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Auszug aus dem Urteil der ARK vom 19. Dezember 2000 i.S. Familie R., Bundesrepublik Jugoslawien (Kosovo)

[English Summary]

Art. 14a Abs. 4 ANAG: Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs aufgrund gemischt-ethnischer Herkunft.

Einer aus dem Kosovo stammenden Familie serbisch-albanisch gemischter Herkunft ist die Rückkehr weder in den Kosovo noch in einen anderen Teil Jugoslawiens zumutbar.

Art. 14a al. 4 LSEE : inexigibilité de l'exécution du renvoi en raison d'une origine ethnique mixte.

Le renvoi d'une famille d'origine mixte serbo-albanaise provenant du Kosovo n'est raisonnablement exigible ni au Kosovo ni dans une autre partie de la Yougoslavie.

Art. 14a cpv. 4 LDDS: inesigibilità dell'esecuzione dell'allontanamento in ragione dell'origine etnica mista.

L'esecuzione dell'allontanamento di una famiglia serbo-albanese del Cossovo è inesigibile sia verso il Cossovo medesimo sia verso un'altra parte della Repubblica federale di Jugoslavia.

Zusammenfassung des Sachverhalts:

Die Beschwerdeführer - ein aus Peje / Kosovo stammendes Ehepaar mit fünf Kindern - verliessen ihren Heimatstaat gemäss eigenen Angaben im November 1998. Zur Begründung ihres Asylgesuchs machten sie in den Anhörungen vom März und April 1999 im Wesentlichen wiederholte Behelligungen durch die serbische Polizei und die sich seit Juni 1998 anbahnenden kriegerischen Ereignisse in ihrer Heimat geltend. Ihr Haus sei im Dezember 1998 zerstört worden.

Mit Schreiben vom 21. Februar 2000 machte der Beschwerdeführer geltend, er entstamme einer gemischt-ethnischen Ehe. Seine Mutter sei Serbin. Früher habe dies zu keinen Problemen geführt. Aufgrund der veränderten politischen Lage


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befürchte er jedoch Übergriffe von Kosovo-Albanern, insbesondere von Mitgliedern der Befreiungsarmee des Kosovo (UCK).

Mit Verfügung vom 29. März 2000 lehnte das BFF das Asylgesuch der Beschwerdeführer ab und ordnete deren Wegweisung aus der Schweiz an. Zur Begründung wurde angeführt, aufgrund der veränderten politischen Lage sei davon auszugehen, dass für die Beschwerdeführer heute keine begründete Furcht vor staatlichen Verfolgungsmassnahmen mehr bestehe. Bezüglich der teils serbischen Herkunft des Beschwerdeführers sei festzuhalten, dass er sich und seine Familie vor Übergriffen schützen könne, indem er einen geeigneten Wohnsitz wähle. Zudem gebe der Beschwerdeführer selber an, ethnischer Albaner zu sein und sich zum Islam zu bekennen. Überdies führe er einen albanischen Familiennamen. Schliesslich sei er Mitglied der LDK. All dies spreche dafür, dass er sich leicht wieder integrieren könne. Die Vorbringen der Beschwerdeführer hielten deshalb den Anforderungen an die Flüchtlingseigenschaft nicht stand. Der Vollzug der Wegweisung sei zulässig, zumutbar und möglich.

Mit Eingabe vom 19. April 2000 beantragten die Beschwerdeführer durch ihre Rechtsvertreterin die Aufhebung der angefochtenen Verfügung und die Gewährung des Asyls; eventuell sei die Sache zur erneuten Prüfung an die Vorinstanz zurückzugeben.

Mit Vernehmlassung vom 19. Oktober 2000 beantragte die Vorinstanz die Abweisung der Beschwerde.

Die ARK heisst die Beschwerde teilweise gut und weist das BFF an, die Beschwerdeführer vorläufig aufzunehmen.

Aus den Erwägungen:

7. a) Gemäss Art. 14a Abs. 4 ANAG kann der Vollzug insbesondere nicht zumutbar sein, wenn er für den Ausländer eine konkrete Gefährdung darstellt. Aus der Formulierung "insbesondere" geht hervor, dass nicht nur eine konkrete Gefährdung, sondern auch andere Umstände dazu führen können, dass der Vollzug der Wegweisung als nicht zumutbar erscheint.

b) Angesichts der heutigen Lage im Kosovo, die sich seit Beendigung der Kampfhandlungen am 10. Juni 1999 und dem Einmarsch der KFOR-Truppen stabilisiert hat, muss in dieser Provinz nicht mehr von einer Situation der allgemeinen Gewalt oder von kriegerischen oder bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen gesprochen werden. Trotz der bekanntermassen schwierigen Lebensbedin-


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gungen im Kosovo ist nicht davon auszugehen, dass eine Rückkehr dorthin grundsätzlich unzumutbar wäre. Die Lage der Minderheiten, insbesondere der Serben und Roma ist in Bezug auf Sicherheit, Bewegungsfreiheit und Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen jedoch als problematisch zu bezeichnen. Regelmässig kommt es zu Übergriffen - welche von Beschimpfungen bis zu Ermordungen reichen - seitens der albanisch-stämmigen Bevölkerung auf diese Minderheiten. So hat die Fluchtbewegung der serbisch-stämmigen Bevölkerung Kosovos denn auch kaum abgenommen. Intern Vertriebene, die einer Minderheit angehören, leben in verschiedenen Kollektivzentren und Enklaven, wobei eine medizinische Unterversorgung, mangelhafte Ernährung sowie die sehr eingeschränkte Bewegungsfreiheit bezeichnend sind. Die stationierten internationalen Truppen versuchen zwar die Menschenrechtssituation zu kontrollieren, doch sind sie nicht in der Lage, die bedrohten Minderheiten überall dauerhaft und effektiv zu schützen (vgl. hierzu UNHCR/OSZE, Assessment of the Situation of Ethnic Minorities in Kosovo, 11. Februar 2000; UNHCR-Hintergrundinformation über ethnische Albaner im Kosovo, März 2000, S.11; SFH, Die aktuelle Lage im Kosovo – März 2000, S. 29, 33).

c) Der Beschwerdeführer ist gemischt-ethnischer Herkunft, wobei seine Mutter Serbin ist. Damit ist die Familie der Beschwerdeführer als Ganzes weder eindeutig der albanisch-stämmigen noch der serbischen Bevölkerung des Kosovo zuzurechnen.

Der Beschwerdeführer (seit 1968) und seine Familie (seit 1980) lebten vor ihrer Ausreise in Pec/Peje, wo auch vier ihrer Kinder geboren wurden. Es ist deshalb anzunehmen, dass die nunmehr albanischen Behörden wie auch die ehemaligen Nachbarn, Schul- und Arbeitskollegen der Beschwerdeführer wissen, dass die Mutter des Beschwerdeführers Serbin ist und die Beschwerdeführer somit eine gemischt-ethnische Herkunft aufweisen. Es ist deshalb weiter davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer ihre gemischt-ethnische Abstammung kaum werden verheimlichen können. Soweit das BFF in der Vernehmlassung dazu anführt, die gleichen Leute, die von der serbischen Herkunft des Beschwerdeführers wüssten, wüssten auch vom Engagement seiner Familie für die albanische Sache, weshalb die Beschwerdeführer von ihren kosovarischen Nachbarn ohne Weiteres akzeptiert würden, ist festzustellen, dass alleine der Umstand, dass der Beschwerdeführer und seine Familie serbischen Repressionen ausgesetzt waren, angesichts der immer noch bestehenden starken ethnischen Spannungen keine hinreichende Sicherheit vor allfälligen Übergriffen bietet. Aus diesem Grund müssen die Beschwerdeführer zum gegenwärtigen Zeitpunkt und in absehbarer Zukunft damit rechnen, bei einer allfälligen Rückkehr in ihren Heimatort Schikanen ausgesetzt zu sein und lebenswichtige Dienstleistungen (wie Hilfsgüter, Schulbildung für die Kinder, medizinische Hilfe) nicht in gleichem Masse wie


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die albanisch-stämmige Bevölkerung beziehungsweise nur in ungenügendem Masse zu erhalten. Es ist zudem in Berücksichtigung der in jüngerer Vergangenheit beobachteten steigenden Tendenz von massiven Gewaltanwendungen gegen serbische Mitbewohner des Kosovos mit nicht unerheblicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass die Familienmitglieder der Beschwerdeführer Zielscheibe nachhaltiger Einschüchterungen und Drohungen bis hin zu Verletzungen der physischen Integrität bilden könnten. Aufgrund der beträchtlichen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und des zu erwartenden Risikos der Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt wäre es den Beschwerdeführern verwehrt, ein hinreichendes Auskommen für die siebenköpfige Familie sicher zu stellen. Daran vermag, wie sich auch in jüngster Vergangenheit an etlichen Beispielen zeigte, auch die vom BFF angeführte KFOR-Präsenz nichts zu ändern.

d) Entgegen den Ausführungen der Vorinstanz in ihrem Entscheid vom 29. März 2000, in welchem sie im Hinblick auf die serbische Herkunft des Beschwerdeführers festhielt, er könne sich und seine Familie durch eine geeignete Wohnsitznahme vor Übergriffen schützen, ist davon auszugehen, dass die gemischt-ethnische Herkunft des Beschwerdeführers auch an einem anderen Wohnort mit grösster Wahrscheinlichkeit erkannt würde. Zudem verfügen die Beschwerdeführer in keinem anderen Teil der Bundesrepublik Jugoslawien, einschliesslich dem Kosovo, über ein tragfähiges Beziehungsnetz, das die zu erwartenden sozialen Ausgrenzungen aufgrund der in weiten Teilen verwurzelten ethnischen Vorbehalte gegenüber Angehörigen der albanischen Volksgruppe (Ehefrau des Beschwerdeführers) auffangen könnte.

Aufgrund der gegenwärtigen politischen Lage insbesondere im Hinblick auf die ethnische Frage im Kosovo wie auch in den anderen Landesteilen Jugoslawiens ist trotz der verhältnismässig guten Berufsausbildung der Beschwerdeführer nicht davon auszugehen, dass sie sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt und in absehbarer Zukunft zusammen mit ihren Kindern in ihrem angestammten Kulturraum eine hinreichende neue Existenz aufbauen können. Die gemischt-ethnische Abstammung und Herkunft der Beschwerdeführer lassen insgesamt zudem eine Häufung schwerwiegender ungünstiger Faktoren in fundamentalen Lebensbereichen dergestalt befürchten, als von einer Gefährdung im Heimatland ausgegangen werden müsste. Die ARK erachtet demnach den Vollzug der Wegweisung der Beschwerdeführer nach Jugoslawien als nicht zumutbar.

e) Nachdem sich aus den Akten keinerlei Hinweise auf das Vorliegen von Ausschlussgründen im Sinne von Art. 14a Abs. 6 ANAG ergeben, sind somit die Voraussetzungen für die Gewährung der vorläufigen Aufnahme erfüllt.

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