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Auszug aus dem Urteil der ARK vom 27. Februar 2001 i.S. M.D., Mali

Art. 50 VwVG i.V.m. Art. 12 Abs. 1 AsylG: Berechnung der Beschwerdefrist bei fiktiver Eröffnung des BFF-Entscheides.

Eine Verfügung gilt grundsätzlich auch dann mit dem Ablauf der siebentägigen Abholfrist als eröffnet, wenn sich die abzuholende Sendung nach Ablauf der Abholfrist noch auf der Poststelle befindet und dort dem Adressaten ausgehändigt wird.

Art. 50 PA en relation avec l'art. 12 al. 1 LAsi : calcul du délai de recours en cas de notification fictive de la décision de l'ODR.

En principe, une décision est considérée comme valablement notifiée à l'échéance du délai de garde de sept jours, même si le pli reste au bureau de poste et est délivré à son destinataire après l'écoulement de ce délai.

Art. 50 PA in relazione con l'art. 12 cpv. 1 LAsi: computo del termine ricorsuale in caso di notificazione fittizia della decisione dell'UFR.

Di regola, una decisione va considerata siccome notificata alla scadenza del termine ordinario di ritiro di sette giorni, pure allorquando, dopo la scadenza del termine medesimo, l'invio da notificare si trova ancora presso l'ufficio postale e viene consegnato al destinatario solo ulteriormente.

Zusammenfassung des Sachverhalts:

Mit Verfügung vom 17. November 2000 wies das BFF das Asylgesuch des Beschwerdeführers vom 16. Oktober 2000 ab und ordnete gleichzeitig dessen Wegweisung aus der Schweiz an.

Mit Eingabe vom 31. Dezember 2000 (Poststempel vom 3. Januar 2001) erhob der Beschwerdeführer gegen den Entscheid des BFF Beschwerde.


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Am 4. Januar 2000 holte die ARK bei der Poststelle am Wohnort des Beschwerdeführers Auskunft über die Modalitäten der Zustellung der angefochtenen Verfügung ein.

Mit Zwischenverfügung vom 15. Januar 2001 wurde dem Beschwerdeführer Gelegenheit geboten, innert Frist zur Frage der Rechtzeitigkeit der eingereichten Beschwerde Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer reichte daraufhin am 23. Januar 2001 eine Stellungnahme ein.

Die ARK tritt auf die Beschwerde nicht ein.

Aus den Erwägungen:

2. Gemäss Art. 50 VwVG ist eine Beschwerde innerhalb von 30 Tagen seit der Eröffnung der Verfügung einzureichen. Eine Verfügung gilt in dem Moment als eröffnet, in welchem sie dem Adressaten tatsächlich übergeben wurde. Wird eine Verfügung per eingeschriebene Post versandt, so wird auf den Moment der Zustellung durch die Post oder auf den Moment der Abholung auf der Poststelle abgestellt. Art. 12 Abs. 1 AsylG bestimmt dabei, dass eine Verfügung nach Ablauf der siebentägigen Abholfrist als rechtsgültig eröffnet gilt, auch wenn der Adressat aufgrund einer besonderen Vereinbarung mit der Post erst zu einem späteren Zeitpunkt davon Kenntnis erhalten hat oder wenn die Verfügung als unzustellbar zurückkommt. Art. 12 Abs. 1 AsylG kodifiziert damit für das Asylverfahren die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur sogenannten Zustellfiktion und schreibt gleichzeitig auf Gesetzesstufe die früher in der Postgesetzgebung auf Verordnungsstufe verankerte siebentägige Abholfrist fest.

Die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur sogenannten Zustellfiktion lautet dahingehend, dass eine eingeschriebene Postsendung dann, wenn der Adressat nicht angetroffen wird und daher eine Abholungseinladung in seinen Briefkasten oder in sein Postfach gelegt wird, in jenem Zeitpunkt als zugestellt zu gelten hat, in welchem sie auf der Post abgeholt wird; geschieht dies nicht innert der Abholfrist, die sieben Tage beträgt, so gilt die Sendung am letzten Tag dieser Frist als zugestellt, wenn der Adressat mit einer Zustellung rechnen musste (vgl. BGE 115 Ia 12, S. 13). Zwar wurde die Fiktion der Zustellung in erster Linie für den Fall entwickelt, dass eine eingeschriebene Postsendung gar nicht abgeholt wurde. Sie kommt darüber hinaus aber auch dann zur Anwendung, wenn eine eingeschriebene Postsendung zwar abgeholt wurde, jedoch erst zu einem Zeitpunkt nach Ablauf der siebentägigen Abholfrist (vgl. BGE 123 III 492, S. 493). Dies gilt, über den Wortlaut von Art. 12 Abs. 1 AsylG (entspricht Art. 12e aAsylG, vgl. hierzu Botschaft zum Bundesbeschluss über das Asylverfahren


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[AVB], BBl 1990 II 622 f.) hinaus, unbesehen davon, ob die Postsendung nun aufgrund eines formellen Zurückbehaltungsauftrages oder aus anderen Gründen - beispielsweise aufgrund einer anderen individuellen Absprache oder aufgrund allgemeiner Kundenfreundlichkeit - erst nach Ablauf der Abholfrist ausgehändigt wurde. Anzumerken ist im Übrigen, dass das Bundesgericht auch weiterhin auf die siebentägige Abholfrist abstellt (vgl. Entscheid des Bundesgerichtes vom 30. August 2000 [Urteil 1P.264/2000, Erw. 2a mit Verweis], publiziert in Pra 2001 Nr. 21), auch wenn diese Frist heute nur mehr als Grundsatz (von dem abweichende Abmachungen zulässig sind) in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Post vorgesehen und nicht mehr in einer Verordnung festgeschrieben ist.

3. In seiner Eingabe führt der Beschwerdeführer unter anderem aus, aus den Akten gehe nicht hervor, wann er die angefochtene Verfügung entgegen genommen habe. Im Weiteren macht er geltend, er habe die angefochtene Verfügung um den 10. Dezember 2000 herum erhalten, und er schliesst daraus, mit seiner Eingabe sei die 30-tägige Beschwerdefrist gewahrt.

Aufgrund der Ausführungen des Beschwerdeführers betreffend die Modalitäten der Zustellung der angefochtenen Verfügung sah sich die ARK - noch vor Eingang der Akten der Vorinstanz - zu einer Nachfrage bei der Poststelle am Wohnort des Beschwerdeführers veranlasst. Die Poststelle liess der ARK in der Folge eine Kopie aus dem Zustellbuch zukommen. Daraus ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung am 20. November 2000 von der Poststelle zwecks Zustellung ins Zustellbuch aufgenommen wurde, und insbesondere, dass der Beschwerdeführer die angefochtene Verfügung erst am 30. November 2000 - also erst 10 Tage nach Bereitstellung - entgegen genommen hat.

Nach Eingang der Akten der Vorinstanz wurde der Beschwerdeführer mit Zwischenverfügung vom 15. Januar 2001 über die erfolgte Anfrage beziehungsweise über die Antwort der Poststelle in Kenntnis gesetzt und zur Stellungnahme betreffend die Frage der Rechtzeitigkeit der eingereichten Beschwerde aufgefordert. Dabei wurde der Beschwerdeführer unter anderem darauf hingewiesen, dass auch aus dem bei den Akten liegenden Rückschein hervorgeht, dass er die Verfügung vom 17. November 2000 erst am 30. November 2000 - also erst 13 Tage nach deren Versand - entgegen genommen hat.

In seiner Stellungnahme vom 23. Januar 2001 hält der Beschwerdeführer an der Rechtzeitigkeit der Beschwerdeeingabe fest. Sein Rechtsvertreter führt dabei aus, das Empfangsdatum ergebe sich nicht aus dem Rückschein, und macht dazu geltend, in Fällen wie dem vorliegenden müsse sich ein Rechtsvertreter auf die Angaben seines Mandanten verlassen können, denn von einem Rechtsvertreter


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könne nicht verlangt werden, jedesmal bei unsicherer Fristangabe bei der Poststelle eine Kopie des Zustellbuches zu beschaffen.

4. a) Dem Zeitpunkt, ab welchem die Beschwerdefrist berechnet wird, kommt im vorliegenden Verfahren ausschlaggebende Bedeutung zu:

Würde bei der Berechnung die Zustellfiktion gemäss Art. 12 Abs. 1 AsylG ausser Acht gelassen und statt dessen alleine auf den Zeitpunkt der Entgegennahme der angefochtenen Verfügung abgestellt, so hätte die Beschwerdefrist erst am 3. Januar 2001 geendet, womit die vorliegende Eingabe rechtzeitig wäre. Nachdem jedoch Art. 12 Abs. 1 AsylG bestimmt, dass für die Berechnung die siebentägige Abholfrist massgeblich ist, endet die Beschwerdefrist bereits am 27. Dezember 2000, weshalb auf die vorliegende Eingabe wegen Verspätung nicht einzutreten ist (vgl. Art. 50 VwVG i.V.m. Art. 20 und 21 VwVG sowie Art. 12 Abs. 1 und 17 Abs. 1 AsylG).

b) Betreffend die Anwendung der Zustellfiktion gemäss Art. 12 Abs. 1 AsylG ist Folgendes festzuhalten:

Erscheint wie vorliegend (die Entgegennahme der angefochtenen Verfügung erfolgte 13 Tage nach Postaufgabe) aufgrund der Akten als offen, ob bei der Berechnung der Beschwerdefrist statt auf den Zeitpunkt der Entgegennahme der angefochtenen Verfügung gemäss Rückschein auf das Ende der siebentägigen Abholfrist abzustellen ist, sind die Angaben aus dem Zustellbuch (oder dem Zustellbogen, falls die Post die eingeschriebene Sendungen auf elektronischem Weg erfasst hat) heranzuziehen. Aus dem Eintrag im Zustellbuch geht mit Bestimmtheit der Zeitpunkt hervor, an welchem eine eingeschriebene Postsendung bei der zuständigen Poststelle zur Abholung bereit gestellt wurde. Dass beim Adressaten Kenntnis über diesen Zeitpunkt besteht beziehungsweise dass er sich ohne weiteres Kenntnis darüber verschaffen kann, darf vorausgesetzt werden, da er bereits anlässlich der Entgegennahme der eingeschriebenen Postsendung (anlässlich der Quittierung der Entgegennahme durch seine Unterschrift) Einsicht ins Zustellbuch erhält. Im Übrigen steht es ihm frei, auch später noch Einsicht in den ihn betreffenden Eintrag im Zustellbuch zu nehmen.

c) Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass die Sendung erst nach Ablauf der von der Post gesetzten Frist abgeholt wurde. Weder wurde geltend gemacht noch ergeben sich Anhaltspunkte, dass die Post eine längere Frist als die ordentlichen 7 Tage setzte (der Beschwerdeführer hätte dies allenfalls mit dem Abholschein oder dem Zustellkuvert belegen müssen; diese hat er nicht eingereicht). Es ist somit davon auszugehen, dass die gesetzte Abholfrist


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entsprechend dem Eintrag im Zustellbuch 7 Tage nach dem Zustellversuch, somit der 27. November 2000 war. Dem Beschwerdeführer war also bekannt, dass er die Sendung in einem Zeitpunkt abholte, als die Abholfrist an sich bereits abgelaufen war.

Ob es sich anders verhielte, wenn für den Beschwerdeführer - etwa weil der Postbeamte die Abholfrist falsch berechnete oder aus "Entgegenkommen" eine längere Frist einsetzte - der bereits erfolgte Ablauf der ordentlichen Frist nicht erkennbar gewesen wäre, d.h. ob in einem solchen Fall nach dem Grundsatz von Treu und Glauben auf das effektive Datum der Aushändigung abzustellen wäre, kann vorliegend offenbleiben. Immerhin sei hierzu auf Erw. 3b.bb) des oben erwähnten Bundesgerichtsentscheides vom 30. August 2000 (Pra 2001 Nr. 21) verwiesen, wonach der Vertrauensschutz allenfalls zum Zuge käme, wenn das Auseinanderklaffen zwischen den Daten der Zustellfiktion und der Abholfrist nicht erkennbar ist. Dies wird nur ausnahmsweise der Fall sein; im beurteilten Fall hat das Bundesgericht das Auseinanderklaffen bereits dann bejaht, wenn auf der Abholungseinladung der Beginn der Abholfrist ersichtlich war.

d) Auch nicht ansatzweise zu überzeugen vermögen die Ausführungen des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers, wonach der Zeitpunkt der Entgegennahme nicht aus dem Rückschein hervorgehe und er als Rechtsvertreter in einem solchen Fall - sinngemäss dann, wenn Unsicherheiten betreffend die Modalitäten der Zustellung einer Postsendung bestehen - berechtigt sei, alleine auf die Angaben seines Mandanten abzustellen, da es ihm nicht zuzumuten sei, sich bei der zuständigen Poststelle um Auskunft zu bemühen.

Aus oben stehenden Erwägungen folgt, dass beim Adressaten Kenntnis über die Modalitäten der Zustellung vorausgesetzt werden kann, zumal er anlässlich der Entgegennahme der angefochtenen Verfügung auch Einsicht ins Zustellbuch erhalten hat. Diese Kenntnis muss er sich zurechnen lassen, unbesehen davon, ob er sich nach Erhalt der Verfügung vertreten lässt oder nicht. Ob ein Rechtsvertreter gewillt ist, im Falle von Unklarheiten einen mindesten Aufwand auf sich zu nehmen und sich bei der zuständigen Poststelle betreffend die Modalitäten der Zustellung zu erkundigen, ist alleine eine Sache des Innenverhältnisses zwischen dem Rechtsvertreter und seinem Mandanten.

An dieser Stelle kann im Übrigen angemerkt werden, dass sich - entgegen den anders lautenden Ausführungen des Rechtsvertreters - auch dem Rückschein ohne weiteres entnehmen lässt, dass zwischen Versand der angefochtenen Verfügung und der Entgegennahme volle 13 Tage liegen. Auf dem Rückschein ist neben dem Zeitpunkt der Aufgabe (vgl. Vorderseite) auch der Zeitpunkt der


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Entgegennahme festgehalten (vgl. Rückseite); dieses Datum ergibt sich ohne weiteres aus der gleich neben der Unterschrift des Beschwerdeführers stehenden Gegenquittung der zuständigen Poststelle (Poststempel und Unterschrift). Alleine daraus, dass sich sein Rechtsvertreter trotz der zeitlichen Diskrepanz zwischen Versand der angefochtenen Verfügung und der Entgegennahme und offenbar zusätzlich bestehender Unsicherheiten nicht veranlasst sah, sich betreffend die Modalitäten der Zustellung näher zu erkundigen, kann der Beschwerdeführer nichts für sich ableiten.

e) Zusammenfassend ergibt sich somit, dass auf die Eingabe vom 31. Dezember 2000 wegen Verspätung nicht einzutreten ist.

topprevious


© 04.06.02