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Auszug aus dem Urteil der ARK vom 4. Februar 2003 i.S. A. P. J., Sri Lanka

Art. 17 Abs. 2 AsylG, Art. 6 AsylV 1: Begriff der geschlechtsspezifischen Verfolgung; anzuwendendes Verfahren.

1.  Geschlechtsspezifisch im Sinne von Art. 6 AsylV 1 ist eine Verfolgung, wenn sie in der Form sexueller Gewalt stattfindet oder die sexuelle Identität des Opfers treffen soll. Davon kann auch ein Mann betroffen sein (Erw. 5a und b).

2.  Die Vorschrift, wonach bei Vorliegen konkreter Hinweise auf geschlechtsspezifische Verfolgung die (bzw. der) Asylsuchende von einer Person des gleichen Geschlechts angehört werden muss, ist von Amtes wegen zu beachten (Erw. 5c).

Art. 17 al. 2 LAsi, art. 6 OA 1 : procédure particulière en cas de persécution de nature sexuelle.

1.  Une persécution de nature sexuelle selon l'art. 6 OA 1 consiste à exercer sur la victime des violences sexuelles ou à l'atteindre dans son identité sexuelle. Dans ce sens, un homme peut aussi être concerné (consid. 5a et b).

2.  La règle qui veut qu'en présence d'indices concrets de persécution de nature sexuelle, un demandeur d'asile soit auditionné par une personne du même sexe, doit être appliquée d'office (consid. 5c).

Art. 17 cpv. 2 LAsi, art. 6 OAsi 1: nozione di persecuzione di natura sessuale e relativa procedura.

1.  Una persecuzione di natura sessuale ai sensi dell'art. 6 OAsi 1 consiste nel perpetrare sulla vittima una violenza sessuale o nell'arrecare pregiudizio alla sua identità sessuale. Può quindi essere subita anche da un uomo (consid. 5a e b).


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2.  La disposizione, secondo la quale in presenza d'indizi concreti di persecuzione di natura sessuale la/il richiedente deve essere interrogata/o da una persona del medesimo sesso, va applicata d'ufficio (consid. 5c).

Zusammenfassung des Sachverhalts:

Der Beschwerdeführer stellte am 9. April 1999 in der Schweiz ein Asylgesuch. Nach einer Kurzbefragung in der Empfangsstelle wurde er von der kantonalen Behörde am 29. Juni 1999, vom BFF am 8. Januar 2002 zu seinen Asylgründen befragt. Er machte im Wesentlichen geltend, er sei Tamile und gehöre dem christlichen Glauben an. Er stamme ursprünglich aus Kulamankal, Mallakam (Nordprovinz). Im Mai 1993 seien die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) das erste Mal zu seiner Familie gekommen, um den Beschwerdeführer zur Zwangsarbeit abzuholen. Von da an habe er immer wieder kleinere Hilfsleistungen für die LTTE erbringen müssen. So habe er Studenten zum Bunkerbau organisieren und für die LTTE bei Privaten Geldspenden eintreiben müssen. Am 27. April 1998 sei der Beschwerdeführer unter dem Vorwurf, Spendengelder unterschlagen und falsche Abrechnungen erstellt zu haben, durch die LTTE festgenommen worden. Er sei drei Monate lang in einen Bunker im Wald gesperrt worden, wobei er immer wieder befragt, geschlagen und misshandelt worden sei. Wegen den Haftbedingungen habe er die Pockenkrankheit bekommen. Er hätte hingerichtet werden sollen, weshalb ihm eine Person namens V. zur Flucht verholfen habe. Nach seiner Flucht sei er zu seinem Onkel nach Pooneryn gegangen. Zusammen mit diesem habe sich der Beschwerdeführer beim Armee-Camp von Thallady gemeldet, weil er habe nach Jaffna gehen wollen. Die Armee habe erfahren, dass die LTTE den Beschwerdeführer suchen würden, weshalb die Soldaten ihn anlässlich der Registrierung ihrerseits festgenommen und zunächst für sieben Tage in Mannar festgehalten hätten. Am 2. August 1998 sei der Beschwerdeführer nach Vavuniya überführt worden, wo er immer wieder befragt und auf unterschiedlichste Art und Weise gefoltert worden sei. Nachdem sein Onkel verschiedene Personen bestochen habe, sei der Beschwerdeführer am 1. März 1999 freigelassen worden. Einen Monat nach seiner Freilassung, den er versteckt bei einer singhalesischen Familie in Negombo verbracht habe, habe der Beschwerdeführer Sri Lanka schliesslich verlassen.

Mit Verfügung vom 20. Februar 2002 lehnte das BFF das Asylgesuch des Beschwerdeführers ab und ordnete dessen Wegweisung aus der Schweiz an. Zur Begründung wurde angeführt, seine Vorbringen hielten den Anforderungen an die Glaubhaftigkeit nicht stand. Der Vollzug der Wegweisung sei zulässig, zumutbar und möglich.


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Mit Eingabe vom 22. März 2002 beantragte der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter die Aufhebung der angefochtenen Verfügung und die Gewährung des Asyls. Eventualiter sei die Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs festzustellen und die vorläufige Aufnahme anzuordnen. Der Beschwerdeführer gab einen ärztlichen Bericht von Dr. med. A. S. vom 13. März 2002 zu den Akten.

Das BFF beantragte in seiner Vernehmlassung vom 23. April 2002 die Abweisung der Beschwerde.

Der Beschwerdeführer hielt in seiner Replik vom 15. Mai 2002 an seinen Vorbringen und Begehren fest.

Die ARK heisst die Beschwerde gut, hebt den angefochtenen Entscheid auf und weist die Sache zum neuen Entscheid an das BFF zurück.

Aus den Erwägungen:

4.a) Das BFF lehnte das Asylgesuch des Beschwerdeführers wegen Unglaubhaftigkeit der Vorbringen ab, ohne deren Asylrelevanz zu prüfen. In der Begründung wird im Wesentlichen festgehalten, es könne nicht geglaubt werden, dass der Beschwerdeführer von der LTTE der Geldunterschlagung bezichtigt und deswegen verhaftet worden sei; seine Aussagen betreffend die Anzahl der Personen, die für die LTTE Geld eingetrieben haben sollen, und die deshalb von der LTTE wegen Betruges verhaftet worden seien, sowie zur Frage, wo diese Personen inhaftiert worden seien, enthielten zahlreiche Ungereimtheiten und seien widersprüchlich. Auch bei der Schilderung der erlittenen Folter, der angeblichen Hinrichtung von K. beziehungsweise der dritten Person sowie seiner angeblich anberaumten Hinrichtung habe sich der Beschwerdeführer in Widersprüche verwickelt. Entgegen den Ausführungen des Beschwerdeführers bei der Bundesanhörung sei nicht davon auszugehen, dass er beim Kanton durcheinander gewesen sei und deshalb nicht alles habe sagen können. Die Aussagen beim Kanton seien in sich stimmig. Es bestünden einzig zwischen den Aussagen beim Kanton und jenen vor der Bundesbehörde Widersprüche.

b) Der Beschwerdeführer hält den Ausführungen des BFF entgegen, dass die Widersprüche und Ungereimtheiten auf die Befragungstechnik bei der kantonalen Anhörung zurückzuführen seien. Der Beschwerdeführer sei durch das Auftreten des Dolmetschers - im Zusammenspiel mit den dann einsetzenden Flashbacks - ausser sich geraten. Der Beschwerdeführer sei während beider Inhaftierungen auf unterschiedlichste Weise an seinen Geschlechtsteilen gefoltert 


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worden. Diese Misshandlungen zielten auf seine geschlechtliche Identität. Es könne ihm nicht vorgeworfen werden, dass er sich nicht vollständig und ausführlich zu den für ihn so beschämenden Übergriffen geäussert habe, da Frauen an den Anhörungen anwesend gewesen seien. Nachdem der Beschwerdeführer bereits in der Empfangsstelle auf diese Folterungen aufmerksam gemacht habe, hätte das BFF veranlassen müssen, dass bei der kantonalen Befragung ein Team nur aus Männern eingesetzt wird. Die Vorinstanz habe dies jedoch unterlassen. Auch bei der Bundesanhörung sei der Beschwerdeführer nicht von einem reinen Männerteam befragt worden.

c) In der Vernehmlassung führt das BFF aus, betreffend der Kritik des Beschwerdeführers, dass das BFF sowohl bei der kantonalen Anhörung als auch bei der ergänzenden Anhörung ein Männerteam hätte einsetzen müssen beziehungsweise einsetzen lassen müssen, sei anzumerken, dass sich der Beschwerdeführer mit einer entsprechenden Bitte an das BFF hätte wenden können, dies zumindest bei der ergänzenden Anhörung, als er mit dem Verfahren schon vertraut gewesen sei. Ferner habe die Hilfswerksvertretung keine entsprechende Notiz gemacht.

5. Gemäss Art. 6 AsylV 1 werden Asylsuchende von einer Person gleichen Geschlechts angehört, wenn konkrete Hinweise auf geschlechtsspezifische Verfolgung vorliegen oder die Situation im Herkunftsland auf geschlechtsspezifische Verfolgung hindeutet.

a) Vom geschlechtsneutral formulierten Wortlaut her beschränkt sich die Anwendung dieser Bestimmung nicht auf Frauen. Die Frage ist allerdings, ob die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Misshandlungen im Genitalbereich in diesem Sinne als "geschlechtsspezifische Verfolgung" gelten. Falls unter geschlechtsspezifischer Verfolgung eine Verfolgung "wegen des Geschlechts" zu verstehen ist, wird nämlich nicht unbedingt auf Anhieb ersichtlich, inwiefern ein Mann "geschlechtsspezifisch" - d.h. weil er ein Mann ist - verfolgt sein kann.

b) Es ist daher zunächst dieser Begriff näher zu betrachten, d.h. es ist zu prüfen, ob die Misshandlungen, die der Beschwerdeführer gemäss seinen Vorbringen erlitten habe, überhaupt eine "geschlechtsspezifische Verfolgung" darstellen würden.

aa) Aus der geschlechtsneutralen Formulierung von Art. 6 AsylV 1 müsste an sich der Schluss gezogen werden, dass nicht nur Frauen, sondern auch Männer geschlechtsspezifisch verfolgt werden können: Wenn nur Frauen als Opfer von geschlechtsspezifischer Verfolgung angesprochen sein könnten, müsste es in der 


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Bestimmung logischerweise heissen "...von einer Frau..." und nicht "...von einer Person des gleichen Geschlechts angehört".

Dementsprechend ist denn auch der Anhang zur Weisung zum Asylgesetz über die Anhörung im Kanton vom 20. September 1999 (Asyl 22.1 AH 7) in dieser Hinsicht geschlechtsneutral formuliert. Es wird darin festgehalten, dass dieser Anhangstext als Anleitung für die Anhörung von asylsuchenden Personen, die Opfer sexueller Gewalt geworden seien, zu verstehen sei. Opfer sexueller Gewalt seien von einer Person des gleichen Geschlechts anzuhören. Weiter sei bei der Auswahl der Personen, die dolmetschen oder das Protokoll führen, das Geschlecht zu berücksichtigen und in Einzelfällen, wenn in kleineren Kantonen keine Ressourcen für eine entsprechende Befragung bestünden, das betreffende Dossier nach Rücksprache mit der zuständigen Sektionsleitung der Hauptabteilung Asylverfahren (HAV) zur Durchführung einer direkten Bundesanhörung gemäss Art. 29 Abs. 4 AsylG an das BFF weiterzuleiten (vgl. Asyl 22.1. AH 7 Ziff. 2). Die zugelassenen Hilfswerke seien ferner gehalten, diesem Grundsatz bei der Entsendung ihrer Vertretung Rechnung zu tragen.

Diese Weisung hatte bereits unter dem alten Recht eine Vorläuferin im Kreisschreiben des BFF vom 10. Februar 1997 "betreffend geschlechtsspezifische Vorbringen im Asylverfahren" (vgl. ASYL 1997/1, S. 26 f.). Darin wurde festgehalten, dass die Befragung geschlechtsspezifisch Verfolgter ausschliesslich durch Angehörige des gleichen Geschlechts erfolgen soll, falls bereits in der Empfangsstelle explizit geschlechtsspezifische Vorbringen geltend gemacht worden sind oder entsprechende Indizien für eine entsprechende Verfolgung bestanden haben.

bb) Im Weiteren ist zu prüfen, ob diese erste aus dem Wortlaut der Bestimmung gewonnene Erkenntnis auch mit dem Sinn von Art. 6 AsylV 1 übereinstimmt. Art. 6 AsylV 1 stützt sich auf Art. 17 Abs. 2 AsylG (vgl. Verweis im Marginale); diese Gesetzesbestimmung delegiert die Kompetenz an den Bundesrat, besondere Verfahrensvorschriften "insbesondere um der speziellen Situation von Frauen ... gerecht zu werden", zu erlassen. Dies würde zunächst den Schluss nahe legen, dass nur der Schutz von Frauen Zweck der Norm ist, weshalb sich der Beschwerdeführer zum Vornherein nicht darauf berufen könnte. Auch die Tatsache, dass der Begriff "geschlechtsspezifische Verfolgung" in der einschlägigen Literatur soweit ersichtlich allein im Zusammenhang mit Verfolgungen von Frauen bzw. der besonderen Verfahrenssituation von weiblichen Asylsuchenden abgehandelt wird, könnte zu dieser Annahme verleiten (vgl. dazu etwa W. Stöckli in: Uebersax/Münch/Geiser/Arnold (Hrsg.), Ausländerrecht, Basel 2002, Rdz. 8.12 und insb. Rdz. 8.131, m.w.H.; W. Kälin, Die Bedeutung geschlechtsspezifischer Verfolgung im schweizerischen Asylrecht, 


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ASYL 2001/2, S. 7 ff.; Ch. Hausammann, Die Berücksichtigung der besonderen Anliegen der Frauenflüchtlinge in der laufenden Asylgesetzrevision, ASYL 1996/2, S. 39 ff.). Auch vom Begriffswortlaut "geschlechtsspezifische Verfolgung" her gesehen könnte - wie bereits erwähnt - argumentiert werden, die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Misshandlungen würden nicht darunter fallen, da sie nicht "wegen seines Geschlechts" erfolgten, also nicht auf seine Geschlechtszugehörigkeit abzielten, sondern vielmehr auf seine vermuteten regierungsfeindlichen Aktivitäten.

cc) Doch gerade das zuletzt genannte Argument zeigt bei näherer Betrachtung, dass eine solche Interpretation zu kurz greifen, ja zu absurden Resultaten führen würde, könnte doch diese Argumentationsweise auch in sehr vielen Fällen vorgebracht werden, in welchen Frauen Opfer von Verfolgungen sexueller Natur sind (Vergewaltigungen, sexuelle Folterungen), obschon die Betroffenen sie nicht wegen ihrer Geschlechtszugehörigkeit erleiden, sondern weil sie beispielsweise einer verbotenen Partei oder einer unterdrückten ethnischen oder religiösen Gruppe angehören. Es ist offensichtlich, dass die Opfer der genannten Verfolgungsmethoden sexueller Ausprägung genau die Zielgruppe des Schutzzwecks sind, welcher mit Art. 17 Abs. 2 AsylG und gestützt darauf Art. 6 AsylV 1 gemeint ist.

Der Begriff "geschlechtsspezifische Verfolgung" ist daher im vorliegenden prozessualen Zusammenhang nicht in einem engen Sinne auszulegen und meint - wie im vorstehend erwähnten Anhang 7 zur Weisung zum Asylgesetz richtigerweise präzisiert wurde - "Verfolgung in der Form sexueller Gewalt". Für den so verstandenen Begriff der geschlechtsspezifischen Verfolgung ist daher nicht die Unterscheidung massgeblich, ob das Motiv der Verfolgung in der Unterdrückung der Frauen liegt - diese Unterscheidung kann allenfalls von Bedeutung sein bei der Frage der asylrechtlichen Relevanz des Verfolgungsmotivs ("... wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe"; vgl. dazu Stöckli, a.a.O., Rdz. 8.12). Aus dem Schutzgedanken dieser Bestimmung ergibt sich, dass jede Verfolgung, welche mit sexueller Gewalt einhergeht oder die geschlechtliche Identität des Opfers treffen soll, darunter zu subsumieren ist. Schliesslich geht es im Wesentlichen darum, einer asylsuchenden Person die Möglichkeit zu geben, sich zu den erlittenen und allenfalls asylrechtlich relevanten Erlebnissen vollumfänglich und möglichst unbeeinträchtigt von Angst- und Schamgefühlen zu äussern.

Zwar sind von dieser Problematik weitaus in den meisten Fällen Frauen betroffen, doch ist es keineswegs auszuschliessen, dass auch ein Mann sich in der Lage befindet, von Schamgefühlen daran gehindert zu werden, gegenüber einer 


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Frau offen und detailliert über erlittene Misshandlungen sexueller Art zu berichten.

dd) Für die Auslegung ist hierbei ebenfalls der Beschluss des Exekutiv-Komitees des UNHCR von 1993 über "Rechtsschutz für Flüchtlinge und sexuelle Gewalt" (Beschluss Nr. 73 [XLIV], vgl. Hinweis im vorerwähnten Aufsatz von W. Kälin in ASYL 2001/2, S. 8) von besonderer Bedeutung. Der Bundesrat hat mit den spezifischen Artikeln 5 und 6 der AsylV 1 - unter anderem - diese Empfehlung des Exekutivkomitees umgesetzt (vgl. Kälin, a.a.O.). Dieser Beschluss empfiehlt in Buchst. c), dass "Asylsuchende, denen sexuelle Gewalt angetan worden ist, in Verfahren zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft mit besonderer Sensibilität behandelt werden", und spricht in diesem Zusammenhang ausdrücklich von "Frauen und Männern". Auch im Lichte dieser Begriffsumschreibung des internationalen "soft law", welches in rechtlicher Hinsicht zumindest als Interpretationshilfe dient (vgl. W. Kälin, Grundriss des Asylverfahrens, Basel / Frankfurt a.M. 1990, S. 18), findet die Auslegung von Art. 6 AsylV 1 im erwähnten weiten und nicht auf Frauen beschränkten Sinne ihre Bestätigung.

ee) Als Zwischenergebnis steht somit fest, dass die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Verfolgung - Misshandlungen an den Geschlechtsteilen - unter den Begriff der "geschlechtsspezifischen Verfolgung" im Sinne von Art. 6 AsylV 1 fällt.

c) Aus dem klaren Wortlaut von Art. 6 AsylV 1 ergibt sich, dass die Anhörung immer dann von einer Person des gleichen Geschlechts wie die asylsuchende Person durchzuführen ist, wenn konkrete Hinweise auf geschlechtsspezifische Verfolgung vorliegen. Es ist somit nicht bloss ein Recht der asylsuchenden Person, eine solche Befragung zu verlangen, sondern die genannte Bestimmung verpflichtet die Behörde dazu, auf die darin vorgesehene Weise vorzugehen, sobald entsprechende Hinweise vorliegen. Dies ergibt sich daraus, dass die genannte Vorschrift letztlich auch eine Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs ist, da es um eine Schutzvorschrift geht, deren Zweck es ist, dass Asylsuchende ihre Vorbringen angemessen vortragen, d.h. konkret erlittene Übergriffe möglichst frei und unbeeinträchtigt schildern können. Gleichzeitig dient die Vorschrift aber auch dazu, die Richtigkeit der Sachverhaltsabklärung zu gewährleisten. Aus diesen Gründen ist sie grundsätzlich von Amtes wegen anzuwenden. Ob die betroffene asylsuchende Person allenfalls darauf verzichten kann, von einer Person des gleichen Geschlechts befragt zu werden, braucht hier nicht weiter geprüft zu werden. Jedenfalls könnte ein solcher Verzicht höchstens dann angenommen werden, wenn er ausdrücklich erklärt wird. Wenn schon allein Stillschweigen als Verzicht gedeutet würde, würde der Schutzzweck der Norm ihres 


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Sinnes beraubt. Entgegen der Auffassung, welche die Vorinstanz in ihrer Vernehmlassung offenbar vertritt, ist die genannte Verfahrensvorschrift nicht nur dann anzuwenden, wenn dies von der betroffenen asylsuchenden Person ausdrücklich verlangt wird.

d) Im Weiteren bestanden aufgrund der Vorbringen des Beschwerdeführers in den Anhörungen genügend konkrete Indizien, welche als "Hinweise auf geschlechtsspezifische Verfolgung" im soeben umschriebenen Sinne zu beachten gewesen wären und daher der Vorinstanz zu entsprechenden Vorkehren für die Befragungen hätten Anlass geben müssen.

Der Beschwerdeführer machte bereits anlässlich der Anhörung in der Empfangsstelle geltend, er brauche medizinische Hilfe, da er Probleme mit seinen Hoden und seinen Ohren habe, weil er gefoltert worden sei. Dessen ungeachtet wurde der Beschwerdeführer beim Kanton im Beisein einer Hilfswerksvertreterin von einer kantonalen Beamtin befragt. Allein bei der übersetzenden Person handelte es sich somit um eine Person gleichen Geschlechts. Auch bei der Bundesbefragung wurde der Beschwerdeführer durch eine Frau im Beisein einer Hilfswerksvertreterin angehört.

Der Argumentation der Vorinstanz kann nicht gefolgt werden, wonach es nicht einsichtig sei, weshalb der Beschwerdeführer sich bei einer Ärztin in Behandlung begeben habe, wenn ihn die Anwesenheit von Frauen insbesondere bei der Befragung gestört haben soll. Hierzu ist zu bemerken, dass der Beschwerdeführer Dr. med. S. A. im Zusammenhang mit Unfällen aufgesucht hat, und dabei nach Auskunft der Ärztin nie von Folter oder psychischen Problemen gesprochen habe. Der Beschwerdeführer machte indes bereits bei der kantonalen Anhörung Angaben, welche Anlass zu weiteren konkreten medizinischen Abklärungen gegeben haben sollten. So erklärte er, er habe, nachdem sein Penis in der Schublade eingeklemmt worden sei, Blut in Sperma und im Urin sowie Schmerzen gehabt. Er sei in diesem Zusammenhang in der Schweiz in ärztlicher Behandlung gewesen. Diesem Vorbringen wurde offensichtlich keinerlei Bedeutung beigemessen, zumindest lassen sich den Akten keine Hinweise über diesbezüglichen Abklärungen entnehmen.

Weiter hat die Hilfswerksvertretung an der ergänzenden Anhörung bemerkt, dass der Beschwerdeführer zittere und einen ängstlich traumatisierten Eindruck hinterlasse, sobald er von den Folterungen gesprochen habe. Soweit das BFF in seiner Vernehmlassung vom 23. April 2002 festhält, die Beobachtungen der Hilfswerksvertretung seien nicht als ärztliches Zeugnis zu werten und würden in keiner Art und Weise den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers beweisen, ist festzuhalten, dass im ärztlichen Zeugnis von Dr. med. A. S. vom 13. März 


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2002 ausgeführt wird, dass verschiedene Hautveränderungen am Glied des Beschwerdeführers erkennbar seien, die sowohl von Verbrennungen herrühren als auch durch die Weissfleckenkrankheit entstanden sein können.

Aufgrund dieser mehrfachen Indizien für eine geschlechtsspezifische Verfolgung im Sinne der erwähnten Bestimmung wäre somit das BFF gehalten gewesen, den Beschwerdeführer durch ein männliches Befragungsteam anzuhören.

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