Fall ist, wenn er seine Vorbringen auf gefälschte oder verfälschte Beweis-
mittel abstützt, aber auch dann, wenn er wichtige Tatsachen unterdrückt oder
bewusst falsch darstellt, im Laufe des Verfahrens Vorbringen auswechselt,
steigert oder unbegründet nachschiebt, mangelndes Interesse am Verfahren zeigt
oder die nötige Mitwirkung verweigert. Glaubhaftmachung bedeutet ferner - im
Gegensatz zum strikten Beweis - ein reduziertes Beweismass und lässt durchaus
Raum für gewisse Einwände und Zweifel an den Vorbringen des Gesuchstellers.
Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der
Sachverhaltsdarstellung des Gesuchstellers sprechen, überwiegen oder nicht.
Dabei ist auf eine objektivierte Sichtweise abzustellen (vgl. Art. 7 AsylG;
EMARK 1996 Nr. 27, S. 263 f., Erw. 3c.aa;
Nr. 28, S. 270, Erw. 3a).
b) Diesen herabgesetzten Beweisanforderungen hat die Vorinstanz vorliegend nicht
hinreichend Rechnung getragen. Ihre Erkenntnis, wonach die Gesuchsbegründung des
Beschwerdeführers in den wesentlichen Punkten unglaubhaft sei, gründet auf einer
zu restriktiven Handhabung der Beweisregel von Art. 7 AsylG.
aa) Als unkorrekt beziehungsweise nur bedingt richtig erweist sich zunächst die
Feststellung, der Beschwerdeführer habe die Periode mit den Verhören und
Folterungen sowie auch die Zeiträume mit der Pflicht zur vier- beziehungsweise
zweimaligen Unterschriftsleistung pro Tag unterschiedlich beziffert. In der
summarischen Befragung gab der Beschwerdeführer diesbezüglich zu Protokoll, er
sei in den ersten zwei Wochen täglich, in den folgenden 15 Tagen alle zwei oder
drei Tage und in der restlichen Zeit seiner Gefangenschaft noch ein- oder
zweimal verhört worden. Hierzu im Einklang steht seine Darstellung in der zwei
Tage später durchgeführten einlässlichen Anhörung, wonach die Verhöre in den
ersten vier Wochen sehr intensiv gewesen seien und dann abgenommen hätten. Jene
Aussage gab der Befrager im weiteren Verlauf der Anhörung von sich aus unpräzis
wieder, als er dem Beschwerdeführer die Frage stellte, warum die
Sicherheitsbeamten nach vier Wochen aufgehört hätten, ihn zu verhören. Bezüglich
der Folterungen hielt der Beschwerdeführer zu einem späteren Zeitpunkt der
Anhörung fest, diese hätten sich in den ersten vier Wochen nach jedem Verhör
ereignet. Anlässlich der knapp zwei Jahre später durchgeführten
Ergänzungsbefragung erklärte der Beschwerdeführer nach der Aufforderung des
Befragers, ihm kurz die Umstände seiner Verhaftung in Erinnerung zu rufen, dass
die Situation mit den Verhören, Misshandlungen und Folterungen ungefähr
eineinhalb Monate gedauert habe. Diese Aussage bestätigte er später bei der
Beantwortung der Frage nach dem Inhalt der Verhöre, als er sich mit den Worten
vernehmen liess, die Situation habe zwischen einem und zwei Monaten gedauert.
Ebenso wenig begab er sich zu früheren Aussagen in Widerspruch als er später
konkretisierte, die Folterungen hätten sich täglich beziehungsweise jeden
zweiten Tag jeweils während der Verhöre beziehungsweise in einem im Geschoss
unterhalb des Verhörzimmers gelegenen Raum ereignet über einen Zeitraum von
ungefähr
einem oder zwei Monaten erstreckt. Erst weiter hinten im Protokoll steht die
abweichende Aussage geschrieben, wonach diese (vorgängig vom Beschwerdeführer
erwähnten, Anm. der ARK) drei Monate die Periode mit der Folter gewesen seien.
Setzt man diese Aussage jedoch in Beziehung zur vorangegangenen und
anschliessenden Frage und den damit korrespondierenden Antworten, so überwiegt
der Eindruck, der Beschwerdeführer sei falsch verstanden worden, wie er dies in
seinem Schreiben vom 22. Januar 2002 an den Rechtsvertreter geltend macht.
Diesbezüglich gilt es zwar festzuhalten, dass in der Regel kein Anlass besteht,
den mündlichen oder schriftlichen Erklärungen eines Beschwerdeführers an seinen
Rechtsvertreter mehr Glauben zu schenken als den in der förmlichen
Befragungssituation nach Auferlegung der Wahrheitspflicht gemachten Angaben. Im
vorliegenden Fall lassen die betreffenden Protokollstellen jedoch in der Tat am
ehesten die Deutung zu, der Beschwerdeführer habe eigentlich zum Ausdruck
bringen wollen, dass nach seiner Einschätzung eine - ausgehend von einer
ungefähren Gesamthaftzeit von fünf Monaten und einer ersten Phase mit Folter von
rund zwei Monaten - dreimonatige Periode ohne Verhör und Folter eine
unbedeutende Zeit sei im Vergleich mit dem Schicksal eines als Muslimbruder
verdächtigten Bekannten, den man während 12 Jahren festgehalten habe. Dies gilt
umso mehr, als er seine widersprüchliche Aussage in der gleich anschliessenden
Antwort wieder berichtigte.
Was die zusätzlich vorgehaltenen Abweichungen in den zeitlichen und numerischen
Angaben zur Meldepflicht betrifft, so wendet der Beschwerdeführer nicht ohne
Grund ein, das BFF greife hier lediglich marginale Unterschiede heraus und
gewichte diese im Rahmen der Glaubhaftigkeitsprüfung zu stark. Bezüglich der
Dauer der Pflicht zur viermaligen Unterschriftsleistung pro Tag unterschlägt das
BFF zudem den Umstand, dass der Beschwerdeführer in der Ergänzungsbefragung die
Genauigkeit seiner Angabe selber relativierte, indem er ausdrücklich von
ungefähr zwei Monaten sprach. Auch in Bezug auf die Uhrzeiten, zu welchen sich
der Beschwerdeführer nach seinen Angaben auf dem Kommissariat einzufinden hatte,
erweisen sich die Abweichungen bei einer Konsultation der betreffenden
Protokollstellen als im Rahmen des Tolerierbaren. Hierbei gilt es dem Umstand
gebührend Rechnung zu tragen, dass die Ergänzungsbefragung nahezu zwei Jahre
nach der summarischen Befragung und der direkten Anhörung in der Empfangsstelle
stattfand.
Eine vertiefte Aktenprüfung führt somit zum Ergebnis, dass die vom BFF
vorgehaltenen Widersprüche in den Aussagen des Beschwerdeführers nicht oder nur
in einem Ausmass bestehen, welches allein nicht ausreicht, um daraus die
Unglaubhaftigkeit der betreffenden Vorbringen abzuleiten.
bb) Als weiteres Argument führt das BFF in seiner Verfügung an, der
Beschwerdeführer habe verschiedene Vorkommnisse nicht mit präzisen Details unter
Einbezug der konkreten Begleitumstände zu beschreiben vermocht, so dass der
Eindruck entstehe, er habe das Gesagte nicht selber erlebt. Auch dieser Vorwurf
lässt sich indes nach einer eingehenden Prüfung der Akten nicht mehr in dieser
Form aufrechterhalten. Grundsätzlich geben die diesbezüglichen Erwägungen nur
insoweit zu keiner Beanstandung Anlass, als die Vorinstanz darin sinngemäss zu
bedenken gibt, es sei schwer vorstellbar, dass der Beschwerdeführer während
seiner gesamten Gefangenschaft keinen anderen Häftling zu Gesicht bekommen habe
und die Behörden den gegen ihn beziehungsweise I.A. erhobenen Verdacht in keinem
der Verhöre näher bezeichnet hätten. Andererseits gereicht der Vorinstanz zum
Vorwurf, dass sie in ihren Erwägungen den Eindruck vermittelt, der
Beschwerdeführer habe keinen der wesentlichen Bestandteile seiner
Gesuchsbegründung substanziiert zu schildern vermocht. Bei genauem Hinsehen sind
in den Protokollen jedoch diverse Passagen zu finden, in denen der
Beschwerdeführer sich durchaus in der Lage zeigte, Örtlichkeiten oder
Situationen detailliert und anschaulich zu beschreiben. Dies trifft etwa auf die
Gefängniszelle, das Verhörzimmer sowie auf die Leistung der Unterschrift auf dem
Kommissariat zu.
cc) Als wenig stichhaltig erachtet die ARK das Argument der Vorinstanz, es
entspreche nicht der Funktionsweise der syrischen Behörden, jemanden nach der
Freilassung einer strengen administrativen Kontrolle zu unterstellen, dem man
zuvor im Rahmen von Verhören und unter Anwendung der Folter ergebnislos
Verbindungen zu einer oppositionellen Partei nachzuweisen versucht habe. Vor dem
Hintergrund der Menschenrechtssituation in Syrien, die nach wie vor
gekennzeichnet ist durch eine Kultur der Willkür, Repression und Abschreckung -
praktiziert durch die von einer rechtsstaatlichen Kontrolle ausgenommenen
Sicherheits- und Geheimdienste - erscheint es nicht angezeigt, die
Glaubhaftigkeit eines geltend gemachten Behördenverhaltens einseitig vom
Vorliegen nachvollziehbarer Motive abhängig zu machen.
dd) In einem ganz neuen Licht lassen freilich die beiden ärztlichen Berichte die
Glaubhaftigkeitsprüfung der Vorinstanz erscheinen. In der angefochtenen
Verfügung begründete das BFF seine Zweifel an der behaupteten Folter namentlich
mit der zaghaften Geltendmachung durch den Beschwerdeführer anlässlich der
direkten Anhörung sowie mit fehlenden Spuren an dessen Körper. Erstmals im
Schreiben vom 22. Januar 2002 an seinen Rechtsvertreter machte der
Beschwerdeführer darauf aufmerksam, dass ihm die Verbrennungen mit Zigaretten im
Bereich des Anus zugefügt worden seien und er deshalb nicht den Mut gehabt habe,
diesen Punkt in den Befragungen im Detail anzusprechen. Im ärztlichen Bericht
vom 14. März 2002 wird im Rahmen der Anamnese ebenfalls festgehalten,
dass der Beschwerdeführer mit brennenden Zigaretten am Anus gefoltert worden
sei. Auf welche Erhebungen sich diese Feststellung stützt, geht aus dem Bericht
indes nicht hervor. In dieser Hinsicht vermag nun aber der von der ARK
eingeholte Bericht des [Universitätsspitals X.] vom 15. August 2003 genügend
Klarheit zu schaffen. Dort wird nach entsprechender Untersuchung festgehalten,
dass der Beschwerdeführer im Bereich des Anus eine Narbe aufweise, welche mit
einer durch Zigaretten verursachten abgeheilten Brandwunde vereinbar sei; es
handle sich um narbige Veränderungen, deren Alter nicht mehr exakt
klassifizierbar sei, jedoch mindestens mehrere Monate betrage.
Die urteilende Kommission hält es angesichts dieser neuen Erkenntnisse und
namentlich der Kernaussage der Ärzte, wonach die festgestellte Narbe konklusiv
sei mit der zu überprüfenden Ursache, für überwiegend wahrscheinlich, dass dem
Beschwerdeführer in der Region des Anus Verbrennungen mit Zigaretten zugefügt
wurden, wie er dies im Stadium des vorliegenden Beschwerdeverfahrens geltend
macht. Dieser Schlussfolgerung steht gerade nicht entgegen, dass der
Beschwerdeführer noch in der Ergänzungsbefragung erklärt hatte, er trage keine
Spuren von der Folter mit brennenden Zigaretten und erkläre sich diesen Umstand
damit, dass die Zigaretten womöglich nicht heiss genug gewesen seien. Auch die
vom BFF in der Vernehmlassung hervorgehobene Tatsache, dass der Beschwerdeführer
beinahe 30 Monate zugewartet hat, ehe er sich hierzulande in psychiatrische
beziehungsweise psychotherapeutische Behandlung begab, spricht nicht gegen eine
solche Sichtweise. Es entspricht einem bekannten Phänomen, dass unmittelbar
beteiligte Menschen einen mit Scham- und Schuldgefühlen besetzten Sachverhalt
nicht oder zumindest nicht unverhüllt zu schildern wagen. So können Opfer von
sexueller oder anders gearteter massiver Gewalt mitunter ein beeindruckendes
Mass an Beherrschung an den Tag legen und erstaunliche Energien freimachen, mit
denen sie das Erinnertwerden an traumatisierende Erlebnisse oder die Entstehung
beklemmender Vermutungen in ihrer Umgebung um jeden Preis zu verhindern suchen.
Jenen Selbstschutz- und Verdrängungsmechanismen ist im Rahmen der Beurteilung
von Aussagen potenzieller Traumaopfer hinreichend Rechnung zu tragen (vgl.
EMARK
2003 Nr. 17, S. 105 ff., Erw. 4b). Dementsprechend spricht es nach Praxis der ARK nicht generell gegen die Glaubhaftigkeit einer sexuellen Gewalterfahrung,
wenn diese nicht von Beginn weg, sondern erst im Verlauf des Verfahrens geltend
gemacht wird (vgl. EMARK 2002 Nr. 13, S. 115, Erw. 6c).
Nicht zuletzt mit Rücksicht auf diese Problematik sieht sich die ARK in einem
nächsten Schritt nicht veranlasst, ernsthaft daran zu zweifeln, dass die - als
solche glaubhafte - Folter mit brennenden Zigaretten im Intimbereich auch
wirklich durch die vom Beschwerdeführer bezeichneten Akteure und unter den von
ihm geschilderten Umständen ausgeführt wurde. Dass aufgrund der Aktenlage eine
andere Urheberschaft und eine andere Entstehungsgeschichte nicht vollends
ausgeschlossen werden können, vermag daran nichts zu ändern. Ebenso wenig
besteht unter den hievor aufgezeigten Gesamtumständen begründeter Anlass, die
anderen vom Beschwerdeführer geltend gemachten Torturen, die Umstände seiner
Freilassung oder die ihm auferlegte Meldepflicht als weniger wahrscheinlich zu
erachten.
c) Aus diesen Überlegungen stuft die ARK die Wahrscheinlichkeit, die zu
beurteilende Verfolgungsgeschichte entspreche in den wesentlichen Punkten den
Tatsachen, höher ein als die - wenn auch nicht restlos auszuschliessende -
Möglichkeit, sie sei vom Beschwerdeführer bloss inszeniert worden. Bei einer
Gesamtbeurteilung aller massgeblicher Aspekte überwiegen die für die Richtigkeit
der Asylvorbringen des Beschwerdeführers sprechenden Elemente gegenüber den
Unglaubhaftigkeitsindizien (vgl. EMARK 1996 Nr. 28, S. 270, Erw. 3a). Dem
Beschwerdeführer ist es demnach gelungen, den zur Begründung seines Asylgesuchs
vorgetragenen Sachverhalt in allen wesentlichen Punkten glaubhaft zu machen.
Somit bleibt unter Verzicht auf weitergehende Abklärungen zu prüfen, ob der
Beschwerdeführer damit die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling
gemäss Art. 3 AsylG zu erfüllen vermag.
6. a) Gemäss ständiger Praxis der ARK sind Befürchtungen, künftig staatlichen
Verfolgungsmassnahmen ausgesetzt zu werden, nur dann asylrelevant, wenn
begründeter Anlass zur Annahme besteht, dass sich die Verfolgung mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit und in absehbarer Zukunft verwirklichen wird.
Dabei genügt es nicht, dass diese Furcht lediglich mit Vorkommnissen oder
Umständen, die sich früher oder später möglicherweise ereignen könnten,
begründet wird. Ob in einem bestimmten Fall eine solche Wahrscheinlichkeit
besteht, ist aufgrund einer objektivierten Betrachtungsweise zu beurteilen. Es
müssen somit hinreichende Anhaltspunkte für eine konkrete Bedrohung vorhanden
sein, die bei jedem Menschen in vergleichbarer Lage Furcht vor Verfolgung und
damit den Entschluss zur Flucht hervorrufen würden. Gleichwohl ist für die
Bestimmung der begründeten Furcht nicht allein massgebend, was ein normal
empfindender Mensch angesichts der geschehenen oder drohenden
Verfolgungsmassnahmen zu Recht an Furcht empfunden hätte. Diese rein objektive
Betrachtungsweise ist zusätzlich durch das vom Betroffenen bereits Erlebte und
das Wissen um Konsequenzen in vergleichbaren Fällen zu ergänzen. Wer bereits
staatlichen Verfolgungsmassnahmen ausgesetzt war, hat objektive Gründe für eine
ausgeprägtere (subjektive) Furcht. Die subjektive Furcht ist diesfalls bereits
dann begründet, wenn sie zwar diejenige eines in der gleichen Situation
befindlichen "vernünftigen Dritten" übersteigt, aber trotzdem nachvollziehbar
bleibt (vgl. EMARK 1998 Nr. 4, S. 27, Erw. 5d;
1994 Nr. 24, S. 177 f., Erw. 8b).
b) Vorliegend ist eine subjektive Furcht insbesondere in Berücksichtigung der
persönlichen Erfahrungen des Beschwerdeführers anlässlich seiner
fünfeinhalb-monatigen Isolationshaft in einem Gefängnis des militärischen
Sicherheitsdienstes zu bejahen. Aus den dargelegten Gründen ist hinreichend
erstellt, dass der Beschwerdeführer in der ersten Phase der Gefangenschaft über
einen Zeitraum von einem bis zwei Monaten in kurzen Abständen unter Anwendung
verschiedener Methoden erheblichen Qualen ausgesetzt wurde. Es handelt sich
hierbei um nachhaltige Erlebnisse, aufgrund derer aus heutiger Optik vom
Beschwerdeführer eine unbelastete Einstellung gegenüber den syrischen
Sicherheitsbehörden fairerweise nicht erwartet werden darf. Damit sind aus
seiner subjektiven Warte betrachtet die Voraussetzungen dafür gegeben, dass er
im Fall einer Rückkehr in das Land seines letzten Aufenthaltes (vgl. Art. 3 Abs.
1 AsylG: "Land, in dem sie zuletzt wohnten") wiederum mit vergleichbaren
Übergriffen rechnen muss.
In objektiver Hinsicht sind genügend konkrete Anhaltspunkte dafür zu erkennen,
dass der Beschwerdeführer im Rückkehrfall mit erheblicher Wahrscheinlichkeit in
absehbarer Zukunft staatlichen Verfolgungsmassnahmen im Sinne der Definition von
Art. 3 AsylG ausgesetzt würde. Zumal er vor seiner Ausreise bereits unter dem
Verdacht oppositioneller Aktivitäten inhaftiert war, hat er begründeten Anlass,
im Falle einer Rückkehr mit einer Verhaftung durch die Geheimdienste sowie mit
Verhören unter menschenrechtswidriger Behandlung und Folter zu rechnen. Weitere
Gefährdungsindizien sind in der nach der Haftentlassung auferlegten Meldepflicht
und in der schriftlich zugesicherten politischen Inaktivität zu erblicken. Durch
seine illegale Ausreise und den mehrjährigen Auslandaufenthalt hat der
Beschwerdeführer Tatsachen geschaffen, die bei den syrischen Behörden
unweigerlich den Verdacht aufkommen lassen werden, er habe seine (vermeintliche)
oppositionelle Tätigkeit im Ausland fortgesetzt. Die in Wirklichkeit
unpolitische Haltung des Beschwerdeführers ändert nichts daran, dass den zu
befürchtenden Zwangsmassnahmen der syrischen Behörden eine politische Motivation
zugrunde liegt.
Von einer Fluchtalternative innerhalb der Landesgrenzen Syriens kann derzeit
ebenfalls nicht ausgegangen werden. Nach der Rechtsprechung der ARK sind die
Anforderungen an die Effektivität des am Zufluchtsort gewährten Schutzes hoch
anzusetzen (vgl. EMARK 1996 Nr. 1). In Anbetracht der weit reichenden
Vollmachten und des Wirkungsfeldes der zahlreichen syrischen Sicherheits- und
Geheimdienste ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer an einem Ort
innerhalb der Landesgrenzen Syriens vor Verfolgung sicher wäre.
Der Beschwerdeführer hat sich gemäss eigenen Angaben niemals in irgendeiner
Weise politisch betätigt. Es fehlt somit an konkreten Hinweisen auf ein Fehlver-
halten, welches unter einen oder mehrere der von Art. 1 F FK umfassten Fälle
zu subsumieren wäre. Eine tatbeständliche Grundlage, welche den Ausschluss des
Beschwerdeführers vom Flüchtlingsbegriff zur Folge hätte (vgl.
EMARK 1996 Nr.
18, S. 173 ff., Erw. 5 - 7), liegt demnach nicht vor.
Damit sind sämtliche Kriterien der in Art. 3 AsylG enthaltenen Definition als
erfüllt zu betrachten.
c) Somit kann festgehalten werden, dass der Beschwerdeführer entgegen der
vorinstanzlichen Beurteilung die Voraussetzungen für die Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft erfüllt. Dementsprechend ist ihm mangels Anzeichen für
das Vorliegen eines Ausschlussgrundes in der Schweiz Asyl zu gewähren (vgl. Art.
49 AsylG).
© 27.04.04