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Auszug aus dem Urteil der ARK vom 21. Oktober 2002 i.S. S. A., Syrien

Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen, Art. 14a ANAG: Situation der Kurden in Syrien; Frage der Staatenlosigkeit; Zumutbarkeit und Möglichkeit des Wegweisungsvollzugs.

  1. Die Rechtsstellung der staatenlosen Kurden in Syrien lässt für sich allein den Wegweisungsvollzug nicht als unzumutbar erscheinen (Erw. 4d).
      

  2. Aus dem Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen (Staatenlosen-Übereinkommen) ergeben sich keine Ansprüche auf Zulassung in ein Land oder Aufenthaltsregelungen (Erw. 4e).
     

  3. Die Möglichkeit einer freiwilligen Rückkehr ins Heimatland steht der Feststellung der Unmöglichkeit des Wegweisungsvollzugs von Vornherein entgegen (Bestätigung der Rechtsprechung). In casu wird diese Möglichkeit bejaht, zumal an der geltend gemachten Staatenlosigkeit Zweifel bestehen (Erw. 4f).

Convention relative au statut des apatrides ; art. 14a LSEE : situation des Kurdes en Syrie ; question de l'apatridie ; exigibilité et possibilité de l'exécution du renvoi.

  1. Le statut des apatrides kurdes en Syrie ne permet pas, à lui seul, de considérer l'exécution du renvoi comme inexigible (consid. 4d).
     

  2. La convention relative au statut des apatrides ne garantit aucun droit à être admis dans un pays donné ou d'y bénéficier d'une autorisation de séjour (consid. 4e).
     

  3. La possibilité d'un retour volontaire dans le pays d'origine s'oppose a priori à la constatation de l'impossibilité de l'exécution du renvoi (confirmation de jurisprudence). In casu, cette possibilité a été ad-


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mise, d'autant que des doutes subsistent quant à l'apatridie dont se prévaut le recourant (consid. 4f).

Convenzione sullo statuto degli apolidi; art. 14a LDDS: situazione dei curdi in Siria; questione dell'apolidia; esigibilità e possibilità dell'esecuzione dell'allontanamento.

  1. Lo statuto degli apolidi curdi che vivono in Siria non permette, di per sé, di considerare siccome inesigibile l'esecuzione del loro allontanamento (consid. 4d).
     

  2. La Convenzione sullo statuto degli apolidi non conferisce un diritto né ad un'autorizzazione d'entrata in un determinato Paese né al rilascio di un permesso di soggiorno (consid. 4e).
     

  3. L'eventualità di un ritorno volontario nel Paese d'origine s'oppone d'acchito alla constatazione dell'impossibilità dell'esecuzione dell'allontanamento (conferma della giurisprudenza). Nel caso concreto, la possibilità di un siffatto ritorno è stata ammessa ritenuto che sussistono dei dubbi sull'apolidia del ricorrente (consid. 4f).

Zusammenfassung des Sachverhalts:

Die Beschwerdeführer stellten am 23. November 1998 im Flughafen Zürich-Kloten ein Asylgesuch. Das BFF bewilligte am 30. November 1998 der Familie die Einreise in die Schweiz zur Durchführung des ordentlichen Asylverfahrens.

Die Beschwerdeführer machten im Wesentlichen geltend, sie seien Kurden und stammten aus K., wo auch ihre Angehörigen weiterhin lebten. Der Beschwerdeführer habe als Bauarbeiter und Tagelöhner gearbeitet, die Beschwerdeführerin sei Hausfrau. Sie gehörten zu den staatenlosen Kurden, die in Syrien in vielfacher Weise diskriminiert würden; so hätten sie beispielsweise keinen Zugang zu höheren Schulen, verschiedene Berufe seien ihnen verwehrt; ihre Heirat sei nicht offiziell registriert worden; ebenso hätten sie ihr Haus nicht auf den eigenen Namen registriert besitzen können. Seit 1995, 


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in stärkerem Masse im Jahre 1998 habe der Beschwerdeführer mit den Behörden verschiedene Schwierigkeiten erlebt, weil er als Sympathisant die Yekiti-Partei unterstützt habe. Mit Hilfe eines Schleppers hätten die Beschwerdeführer am 15. Oktober 1998 Syrien verlassen und sich bis zum 23. November 1998 in der Türkei aufgehalten; der Schlepper habe Pässe für sie gehabt, mit denen sie ab dem Flughafen Istanbul nach Zürich-Kloten hätten reisen können.

Im Auftrag des BFF führte ein sprach- und länderkundlicher Experte im Juni 1999 mit den Beschwerdeführern eine so genannte LINGUA-Analyse durch; er gelangte zur Einschätzung, die Beschwerdeführer stammten eindeutig beziehungsweise sehr wahrscheinlich aus Syrien.

Am 6. November 2000 führte das BFF mit den Beschwerdeführern eine ergänzende Anhörung durch. Die Beschwerdeführer bestätigten im Wesentlichen ihre bisherigen Darstellungen.

Mit Verfügung vom 23. November 2000 stellte das BFF fest, die Beschwerdeführer erfüllten die Flüchtlingseigenschaft nicht, und lehnte die Asylgesuche ab. Gleichzeitig ordnete das BFF die Wegweisung der Beschwerdeführer aus der Schweiz sowie den Wegweisungsvollzug an.

Gegen diese Verfügung, soweit die Anordnung der Wegweisung und des Wegweisungsvollzuges betreffend, reichten die Beschwerdeführer Beschwerde ein. Sie beantragten, die Ziffern 3 bis 5 der angefochtenen Verfügung seien aufzuheben, und die Beschwerdeführer seien als Staatenlose in der Schweiz vorläufig aufzunehmen.

Mit Vernehmlassung vom 20. März 2001 schloss das BFF auf Abweisung der Beschwerde.

Mit Replik vom 28. März 2001 hielten die Beschwerdeführer an ihren Anträgen fest.

Die ARK weist die Beschwerde ab.


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Aus den Erwägungen:

4. a) [Gesetzliche Bestimmungen über die Wegweisung und die Zulässigkeit, Zumutbarkeit und Möglichkeit des Wegweisungsvollzugs, insb. Art. 44 Abs. 1 und 2 AsylG, Art. 14a Abs. 1 - 4 ANAG]

b) Die Beschwerdeführer verfügen über keine fremdenpolizeiliche Aufenthaltsbewilligung. Die Wegweisung wurde demnach zu Recht angeordnet (Art. 44 Abs. 1 AsylG).

c) Wie den vorstehenden Erwägungen entnommen werden kann, ist rechtskräftig festgestellt worden, dass die Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft nicht erfüllen. Die Normen des flüchtlingsrechtlichen Non-refoulements (Art. 5 AsylG, Art. 25 Abs. 2 BV, Art. 33 FK) schützen nur Personen, welche die Flüchtlingseigenschaft gemäss Art. 3 AsylG beziehungsweise Art. 1 A FK erfüllen. Auf abgewiesene Asylbewerber mit fehlender Flüchtlingseigenschaft findet dieses Rückschiebungsverbot keine Anwendung. Nach dem Gesagten ist ein Wegweisungsvollzug unter dem Aspekt von Art. 5 AsylG rechtmässig. Es ergeben sich auch weder aus den Ausführungen der Beschwerdeführer im vorinstanzlichen oder im Rekursverfahren noch aus den Akten Anhaltspunkte dafür, dass sie für den Fall einer Ausschaffung nach Syrien dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer nach Art. 3 EMRK verbotenen Strafe oder Behandlung ausgesetzt würden. Der Vollzug der Wegweisung ist somit im Sinne der völkerrechtlichen Bestimmungen zulässig.

d) Sodann hat die Vorinstanz auch die Zumutbarkeit eines Wegweisungsvollzugs insgesamt zu Recht bejaht.

Die Beschwerdeführer unterstreichen im Rekursverfahren erneut, sie würden der Gruppe der nicht registrierten staatenlosen Kurden (Maktumin) angehören, die in Syrien in vielfältiger Weise diskriminiert würden. Diese geltend gemachte Staatenlosigkeit vermöchte indessen - ungeachtet der Zweifel an der Glaubhaftigkeit dieses Vorbringens, auf die nachfolgend zurückzukommen ist (vgl. unten Erw. 4f) - einen Wegweisungsvollzug nicht als unzumutbar erscheinen lassen.

Die ARK geht in ihrer Praxis davon aus, dass die aus Syrien stammenden, als staatenlos geltenden Kurden in der Tat in vielerlei Hinsicht benachteiligt 


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werden und unter zahlreichen, auch einschneidenden, Restriktionen seitens der Regierung wie auch unter persönlichen Diskriminierungen leiden. Sie besitzen keine Bürgerrechte in Syrien; die syrische Staatsbürgerschaft wurde ihnen entweder entzogen (Gruppe der registrierten staatenlosen Kurden, sog. Ajnabi) oder nicht erteilt (Gruppe der nicht registrierten staatenlosen Kurden, sog. Maktumin). Gleichzeitig findet gemäss den der ARK vorliegenden Erkenntnissen jedoch eine gezielte politische Verfolgung nur bei gegen den syrischen Staat gerichteten Aktivitäten statt, und sie trifft die (staatenlosen) Kurden nicht anders als die übrigen Einwohner Syriens. Die gegen die staatenlosen Kurden gerichteten Diskriminierungen gelten in konstanter Rechtsprechung der ARK für sich allein als zu wenig intensiv, als dass sie flüchtlingsrechtliche Relevanz erhielten oder einen Wegweisungsvollzug insgesamt als unzumutbar erscheinen lassen könnten.

Was die Zumutbarkeit eines Wegweisungsvollzuges betrifft, ist sodann im Falle der Beschwerdeführer insbesondere festzuhalten, dass ihre Angehörigen (die Geschwister sowohl des Beschwerdeführers als auch der Beschwerdeführerin) in K. leben und sie bei einer Rückkehr mithin auf ein tragfähiges soziales Netz zurückgreifen können; in K. hat der Beschwerdeführer, der sowohl die kurdische als auch die arabische Sprache beherrscht, bereits vor der Ausreise aus Syrien den Unterhalt seiner Familie bestritten. Des Weiteren gehen aus den Akten keine Hinweise auf allfällige gesundheitliche Probleme hervor, unter denen die Beschwerdeführer oder ihre Kinder leiden würden. Der Beschwerdeführer hatte in der BFF-Befragung vom 6. November 2000 einzig zu Protokoll gegeben, er habe in der Schweiz wegen Beschwerden an der Schulter einen Arzt aufgesucht; indessen liegen in diesem Zusammenhang weder ein ärztliches Zeugnis noch Hinweise auf eine schwerwiegende Erkrankung des Beschwerdeführers vor. Wenn auch die Schwierigkeiten nicht verharmlost werden sollen, die sich den Beschwerdeführern bei einer Rückkehr nach Syrien stellen, kann doch insgesamt ein Wegweisungsvollzug als zumutbar gelten.

e) Selbst wenn die Beschwerdeführer staatenlos sein sollten - was allerdings zu bezweifeln ist (vgl. nachfolgend Erw. 4.f) - so liesse sich daraus weder eine Unzulässigkeit noch eine Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzuges ableiten. Die Schweiz ist Signatarstaat des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen (Staatenlosen-Übereinkommen; SR 0.142.40). Dieses Übereinkommen regelt die Rechtsstellung der Staatenlosen; es garantiert einerseits, dass die Signatarstaaten die Staatenlosen den übrigen Fremden 


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gleichstellen; in Bezug auf einzelne Rechtspositionen (wie Religionsausübung, geistiges und gewerbliches Eigentum, Zutritt zu den Gerichten, Wohlfahrt) sollen Diskriminierungen Staatenloser gegenüber Staatsangehörigen des Signatarstaates verhindert werden (vgl. hierzu ausführlich Y. Burckhardt-Erne, Die Rechtsstellung der Staatenlosen im Völkerrecht und schweizerischen Landesrecht, Diss. Bern 1977, S. 16 ff., 60 ff.). Hingegen gewährt das Staatenlosen-Übereinkommen keine Ansprüche auf Zulassung in ein Land beziehungsweise auf Aufenthaltsregelungen; massgeblich ist diesbezüglich das innerstaatliche Recht (vgl. Burckhardt-Erne, a.a.O., S. 64, 124 f.). In Art. 31 nimmt das Übereinkommen Bezug auf die Ausweisung einer staatenlosen Person; die Bestimmung setzt indessen einen rechtmässigen Aufenthalt im Gebiet des Signatarstaates voraus und ist auf die Problematik der Wegweisung von Personen ohne Aufenthaltstitel nicht anwendbar (vgl. Burckhardt-Erne, a.a.O., S. 127 f.).

f) Was die Frage der Möglichkeit des Wegweisungsvollzuges betrifft, bleibt diese Prüfung beschränkt: Nur wenn zur Zeit des Urteils klar erkennbar ist, dass der Vollzug aus technischen oder rechtlichen Gründen auf unabsehbare Zeit nicht möglich ist, stellt die ARK dies von sich aus definitiv fest und weist die Vorinstanz an, anstelle des Vollzugs die vorläufige Aufnahme anzuordnen. Die Möglichkeit einer freiwilligen Heimreise steht sodann gemäss der heute in Kraft stehenden Fassung von Art. 14a Abs. 2 ANAG - wonach der Vollzug dann nicht möglich ist, wenn der Ausländer weder in den Herkunfts- oder in den Heimatstaat noch in einen Drittstaat ausreisen oder dorthin verbracht werden kann - der Feststellung, ein Wegweisungsvollzug erweise sich als unmöglich, von vornherein entgegen (vgl. auch, bezugnehmend noch auf den früheren Wortlaut von Art. 14a Abs. 2 ANAG: EMARK 1995 Nr. 14; 1996 Nr. 37; 1997 Nr. 27; 1998 Nr. 21; 2000 Nr. 16).

Die Beschwerdeführer machen geltend, sie seien staatenlose, der Gruppe der Maktumin zugehörige Kurden und würden keine Identitätsausweise oder Reisepapiere, sondern einzig die zu den Akten gereichten, vom Muhtar ihrer Wohnsitzgemeinde ausgestellten Personalienauszüge besitzen; aus diesen Papieren würde lediglich hervorgehen, dass die Beschwerdeführer in K. geboren seien und nicht die Staatsangehörigkeit eines anderen Landes besitzen würden. Freilich hat die Vorinstanz in der angefochtenen Verfügung die geltend gemachte Staatenlosigkeit der Beschwerdeführer, namentlich angesichts der geltend gemachten Reiseumstände, in Zweifel gezogen. In der Tat erweisen sich die Schilderungen, wonach die Beschwerdeführer und ihre 


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Kinder von Syrien in die Türkei und später über den Flughafen Istanbul in die Schweiz gereist seien, wobei immer der Schlepper ihre gefälschten Pässe bei sich gehabt habe und vor ihnen hergegangen sei, ohne ihnen die Reisepapiere je auszuhändigen, und wonach man derart die Personenkontrollen ohne Schwierigkeiten passiert habe, insgesamt als nicht plausibel und unglaubhaft. Die behauptete Staatenlosigkeit der Beschwerdeführer erscheint demnach eher als unwahrscheinlich, und es kann zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass sie die syrische Staatsangehörigkeit entgegen ihrer Behauptung besitzen. Es steht mithin keineswegs fest, dass den Beschwerdeführern eine Rückkehr nach Syrien verwehrt bleibt. Hinzuweisen bleibt schliesslich auf die Bestimmung von Art. 46 Abs. 2 AsylG, der zufolge der Aufenthaltskanton beim BFF die Anordnung einer vorläufigen Aufnahme beantragen muss, falls sich der Vollzug der Wegweisung zu einem späteren Zeitpunkt als unmöglich erweisen sollte. Die Vorinstanz hat demnach auch die Möglichkeit des Wegweisungsvollzuges zu Recht bejaht.

g) Sofern vier Jahre nach Einreichen des Asylgesuchs noch kein rechtskräftiger Entscheid ergangen ist, kann in Fällen einer schwerwiegenden persönlichen Notlage eine vorläufige Aufnahme angeordnet werden (Art. 44 Abs. 3 AsylG i.V.m. Art. 14a Abs. 4bis ANAG). Dabei sind insbesondere die Integration in der Schweiz, die familiären Verhältnisse und die schulische Situation der Kinder zu berücksichtigen (Art. 44 Abs. 4 AsylG).

Vorliegend ist bereits die formale Voraussetzung einer über vierjährigen Verfahrensdauer (knapp) nicht erfüllt, nachdem die Beschwerdeführer ihr Asylgesuch am 23. November 1998 eingereicht haben. Freilich könnte auch bei einer materiellen Prüfung der Frage jedenfalls von einer wirtschaftlichen Integration der Beschwerdeführer in die schweizerischen Verhältnisse offensichtlich nicht gesprochen werden, nachdem den vorliegenden Akten zufolge weder der Beschwerdeführer noch die Beschwerdeführerin hier bis anhin einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sind.

h) Insgesamt ist die durch die Vorinstanz verfügte Wegweisung zu bestätigen. Das BFF hat den Vollzug der Wegweisung zu Recht als zulässig, zumutbar und möglich erachtet. Nach dem Gesagten fällt eine Anordnung der vorläufigen Aufnahme ausser Betracht (vgl. Art. 14a Abs. 1 bis 4bis ANAG).

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© 30.09.03