1995 / 1 - 9

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5.- Es stellt sich im Zusammenhang mit den obigen Ausführungen die Frage nach der Rolle des türkischen Staates. Dieser hat vor allem nach 1980 in vielen yezidischen Dörfern Moscheen errichten lassen - mit dem Ziel der Verdrängung. Mit der Aufhebung des Kriegsrechts am 19. Juli 1987 und dem dabei eingeleiteten Prozess einer "Redemokratisierung" hat sich die Situation für die Yeziden noch verschlechtert: Denn im Rahmen dieses Redemokratisierungsprozesses wurde über - damals - acht Provinzen im Südosten der Türkei der Ausnahmezustand verhängt. Es wurde das Amt eines Sondergouverneurs mit weitreichenden Sondervollmachten eingeführt. Dieser Sondergouverneur handelte mit staatstreuen kurdischen Stammeschefs und Grossgrundbesitzern Verträge aus, in denen jenen Straffreiheit für Straftaten zugesichert wurde, die sie als Dorfschützer begehen würden. Dadurch wurden jene Taten legalisiert, welche diese Aga's und ihre Clans in "Ausübung ihrer hoheitlichen Funktionen als Dorfschützer" begingen (vgl. statt vieler Gutachten A. Sternberg-Spohr, a.a.O., S. 74 f.). Aufgrund dieser Sachlage können indessen die Aga's und ihre Clans durchaus als halbstaatliche Organe bezeichnet werden, die mit der Billigung und gar auftrags des Staates agieren. Andererseits sind beispielsweise seit 1991 - abgesehen vom obengenannten Staudammprojekt - keine Investitionen mehr in der Heimatregion der Yeziden getätigt worden. Gesetze werden mitunter willkürlich, rassistisch angewendet. Die zu erduldenden Schikanen während des Militärdienstes sind dem Staat ebenfalls direkt anzulasten (vgl. auch nicht publ. Urteil der ARK vom 23. März 1994 i. S. D. A., Erw. 8d). Der türkische Staat wäre grundsätzlich in der Lage, die Yeziden zu schützen (aus: Niederschrift über die Fortsetzung einer mündlichen Verhandlung des 11. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 2. Mai 1991, Aussagen des als Sachverständigen Geladenen, Prof.Dr.Dr. G. Wiessner, S. 12), unterlässt dies jedoch ebenso wie er davon absieht, die in der türkischen Gesellschaft vermehrt auftretenden Re-Islamisierungstendenzen zu unterbinden. Dass bezüglich der verschiedenen, belegten Schikanen im Militärdienst (vgl. oben Ziff. 4 Bst. d) geeignete Massnahmen seitens des Staates ergriffen würden, um Uebergriffe auf yezidische Soldaten durch muslimische Soldaten oder ranghöhere Vorgesetzte zu verhindern beziehungsweise erfolgte Uebergriffe zu ahnden, lässt sich nicht erkennen. Ebenso werden die Grossgrundbesitzer und ihre Clans vom Staat in ihren auf Vertreibung der Yeziden hinzielenden Uebergriffen nicht gehindert, sondern noch geschützt und aktiv unterstützt, indem beispielsweise der Staat mit diesen Grossgrundbesitzern bei der Flucht der Yeziden zusammenarbeitet (ausführlich dazu Gutachten A. Sternberg-Spohr, a.a.O., S. 87 ff.). Die moralische Rechtfertigung für diese Haltung des türkischen Staates wird dabei im Islam begründet, der die Verdrängung der Un-gläubigen zum Ziel hat (aus: