1994 / 12 - 102

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Italien sowohl die FK als auch die EMRK unterzeichnet hat und den daraus fliessenden völkerrechtlichen Verpflichtungen genauso Folge leistet wie die Schweiz, besteht hinreichende Gewähr dafür, dass der Beschwerdeführer von Italien nicht in ein Land ausgewiesen wird, in dem für ihn eine derartige Gefährdung bestehen würde. Demnach stehen der vorsorglichen Wegweisung keine völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz entgegen. 

b) - Zumutbar ist die Weiterreise namentlich dann, wenn eine der drei Voraussetzungen von Artikel 19 Absatz 2 Buchstabe a-c AsylG gegeben ist. Die Vorinstanz geht in der angefochtenen Verfügung davon aus, dass sich der Beschwerdeführer vor seiner Einreise in die Schweiz einige Zeit im Sinne von Artikel 19 Absatz 2 Buchstabe b AsylG in Italien aufgehalten habe. Im Gegensatz dazu vertritt der Beschwerdeführer, unter Hinweis auf Kälin, die Auffassung, eine vorsorgliche Wegweisung gestützt auf Artikel 19 Absatz 2 Buchstabe b AsylG komme erst in Betracht, wenn sich der Betroffene während mindestens 20 Tagen im Drittstaat, in welchen er nunmehr zurückgeschickt werden solle, aufgehalten habe, da der Begriff "einige Zeit" in Bezug auf eine vorsorgliche Wegweisung gleichbedeutend sei, wie dieselbe Wendung in der Drittstaatsklausel von Artikel 6 AsylG. Da er sich aber weniger als 20 Tage in Italien aufgehalten habe, sei diese Voraussetzung nicht erfüllt.

aa) - Das im vorliegenden Fall zur Diskussion stehende Verhältnis des Begriffes "einige Zeit" in Artikel 19 Absatz 2 Buchstabe b AsylG zur gleichlautenden Regel in der Drittstaatsklausel von Artikel 6 AsylG ist Gegenstand von Kontroversen in Lehre und Praxis. Die Praxis beruft sich dabei auf die unterschiedlichen Auslegungsbestimmungen in der AsylV 1; Gemäss Artikel 2 AsylV 1 bedeutet einige Zeit im Sinne von Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe a AsylG in der Regel 20 Tage, währendem Artikel 17 AsylV 1 bezüglich Artikel 19 Absatz 2 Buchstabe b AsylG die Vermutung aufstellt, ein Gesuchsteller habe sich einige Zeit in einem Drittstaat aufgehalten, wenn er nicht ohne Verzug in die Schweiz gelangt. Artikel 17 AsylV 1 wird demgegenüber in der Asylrechtsliteratur als gesetzwidrig erachtet (vgl. Kälin, a.a.O., S. 195; Achermann/Hausammann, a.a.O., S. 331 ff.; Aufsätze von W. Stöckli und M. Gattiker in ASYL 1988/1 S. 3 ff.; S. Raess-Eichenberger, Das Asylverfahren nach schweizerischem Recht und Völkerrecht, Dissertation Zürich 1989, S. 169 f.). Auch die Petitions- und Gewährleistungskommission des Nationalrates hat sich den Kritikern der heutigen Praxis angeschlossen; sie befand die Anliegen einer unter anderem in diesem Zusammenhang eingereichten Petition des Dachverbandes der Asylkoordination Schweiz nach Einholung von Stellungnahmen seitens des damaligen Delegierten für das Flüchtlingswesen